In diesem Advent präsentiere ich euch einen kleinen philosophischen Adventskalender. Jeden Tag stelle ich einen philosophischen Begriff vor und mache mir ein paar Gedanken dazu.
Heute möchte ich zusammen mit euch den skeptischen Zweifel überwinden, dass Erkenntnis nicht möglich ist, dass wir also nicht zwischen wahr und falsch unterscheiden können und euch stattdessen Platons Ausweg zeigen: Die Anamnesislehre. Hier als Video oder darunter als Text.
Erinnert ihr euch noch an die Mäeutik von Sokrates? Also die Theorie, dass wir Wissen schon in uns tragen und man es nur – zum Beispiel durch geschicktes Fragen – zur Welt bringen muss? Ich hatte damals im dritten Sokrates-Teil die Frage gestellt, wo das Wissen denn herkommt, aber ich hatte euch keine Antwort darauf geliefert nur eine Analogie zu unseren heutigen Auffassungen von impliziten und expliziten Wissen.
Nun, Platon gibt eine Antwort: Dieses Wissen kommt daher, dass unsere Seele vor unserer Geburt die Ideen an einem überhimmlischen Ort, einem topos hyperuranios geschaut hat. Das ist die sogenannte Anamnesis-Lehre. Also die Lehre von der Wiedererinnerung. Implizites Wissen beweist nach Platon sowohl dass die Seele unsterblich ist, als auch, dass Ideen existieren. Hier benutzt er das Bild von der Tafel wieder: Unser Erkenntnisvermögen kommt nicht als leere Tafel (als Tabula Rasa) auf die Welt, auf die dann die Sinneseindrücke eingeprägt werden, stattdessen ist die Tafel bereits vorgeprägt. Sie strukturiert von Anfang an die Sinneseindrücke gemäß ihrer Vorprägung.
Jetzt mal ganz abgesehen von dem ganzen metaphysischen Unterbau. Die Erkenntnis, dass unsere Seele, unser Geist oder unser Gehirn keine Tabula Rasa ist, sondern selbst etwas mitbringt, um die Sinneseindrücke zu strukturieren, ist eine verdammt gute Theorie. Eine Theorie, die noch heute über 2300 Jahre später Bestand hat. Kant macht zum Beispiel klar, dass wir das Kausalitätsprinzip nicht empirisch beweisen können. Denn alle unsere Beweismethoden setzen die Existenz der Kausalität immer schon voraus. Mit anderen Worten: Unser Geist bringt das Konzept der Kausalität hervor. Oder in Platons Worten: Wir haben die Idee der Kausalität geschaut und daher war sie in unsere Seele vorgeprägt.
Ein anderes Beispiel: Der Linguist und Philosoph Noam Chomsky vertritt die Theorie, dass uns die Sprache angeboren ist. Und zwar glaubt er nicht nur, dass dem Menschen ein abstraktes Sprachvermögen angeboren ist, sondern meint, dass wir schon die Grammatik mit auf die Welt bringen und als Kleinkind nur lernen, zu differenzieren, welche der möglichen Grammatiken wir in unserer Sprachgemeinschaft verwenden. Sein Argument dafür ist, dass die Zeit, in der das Kleinkind Sprache lernt, zu kurz ist für die Leistung, die es schon mit 1,5 bis 2 Jahren hervorbringt. Obendrein ist nach Chomsky die Datenmenge, die das Kind als Input bekommt, viel zu gering, um so ein komplexes System wie die Grammatik zu erlernen. Er vergleicht die Komplexität der Grammatik einer Sprache mit der Quantenphysik. Und kein Kleinkind ist in der Lage, Quantenphysik zu lernen, aber alle lernen, zu sprechen.
Schließlich geht auch die Psychologie heute davon aus, dass unsere Gehirne einiges mit auf die Welt bringen, etwa die Fähigkeit, Muster zu erkennen. Ich hoffe, ihr versteht jetzt, dass Platon ein verdammtes Genie war und warum ich meine Platon-Staffel mit dem Zitat Alfred North Whiteheads begonnen habe:
„Die sicherste allgemeine Charakterisierung der philosophischen Tradition Europas lautet, daß sie aus einer Reihe von Fußnoten zu Platon besteht.“
Zurück zur Anamnesis-Lehre: In Platons Dialog ‚Menon‘ lässt Sokrates einen Sklaven ohne schulische Ausbildung geometrische Aufgaben lösen. Durch geschicktes Fragen führt Sokrates ihn zur Lösung. Da der Sklave diese Aufgaben nicht in dieser Welt gelernt hat, schließt Platon, dass seine Seele die Lösungen schon vor der Geburt gekannt haben muss und nun bloß dazu gebracht werden muss, sich wieder zu erinnern.
