12 von 12 im November 2016

Jubiläum! seit einem Jahr mache ich jetzt bei diesem monatlichen Stelldichein der Bloggerinnen mit, die einmal im Monat mit 12 Bildern einen Tag aus ihrem Leben beschreiben. So verlief mein 12. November:

Früh aufstehen!

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Meine Tochter (2) weckte mich früh. Viel zu früh. Wir haben die Dame noch schlafen lassen, da es bei ihr und mir am Abend zuvor sehr spät wurde. Wir hatten einen Gast in unserem Podcast und die Sendung zog sich in die Länge, weil wir technische Probleme hatten UND weil ein gewisses kleines Mädchen nicht schlafen wollte.

Frühstück

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Die Tochter (9) ließ auch nicht lange sich warten und wir stürzten uns zu dritt in die Kälte, um Brötchen zu holen. Die Kleine war immer eine große Läuferin, doch derzeit hat sie eine sehr lauffaule Phase, weswegen hauptsächlich vier Beine liefen, während das dritte Paar von meinen Schultern baumelte. Dafür sang die Kleine um so leidenschaftlicher „Laterne, Laterne“. Denn sie hat das Singen für sich entdeckt. Die Dame war mittlerweile auch aufgestanden und dann gab es Frühstück!

Kurt

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Die Dame hat eine leichte aber nicht ignorierbare Arachnophobie. Daher müssen alle Spinnen unser Domizil umgehend verlassen. Sagte ich „alle Spinnen“? Das stimmt nicht ganz. Wenn das Exemplar klein genug ist und ich glaubhaft darlegen kann, dass der Winter eine unzumutbare Härte für den Achtbeiner darstellt, dann und nur dann gibt es eine Ausnahme von der Regel: Die Spinne darf bleiben, muss aber getauft werden. Entsprechend präsentiere ich: Kurt!

Schneiden

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Wann immer ich eine Viertelstunde Zeit fand, schnitt ich die bereits erwähnte Podcast-Folge. Wir sprachen über Quentin Tarantinos Jackie Brown und sind zusammen mit unserem Gast Dennis vom Lichtspielcast ziemlich ins Schwärmen geraten. Davor musste Dennis, weil er zum ersten Mal im Spätfilm war, sich durch den Proustfragebogen kämpfen, was aber sehr lustig, aufschlussreich und hoffentlich auch hörenswert war.

Großeinkauf

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Meine Tochter (9) war sauer, dass wir alle Bananen aufgegessen hatten, denn sie wollte „Bananengeister“ machen. Allerdings noch nicht gestern. Denn da war sie ersteinmal auf einer Geburtstagsparty eingeladen. Ich brachte sie dort hin, wo wir wenig charmant vom Geburtstagskind begrüßt wurden: „Ach du bist es, hatte ganz vergessen, dass du auch noch kommst“. Na, vielen Dank! Die Party war dann aber wohl doch sehr schön. Auf dem Heimweg habe ich dann noch Bananen besorgt. Wo mir einfällt: Wir haben heute noch immer keine Bananengeister gemacht!

November

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Auf dem Heimweg herbstete es sehr …

Malermeisterin

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Da die Große weg war, bekam die Kleine ausnahmensweise die doppelte Elterndosis. Wir malten und …

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…kochten und knuddelten beim Kochen.

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Schlafenszeit

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Neben Laufen ist Schlafen und insbesondere Einschlafen das zweite Thema, das derzeit bei der Kleinen nicht so angesagt ist. Ich brauchte bis 21:30 Uhr bis ich sie endlich davon überzeugt hatte, endlich die Augen zu schließen.

Weihnachtsfilm

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Na, wer errät, um welchen Film es sich handelt? Kleiner Tipp: Es ist ein Weihnachtsfilm. Wir hatten Hausaufgaben für unseren Podcast gemacht. Wenn ihr den Film erratet, wisst ihr auch schon, was unser diesjähriges Weihnachtsspecial wird. Aber wir haben den Film nicht durchgestanden. Die Müdigkeit trieb uns ins Bett, sodass wir ihn heute noch zu Ende gucken müssen.

Nachtlektüre

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Die Dame hat mir den neuesten Harry-Potter-Band geschenkt. Das Drama, das demnächst in London auf die Bühne kommt. Ich stecke mittendrin und bin hin- und hergerissen: Einerseits gibt es klassische Fortsetzungsprobleme. Will ich wirklich wissen, wie es nach dem Happy End weitergeht? Warum greift Rowling diesen oder jenen abgehalfterten Punkt wieder auf ,um ihn noch ein weiteres Mal durchs Dorf zu treiben? Aber andererseits: Es ist alles auch irgendwie gar nicht mal so schlecht. Ich werde berichten: Spätestens, wenn ich mit Tochter (9) den Band gelesen habe.

Das war’s von mir. Wir sehen uns spätestens nächsten Monat!

Harry Potter und die verlorenen Väter

Ein weiteres halbes Jahr ist vergangen und wir besteigen zum drittletzten Mal den Hogwarts-Express. Ach ja, auch wenn wohl noch mehr Seiten vor uns als hinter uns liegen, beginnt bei mir mit Band 5 regelmäßig der Abschiedsschmerz. Doch nicht so schnell! Erst muss ich noch einmal erklären, was das hier ist: Ich lese mit meiner Tochter (derzeit 8) die Harry-Potter-Bücher und damit sie nicht überfordert ist, sondern mit den Büchern mitwachsen kann, lesen wir jedes halbe Jahr einen Band. Anschließend beschreibe ich hier, wie es war und was mir auffiel.

Applaus

Bisher habe ich das schon in diesen Texten getan:

Eine Warnung noch: Falls ihr in den letzten eineinhalb Jahrzehnten im Raum der Wünsche an eurem Patronus geübt habt und nichts über diesen Potter wisst, seid euch gewiss: Ich werde spoilern!

Schock!

