Hey Internet, so geht Logik! Oder: warum man nicht von einem Sein auf ein Sollen schließen kann

In den letzten Wochen kochte ja wegen Nestlé und Lego die Gender-Debatte in meinen Kreisen des Netzes hoch und mit ihr kamen gegenargumentative Reflexe, die jeder, der ein Proseminar in logischer Propädeutik (möchte ich unbedingt jedem empfehlen) absolviert hat, nicht so stehen lassen kann.

So etwas meine ich:

 

Das ist eine Variation des beliebten Arguments „In der Natur ist das so“. Von Natur aus kümmern sich die Weibchen um die Jungen, während die Männchen jagen. Männer sind stärker, sie sollten also herrschen. Oder auch immer sehr beliebt – wenngleich aus einer anderen Debatte: Homosexualität ist nicht natürlich.
Wer so argumentiert, der begeht einen ganz basalen logischen Fehler:

Den Sein-Sollen-Fehlschluss.

Eine Grundregel logischen Argumentierens, die Krux jedweder Ethik und weswegen der Menschenfreund mit Gram umwölkt ist lautet:

Man kann aus einem Sein nicht auf ein Sollen schließen.

Ihr habt sicher schon einmal etwas vom klassischen oder einfachen Syllogismus gehört. Der einfache Syllogismus ist die einfachste Form des logischen Schließens (Quasi der Lego-Viererstein) und funktioniert so, dass aus zwei Prämissen auf eine Konklusion geschlossen wird. Das berühmteste Gewand des einfachen Syllogismus ist folgendes:

P1 Sokrates ist ein Mensch.
P2 Alle Menschen sind sterblich.
C Sokrates ist sterblich
.

Was will uns nun der Sein-Sollen-Fehlschluss sagen? Ganz einfach: aus der Tatsache, dass etwas so und so ist, kann niemals folgen, dass es auch so sein sollte. Nur aus Fakten kann ich niemals auf Normen schließen.
Betrachten wir das anhand des Satzes „Homosexualität ist nicht natürlich“. Wichtig ist, dass es für die Logik erst einmal so egal wie das Urheberrecht für den Filesharer ist, ob der Satz wahr ist. Diese Frage haben andere zu entscheiden, es ist eine Frage der Empirie, der Erfahrungswelt. Fragt Biologen, Anthropologen, Soziologen, Whoever… Dem analytischen Philosophen geht es nicht um den Inhalt des Arguments sondern um dessen Struktur. Also widmen wir uns dieser, bringen wir in Wittgensteins Worten das Problem zum Verschwinden:

Zunächst fällt auf, dass unser Satz gar nicht als Schluss daher kommt, stattdessen stellt er sich unschuldig als Tatsachenbehauptung hin. Ich müsste jetzt weit ausholen um euch die heimlichen Verehrer dieses Satzes – Implikation und Implikatur– zu erläutern, aber das schöne ist ja, dass die Logik nicht erfunden wird, sondern in uns steckt und in Sokrates‘ Worten nur von einer Hebamme gehoben werden muss. Daher werdet ihr mir sicher auch ohne theoretischen Exkurs zustimmen, dass, wer in einer Diskussion, etwa ob Homosexuelle heiraten dürfen sollten (fieser grammatischer Möp), den Satz „Homosexualität ist nicht natürlich“ fallen lässt, diesen nicht einsam stehen lassen will wie einen gewissen Berg im tolkienschen Werk, sondern damit auf etwas hinaus will. Er impliziert etwas – nämlich einen Schluss.

Dieser Schluss soll wohl etwas wie das folgende aussagen:

P1 Homosexualität ist nicht natürlich.

C Deshalb sollten Homosexuelle nicht heiraten dürfen.

Was fällt uns da auf?

Rischtisch: Für unseren einfachen Syllogismus fehlt die zweite Prämisse.

BTW: Unser einfache Syllogismus ist eine Deduktion. Zwar gibt es andere Formen des Schließens (Induktion, Analogie und wenn wir es gar zu weit treiben wollten auch noch die Abduktion) die nicht unbedingt und ausgerechnet zwei Prämissen verlangen, aber diese sind im Gegensatz zur Deduktion nicht zwingend, wie der Logiker so schön sagt.

