Aristoteles – Kritik an Platons Ideenlehre

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Daniel
ist ein Einzelding

Aristoteles – Der Logiker – Folge 12

Aristoteles war zwar Schüler Platons, aber wir zählen ihn nicht zu den Platonikern. Stattdessen hat er seine eigene Tradition begründet. Ausschlaggebend dafür ist seine Abkehr von der Ideenlehre. In dieser Folge lege ich die drei größten Kritikpunkte von Aristoteles an der Ideenlehre dar: Das Argument vom Dritten Menschen, dass Platon nicht erklären kann, wie die Ideen auf die Einzeldinge einwirken und das Problem der verschachtelten Ideen.

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Kleine Wiederholung: Warum Ideenlehre?

Bevor ich euch Aris Kritik an Platon vorstelle, lasst uns doch noch einmal ins Gedächtnis rufen, warum Platon überhaupt auf das Konzept zu seiner Ideenlehre kam. Sie ist ja nicht wirklich naheliegend, oder?  Denken wir noch einmal an die letzte Folge zurück und damit an die Grundfrage, was das Seiende ist. Was ist die wahre Natur der Welt? Auch wenn Platon genau wie Aristoteles noch im ersten Paradigma der Philosophie verfangen war, was bedeutet, dass beide noch glaubten, dass sich die Frage, was die Welt ist, beantworten lässt, war bereits Platon klar, dass es nicht so einfach ist, die richtige Antwort zu finden, weil beispielsweise meine Sinne mir Streiche spielen können. Im Dialog Theaitetos bespricht Platon das ausführlich.

Eine weitere Einschränkung ist, dass wir uns die Welt sprachlich erschließen und die Sprache die Welt auf bestimmte Weise darstellt. Erneut: Platon und Aristoteles hatten natürlich noch nicht den Linguistic Turn vollzogen, sie waren sich nicht der Medialität der Sprache bewusst. Die Vorstellung, dass die Struktur der Sprache uns die Struktur der Welt womöglich verstellt, war ihnen noch fremd. Für die beiden war Sprache ein Werkzeug, das unsere Welt abbildet. Und daher untersuchten sie die Welt, indem sie sprachliche Strukturen anschauten.

Aber wenn ich beispielsweise wissen will, was das Seiende ist, dann ist die Idee ja nicht ganz blöd, mir mal zu überlegen, wie sich dieses Seiende in einem Satz abbildet. Ich nannte das Seiende beim letzten Mal auch „die Struktur der Welt“. Wenn wir uns jetzt fragen, was diese Struktur in ihrer einfachsten Form ist, dann können wir das anhand eines einfachen Satzes machen.

Es spricht einiges dafür, dass der einfachste weltbeschreibende Satz die Form

(x)P

hat. Oder, um euch nicht mit Formeln zum Einschlafen zu bringen, zum Beispiel:

„Dies ist ein Stein.“

Warum soll das der einfachste Satz sein? Nun, ein beschreibender Satz setzt sich aus Subjekt und Prädikat zusammen. Hier ist „Dies“ das Subjekt und „ist ein Stein“ das Prädikat. Besonders schön ist, dass „dies“ auf ein Einzelding referenziert, also darauf verweist. Auf das eine Ding, was ich hier mit meinen Augen vor mir sehe. „Stein“ hingegen auf einen Allgemeinbegriff. Wenn wir jetzt also unterstellen, dass „Dies ist ein Stein“ die einfachste Form der Weltbeschreibung ist und sich hier drin die Struktur der Welt wiederspiegelt, dann stellt sich die Frage, was existiert als erstes? Das „dies“, also das Einzelding? Oder der Begriff „Stein“, also der Allgemeinbegriff, das Konzept des Steins.

Platons Antwort lautete: „Das Allgemeine hat ontologisches Primat.“ Also: Zunächst existieren erst einmal allgemeine Ideen von den Dingen, von diesen lassen sich dann einzelne Erscheinungen ableiten. Wie kam Platon auf diese Idee? Platon kam auf seine Ideenlehre über die zutreffende Beobachtung, dass ich erst einmal einen Begriff von einer Sache haben muss, um sie erkennen zu können. Ihr alle wisst mittlerweile, was ein R-Wert ist, könnt also mehr oder weniger gut erklären, wie sich Viren in der Bevölkerung verbreiten und unter welchen Bedingungen das zum Problem werden kann.

Aber im Jahr 2019 konnten 99% von euch das noch nicht. Ihr hattet noch keinen Begriff davon, wie sich Viren in einer Bevölkerung verbreiten. Entsprechend wart ihr genau wie ich nicht in der Lage, die Verbreitung eines einzelnen, speziellen Virus zu erkennen. Platon hatte seinerseits natürlich noch keinen Begriff von R-Werten. Aber er liefert im Dialog Menon ein mathematisches Beispiel, das ihn am Ende darauf schließen lässt, dass uns Menschen die Ideen – also die Allgemeinbegriffe – angeboren sind und wir uns nur noch an sie erinnern müssen, wenn uns ein Einzelphänomen das erste Mal begegnet. Das ist die platonische Anamnesis-Lehre.

Und an dieser Stelle kommt jetzt also Aristoteles mit seiner Kritik ins Spiel.