Taktisches Vorlesen

Nach dem dramatischen Ende der letzten Vorleserei war ich ein bisschen besorgt, wie meine Tochter einerseits die sadistische Umbridge und andererseits Sirius‘ Tod verkraften würde. Der Mord an Cedric hatte sie ja ziemlich mitgenommen, obwohl Cedric nur irgendein Schüler war, den wir nur in einem Band etwas näher kennengelernt haben. Aus meinen Fehlern vom letzten Mal habe ich gelernt und bin an die dramatischen Textstellen viel taktischer herangegangen: Ich habe sie nicht abends, sondern am helllichten Tag vorgelesen. Den Showdown habe ich in insgesamt fünf verdaulichere Häppchen aufgeteilt. Sodass wir nicht wieder vom Sog der Geschichte gefangen genommen wurden, sondern meine Tochter jeweils Zeit hatte, das Gehörte zu verarbeiten. Auch habe ich vor dem Showdown angekündigt, dass ein wichtiger Charakter sterben wird. Und wir haben noch einmal darüber gesprochen, warum Autorinnen liebgewonnene Personen sterben lassen. Wir haben auch beraten, ob ich nicht besser vorher erzählen soll, wer sterben wird. Aber außer der Zusicherung, dass es kein Kind ist, wollte meine Tochter keinen Spoiler. Diese Strategie ging voll auf und so war ich der Einzige, der Tränen in den Augen hatte, als Sirius dann durch den Vorhang fiel.

crying

Aus dieser Erfahrung nehme ich zwei Erkenntnisse mit: Einerseits finde ich spannend, dass es ganz offensichtlich nicht so schlimm ist, wenn eine Vaterfigur stirbt, als wenn dies einem Kind zustößt. Auch wenn das an meinem Ego kratzt, kann ich es nachvollziehen. Wenn ich die Geschichte lese, identifiziere ich mich auch immer mit Harry, Ron, Hermine, Ginny und vor allem mit Luna und Neville. Die andere interessante Erkenntnis ist, dass der Schrecken, der von Umbridge ausgeht, auf meine Tochter quasi keine Wirkung hatte.

„Harry setzte die Federspitze auf das Papier und schrieb:
Ich soll keine Lügen erzählen.
Er keuchte auf vor Schmerz. Die Wörter waren auf dem Pergament erschienen, offenbar mit leuchtend roter Tinte geschrieben. Zugleich waren die Wörter auf dem Rücken von Harrys rechter Hand aufgetaucht, in seine Haut geschnitten, als hätte ein Skalpell sie dort eingeritzt.“

Gerade bei dieser fürchterlichen Feder schielte ich immer wieder heimlich zu einer gewissen Achtjährigen rüber, aber das juckte sie nicht die Bohne. Ich vermute, dass der bürokratische Anstrich, den Rowling Umbridge verpasst hat, etwas ist, das eher auf Erwachsene als auf Kinder wirkt. Während etwas pures, unerklärlich Böses wie Voldemort ein Kind mehr gruselt. Doch genug der Küchenpsychologie, lasst uns das Buch auseinandernehmen!

Lesen!

Fünf Dimensionen

Insgesamt werde ich diesmal fünf Dimensionen des Buches besprechen: Natürlich darf die Coming-of-Age-Geschichte nicht fehlen. Das Abenteuer ist diesmal ein zweigesichtiges: Neben dem Kampf gegen Voldemort muss Harry auch gegen das Ministerium antreten. Dann werde ich die Geschichte in den großen Handlungsbogen einordnen. Aber natürlich darf auch mein übliches Nitpicking nicht fehlen.

Insgesamt gehört Der Orden des Phönix zu den besseren Bänden der Reihe und vor diesem Durchgang war er auch immer im Kampf um meinen Lieblingsteil ganz vorne mit dabei, aber diesmal sind mir doch ein paar Schwächen aufgefallen, die das Buch in meiner Gunst haben leicht abfallen lassen. So braucht Rowling ziemlich lange, bis die Geschichte mal so richtig ins Laufen kommt. Das Buch hat eine ziemlich ausführliche Exposition und sie bereitet so viel für das spätere Abenteuer vor, dass wir nach etwa 250 Seiten Hogwarts überhaupt erst betreten. Zum Vergleich: Der Stein der Weisen hat insgesamt nur 335 Seiten. Dieser schleppende Anfang liegt zum Teil auch daran, dass sie ihre Versäumnisse aus den Bänden 3 und 4 wieder gut machen muss: Ich spreche von Sirius‘ überstürztem Rutsch in die Vaterrolle am Ende von Der Gefangene von Askaban. In Der Feuerkelch gab es dann nur wenige Szenen, die Gelegenheit für eine stärkere Bindung zwischen Harry und Sirius boten. Damit der Höhpunkt in diesem Band die nötige Dramatik entfalten kann, muss Rowling Harry und Sirius entsprechend relativ viel Zeit zusammen verbringen lassen, worunter das Pacing etwas leidet.

Ist das so?

Würde bitte mal jemand mit dem Jungen reden?!

Doch die größte Schwäche dieses Bandes ist der Teil des Abenteuers, der sich um Voldemort dreht. Voldis Plan ist zwar wesentlich cleverer als noch im Band zuvor, und dass Rowling ihn mal wieder von Hermine laut aussprechen lässt, ohne dass wir zu diesem Zeitpunkt der Geschichte ihr Glauben schenken ist ein klassischer Rowling – sehr schön.

„Du … das ist keine Kritik, Harry! Aber du … irgendwie … ich meine – glaubst du nicht, dass du so was wie – wie ein – Menschenrettungsding hast?“, sagte sie.