Platons Antwort auf die große Frage: Was ist Wissen? Lautet also: Die Wiedererinnerung an die Ideen, die unsere Seele vor ihrer Geburt geschaut hat. Das ist ein eleganter Ausweg aus dem Münchhausen-Trilemma, wenn man zweierlei akzeptiert:
Dass die Seele unsterblich ist – womit wir vielleicht in der Zukunft ein Problem bekommen werden.
Doch bevor wir uns Platons Unsterblichkeitsbeweisen und anschließend seinem Gottesbeweis zuwenden, werden wir beim nächsten Mal erst noch den Themenblock Erkenntnistheorie abschließen, indem wir uns fragen, was der alte Grieche zum Teilbereich der Wissenschaftstheorie zu sagen hat.
Die Existenz ist ein hinterhältiges kleines Miststück.* Sie kommt ganz unschuldig daher als wäre sie ein Prädikat. Grammatisch gibt es keinen (allzu großen) Unterschied zwischen „Das iPhone 6 verbiegt sich“ und „Das iPhone 6 existiert“. Aber in der logischen Tiefenstruktur sind beide Sätze grundverschieden. Während „sich verbiegen“ eine Eigenschaft, also ein logisches Prädikat ist, ist die Existenz dies nicht. Stattdessen ist die Existenz die Voraussetzung, dass irgendetwas überhaupt Eigenschaften haben kann, in der Logik nennen wir das einen Existenzquantor. Und den Satz „Das iPhone 6 verbiegt sich“ würden wir folgendermaßen aufschlüsseln:
Es existiert ein Ding,
dieses Ding hat die Eigenschaft, iPhone 6 zu sein,
Und dieses Ding hat die Eigenschaft sich zu verbiegen.
Das iPhone muss also überhaupt erst einmal existieren, bevor es sich verbiegen kann. Ausführlich habe ich das schon einmal hier geschrieben, als ich mich mit dem „Nichts“ auseinandersetzte … Jedenfalls ist der Existenzqunator eine Tatsache, die schon dem ollen Anselm von Canterbury auf die Füße fiel, nur dass sein iPhone ein Gott war. Anselm dachte sich nämlich den ontologischen Gottesbeweis aus und behauptete, dass der Begriff „Gott“ der Begriff eines vollkommenen Wesens ist und zur Vollkommenheit gehört eben auch, dass es existiert. Tja, das kritisierte Kant vernünftigerweise, indem er darauf hinwies, dass Gott zunächst einmal existieren muss, bevor er irgendwelche Eigenschaften wie Vollkommenheit haben kann. Dennoch ging – wenn ich das recht verstehe – Gödel einen ziemlich ähnlichen Weg wie Herr von Canterbury, als er seinen Gottesbeweis aufstellte, und von dem hat ja bekanntlich Apple gesagt, dass er stimmt. Oder so ähnlich …
Es ist nicht möglich, die Nichtexistenz eines Dinges zu beweisen
Anyway … Frau Scheinprobleme bat mich doch mal ein paar Sätze zur Nichtexistenz und deren Beweis zu schreiben. Das möchte ich sehr gerne tun, allerdings macht mich die Tatsache, dass sie mir das zutraut so nervös, dass ich hoffe keine Fehler zu machen. @Scheinprobleme wollte, genauer gesagt, einen Text von mir zur Faustformel, dass es nicht möglich ist, die Nichtexistenz eines Dinges zu beweisen. Denn hier hat ein anonymer Wüterich doch tatsächlich behauptet, dass dieser Satz Unsinn sei, was bei Karl Popper bestimmt ein paar Grabrotationen ausgelöst hat …
Aber genug des Namedroppings, denn – man glaubt es nicht – Anonymous Wüterich bringt ein paar ziemlich einleuchtende Argumente. Ja, er oder sie beweisen uns die Nichtexistenz ganze vier Mal!
Es existiert keine Primzahl, die durch vier teilbar ist.
Es existiert keine zweidimensionale Form, die zugleich Rechteck und Kreis ist.
(…)
Es existiert keine belgische Stadt namens Fffffsdafnjkqfenwqkljingen.