Wenn wir also den oben stehenden Syllogismus zwingen wollen zwingend zu werden, müssen wir ihm die zweite Prämisse hinzufügen um am Ende „Heureka!“ schreien zu dürfen. Und hier kommen wir an des Pudels Dickdarm aka. Kern:

Wir können jetzt noch so viele faktische Sätze als P2 einfügen, wie wir wollen, daraus wird nie zwingend die C folgen. Ob wir jetzt behaupten

P2 Alle Tiere sind heterosexuell. 

Oder P2 Nur Heterosexuelle dürfen heiraten. 

Oder gar P2 die höchste Steilküste der Welt finden wir auf Hawaii.

Daraus wird nie unsere C folgen, weil noch etwas ganz wesentliches fehlt, was unser aller geschätzter Wowi damals so ausdrückte: und das ist auch gut so. Oder um den Satz seines faktischen Gewandes zu entledigen: und es sollte auch so sein.

Aus unserer P1 Homosexualität ist nicht natürlich 

können wir nur mit der

P2 Nur natürliche Sexualpartnerschaften sollen heiraten dürfen

auf unsere C schließen: Homosexuelle sollen nicht heiraten dürfen.

Und diese P2 ist natürlich wieder äußerst kontrovers und setzt zunächst einmal eine Antwort auf die Frage voraus: Wollen wir so leben? Um jetzt wieder einmal wie der Formel-1-Fahrer den äußerst langen Bogen zurückzuschlagen:

Wenn jetzt also @rachelzwitscher konstatiert

P1 Männer und Frauen sind verschieden

Fehlt ihr eben noch immer die P2  Um auf eine

C Und deshalb sollten sie mit verschiedenen Ü-Eiern spielen

Oder C Software ist für Mädchen

Oder C Nippelzwicker-Tweets sind cool (Siehe auch hier und hier (Der Käse hat seinen Account deaktiviert, macht er aber öfter mal, also gut möglich, dass der bald wieder da sind. In dem Tweet hat er das alte Klischee geäußert, dass Männer, die Feministen sind, keinen Sex haben; 28.11.13))

zu schließen.

Und ihr könnt das jetzt in Grabenkämpfen, im Superflausch, argumentativ oder however austragen, wer hier recht hat. Alles worauf ich hinweisen wollte, war, dass auch ihr euch nicht der Logik entziehen könnt.

 q.e.d.

Ein paar Anmerkungen zum Schluss:

Wenn man den Sein-Sollen-Fehlschluss einmal verstanden hat, folgt daraus wieder mal – wie so oft in dieser verderbten (Hausaufgabe erfüllt) analytischen Philosophie – die prinzipielle Unmöglichkeit der Letztbegründung einer jedweden Ethik. Und das ist ziemlich harter Tobak. Es folgt nämlich leider daraus, dass wir nie werden beweisen können, dass die Nazis Unrecht hatten. Wir können nur sagen: Wir wollen nicht so leben.

Das war der Grund, warum ich ziemlich frustriert die Ethik als durchgespielt nach meinem Grundstudium aufgegeben habe.

Und jetzt dürft ihr weitermachen… Mit dem Köpfeeinschlagen oder womit auch immer.

Ich – als Mensch in meinem Widerspruch – werde meiner Tochter ein sexistisches rosa Kleidchen anziehen und dann ganz unsexistisch mit ihr das alte Lego spielen.

 

Ich bin raus!

Wen das alles interessiert, dem empfehle ich die Lektüre von:

Ernst Tugendhat, Ursula Wolf, Logisch-semantische Propädeutik. Reklam Stuttgart 1986.