Auch dass am Ende gerade nicht die vermeintliche Kontrolle von Voldemort über Harry die Geheimwaffe ist, sondern das Wissen darum, wie der dunkle Lord Harry töten kann, ist eine schöne Auflösung. ABER der ganze schöne Plan von Du Weißt Schon Wem, Harry in die Mysteriumsabteilung zu locken, wäre zu Staub zerfallen, wenn nur ein einziger Erwachsener sich mal die Zeit genommen hätte, mit Harry zwei Sätze über seine Situation zu wechseln. Dass sie nie auf diese Idee kommen, ist ein typischer Fall von dummen Protagonisten, die dumme Dinge tun. Etwas, das ich in meinem Podcast Spätfilm oft anprangere und das mir immer ein bisschen das Mitfiebern versaut.

Wenn Harry mit niemandem über seine Sorgen und Nöte spricht, ist das zwar auch dumm und mittlerweile ein bisschen abgenutzt, aber Harry ist ein Teenager und die sind nun einmal dumm. Wenn hingegen ein ganzer Club voller Phönixkriegern es nicht auf die Reihe kriegt, mal zu sagen: „Hör mal Harry, wir machen uns Sorgen, nicht weil wir Angst vor dir haben, sondern davor, dass Voldi dich mit einem fiesen Trick aus unserem Schutz heraus locken und dich so in Gefahr bringen kann. Deshalb musst du Okklumentik lernen.“ Dass alle immer nur stammeln, wenn es darum geht, Harry zu erklären, was Phase ist, ist mir wirklich zu konstruiert, bloß um den Konflikt voranzutreiben.

Tja ...

Umbridges repressive Herrschaft in Hogwarts

Ganz anders steht es hingegen um den zweiten Teil des Abenteuers: Harrys Kampf gegen das Ministerium. Das ist vom Prozess gegen Harry angefangen bis zu Umbridges „Entsorgung“ durch die Zentauren perfekt konstruiert. In Band vier wurde bloß angedeutet, dass der Zaubererstaat keine heile Welt sondern repressiver ist, als Rowling es in früheren Bänden darstellte und dass Rassismus tief in der Zauberergesellschaft verwurzelt ist und nicht bloß ein Problem von wenigen Todessern.

„Was hat sie gegen Werwölfe?“, sagte Hermine aufgebracht.
„Hat Angst vor ihnen, vermute ich“, entgegnete Sirius und lächelte angesichts ihrer entrüsteten Miene. „Offenbar hasst sie Halbmenschen; sie hat sich letztes Jahr auch dafür engagiert, Wassermenschen zusammenzutreiben und einzufangen.“

Dieses mal belässt Rowling es nun nicht länger bei Andeutungen, sondern erhebt genau diese Geschichte zu einem zentralen Plottpunkt. Als zentrales Symbol hierfür nutzt sie den Brunnen im Ministerium, den Dumbledore im Showdown nicht weniger symbolträchtig zerstört, um gegen Voldemort zu kämpfen. Aber auch die Gleichschaltung der Presse durch den Minister und Umbridges repressive Herrschaft in Hogwarts schlagen in die gleiche Bresche. Dass die rassistische Umbridge, die keine Gelegenheit auslässt, um gegen Halbmenschen zu hetzen, am Ende von Zentauren vertrieben wird, bildet dann auch einen sehr schönen Payoff für diesen Handlungsstrang.

Das Ende des zweiten Aktes

Warum wusste er, was Voldemort fühlte? Worin bestand jene unheimliche Verbindung zwischen ihm und Voldemort, die Dumbledore ihm nie richtig hatte erklären können?

Gewohnt meisterlich agiert Rowling, wenn es darum geht, diese Geschichte in den großen Handlungsbogen des gesamten Epos einzuordnen. Wenn wir die komplette Reihe als Dreiakter auslegen, dann schließt sie mit diesem Band den zweiten Akt ab: Emotional ist Harry auf dem Tiefpunkt angelangt, sein Pate ist nichtzuletzt wegen Harrys Fehlern gestorben und er hat erfahren, dass prophezeit wurde, dass er entweder sterben wird, oder Voldemort umbringen muss. Zugleich liegen jetzt aber auch alle Karten auf dem Tisch: Harrys Problem ist klar umrissen und im dritten Akt – den letzten beiden Bänden – kann es nun endlich um die Lösung gehen und damit begonnen werden, Voldemort zu besiegen.

„Im vergangenen Jahrzehnt deuteten die Zeichen darauf, dass die Zaubererschaft nichts weiter als eine kurze Stille zwischen zwei Kriegen erlebt.“

Rowling fängt nun an, erste Payoffs zum lange aufgebauten Epos zu geben: das wahre Gesicht des Ministeriums ist so ein Payoff, die Rolle von Trelawny in Harrys persönlicher Geschichte ein weiterer, genau wie die Auflösung, warum Harry immer wieder zu den Dursleys zurückkehren muss.

Harry antwortete nicht. Er wusste genau, warum Neville so wütend wurde, wenn es um Leute ging, die wegen magischer Gehirnschäden im St. Mungo waren, doch er hatte Dumbledore geschworen, Nevilles Geheimnis niemanden zu erzählen.

Der beste Punkt diesbezüglich ist aber Nevilles Geschichte, nachdem das Schicksal seiner Eltern in Der Feuerkelch angeteasert wurde, bekommt Neville hier seinen eigenen Call to Adventure in Form des Gefängnisausbruchs von Bellatrix LeStrange. Vom bloßem Comic Relief mausert er sich zu einem handelnden Charakter. Eine Wandlung, die in den nächsten Bänden weitergehen wird. Womit wir angelangt wären bei all den neuen epischen Vorausdeutungen und Chekhov’s Guns, die Rowling eingebaut hat: So wird angedeutet, dass noch mehr an Tante Petunia dran ist, als das Auge sieht. Snapes Mysterium wird weiter angeteasert, und Dumbledores Bruder wird unauffällig in Position gebracht. Am Ende des Bands kündigt Draco sogar seine Rolle im Band 6 an. Aber am cleversten verwebt Rowling hier die Vorausdeutungen auf Harrys ureigenes Mysterium.