Das Argument vom dritten Menschen

Ich weiß nicht, ob ich es schon erwähnt habe – höchstens ein- oder zweimal – Aristoteles war ein Schüler Platons. Er gehörte zwanzig Jahre lang der platonischen Akademie an. Dennoch zählen wir ihn heute nicht zu den Platonikern. Stattdessen hat er seine eigene Tradition begründet. Woran liegt das? Nun, im Gegensatz zu den anderen uns bekannten Akademikern besteht Aris Philosophie nicht in einer Interpretation von Platons Worten. Stattdessen hatte er einiges am alten Philosophen auszusetzen. Die komplette Metaphysik des jungen Aristoteles liest sich ein bisschen wie eine heißblütige Rebellion gegen die Ideenlehre. Ein großes „Fuck You!“ an Platon. Ja, so ist das, wenn Philosophen in die Pubertät kommen: Sie schreiben ein Buch darüber, wie die Welt wirklich ist! Punk‘s not dead!

Doch was hatte Ari denn jetzt eigentlich an der Ideenlehre auszusetzen? Sie ist doch eine knorke Sache, oder? Was man immer liest, wenn irgendjemand auch nur einen Satz über Aris Kritik an Platon verliert, ist das Argument des dritten Menschen. Es geht so:

Wenn ein Einzelding „Mensch“ ein Mensch ist, weil er einem idealen Menschen gleicht, muss es einen noch idealeren Menschen geben, denen beide, das Einzelding und die Idee Mensch, gleichen.

Dieses Problem hat sich mir nie erschlossen. Doch heute darf ich stolz verkünden, dass ich nach seeehr vielen Jahren, in denen ich mich schon mit Platon und Aristoteles beschäftige, es endlich verstanden habe. Zumindest, wenn ich der Interpretation von Gottfried Martin glauben schenken darf. Nach Martin kann das Problem nämlich erst entstehen, wenn man eine Eigenart des Altgriechischen beachtet, die mir mangels Kenntnis dieser Sprache stets verborgen blieb.

Demnach schreibt Platon wohl in der Regel nicht „die Idee von XY“, also zum Bespiel „die Idee der Schönheit“, er schreibt auch nicht „die Schönheit an sich“, sondern er verwendet das Adjektiv substantivisch. Was man am ehesten als „das Schöne“ übersetzen könnte.

Wenn er dann das Einzelding mit der Idee vergleicht, vergleicht er das Schöne mit dem Schönen und so haben wir plötzliche Anlass, anzunehmen, dass wir noch etwas drittes brauchen, um beide zu vergleichen. Erlaubt mir, da noch einmal eine dieser schrecklichen Formalisierungen aus der analytischen Philosophie einzusetzen, um das Problem klarzumachen. Demnach kannst du sagen, die Einzeldinge „Mensch“ bestehen aus der Menge M {M1; M2; M3, M4 …} und so weiter. Die Idee hingegen ist Mi. Wir können jetzt aber auch sagen, wir bilden eine Menge aller Menschen, egal ob sie Einzeldinge oder Ideen sind und nennen sie Meta-Mensch, dann haben wir Mm {M1, M2, M3, M4, Mi …} Und da Mengen Mengen enhalten können, lässt sich das Spiel bis in alle Ewigkeit fortführen, die Menge Meta-Meta-Mensch enthält dann Mmm {M1, M2, M3, M4, Mi, Mm …}

Dies führt zu einem Infiniten Regress und der ist neben Zirkelschluss und Dogma eine der drei roten Karten im Begründungsspiel der Philosophie.

Ich verstehe also endlich, wie Platon (der seinerseits das Problem bereits im Dialog Parmenides anspricht) und Aristoteles darauf kommen konnten. Was ich aber noch immer nicht verstehe, ist, warum das noch immer hervorgekramt wird, sobald man einen Kritikpunkt an der Ideenlehre sucht. Denn meines Erachtens hat dieses Problemchen Charles Sanders Peirce abschließend gelöst. Im Gegensatz zu Platon kannte Peirce nämlich den Buchdruck und mit ihm die Unterscheidung zwischen Typ und Token. Der Typ ist der Buchstabe in der Druckerpresse und er kann Millionenfache den gleichen Buchstaben auf Papier drucken. Die Buchstaben auf dem Papier sind Tokens. Ich kann easy-peasy sagen: Jepp, ein Token lässt sich auf einen Typen zurückführen, ohne dass ich einen Metatypen dafür brauche. Entsprechend kann ich jeden beliebigen Buchstaben-Token, egal wie und wo er zu sehen ist auf seinen Typen zurückführen. Etwa kann ich diesen Token G auf den Typen G an sich zurückführen, von dem ich eine mentale Repräsentation habe, sobald ich zu lesen gelernt habe oder platonisch-ontologisch gesprochen, kann ich den Token G auf die Idee G zurückführen, ohne ein drittes G zu benötigen.

Lasst uns das Problem vom dritten Menschen also zusammenknüllen als wäre es ein mit Ideen der FDP zur Verkehrspolitik beschriebenes Blatt Papier und ein für alle Mal in den Müll werfen. Denn es gibt viel bessere Kritikpunkte an der Ideenlehre!

Wie wirken die Ideen auf die Einzeldinge ein?

