Vorrats-WTF? – Eine Geschichte, absurder als Warten auf Godot

Unsere Bundesregierung hat jetzt beschlossen, dass wir wieder eine Vorratsdatenspeicherung bekommen sollen. Ich weiß, das klingt voll öde, aber das ist es nicht. Macht euch eine Schüssel Popcorn, öffnet ein Bier und dann lest die Geschichte zu diesem Gesetz, das da jetzt auf uns zukommt, die ist so bekloppt, dass man eigentlich nur noch darüber lachen kann.

Denn zunächsteinmal: Was heißt das eigentlich? Vorrats-Dingens … ? Das heißt, dass die Regierung, beziehungsweise die Polizei und wahrscheinlich auch die Geheimdienste alle unsere Telefonverbindungen und Internetverbindungen für zehn Wochen speichern darf. Und zwar, und das ist die Kirsche auf der Sahne auf dem Eisbecher für die Überwacher: Ohne dass es einen Anlass dafür gibt. Es muss also nicht erst ein Ermittlungsverfahren gegen dich eingeleitet worden sein, bevor abgespeichert werden darf, wann und wie oft du irgendeine Webseite – YouPorn – angesurft hast, oder mit wem du telefoniert hast – deiner Affäre – beziehungsweise wem du eine E-Mail geschickt hast – dem Tierheim, in das du das „entlaufene“ Kaninchen gebracht hast.

Du musst also nicht einmal Scheiße bauen, bevor dich der Staat durchleuchten darf. Aber so richtig drollig wird dieser Beschluss erst, wenn wir uns mal die Geschichte der Vorratsdatenspeicherung angucken. Denn, die Älteren unter uns werden sich erinnern: wir hatte sie schon einmal, die Vorratsdatenspeicherung. Als wir das letzte Mal die GroKo hatten, hat diese uns schon einmal die bittere Suppe mit Namen Vorratsdatenspeicherung eingebrockt. Das war im Jahr 2007.

Dazu ist noch wichtig zu sagen, dass die EU im Rahmen der Post-11.-September-Panik die Vorratsdatenspeicherung 2005 in eine Richtline gegossen hatte. So eine Richtlinie müssen die Mitgliedsstaaten der EU in eigene Gesetze umwandeln, sonst gibbets Haue aus Brüssel!

Hä? Warum muss die Regierung das jetzt dann noch einmal beschließen, wenn sie es doch schon 2007 getan hat?

Weil das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2010 gesagt hat: Vorratsdatenspeicherung? Läuft nicht, Jungs und Mädels! Ihr wisst schon, das Bundesverfassungsgericht, das sind diese Leutchen mit den lustigen roten Roben.

Q

Na ja, fast richtig….

Das Bundesverfassungsgericht, das sagt ja schon der Name, hat die Aufgabe, zu prüfen, ob ein Gesetz mit der Verfassung – unserem Grundgesetz – in Einklang steht. Und das war die Vorratsdatenspeicherung nun einmal nicht. Sie verstieß gegen Paragraph 10 der Grundrechte, also der höchsten Rechte, die die Menschen in Deutschland haben. Nach Paragraph 10 sind nämlich Briefe, Telefonate und andere Kommunikation mittels technischer Medien „unverletztlich“, also um jeden Preis zu schützen. Und die Vorratsdatenspeicherung macht eben so ziemlich das genaue Gegenteil. Tja, das hätte eigentlich das Ende der Vorratsdatenspeicherung sein sollen. War es aber nicht, weil das Gericht das Gesetz nur „in dieser Form“ kritisierte, machten sich viele aufrechte Grundrechtskritiker aus CDU und SPD daran, uns die Vorratsdatenspeicherung auf Biegen und Brechen wieder reinzuwürgen. Dieses Konstrukt scheint so etwas wie der heilige Gral der Überwachung zu sein.

Die Rolle der EU

Als gutes Argument hatten sie immer in der Hinterhand: „Wir würden ja gerne darauf verzichten, aber leider zwingt uns Brüssel dazu!“. Dieses Argument trugen die Law-And-Orderisten wie ein Banner vor sich her … bis … ja bis, die EU sie nicht mehr dazu zwang.

Denn 2014 sagte dann auch der Europäische Gerichtshof: „Hallo Leute, also irgendwie ist das nicht sooo die gute Idee mit dieser Vorratsdatenspeicherung.“

Dann änderte sich schlagartig die Argumentation. Jetzt hieß es aus Berlin auf einmal: „Tja, wenn die EU die nicht will, dann machen wir das eben ohne die EU.“

Hä?

Der lange Weg zurück auf den Olymp der Überwachung

Was in den vergangenen 12 Monaten auf das EuGH-Urteil folgte war eine Kaskade an Hirnficks, bei der sich diverse übliche Verdächtige in geschmacklosen wie zusammengelogenen Argumenten für eine Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung überboten.

Ganz vorne mit dabei, wenn es darum geht, die Bürgerrechte einzuschränken, ist ja immer die Gewerkschaft der Polizei. Die quängelte bereits im August 2014: „Och menno, wir wollen sie aber zurück!“ Wobei das Zauberwort bei dieser wie aller kommender Forderungen lautete: diesmal solle die Vorratsdatenspeicherung aber wirklich „verfassungskonform“ sein! Wie? Who cares …

Spannend ist auch, das im gleichen Zeitraum das Max-Planck-Institut eine Studie veröffentlichte, die belegte, dass die Vorratsdatenspeicherung auch noch NUTZLOS IST!