Es existiert kein zweiter Erdmond.
Okay, damit wäre die Sache dann gegessen, vielen Dank für eure Aufmerksamkeit. Nun gut, der Witz war zu durchschaubar, das gebe ich zu. Also schauen wir uns diese vier Sätze doch mal etwas genauer an. Zunächst können wir feststellen, dass die ersten beiden Sätze sogenannte analytische Sätze sind, die letzten beiden Sätze sind hingegen sogenannte empirische Sätze. Während sich die Wahrheit – oder in diesem Fall die Falschheit – der ersten beiden Sätze ausschließlich aus der Bedeutung der verwendeten Begriffe ergibt, brauche ich bei den letzten beiden Sätzen Erfahrungswissen um ihre Wahrheit zu prüfen. So verschweigt uns Frau Wüterich auch gar nicht, dass natürlich in der Definition des Begriffes „Primzahl“ schon drinsteckt, dass sie sich nur durch Eins und durch sich selbst teilen lässt, genau wie in der Definition von „Dreieck“ steckt, dass es drei Ecken hat, während ein Kreis hingegen sich nicht so glücklich schätzen darf ganze(!) drei(!) Ecken(!) zu haben …
Im Sinne eines analytischen Satzes kann ich also sehr wohl beweisen, dass etwas nicht existiert und zwar immer dann, wenn sich ein Widerspruch ergibt. Das gibt es von trivial wie „Es gibt keine verheirateten Junggesellen“ bis zu spanend, wie bei Moores Paradoxon: „Es regnet, aber ich glaube es nicht“.
Von Bezugnahmegebieten und Erfüllungsgegenständen
Aber schauen wir uns einmal die beiden anderen Sätze an, vielleicht bezog sich der Satz von der unmöglichen Beweisfähigkeit der Nichtexistenz ja auf die … Und da muss ich sagen, war unser cleverer kleiner Wüterich ganz schön … äh … nun, ja … clever.
Dafür muss ich etwas ausholen: Was machen wir denn eigentlich sprachlich, wenn wir über ein Ding wie den Erdmond sprechen? 500 Punkte bekam die Kandidatin, die jetzt antwortete: Eine Bezugnahme und sogar 1000 Punkte diejenige, die sogar wusste, dass es nicht irgendeine Bezugnahme war, sondern eine Denotation. Eine solche Denotation machen wir immer, wenn wir über ein Ding in der Welt sprechen. Das Wort „Mond“ repräsentiert dann das Ding {Mond}, auf das wir uns beziehen. Wie macht das Wort das? Nun, das Wort macht erst einmal gar nichts, es ist ein Wort, kann also nichts machen. Sondern wir machen das, denn wir sind Menschen. Wir eröffnen für unsere Denotation zunächst einmal ein Bezugnahmegebiet, sagen unseren Zuhörern oder Leserinnen also, wo sie suchen müssen, wenn sie unseren Satz auf Wahrheit überprüfen wollen.
Auch Anonymous Wüterich hat das gemacht: Er sagte uns, die Stadt Fffffsdafnjkqfenwqkljingen sollen wir im Bezugnahmegebiet Belgien suchen und den Mond schränkte er auf die Erde ein, genauer gesagt, auf den Erdorbit. Denn wenn mein Bezugnahmegebiet die Erde wäre, dann würde ich nicht einen, sondern keinen Mond finden, es sei denn, ich suche im Bezugnahmegebiet „Astronomie Fanshop“. Haben wir aber ein Bezugnahmegebiet mal gefunden, suchen wir dann unseren sogenannten Erfüllungsgegenstand, und wenn wir wiederum ihn gefunden haben, dann haben wir erfolgreich ein Ding denotiert. Das alles läuft normalerweise natürlich äußerst implizit ab, beispielsweise nennen wir diese Bezugnahmegebiete schlicht „Kontext“ und nur so Vollhonks wie Philosophen verschwenden überhaupt Gedanken darauf.