Ein sehr wichtiges Thema für Aristoteles war, dass Platon eigentlich nie erklärt, wie die Ideen Einfluss auf die Einzeldinge nehmen. In Platons Konzeption existieren die Ideen jenseits unserer Welt an einem überhimmlischen Ort. Wie gelingt es ihnen von dort, Einfluss darauf zu nehmen, wie ein konkretes Einzelding vor mir im hier und jetzt aussieht? Platon liefert dafür keine Erklärung. Er sagt einfach: Isso! Aber diese Frage beschäftigte Aristoteles bis ins Alter. Er war der festen Überzeugung, was auch immer die Form *Spoiler-Alert* eines Dings beeinflusst, muss in diesem Ding liegen. Doch da sind wir noch lange nicht. Kehren wir daher noch einmal zum jugendlich-leichtsinnigen Aristoteles zurück, denn den störte noch etwas anderes.

Das Problem der verschachtelten Ideen

Billy Eilish ist ein Mensch und ein Lebewesen. Wir können jetzt fragen, ob der ideale Mensch ein ideales Lebewesen ist. Wenn ja, dann muss es so viele ideale Lebewesen wie Arten von Lebewesen geben. Denn dann gibt es ja sicher auch den idealen Gibbon, die ideale Zecke, die ideale Qualle etc.

Okay, das Argument kann ich nachvollziehen, aber ist es auch ein K.O.-Kriterium für die Ideenlehre? Ich meine: Klar, das ist jetzt ein bisschen doof gelaufen, weil Platon ja auf der Suche nach DEM ALLGEMEINEN war und am Ende landet er bei einem  unüberschaubar großen Haufen Ideen. Aber unsere Lego-Kiste ist auch ziemlich unübersichtlich und dennoch existent.

Ari sah das anders und macht einen extrem guten Punkt. Er kritisiert, dass Platon sagt, die Ideen wären das Allgemeine zugleich aber annimmt, dass jede einzelne Idee eine vom Erfahrungsgegenstand separate Existenz hat. Letzteres macht sie selbst zu Einzeldingen. Nur zu Einzeldingen einer anderen Art. Zu sagen, eine Idee ist das Allgemeine und zugleich sagen, dass sie ein Einzelding ist, ist aber ein Widerspruch.

Wovon würden wir sagen, es existiert?

Der junge Ari stellt hier ganz berechtigt die Frage: Wenn die Ideenlehre eh auf einen riesigen Haufen an Dingen hinausläuft, können wir sie dann nicht auch ganz aufgeben? Sollten wir nicht den Boden des Kinderzimmers noch einmal komplett freiräumen vom metaphysischen Unterbau und uns fragen, was das eigentlich Seiende ist? Und da bei „das eigentlich Seiende“ sofort mein Heidegger-dar angeht, lasst uns doch einfacher formuliert noch einmal fragen: Wovon würden wir sagen, es existiert?

Schauen wir dabei einen Legostein an. Was existiert an ihm? Platon hatte die Frage in seiner Ideenlehre so beantwortet: Wirklich existieren tun abstrakte, unabhängig vom Einzelding existierende Urbilder. Platon sagte zum Beispiel: Dieser grüne Legostein existiert, weil es die Idee des Legosteins und die Idee der Grünheit gibt. Ist das ein Wort? Grünheit? Seine Grünheit erwartet Sie … Anyway …

Schauen wir noch einmal auf unseren einfachen Satz vom Anfang an:

xP

Dann haben wir jetzt:

Dies ist Grün

Dies ist ein Legostein

Jetzt komm Aristoteles und sagt: Moment, Platon Du redest die ganze Zeit nur über den rechten Teil des einfachen Satzes, über das Prädikat. Und damit gerätst du in alle möglichen Schwierigkeiten. Warum schauen wir uns nicht einfach erstmal dieses „Dies“ an?

Ari sagt, das „grün“, doch zunächst einmal eine Eigenschaft ist, die irgendeinem Ding zukommt. Grün braucht immer einen Träger, der grün ist. Wir können uns gar nicht vorstellen, was Grünheit sein soll, ohne ein konkretes Ding, das grün ist. Grün erlangt überhaupt dadurch erst eine Existenz, dass es eine Eigenschaft von einem existierenden Einzelding ist.

Das klingt alles sehr einleuchtend. Aber Platon hat noch ein Ass im Ärmel: die Anamensislehre. Die Anamnesislehre ist eines der stärksten Argumente für die Ideenlehre. Nach Platon ist Erkenntnis überhaupt nur deshalb möglich, weil unsere Seele vor unserer Geburt die Ideen geschaut hat. Die Seele kommt demnach nicht als leere Tafel zur Welt. Stattdessen sind in sie die Ideen schon vorgeprägt.

Aristoteles Reaktion hierauf war: Ist das wirklich alles notwendig? Reicht es nicht eigentlich vollkommen, dass lediglich die Vernunft angeboren ist? Aber damit verlassen wir die Metaphysik und begeben uns in die Erkenntnistheorie hinein. Da Ari aber für eine strikte Trennung zwischen den einzelnen philosophischen Diziplinen eintrat, sage ich an dieser Stelle: Das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden.

Wir haben jetzt nämlich die wichtigsten Kritikpunkte des guten Aristoteles an seinem Lehrer Platon zusammengekratzt:

  1. Das totlangweilige Argument vom Dritten Menschen
  2. Dass Platon nicht erklären kann, wie die Ideen auf die Einzeldinge einwirken.
  3. Und das Problem der verschachtelten Ideen.

Beim nächsten Mal können wir dann das System angucken, das der junge Aristoteles dagegen in Stellung bringt.