„Natürlich, natürlich“, murmelte Dunbledore wie zu sich selbst, während er weiterhin den Rauchstrom ohne die geringste Spur von Überraschung betrachtete. „Aber im Wesen gespalten?“

Sie bedient sich hier eines Tricks, den sie oft verwendet und der dennoch nicht an Brillanz einbüßt: Durch die Prophezeiung hat sie uns nun vermeintlich endgültig enthüllt, worin die Verbindung zwischen dem dunklen Lord und Harry besteht. Aber auf der anderen Seite baut sie unzählige Vorausdeutungen ein, die uns wieder einmal sagen, dass da noch mehr dahinter steckt, ohne dass wir es jetzt schon verstehen können.

„Außerdem gab es … ein schweres Medaillon, das keiner von ihnen öffnen konnte …“

Das ist meines Erachtens eine der höchsten Künste des Geschichtenerzählens und nicht der geringste der vielen Gründe, warum der Harry-Potter-Zyklus so verdammt gut ist. Bei so hoher Kunst verzeihe ich J. K. Rowling dann sogar, dass sie auch wieder etwas Retconning betreibt, wie zum Beispiel bei den Testralen, die plötzlich die „pferdelosen“ Kutschen schon immer gezogen haben sollen! So etwas könnte ganz unmöglich ein Geheimnis unter den Schülern sein, auch wenn ich natürlich die Symbolik verstehe.

Oh no!

Vom Verlieben und Entlieben

Das sollten sie uns hier beibringen, dachte er und drehte sich zur Seite. Wie die Gehirne von Mädchen ticken … das wär jedenfalls nützlicher als Wahrsagen …

Kommen wir zur Coming-of-Age-Geschichte: Hier erscheinen mir zwei Aspekte besonders bemerkenswert. Zum einen natürlich Harrys erste Liebe.

„Misteln“, sagte Cho leise und deutete an die Decke über seinem Kopf.
„Ja“, sagte Harry. Sein Mund war sehr trocken. „Sind aber wahrscheinlich voller Nargel.“
„Was sind Nargel?“
„Keine Ahnung“

Mir gefällt sehr, sehr gut, wie unaufgeregt Rowling diese Geschichte erzählt und wie es ihr gelingt, sämtliche Klischees zu umschiffen. Weder ist Cho gleich die große Liebe, noch präsentiert Rowling uns die Geschichte als großes Drama. Da verlieben sich einfach zwei Teenager, wissen dann in ihrer Unerfahrenheit nichts miteinander anzufangen und entlieben sich daher wieder – ein wunderschön realistischer Ansatz.

Dann ist Der Orden des Phönix zum anderen die Geschichte der verlorenen Väter. Gleich drei Stück muss Harry einbüßen: Zunächst ist da Dumbledore, der zwar immer etwas zu distanziert und abgehoben für eine Vaterfigur war, der aber dann, wenn es hart auf hart kam, doch in diese Rolle schlüpfte und der vor allem Harry am Ende immer alles genau erklärt hat. Das macht er in diesem Band zwar beides wieder, aber lange Zeit wird Harry der Eindruck vermittelt, Dumbledore habe diese Rolle aufgegeben. Dann verliert Harry seinen leiblichen Vater ein zweites Mal und zwar verliert er ihn als strahlendes Vorbild, als Harry entdeckt, dass sein Vater ein Bully war und Snape gequält hat. Schließlich verliert Harry auch noch Sirius, der – wie ich oben schon schrieb – gerade erst so richtig in dieser Rolle angekommen war. Erzählerisch ist das ein klassischer Move, Harry ist der Chosen One, der unumstrittene Held dieser Geschichte. Rowling muss also sein Auffangnetz abbauen, damit gesichert ist, dass am Ende auch wirklich Harry und kein anderer Voldemort besiegt. Mit diesem Abbau wird sie in den kommenden Bänden bekanntlich fortfahren. Aber bei aller Klassik: Auch in diesem Teil der Geschichte verpackt Rowling wieder einen cleveren kleinen Kommentar: Und zwar als sie McGonagall ausschaltet.

Es gab niemanden mehr, dem er es sagen konnte. Dumbledore war fort, Hagrid war fort, doch er hatte es immer für selbstverständlich gehalten, dass Professor McGonagall da sein würde, reizbar und starrsinnig vielleicht, aber immer verlässlich, stets verfügbar …

Während traditionell um die Väter viel Geschiss gemacht wird, war es für Harry also immer selbstverständlich, dass die Mutterfigur einfach für ihn da ist, „stets verfügbar“. Ein wirklich guter kleiner Kommentar auf unser Bild von Vätern und Müttern sowohl in Literatur als auch in der Realität.

Not impressed!

Wenn es dagegen doch bloß einen Zauber gäbe …

Ja, beim Schreiben dieses Textes wurde mir wieder klar: Der Orden des Phönix ist trotz der paar Schwächen wirklich ein sehr gutes Buch. Daran ändert auch mein letzter Punkt nichts – das traditionelle Nitpicking:

  • Harry ist bei allen an der Schule total unbeliebt. Hatten wir die Geschichte nicht schon einmal, zweimal oder drölfzigmal?
  • Lupin ist arm, weil er als Werwolf diskriminiert wird. Aber muss er deshalb wirklich Flicken auf seinem Umhang haben? In dieser Welt lernen die Schulkinder Mäuse in Tassen zu verwandeln. Aber es gibt keinen Zauberspruch, der dafür sorgt, dass Lupins Umhang wieder einwandfrei ist?
  • Das Haus Slytherin hat noch immer ein Image-Problem
  • Zacharias Smith ist ein Riesenarsch! Warum haben die ihn bei Dumbledores Armee mitmachen lassen?
  • Draco freut sich, weil Slytherin zwischenzeitlich als einziges Team die Erlaubnis bekommen hat, Quidditsch zu spielen. Hmmm, Draco, das Konzept eines Sporttuniers hast du noch nicht verstanden, oder? Viel Spaß beim einsamen Rundenfliegen im Stadion!
  • Dieses „Zwischen Bildern hin und her laufen“ von Portraits ist doch totaler Mumpitz! Da lässt du dir ein Gemälde von deiner geliebten, verstorbenen Frau machen. Aber weil irgendein Exfreund von ihr sich auch ein Bild hat machen lassen, muss sie dann immer zwischen den beiden hin und her pendeln? Das Konzept sollte noch einmal überdacht werden!
  • Zauberer sind Dilettanten, Teil 2359: Die Sessel im Fahrenden Ritter rutschen bei der Fahrt hin und her und fallen bei jeder zweiten Kurve um. Mensch wäre es nicht toll, wenn es so etwas praktisches wie den Dauerklebefluch gäbe?
  • Snape ist ein schlechter Lehrer, ein sehr schlechter Lehrer!