Die Frage ist nun, warum war unsere Frau Anonymous Wüterich clever? Weil sie uns extra zwei ziemlich überschaubare Bezugnahmegebiete und zwei ziemlich ikonische Erfüllungsgegenstände präsentiert hat. Doch selbst da ist ihr ein kleiner Denkfehler unterlaufen. Klar, kann ich ziemlich einfach überprüfen, dass es nur einen Mond gibt, wenn ich nachts an den Himmel sehe und auch wenn ich „Fffffsdafnjkqfenwqkljingen“ und „Belgien“ in Google Maps eingebe, komme ich ziemlich schnell darauf, dass diese Stadt nicht existiert. Derzeit. Denn das ist der springende Punkt: Herr Wüterich kann so lange er will, auf dem Punkt herumspringen, es wird ihm nicht gelingen, zu beweisen, dass auch in Zukunft die Erde keinen zweiten Mond haben wird oder eine belgische Gemeinde nicht plötzlich beschließt, sich in Fffffsdafnjkqfenwqkljingen umzubenennen.
Ein Lied davon kann Noam Chomsky singen. Der hatte sich nämlich dereinst den schönen Satz „Colorless green ideas sleep furiously“ ausgedacht, als Beweis für einen Satz, der zwar grammatisch korrekt ist, aber semantisch unsinnig. Und ihr ahnt es: Nicht zuletzt weil Chomsky nicht irgendein anonymer Wüterich war sondern eben Noam „Fucking“ Chomsky, machten sich etliche Menschen daran, sich sinnvolle Verwendungen für diesen Satz auszudenken und spätestens als er als Protestplakat auf einem Parteitag der britischen Konservativen zu lesen war, hatte er plötzlich eine sinnvolle Verwendung.
Kehren wir zurück zu unserem Satz: „Es ist nicht möglich, die Nichtexistenz von einem Ding zu beweisen.“ Ja, Frau Wüterich, Sie haben Recht, ganz pauschal stimmt dieser Satz nicht. Aber im Normalfall wird der Satz weder auf so spezifische Fälle wie Ihre Beispiele angewendet, noch auf bloß analytische Sätze. Es geht um sehr viel allgemeinere Aussagen, zum Beispiel: „Es gibt keine zwei Schneeflocken, die identisch sind.“ – das kann ich nicht beweisen. Warum?
Hier kommt nun Popper ins Spiel, damit er endlich aufhören kann, sich im Grab zu drehen. Ihr erinnert euch hoffentlich: Unser oberstes Prinzip in der Wissenschaft ist der Falsifikationsvorbehalt. Wahr (im Sinne von „empirisch wahr“) kann nur sein, was auch falsch sein kann. Meine Theorie ist nur so lange wahr, wie sie nicht widerlegt worden ist.
Und daraus folgt: Es ist sehr schwer zu beweisen, dass ein existierendes Ding, nicht existiert. Beispielsweise müsste ich, wenn ich behaupten würde, dass Schafe nicht existieren, jedem einzelnen Schaf auf der Erde unter die Wolle gucken und sagen: „Nope, kein Schaf.“ Hingegen ist es – zumindest prinzipiell – sehr einfach, zu beweisen, das nichtexistierende Dinge doch existieren. Ich muss nur zwei lausige Schneeflocken finden, die gleich sind. Und da ich eben nie ausschließen kann, dass das irgendjemandem irgendwann gelingt, kann ich eben die Nichtexistenz eines Dinges nicht beweisen …
Eine Anmerkung noch zum letzten Absatz unseres Wüterichs
Genau wie oben beschrieben lässt sich übrigens die folgende Aussage beweisen: “Es existiert kein allmächtiger, allgütiger Schöpfer des Universums. Aber dazu ein andermal mehr …”
Na, da bin ich aber mal gespannt … Denn das erscheint mir so, als habe da jemand seinen Kant nicht gelesen. Denkt noch einmal kurz zurück an die Denotation mit ihren Bezugnahmegebieten und Erfüllungsgegenständen und sagt mir dann, in welchem Bezugnahmegebiet ihr euch auf der Suche nach eurem Erfüllungsgegenstand „Gott“ machen wollt? Und wenn ihr nicht einmal das Bezugnahmegebiet kennt, wie wollt ihr dann etwas beweisen oder widerlegen?
*Tschuldigung, das war ein Philosophenwitz. Denn ich habe in diesem Satz je gerade aus der Existenz ein Prädikat gemacht. Wenn ich das Explizit mache, habe ich ja quasi gesagt:
Es existiert ein Ding,
dieses Ding hat die Eigenschaft, Existenz zu sein,
Und dieses Ding hat die Eigenschaft hinterhältig zu sein,
Und dieses Ding hat die Eigenschaft klein zu sein,
Und dieses Ding hat die Eigenschaft ein Miststück zu sein.
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