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Aristoteles – Metaphysik … oder die Suche nach der Struktur der Welt

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Daniel
sucht die Struktur

Aristoteles – Der Logiker – Folge 11

Wäre es nicht toll, mal was praktisches von Aristoteles zu lernen? Etwas, das euch zum Beispiel bei der nächsten Steuererklärung hilft? Das bekommt ihr hier nicht! Stattdessen geht es um Metaphysik, die nerdigste aller philosophischen Disziplinen. Ich erläutere den Begriff und frage, wie Ari auf die Idee kam, solche abgehobenen Fragen zu stellen. Schaut die Folge, um zu sehen, dass Aristoteles‘ Metaphysik dennoch etwas von Punk hat!

 

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Mataphysik – die nerdigste aller philosophischen Disziplinen

Hallo, mein Name ist Daniel und ich möchte euch von Philosophie erzählen. Genauer gesagt möchte ich euch von Metaphysik erzählen, der nerdigsten aller philosophischen Disziplinen. Wisst ihr noch, was Metaphysik ist? Nein? Am besten schaut ihr dann noch einmal meine Playlist zu Platons Ideenlehre. Ich warte hier so lange.

Fertig? Okay, für alle, die zu faul dazu waren, schaue ich noch einmal in mein kleines philosophisches Lexikon:

Der Begriff der Metaphysik stammt aus der Aristoteles-Rezeption. Der Legende nach wurden so die Bücher Aris genannt, die in der Bibliothek des Lyceums hinter Aris Buch „Physik“ standen.

Wie ich bereits in einer der Folgen gesagt habe, die ihr euch weigert, zu sehen, wäre diese Legende – sollte sie wahr sein – ein enormer Zufall, denn der Name ist sehr passend. Aristoteles seinerseits sprach allerdings stets von der „ersten Philosophie“, der Wissenschaft von den ersten Prinzipien und Ursachen.

Was untersucht die Metaphysik?

Metaphysik will untersuchen, was hinter der Natur,  hinter der Physik liegt. Hinter dem, was wir nicht mit unseren Sinnen wahrnehmen können. Und was wir nicht mit Messgeräten erfassen können. Mit dem, was wir nur noch denkend begreifen können. Im Kern geht es in der Metaphysik um drei Fragen:

  1. Was ist das Wesen Gottes? Wir kommen in einer späteren Folge darauf zurück.
  2. Was ist die Seele? Da Aristoteles ein eigenes Buch darüber geschrieben hat, werden wir uns dem natürlich auch widmen.
  3. Und schließlich: Was das Wesen der Welt ist oder konkreter was das Seiende ist, beziehungsweise die Frage: Was ist die Struktur der Welt? Das wird die Frage sein, um die wir uns in den nächsten Folgen hauptsächlich kümmern.

Wichtig dabei ist, dass es der Metaphysik – wie der Name schon sagt – nicht um Physik, nicht um Atome und Elemente geht. Metaphysik beschäftigt sich nicht mit den sinnlich (oder auch instrumentell) wahrnehmbaren Dingen, sondern stellt Fragen zu den noch dahinter liegenden Strukturen, die wir uns nur noch durch reines Nachdenken erschließen können. Mit den Konzepten, die wir immer schon voraussetzen müssen, bevor wir überhaupt anfangen können, Physik zu betreiben.

Puh, klingt das mal wieder abgehoben. Und ich kann auch gar nicht leugnen, dass es so ist. Aber lauft mir einfach mal ein bisschen hinterher wie Aris Schüler ihm, wenn er dozierte und vielleicht ergeben sich dann ja ein paar spannende Gedanken.

Der Kreis als metaphysisches Objekt

Und um das mal ein bisschen aus diesen abgehobenen Sphären herunterzusteuern in eine Höhe, in der wir noch atmen können. Wir können uns fragen: Was ist ein Kreis? Und die mathematische Definition geben: Ein Kreis ist eine Figur, bei der alle Punkte gleich weit vom Mittelpunkt entfernt sind. Das führt uns aber vor das Problem, dass es in der Welt kein solches Ding gibt. Allein schon, weil, immer wenn wir Archimedes-mäßig ungestört unsere Kreise ziehen, die Linie, die wir dafür machen, eine Ausdehnung hat, also in ihrer Breite aus mehr als einem Punkt besteht und somit nicht alle Punkte im Kreis gleich weit vom Mittelpunkt entfernt sind. Wenn es also in der Welt keinen Kreis gibt, der unserer Definition entspricht, was ist dann ein Kreis? Er kann nichts sein, was in der Welt der Wahrnehmung, der Physik zu finden ist. Er muss etwas metaphysisches sein.