Ich freue mich schon jetzt auf den Halbblutprinz. In einem halben Jahr lest ihr dann hier, wie er war.
Tschüss!

Harry Potter und die gruseligste Nebensache der Welt

Muggle Quidditch Game in Vancouver
Muggle Quidditch game in Vancouver von Anton Bielousov Lizenz: CC BY-SA 3.0

 

Nach den großen Erfolgen von „Die Löcher des Plots“ und „Kommissar Potter ermittelt“ präsentiere ich euch den dritten Teil meiner Re-Read-Potter-Rezensionsreihe. Zur Erinnerung: Ich lese jedes halbe Jahr mit meiner Tochter (zurzeit 7) einen Potter-Band und erzähle euch anschließend, was mir aufgefallen ist. Aufgefallen ist mir diesmal zunächst, dass ich diesen Post auch so hätte nennen können:

Harry Potter und die Probleme mit einer Zeitreise

Doch fangen wir vorne an: J. K. Rowling hat nun endgültig ihren Stil gefunden. Sie weiß, dass ihre Leserinnen Harry kennen und hält sich nicht mehr mit einer langen Exposition auf, sondern handelt diese in ein paar Sätzen ab:

„Harry Potter war in vielerlei Hinsicht ein höchst ungewöhnlicher Junge. So hasste er zum Beispiel die Sommerferien mehr als jede andere Zeit des Jahres. Zudem wollte er in den Ferien eigentlich gern für die Schule lernen, doch er war gezwungen, dies heimlich und in tiefster Nacht zu tun. Und außerdem war er ein Zauberer.“

Das ist schön, denn das gibt ihr mehr Platz sich mit den Charakteren und der Handlung zu befassen. Außerdem hat sie nun Gefallen am Whodunit gefunden und versorgt uns mit einem Haufen epischen Vorausdeutungen, sodass wir das Rätsel lösen können, bevor sie uns mit der Nase darauf stößt:

„Harry zog mit dem schweren Koffer im Schlepptau durch die nächtlichen Straßen und sank schließlich keuchend auf ein Mäuerchen am Magnolienring.“

Saß nicht auf eben so einem Mäuerchen (ich weiß, es war nicht das selbe) vor zwei Bänden noch Professor McGonagall in ihrer Gestalt als Animagus? Und jetzt ratet mal wen oder was Harry dort zum ersten Mal sieht … Praktischerweise lernen die Schüler und wir auch in diesem Schuljahr, was ein Animagus ist. Und derlei Hinweise liefert Frau Rowling uns sehr viele, sowohl für die Lösung dieses Bandes als auch für jene die da noch kommen werden. So erinnert sie uns noch einmal an das „Gerücht“, dass die Stelle des Lehrers zur Verteidigung gegen die dunklen Künste verhext ist. Gibt uns ein vermeintlich defektes Spickoskop an die Hand, das uns unaufhörlich darauf hinweist, dass einer der Anwesenden lügt. Und Hermine verschwindet ständig vor unseren Augen und taucht wieder auf. Zugleich werden wir durch einen Red Herring aufs Glatteis geführt, indem der vermeintliche Bösewicht den überaus gerfährlich schwarzen Namen „Sirius Black“ trägt.

Andererseits macht J. K. Rowling auch in diesem Band noch ein paar Regeln, as she goes along:

„Wie ist er [Sirius Black] hereingekommen?“
„Vielleicht weiß er, wie man appariert“, sagte ein Ravenclaw in der Nähe. „Einfach aus dem Nichts auftaucht, wisst ihr.“

Huiii … Dieses Apparieren scheint ja eine ziemlich komplizierte und unbekannte Fähigkeit zu sein. Gut, in Band 6 lernt es dann allerdings jedes Kind in der Schule. Vollkommen unglaubwürdig finde ich, dass Harry, nachdem er Sirius das ganze Jahr über für das abgrundtief Böse gehalten hat, schon eine halbe Stunde nachdem er über dessen Unschuld aufgeklärt wurde, bei ihm einziehen will. Der Junge fasst für meinen Geschmack zu schnell Vertrauen. Es wirkt auf mich, als brauchte Rowling eine Vaterfigur, die etwas distanzloser ist als Dumbledore und will die uns mit der Brechstange herbeischaffen.

Wiederum schön ist, dass uns J. K. Rowling mit einem ganzen Haufen von Chekhov’s Guns – einer Chekhov’s Armoury – ausstattet: Ständig wedelt sie uns mit Gegenständen vor der Nase herum, die zunächst als Deko erscheinen, später aber zu mehr oder weniger zentralen Plottpunkten werden: Krätze, die peitschende Weide, die heulende Hütte, die Karte des Rumtreibers, der Feuerblitz. Die zahlreichen Aha-Effekte machen einfach Spaß. A propos Feuerblitz: Bin ich der einzige, der Harrys Erfolge im Quidditch für vollkommen belanglos hält, wenn er immer den besten, schnellsten und teuersten Besen hat? Ooooh, ich kann mit meinem Ferrari schneller fahren als du mit deinem Golf!!!! Kunststück …

Alles Super...
Quelle: Reactiongifs.