@spitzwegerich hat mich noch auf diese beiden schönen Links aufmerksam gemacht:

Getting to QED

yourlogicalfallacyis.com

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8 Gedanken zu „Hey Internet, so geht Logik! Oder: warum man nicht von einem Sein auf ein Sollen schließen kann“

  1. Das habe ich unten angerissen…

    Wenn du ehrlich bist, geht es ja nicht um den recht banalen Fakt, dass Männer und Frauen verschieden sind. Dass das so ist, ist klar, sonst hätten wir ja nicht die Unterscheidung. Ob mit dem Geschlechtsunterschied auch andere Unterschiede einhergehen, etwa neurologisch betrachtet, müssen wieder andere entscheiden als ich jetzt und hier.

    Aber was klar ist, dass dich niemand für die banale Fesstellung, dass Männer und Frauen einander unterscheiden, eine Sexistin o. ä. nennen würde.

    Stattdessen willst du ja implizieren dass du aus der Prämisse, dass da ein Unterschied ist, auf irgendetwas schließen kannst. Da du den Wortlaut von @ennomane gewählt hast, nehme ich an, dass du auf den oben verlinkten Tweet von @sechsdreinuller hinaus willst.

    Und wie ich schon schrieb, ist es jetzt eine Interpretationssache und vorallem die Antwort auf die Frage: „Wollen wir so leben?“, die entscheidet, ob @sechsdreinullers Tweet sexistisch ist. Aber das lässt sich eben nicht logisch aus der Tatsachenbehauptung herleiten, dass Männer und Frauen verschieden sind.

    Stattdessen hast du noch die zweite, versteckte Prämisse, dass aufgrund dieses Unterschiedes es okay ist, Nippelzwicker-Tweets über Frauen zu schreiben… (Klingt alles irgendwie grotesk).

    Ob das der Fall ist, ist aber höchst streitbar und eben nicht so unschuldig wie du es mit deinem Tweet darstellst. @astefanowitsch hat da neulich sehr schlaue Sachen drüber geschrieben. hier

    Mir persönlich ist das übrigens recht egal. Wenn ich was nicht lesen will, bin ich sehr kompetent im Umgang mit dem Block-Button. In diesem Fall fand ich aber gerade in Bezug auf die leidige Tweetklau-Debatte @ennomanes Variation-und-Kritik-Spiel recht elegant.

  2. mein ursprünglicher kommentar war wesentlich länger.

    und nein, er bezog sich weder auf den einen noch den anderen tweet, @ennomane hat die sexistische kackscheiße nicht erfunden.

    und doch, allein der fakt, den im tweet genannten satz zu sagen reicht einigen aus, um mich sexistisch zu nennen.

  3. „Aber was klar ist, dass dich niemand für die banale Fesstellung, dass Männer und Frauen einander unterscheiden, eine Sexistin o. ä. nennen würde.“

    Doch. Genau DAS passiert auf Twitter jeden einzelnen Tag. Siehe Lego und Ü-Eier. Es ist geisteskrank. Es ist schlichte Marktforschung bzw. Realität, dass Jungs gerne mit Baggern spielen und Mädchen mit Puppen, die Konzerne bringen das nicht raus, um eine Art sexistische Weltverschwörung voranzutreiben, sondern deswegen, weil es sich verkauft. Es gibt Ausnahmen, aber das ist seit Anbeginn der Menschheit so. Aber auf Twitter wird das als übelster Sexismus unter die Leute gejubelt, vor allem von Leuten von @astefanowitsch. Fassungslos: Ich.

  4. Danke, für den Kommentar, Social Heinz. Was die Position von @astefanowitsch betrifft, so habe ich oben seinen Blog verlinkt und dort wärst du auch besser aufgehoben für eine inhaltliche Diskussion.

    Ich bezweifle stark, dass jemand dich für den Satz „Männer und Frauen sind verschieden.“ einen Sexisten nennen würde, wenn du ihn einfach konstatierst, etwa im Sexualkundeunterricht.

    Das Problem ist vielmehr, wie ich oben ausführe, dass mit dem Satz oft etwas impliziert wird. Wenn ich mal einen geeigneten Aufhänger finde, schreibe ich hier ein paar Sätze zur Implikation und zu fast noch spanenderen Implikatur.

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