Ein anderes Beispiel: Wissenschaft ist immer Abstraktion Wenn ich etwas wissenschaftlich untersuchen will, dann kann ich nie alle Phänomenbereiche eines Dings gleichzeitig ins Auge fassen. Stattdessen muss ich mich auf einen bestimmten Aspekt konzentrieren und von den anderen Aspekten abstrahieren. Wenn wir zum Beispiel die Sonne untersuchen wollen, dann müssen wir von ihrer vollen Wirklichkeit abstrahieren und uns auf einen Teilaspekt ihrer Existenz konzentrieren. Wir können das mit Blick auf die Klimakrise dahingehend machen, wie stark ihr Energie-Output ist, wie viel dieser Energie bei uns ankommt und wie viel sich davon von Solarzellen absorbieren lässt. Wir können die Sonne aber auch als Objekt der Astronomie auffassen. Ihre Bewegungen und Kräfte als Himmelskörper untersuchen. Wir können uns anschauen, was Chemisch oder Atomar in der Sonne vorgeht. Wir können aber noch weiter abstrahieren und die Sonne auffassen als Objekt der Geometrie. Welche geometrische Form hat ihr Körper? Dieses Abstraktion lässt sich nun noch weiter treiben, wenn wir auch noch von allen geometrischen Bestimmungen abstrahieren. Dann erhalten wir die Sonne lediglich als Zählbares. Es gibt 100 bis 400 Milliarden Sterne in der Milchstraße. Im Sonnensystem gibt es mit Sonne und den acht Planeten neun große Objekte. Jetzt wird die Sonne nur noch als ein Zählbares betrachtet, und in dieser Auffassung wird von ihrer vollen Wirklichkeit noch viel weiter abstrahiert als in der astronomischen, der geometrischen Betrachtung oder den anderen.

Aber nach Aristoteles kann diese Abstraktion noch einen Schritt weiter getrieben werden. Die Sonne kann nicht nur als beweglich, als durch geometrische Formen bestimmt, als zählbar gedacht werden. Viel mehr kann in einer letzten Abstraktion die Sonne lediglich auf ihr Sein hin betrachtet werden. Wenn wir nun jedes Seiende in einer solchen bis an das Ende getriebenen Abstraktion lediglich auf sein Sein hin betrachten, dann erhalten wir die aristotelische Bestimmung der Metaphysik, die primär auf das gerichtet ist, was vom Sein, als Sein ausgesagt werden kann. Das ist der Untersuchungsgegenstand der Metaphysik.

Warum interessierte sich Aristoteles für Metaphyisk?

Doch bevor wir uns weiter mit inhaltlichen Fragen beschäftigen, möchte ich erst noch einmal der Frage nachgehen, warum Ari sich überhaupt dafür interessierte. Warum fragte er stattdessen nicht ob Jack nicht vielleicht doch auf diese fucking Tür gepasst hätte? Was er übrigens bestimmt auch gemacht hätte, hätte er Titanic sehen können.

Natürlich stand der alte Grieche wieder einmal in der Tradition seiner Vorgänger. Zum einen natürlich die Vorsokratiker, die aufgehört hatten, alles mit Göttern zu erklären und stattdessen mit logisch-kritischem Denken anfingen und versuchten, rationale Prinzipien im Weltgeschehen zu erkennen. Ari, der nerdige Methodiker hat das alles gelesen und dann erst einmal die Trennung vorgenommen zwischen Naturphilosophie oder Physik auf der einen Seite und Metaphysik auf der anderen Seite, was die ollen Vorsokratis noch so UNVERANTWORTLICH in einen Topf geworfen hatten.

Darüber hinaus gab es aber eine noch viel direktere Strömung über Aristoteles‘ Lehrer Platon und dessen Lehrer Sokrates. Erinnert euch: Die alte Socke wollte immer herausfinden, was „das Allgemeine“ ist. Das, was Einzeldingen gemeinsam ist. Sokrates fragte, was das für ein merkwürdiges Ding ist, das aus einzelnen tapferen Taten das allgemeine Konzept der Tapferkeit macht. Gibt es überhaupt die Tapferkeit als ein Allgemeines? Dadurch, dass es viele verschiedene Handlungen gibt, drängt sich uns der Gedanke auf, dass es allgemeine Tapferkeit geben muss. Die Frage, die wir uns dann stellen müssen, ist: Wo existiert dieses Allgemeine?

Diese Frage wurde zum großen methodischen Grundprinzip von Platon. Und mit Blick auf die Welt beantwortete er sie mit: „Das Allgemeine sind die Ideen“. In seinen Dialogen unterschied Platon hier nicht systematisch zwischen Erkenntnistheorie und Metaphysik, bzw. „Ontologie“.

„Onto-WTF?“, was ist denn dass jetzt schon wieder? Na das ist genau die Lehre von der Struktur der Welt. Mein kleines Philosophie-Lexikon mal wieder:

„Ontologie … ist die Lehre vom Sein als solchem, von den allgemeinsten Seinsbegriffen, Seinsbedeutungen und Seinsbestimmungen.“

Natürlich nahm wieder einmal Ari diese Trennung zwischen Erkenntnistheorie und Ontologie vor. Wenn etwas nicht in eine Schublade passte, dann wurde der Hipsterbartträger ganz hibbelig und doktorte solange daran rum, bis es sich fein, ordentlich wegsortieren ließ.

Aristoteles, der Erbe von Platon?

Der junge Ari sitzt also in der platonischen Akademie und hört sich den ganzen Tag an, dass es eine Welt hinter der Welt gibt, dass es dort immerwährende Ideen gibt und dass unsere Welt mit ihren konkreten Einzeldingen nur ein Abbild der wahren Welt der Ideen ist. Und wie das Adoleszente schon immer gemacht haben so machte das auch Ari: Er rebellierte gegen seinen großen, weltberühmten Lehrer. Sagte: Fuck The System of Ideas! Wenn hier irgendwas real ist, dann jawohl die konkreten Einzeldinge und alles andere ist ausgedachter Kokolores!