Eine nebensächliche Heldenreise

Formal ist die Geschichte wieder als klassische Heldenreise aufgebaut: Harrys Call to Adventure ist diesmal der Ausbruch von Sirius, seine Refusal of the Call, erleben wir dadurch dass Harry nicht einsieht, dass er Black jagen sollte, bis er vom Verrat an seinen Eltern erfährt. Er hat einen neuen Mentor – Lupin – bekommt eine neue Supernatural Aid – die Karte des Rumtreibers – und eine neue Initiation – Einzelunterricht bei Lupin. Schwellen in fremde Welten, Prüfungen und Hindernisse, ein großes Finale, die Weigerung der Rückkehr und dennoch die anschließende Rückkehr sind ja sowieso Standardelemente in Potters Welt.

Kurios ist dabei aber, dass abseits dieser Formalitäten das eigentliche Abenteuer über weite Strecken des Buches keine Rolle spielt. Es verkommt komplett zur Nebensache, während wir Schulalltag erzählt bekommen. Über weite Strecken wird uns die Geschichte mit Sirius nur in kurzen Szenen ins Gedächtnis gerufen – Die fette Dame wird angegriffen, Sirius dringt einmal ins Schlafzimmer ein, ansonsten bekommt Harry nur Gerüchte zu hören, er ist aber nie aktiv involviert. Der dritte Band ist eigentlich ein erster Ausflug ins Coming-of-Age-Genre. Romantische Gefühle werden angedeutet, Fragen nach der eigenen Vergangenheit und Abstammung beantwortet. Schön fand ich Hermines allmähliche und zaghafte Charakterentwicklung von der pedantischen Streberin hin zum Badass, das sie vor allem im letzten Band sein wird.

Etwas anstrengend finde ich aber, dass die Themen Schulrauswurf und Streit zwischen Harry, Ron und Hermine sich bereits jetzt abzunutzen beginnen. Besonders gut gefiel mir hingegen, dass wir mehr Hintergrundwissen zu Harrys Eltern, ihren Freunden und Feinden bekommen, wenngleich Harrys Vater (noch) als allzu strahlender Held erscheint. Die Konkurrenz zu Malfoy und Konsorten wird ausführlich durchdekliniert und so manches für die kommenden Bände vorbereitet. Interessant ist auch, dass Harry in diesem Band seinen Mitschülern nicht besonders in Auge fällt. Während er in Band 1 der Star auf der Schule ist, ist er in Band 2 der Geächtete und auch in den kommenden Bänden wird sich dieses Wechselspiel wierderholen. Aber in diesem Band ragt er nicht sonderlich heraus und die Schule bekommt vom eigentlichen Abenteuer kaum etwas mit.

Dann gibt es noch etwas Außergewöhnliches im Potterversum: Dies ist der einzige Roman, der sich nicht um „Du weist schon wen“ dreht. In allen anderen Büchern ist der Endgegner Voldemort oder einer seiner Horkruxe. Hier nicht. Das Buch ist quasi ein einziger Build-up für die Teile 4 und 5 – was ihn nicht schlechter macht. Im Gegenteil: Man merkt, wie Rowling anfängt, die Geschichte komplexer werden zu lassen. Figuren wir Cedric Diggory und Cho Chang werden ganz nebenbei eingeführt und die ganze Prophezeihungs-Thematik wird ebenfalls eher beiläufig aufs Tapet gebracht.

„War das – war das eine echte Vorhersage?“
Dumbledore schien milde beeindruckt.
„Weißt du, Harry, ich glaube das könnte sein“, sagte er nachdenklich. „Wer hätte das gedacht? Damit steigt die Zahl ihrer wahren Vorhersagen auf zwei. Ich sollte ihr eine Gehaltserhöhung anbieten …“

Das kausale Perpetuum mobile

Kommen wir zum letzten großen Thema: Der Zeitreise. Da hat Rowling ein Fass aufgemacht, das sie vielleicht besser nicht angerührt hätte haben gesollt werden. Denn ich kenne wirklich niemanden, der oder die sich nicht fragt, warum dieses Mittel nicht öfter als ein einziges Mal eingesetzt wird. Gut, wir bekommen eine lausige Erklärung: Gefährlich. Aber anscheinend stört sich nicht einmal Dumbledore daran, wenn es seinen Interessen dient? Hermine meint zwar, man könne verrückt werden, aber glaubt ihr tatsächlich, das würde Voldemort oder einen seiner Todesser davon abhalten, einfach in die Vergangenheit zu reisen und zu verhindern, dass Harry-Baby Voldis Macht bricht?

Are you kiding me?
Quelle: Reactiongifs.

Interessant ist allerdings, wie Rowling die Zeitreise einbaut. Sie verwendet eine von mir noch nicht berücksichtigte Variante des „Geschichte-schreiben-wir-Ansatzes“: Denn die Zeitreise ändert die Zukunft nicht wirklich sondern ist schon Teil der Vergangenheit. Alles was wir im ersten Durchlauf des Finales lesen, geschieht ja nur, weil es noch einen zweiten Durchlauf gibt, der nur geschieht, weil einen ersten Durchlauf gab, der geschieht, weil … Ich werde diesen Ansatz „das kausale Perpetuum mobile“ nennen.

Hach, es hat mir auch bei diesem Band wieder Spaß gemacht, ihn vorzulesen und freue mich schon darauf, in einem halben Jahr Band 4 zu lesen und ein Kleines Mädchen dabei zu beobachten, wie es zwischen Spannung, Lachen und Triumph-Gefühlen hin und her gerissen wird … Ich hoffe, ihr seid dann auch wieder dabei, wenn ich meine Erfahrungen für euch zusammenfasse.

Harry Potter und die Löcher des Plots

Gleis 9 3/4.
Gleis 9 3/4. Foto von SoxFan. Lizenz: CC-BY-SA-3.0.

Ich bin ein riesiger Harry-Potter-Fan. Ich habe die ganze Reihe schon mindestens drei Mal gelesen und mich mit der Dame gestritten, wer unserer Tochter (6) die Geschichte vom kleinen Zauberer mit der Blitznarbe vorlesen darf. Ich habe den Streit gewonnen. Mit dem Expelliarmus-Spruch. Natürlich. In diesem Advent war es endlich so weit. Meine Tochter (6) hatte endlich die geistige Reife erreicht, es mit den Schrecken und Freuden des ersten Bandes auf sich zu nehmen.

Das stellt uns natürlich vor ein Problem der künstlichen Verknappung: Wir haben damals Joanne K. Rowlings Schreibprozess mitbekommen. Kinder der 90er wuchsen gemeinsam mit Harry auf und konnten so die allmähliche Verschärfung der Story gewissermaßen natürlich miterleben. Kinder von heute hingegen stehen vor dem Problem, dass sie nach Band 1 unbedingt wissen wollen, wie es weitergeht, Band 2 und vielleicht auch 3 noch verkraften könnten, aber spätestens mit dem Ende von Band 4 die Geschichte so düster zu werden beginnt, dass ich sie noch nicht einer Sechsjährigen zumuten würde. Daher haben wir – meine Tochter und ich – die Vereinbarung getroffen, dass wir jedes halbe Jahr ein Buch lesen.

Spoiler Alert

Falls du, lieber Leser, in den letzten zwanzig Jahren tatsächlich unter einem Stein gelegen hast, beachte bitte: Ich werde spoilern…

Der Janusköpfige Auftakt des Epos

Diesen Advent ging es also los mit „Der Stein der Weisen“*. Und wisst ihr was? Es ist wahrlich verwunderlich, dass HP nach diesem Auftakt ein solcher Welterfolg wurde. Dem überdrehten Beginn mit den Dursleys, die sich den Briefen aus Hogwarts verweigern, kann ich noch einiges abgewinnen, auch wenn er stilistisch eigentümlich aus der Reihe rausfällt und eher zu Kishon, Tucholsky oder Lem passen würde. Das Buch wirkt wie zwei Geschichten: Erst die Satire um die spießige Familie, die das Waisenkind in grimmscher Manier schlecht behandelt. Jedoch kommen die Dursleys ihrer Vernachlässigung auf so überzogene Art und Weise nach, dass nicht recht Kummer über Harrys grausames Schicksal aufkommen mag. Dann kommt plötzlich der Umschwung, Harry taucht in die magische Welt ein und das Buch verliert jede Form von Satire, sondern nimmt sich und seine Protagonisten mit einem Mal sehr ernst.
Aber wie gesagt: Das finde ich zwar bemerkenswert aber nicht verwerflich. Was mich hingegen wahrlich stört, ist das Finale. Es steckt so voller Plottlöchern, dass ich es nicht ernst nehmen kann und dass es J. K. Rowling auch nicht würdig ist – zumal sie einige sehr schöne epische Vorausdeutungen auf den großen Erzählbogen in den ersten Band packt.

Wibbly Wobbly Timey Wimey

Fangen wir an: Der Stein der Weisen wurde nach Hogwarts gebracht, weil er in Gefahr ist. Woher Dumbledore und Nicholas Flamel (der Besitzer des Steins) das wissen, wird uns vorenthalten, denn der erste Versuch den Stein zu stehlen, findet ja erst statt, nachdem er aus der Bank Gringotts geholt wurde, um ihn noch sicherer aufzubewahren. Gut, das könnte ich noch akzeptieren, bei Doctor Who würde das mit „Wibbly Wobbly Timey Wimey“ begründet.

Aber warum wird der Stein nach Hogwarts gebracht? Ist eine Schule wirklich der beste Ort um ein Objekt aufzubewahren, auf das es jemand (mutmaßlich der gefährlichste Schwarzmagier aller Zeiten) abgesehen hat? Hagrid liefert uns die Begründung, dass Hogwarts „der sicherste Ort der Welt“ wäre. Fragt sich, wie schrecklich diese Welt ist. Denn so unglaublich sicher kann es in Hogwarts nicht sein, wenn da zum Beispiel einfach mal ein Troll ausgesetzt werden kann… Ich meine: so einen Troll bringst du ja nicht mal eben in der Hosentasche mit, oder? Irgendwo muss das Vieh doch herkommen… Und keiner hat’s gesehen?!?
Im weiteren Verlauf der Reihe erfahren wir zwar noch von Zauberbännen und ähnlichem (Wibbly Wobbly Timey Wimey) Gedöns, das Hogwarts schützt, aber nicht im ersten Band. Da steht erstmal nur, dass Hogwarts so unglaublich sicher ist. Doch die Sicherheitsvorkehrungen, die wir dann im Laufe des Buches kennenlernen, sind alle so billig, dass Erstklässler sie überwinden können. WTF?
Der ganze Plott des Heist of the Stone ist – so wird uns erzählt – überhaupt nur möglich, weil Dumbledore nicht da ist, sondern mit seinem Besen zum Ministerium geflogen ist. Dorthin wurde er gelockt durch eine falsche Nachricht. Mensch, wäre das praktisch, wenn Dumbledore hätte schneller reisen können. Etwa mit so etwas ausgefuchsten, wie einem Netzwerk von Kaminen oder wenn er sich gar hätte beamen können („apparieren“ im Potter-Jargon). Man merkt hier wie öfter mal, dass Rowling sich so manches Element ihrer Welt erst „on the fly“, im Laufe der Jahre beim Schreiben ausgedacht hat. Making up the rules as we go along. Zwar könnte man den Beginn des Buches und Dumbledores allererstes Erscheinen so deuten, als hätte er sich appariert, aber ich glaube nicht, dass Rowling den Satz:

„An der Ecke, die sie beobachtet hatte, erschien ein Mann, so jäh und lautlos, als wäre er geradewegs aus dem Boden gewachsen.“

wirklich schon so meinte, dass sie dort das Apparieren andeutet, das sie dann aber erst in Band 5 einführt. Ich glaube eher, der Satz sollte in die Stimmung etwas Wibbly Wobbly Timey Wimey reinbringen. Wir haben mit Dumbledore natürlich das klassische Superheldenproblem: Er wird uns als nahezu allmächtig beschrieben. Also muss seine Macht irgendwie künstlich begrenzt werden, damit überhaupt eine spannende Geschichte möglich wird. Zu dieser Begrenzung – Dumbledores Kryptonit – erwählt Rowling seine Abwesenheit. Aber genau das finde ich eben höchst unplausibel…

Erstklässlerhindernisparkour

Kommen wir zu den Fallen, die den Stein schützen: Dumbledores Trick mit dem Spiegel, das Schachbrett von McGonagall und Hagrids dreiköpfiger Hund sind die einzig würdigen Schutzmechanismen. Alle anderen sind einfach nur billig. Unsere drei Protagonisten kommen an dem Hund vorbei, weil sie dem naivem Hagrid das Geheimnis entlockt haben, dass das Vieh einschläft, sobald es Musik hört. Sogar wenn diese Musik von ungeübten Flötenspielern stammt. Daraufhin treffen Harry, Ron und Hermine auf Professor Sprouts Falle: Eine Pflanze, deren Bekämpfung auf dem Lehrplan für das erste Schuljahr steht. Ernsthaft? In der ganzen magische Welt mit ihren Drachen und schrumpfhörnigen Schnarchkacklern gab es nichts gefährlicheres als diese olle Teufelsschlinge, die jeder Zauberer mit ein bisschen Feuer überwinden kann? Ich meine, wenn ich Zauberer und gefangen in einer Schlingpflanze wäre, dann wäre Feuer wahrscheinlich einer der ersten Tricks, die ich einfach mal auf gut Glück ausprobieren würde…
Kaum hat Hermine ihre praktische Prüfung bestanden, kommt das Trio Infernale zu Professor Flitwicks Falle. Diese besteht faktisch nur aus einer Tür. Okay, eine Tür, die sich magisch nicht öffnen lässt. Das wäre eigentlich ein ziemlich cooler Schutzmechanismus, aber was macht Flitwick? Er legt den Schlüssel vor die Tür. Okay, okay, der Schlüssel fliegt mit einem Haufen anderer Schlüssel, rum, damit man nicht rankommt, außer man hat zufällig einen Besen dabei. Aber nein, das ist auch nicht nötig: denn Flitwick hat im Raum ein ganzes Arsenal von Besen bereitgelegt. Der kleine Zauberlehrer bettelt ja förmlich darum, dass seine Falle überwunden wird. Wäre es nicht cleverer gewesen, den Raum mit den fliegenden Schlüsseln an einem ganz anderen Ort als die Tür zu installieren? Zum Beispiel in Gringotts oder am Südpol? Und wäre es nicht auch cleverer gewesen, dass niemand von den fliegenden Schlüsseln weiß und so auch keinen Besen hat, um den richtigen Schlüssel zu fangen? Das ganze wirkt wie das eindimensionale Dungeon eines Jump-and-Run-Spiels.

Hinter der nächsten Tür des Dungeons finden wir das Schachfeld. Das ist so weit okay, wenn der „Schachcomputer“ stark genug ist, gibt es wohl nicht viele Leute, die daran vorbeikommen. Was passiert, wenn man einfach, ohne zu spielen, am Schachfeld vorbeiläuft, verschweigt Rowling zwar, aber bestimmt „böse Dinge“.
Nun kommen wir wieder mal zu einem Troll, den aber Quirrel dankenswerter Weise schon ausgeschaltet hatte, denn den Trollquest hatten unsere Helden ja schon in der Mitte des Buches bestanden. Woraufhin sie sich im Raum von Snape wiederfinden. Ein cooles Setting: rotes Feuer bildet die Tür um voranzuschreiten, schwarzes Feuer bildet die Tür um zurückzukommen und nur der richtige Zaubertrank lässt einen durchs Feuer treten. Nun gut, auch hier könnten wir wieder ganz dezent fragen: Warum, lieber Severus, müssen die Tränke gleich an Ort und Stelle liegen? Aber geschenkt, denn Snape würzt das ganze ja dadurch, dass neben den richtigen Tränken auch Nieten und sogar Todbringer sich im Raum befinden. Soweit, so gut, er und Dumbledore wissen, welchen Trank sie nehmen sollen, der Stein ist sicher. Sollte man meinen… Aber Snape legt einen Zettel neben die Tränke, auf dem ein billiges kleines Rätsel steht, wie man den richtigen Trank findet. ARE YOU FUCKING KIDDING ME? Du bettelst doch geradezu darum, dass wir dich auslachen, Snape!!!

Zum Schluss kommt dann der Spiegel Nerhegeb (Mirror of Erised) von Dumbledore, der den Stein nur preisgibt, wenn man ihn haben will aber nicht benutzen. Das ist eine coole Idee auch wenn Flamel ihn dadurch nie wiederbekommen könnte. Und technisch betrachtet bleibt auch fragwürdig, ob Flamel Dumbledore bitten könnte, den Stein aus dem Spiegel zu holen, den dann würde Dumbledore ihn ja mit der Intention aus dem Spiegel holen, ihn zu benutzen, wenn auch nicht für sich selbst… Aber ich will hier nicht Haare spalten, das ist halt Wibbly Wobbly Timey Wimey.

Ich bin allerdings froh, dass sich Rowling im weiteren Verlauf der Reihe in ihrer erzählerischen Kraft noch wesentlich steigern wird. Denn trotz dieser gigantischen Plottlöcher bleibt Harry Potter und der Stein der Weisen ein lesenswertes Kinderbuch. Besonders wenn man sich ansieht, gegen welche Konkurrenz Rowling im Bücherregal mit den zeitgenössischen Kindergeschichten so antritt. Aber das ist eine andere Geschichte…

Ich bin raus!

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