Was Ari genau an der Ideenlehre störte, wie er zu seiner punkigen These von den konkreten Einzeldingen als die zugrundeliegende Struktur der Welt kam und in welche Probleme er damit stolperte, als er älter wurde – das sollen die Themen der nächsten Folgen sein. Also abonniert meinen Kanal, damit ihr die nicht verpasst und erzählt euren Omas und Opas davon. Ich danke euch, dass ihr mir eure Zeit geschenkt habt.

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Aristoteles – Sophistische Widerlegungen – Kapitel 1 (Bonusfolge)

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Daniel
widerlegt

Aristoteles – Der Logiker – Podcast-exklusive Bonusfolge 1

Als Dankeschön für Apple-Podcasts-Rezensionen oder ausgegebene Kaffees, lese und bespreche ich für euch Kapitel aus Aristoteles‘ Buch: Sophistische Widerlegungen.

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Platons Gottesbeweis

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Daniel
steht am Ende einer endlich langen Kette

Platon – Der Philosophenkönig – Folge 30

Heute machen wir heute nichts Wichtiges, wir beweisen nur mal eben die Existenz Gottes.

Metaphysik

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Daniel
ist auf der Suche nach Sinn und Letztbegründung

Platon – Der Philosophenkönig – Folge 8

Wir bewegen uns langsam aber sicher auf das Herzstück von Platons Philosophie zu: Die Ideenlehre. Auf dem Weg dahin frage ich mich heute, was Metaphysik ist und was sie soll. Dabei geht es noch einmal um Thales, den Übergang vom Mythos zum Logos, Sinnsuche und Letztbegründung.

Platons Höhlengleichnis

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Daniel
kraxelt aus der Höhle

Platon – Der Philosophenkönig – Folge 7

Nun betreten wir endlich Platons berühmte Höhle. Ich mache mir Gedanken darüber, warum das Gleichnis so viel berühmter ist. Dabei finde ich wieder Sokrates‘ Philosophie als Praxis und – quasi als Happy End der Trilogie – schließlich auch die Idee des Guten.

Das Transkript zur Folge gibt es hier.

Hier meine neuste Folge auf YouTube zum Bestätigungsfehler und zu selektiver Wahrnehmung.

Platons Liniengleichnis

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Daniel
läuft die Linie entlang

Platon – Der Philosophenkönig – Folge 6

Vom Sonnengleichnis kommt Platon zum Liniengleichnis. Hier entwirft er in wenigen Zeilen sein metaphysisches Grundkonzept: Die Ideenlehre. Das nehme ich zum Anlass, um darüber nachzudenken, was Metaphysik überhaupt ist. Leider scheint Platon dabei vergessen zu haben, dass er eigentlich auf der Suche nach der Idee des Guten war.

Das Transkript zur Folge gibt es hier.

Die Vorsokratiker und Metaphysik

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Daniel
ist ein bisschen gelangweilt

Podcast-Spezial zu den Vorsokratikern

Dank meiner ersten iTunes-Rezension habe ich eine Sonderfolge eingeschoben um mein Verhältnis zu den Vorsokratikern und zur Metaphysik zu klären. Ich spreche über meine Einstellung zu den Philosophen vor Sokrates, das Buch ‚Die Vorsokratiker‘ von Wilhelm Capelle und was mich an ihnen stört.

 

Platons Gottesbeweis

Heute machen wir heute nichts Wichtiges, wir beweisen nur mal eben die Existenz Gottes. Das könnt ihr euch als Video ansehen oder darunter das Transkript lesen.

Der sich selbst bewegende Beweger

Platons Gottesbeweis ist eine Variante des Arguments, für das sein Schüler Aristoteles berühmt werden sollte und das wir den „unbewegten Beweger“ nennen. Bei Platon ist es hingegen der sich selbst bewegende Beweger. Ich frage mich, ob Platon heute angepisst wäre, wenn er wüsste, dass das Beweger-Argument immer in einem Atemzug mit Aristoteles genannt wird. Es ist ein bisschen so, wie die Kiddies, die Stranger Things cool finden, aber Steven King und Stephen Spielberg nicht kennen.

Anyway … In Platons Variante geht das Argument vom sich selbst bewegenden Beweger so: Es gibt Bewegung in der Welt. Ich hoffe, ihr stimmt dieser provokanten These zu!  Diese Bewegung kann nun entweder aus sich selbst entstehen oder sie wird angestoßen. Uh, da scheiden sich schon die Geister. Doch weiter: Dinge, die sich aus eigenem Antrieb bewegen können, haben eine Seele – also alle Tiere, uns Menschen eingeschlossen. Aber was ist mit den unbeseelten Dingen? Sie bewegen sich aufgrund des Kausalitätsprinzips.

An dieser Stelle wird es richtig kompliziert. Wenn wir uns eines Tages mit der Determinismus-Debatte und dem Libet-Experiment auseinandersetzen, werden wir sehen, dass die These, wonach sich Menschen und Tiere von selbst, ohne kausale Ursache bewegen können, nicht unumstritten ist. Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein anderes Mal erzählt werden.

Das Kausalitätsprinzip und der infinite Regress

Zurück zu Platons unbewegtem Beweger: Das Kausalitätsprinzip ist eine unserer Grundannahmen über die Welt und besagt, dass es für jede Wirkung auch eine Ursache geben muss. Wenn die Erde sich um die Sonne bewegt, dann muss sie irgendwann irgendetwas mal angestoßen haben. Das Ding aber, dass die Erde angestoßen hat, muss selbst irgendwann mal angestoßen worden sein und so weiter. So ergibt sich eine Kausalitätskette. Diese Kausalitätskette wiederum bringt das Problem des infiniten Regresses mit sich, denn diese Kette kann im Gegensatz zu Netflix-Binge-Watching-Sessions nicht unendlich lang sein.

An dieser Stelle wird es wieder etwas knotig für unsere Gehirne, also nehmt noch einen Schluck Kaffee und passt gut auf. Stellt euch vor, ihr steht an diesem Ende der unendlichen Kausalitätskette und blickt sie entlang. Was seht ihr dann niemals nie? Richtig: ihr Ende. Stellt euch nun vor, jemand steht in unendlich weiter Ferne und blickt die Kette von dort aus in eure Richtung entlang. Was sieht diese Person dann niemals nie? Richtig: Den Moment, in dem ihr da steht und die Kette anblickt. Da dieser Moment aber existiert, muss die Kausalitätskette endlich sein.

Platon sagt, dass am Anfang dieser Kette ein beseeltes Wesen stehen muss: Der sich selbstbewegende Beweger und das ist Gott. Dieser kosmologische Gottesbeweis schließt eine argumentative Lücke, die bei den Vorsokratikern entstanden ist, als sie sich auf die Suche nach dem Urgrund der Welt begaben. Ich schrieb schon im Rahmen meiner Metaphysik-Erläuterung darüber.

Wenn Thales etwa sagt, dass die Welt aus Wasser entstanden ist, dann stellt sich sogleich die Frage: Warum? Was hat verursacht, dass sich das Wasser zur Welt formt? Was war vor dem Wasser? Platon liefert nun eine Antwort. Doch im Grunde cheatet Platon hier, indem er doch wieder ein mythologisches Argument an den Beginn einer logisch-wissenschaftlichen Weltsicht stellt.

Dennoch ist dieser Cheat ein Ausweg aus dem infiniten Regress, den wir innerhalb unserer logisch-wissenschaftlichen Weltsicht nicht bieten können. Denn das Problem besteht bis heute, die Frage ist und bleibt ungeklärt: Wir können messen, dass das Universum aus dem Urknall entstanden ist. Aber was hat den Urknall ausgelöst?

Und mit dieser Frage lasse ich euch heute zurück. Beim nächsten Mal schauen wir uns Platons Sprachphilosophie an. Ich danke euch, dass ihr mir eure Zeit geschenkt habt.

Platon – Das Euthyphron-Dilemma

Heute möchte ich über ein vertracktes philosophisches Problem sprechen: Das Euthyphron-Dilemma. Hier im Video oder darunter zum Lesen …

Warum beschäftige ich mich mit Metaphysik?

Zunächst möchte ich noch einen Umweg einschlagen: Bei meinen Erörterungen zu Platons Seelentheorie kam oft der Einwand: „Das ist doch keine Philosophie. Das ist esoterischer Blödsinn. Warum beschäftigst du dich damit?“ Ich ahne, dass ich ähnliche Kritik auch hören werde, wenn ich mich jetzt mit Gott auseinandersetze. Und ich verstehe diese Vorbehalte! Wirklich. Auch ich habe das eine oder andere kognitionswissenschaftliche Buch gelesen und weiß, was alles gegen die Existenz der Seele spricht. Genauso bei Gott: Auch ich lebe nach Reformation und Aufklärung, habe Kant gelesen, kenne Russels Teekanne und habe Dawkins gelesen. Dennoch beschäftige ich mich mit solchen Fragen. Warum? Das hat drei Gründe:

  1. 2000 Jahre lang war Metaphysik einer der wichtigsten Zweige der Philosophie.  Nur weil sie in den letzten hundert Jahren aus der Mode kam, sollten wir sie nicht komplett ignorieren. Wenn wir sie erst einmal vorbehaltlos betrachten, lernen wir vielleicht etwas … Das führt uns zu:
  2. Damit können wir unseren Geist trainieren. Argumentationen nachzuvollziehen, ist das Basisgeschäft der Philosophie. Und Platon ist einer der Großmeister des Argumentierens. Ein Fußballer tut gut daran, die Bewegungsabläufe von Lionel Messi zu studieren, auch wenn er sie sich nicht zu eigen machen will. Entsprechend tun wir gut daran, die Argumentationsabläufe von Platon zu studieren, denn …
  3. Nur zu sagen „ich glaube nicht an Gott“ oder „ich glaube nicht an die Seele“, reicht nicht. Das ist keine Philosophie. Zu Philosophie wird unser Glaubenssatz erst, wenn er wahr und begründet ist. Um gut begründen zu können, müssen wir erst einmal die Gegenargumente kennen und dann können wir uns überlegen, wo wir da einhaken.

Doch jetzt ist es an der Zeit, uns damit zu beschäftigen, was Platon über Gott gesagt hat …

Die drei Phasen der Platonischen Philosophie

Dafür müssen wir uns noch einmal die drei Phasen der Platonischen Philosophie ins Gedächtnis rufen:

Es gab den frühen Platon, der noch stark geprägt war von seinem Lehrer Sokrates und der Sokratischen Wende. Wenn ihr nicht mehr wisst, was die sokratische Wende war, solltet ihr euch dringend noch einmal meine Sokrates-Texte lesen. Der frühe Platon jedenfalls kümmerte sich um Fragen der Ethik. Er gab selten definitive Antworten, widerlegte eher als dass er bewies.

Platons zweite Phase war dann die der großen Entwürfe: Allem voran entwarf er die Ideenlehre und begann mit ihr als Basis Beweise aufzustellen. Der Phaidon und seine Beweise von der unsterblichen Seele fallen in die Zeit des mittleren Platons. Platon interessierte sich für das Jenseitige noch mit einem stark menschlichen Fokus und argumentierte stark aus seiner Ideenlehre heraus.

In seiner dritten und letzten Phase begann Platon schließlich einerseits die Ideenlehre zu kritisieren und mit ihr verbundene Probleme aufzuzeigen. Andererseits ließ er auch die Sokratische Wende hinter sich und frug wieder die ganz große vorsokratische Frage: Was ist die Welt? Oder auch: Was ist der Kosmos?

Das Spiel der Gottesbeweise

In diesem späten Abschnitt von Platons Schaffen findet sich der Platonische Gottesbeweis, der sich entsprechend auch kosmologischer Gottesbeweis nennt. Die spannenden Dialoge sind hierfür der Phaidros und die Nomoi, die Gesetze. Doch bevor wir uns anschauen, wie Platon versucht, die Existenz Gottes zu beweisen, möchte ich noch einen Blick in einen der frühen Dialoge werfen, in den Euthyphron.

In den Jahrtausenden nach Platon, nachdem das Christentum in Europa seinen Siegeszug angetreten hatte, waren Gottesbeweise ein beliebter Sport unter Philosophen. Viele haben sich daran gewagt aus ihrem Glauben Wissen zu machen und dies taten sie auf mannigfache Art und Weise. Ein solcher Gottesbeweis ist zum Beispiel der ethische Beweis, wie ihn unter anderem Johann Gottlieb Fichte vertreten hat. Er geht ungefähr so:

Wir Menschen verfügen über ein Gewissen, das uns in einer inneren Stimme sagt, was gut und was böse ist. Oft spricht unser Gewissen dabei aber gegen unsere eigenen Interessen und Vorteile an, etwa bei der Frage, ob ich als Banker das Geld meiner Kunden riskant investieren soll: Ich persönlich habe dadurch nur Vorteile, denn ich kann nicht verlieren – es ist ja nicht mein Geld. Ich kann wiederum viel gewinnen, wenn die Wette aufgeht und ich eine entsprechende Provision bekomme. Mein Gewissen sagt mir aber, dass das falsch ist, entsprechend rät es mir zu einer Handlung, die meinen eigenen Interessen entgegensteht. Die Stimme des Gewissens kann wegen dieses Widerspruchs zu meinen Interessen nicht meine eigene Stimme sein. Wessen Stimme ist es dann? Es ist die Stimme Gottes.

Das Euthyphron-Dilemma als Argument gegen die Existenz Gottes

Ich persönlich halte diesen Gottesbeweis für ungefähr so überzeugend wie die Idee, dass 50 Shades of Grey ein guter Film sein soll. Es gibt vieles, das gegen ihn spricht und eines davon ist das sogenannte Euthyphron-Dilemma. In Platons Dialog Euthyphron geht es um Frömmigkeit sowie um das mit ihr verbundene und nach diesem Dialog benannte Dilemma.

Ein Dilemma ist eine philosophische Zwickmühle, bei der ich mich zwischen zwei Schlussfolgerungen  entscheiden muss, die sich gegenseitig ausschließen und die uns beide mit einem bitteren Geschmack zurücklassen. Das Euthyphron-Dilemma lautet nun: Ist das Gute gut, weil Gott es gebietet oder gebietet Gott das Gute weil es gut ist?

Egal, wie wir auf diese Frage antworten, die Konsequenzen sind eher ungünstig für unser Weltbild: Wenn die Ethik nur existiert, weil Gott sie gebietet, dann ist sie etwas Willkürliches, hat keinen intrinsischen Wert. Wenn Gott von uns zum Beispiel Menschenopfer verlangt, dann ist das gut – ganz egal, was wir darüber denken.

Wenn aber andererseits Gott die Ethik nur deshalb gebietet, weil sie gut ist, dann ist Gott nicht allmächtig, sondern muss sich selbst nach einem noch höherem Prinzip richten. Da es aber zur Definition von Gott gehört, dass er allmächtig ist, kommt dies schon einem Argument nahe, dass es Gott nicht gibt. Genau diesen Weg beschritt übrigens Bertrand Russell in seiner Gotteswiderlegung und auch Platon steht hart für das absolute Gute ein.

Dieses Dilemma spiegelt sich übrigens exakt in der Frage, ob Homosexualität eine Sünde ist. Fundamentalistische Christen sagen: „Das steht in der Bibel, also sagt es Gott und was Gott sagt, ist ethisch gut.“ Wir laizistischen Menschen sagen hingegen: Homosexualität ist erstens angeboren und schadet zweitens niemandem, sie ist also nicht böse. Entsprechend ist entweder falsch, was in der Bibel steht oder Gott befiehlt etwas, das der Ethik widerspricht, was wiederum hart gegen die Existenz Gottes spricht.

Das Euthyphron-Dilemma lässt sich also als Argument gegen die Existenz Gottes verwenden. Aber eigentlich wollte ich euch ja erzählen, was nach Platon für die Existenz eines göttlichen Wesens spricht. Das schauen wir uns beim nächsten Mal an.