Und da die CDU niemanden vorpreschen lassen möchte, wenn es darum geht die freiheitsfeindlichste Frieda im ganzen Land zu sein, beschloss sie eben – zugegeben nach einer kleinen Anstandsfrist – im Dezember 04 auf ihrem Parteitag, dass die Vorratsdatenspeicherung wieder eingeführt werden soll. Scheiß doch auf die Urteile der beiden höchsten Gerichte!

Gleich Anfang Januar legte dann die CSU nach, indem sie sich nicht lange mit Scham oder Taktgefühl aufhielt, sondern über den Opfern der Anschläge auf Charlie Hebdo nach einer neuen Vorratsdatenspeicherung krakelte. Dass Frankreich zum Zeitpunkt der Anschläge über genau so eine Maßnahme verfügte, war da ja nur ein kleines Detail am Rande, das man wirklich vernachlässigen kann.

Siggis Mission

Und hier beginnt nun eine der erstaunlichsten Abenteuerreisen seit Odysseus. Denn was CDU und CSU recht ist, das ist Sigmar Gabriel nur billig. Der Mann hat ein Mission: Die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung und dafür ist ihm keine Lüge zu weit hergeholt. Mitte Januar begann er aber noch zurückhaltend, indem er dieses Gesetz erst einmal nur forderte.

Am 17. März machte sich Gabriel dann aber daran, die Wahrheit zu verbiegen, solange es nur seinem Zweck diente: Siener Darstellung nach war nämlich der Terrorist Anders Breivik wäre 2011 in Norwegen nur wegen der Vorratsdatenspeicherung überführt worden. Das Breivik auf frischer Tat ertappt wurde und die VDS in Norwegen zum Tatzeitpunkt auch noch gar nicht in Kraft war, tja, das sind so Details, die kann Herr Gabriel doch vernachlässigen, wenn es um die gute Sache geht.

Eine Woche später meinte Gabriel dann, dass die Vorratsdatenspeicherung beim letzten Mal sowieso nur gekippt sei, weil Schwarz-Gelb das damals verbockt habe. Äääähm, Moment mal, da muss ich noch mal kurz nach oben scrollen … Aber da steht doch, dass die GroKo die damals eingeführt hat … Tja, das ist so egal wie für Herrn Gabriel die Wahrheit.

Aber vergangene Woche, am 8.4. toppte Gabriel noch alles, was er und seine Gesinnungsgenossen bis dato an Geschmacklosigkeiten von sich gegeben hatten und behauptete allen Ernstes, mit der VDS wären die NSU-Morde verhindert worden.

facepalm

Ja klar, ein Mangel an Informationen war genau das, was den NSU nicht aufhalten konnte. Ich verweise ohne weitere Worte einfach nur auf den Abschnitt „Rolle der Verfassungsschutzbehörden“ im Wikipedia-Artikel zum NSU.

Tja, aber wie es aussieht, war Gabriel erfolgreich, denn heute hat er seine Mission im Bundekabinett erfolgreich zum Abschluss gebracht. Gratulation, uns allen!

Happy Clap!

Ich muss lachen, damit ich nicht weinen muss

„Denk ich an Deutschland in der Nacht,
Dann bin ich um den Schlaf gebracht,
Ich kann nicht mehr die Augen schließen.
Und meine heißen Tränen fließen.“

Wer kennt ihn nicht, Heinrich Heines traurigen Rant über Deutschland … Ist so etwas wie ein trauriger Rant überhaupt möglich? Oder ist das eine Kontradiktion?
anyway...

Quelle: Reactiongifs. Lizenz: fragwürdig.

Mir geht es gerade ganz genauso und Heine hatte vor hastenichgesehn vielen Jahren schon eine gute Strategie gegen den Deutschland-Blues: Über dieses Land zu lachen. Fangen wir an:

Die deutsche Presse hat entdeckt, dass Lutz Bachmann möglicherweise nicht der lupenreine Demokrat ist, als der er sich ausgibt.

Ich meine: Wer konnte das ahnen?!?! Doch das Lachen bleibt mir im Halse stecken, wenn ich daran denke, dass die fremdenfeindlichen Auswüchse in Dresden (mutmaßlich) ein Todesopfer forderten. Khaled Bahray war am Dienstag vergangene Woche erstochen worden.

„Doch auch drei Tage nach der Mordnacht gibt es noch keine Hinweise auf Tatgeschehen oder Täter, auch weil die Kriminalpolizei erst einen Tag nach dem Auffinden des Toten mit den Ermittlungen begann: Am Dienstag hatte die Polizei noch ein Gewaltverbrechen ausgeschlossen.“

Quelle: Tagesschau.

Dumbledore

Quelle: liegt auf so nem Amazon-Server. Lizenz: noch fragwürdiger.

WOLLT IHR UNS VERARSCHEN?!!!?! Ich habe ja wirklich keine Ahnung von Polizeiarbeit, zumindest keine Ahnung, die sich nicht aus der Sichtung eines Tatorts – ähm, also den Krimi, nicht den Ort – hinausgeht. Aber selbst ich weiß, dass Stichverletzungen nur äußerst selten eine natürliche Ursache haben, wenn man nicht gerade Edward mit den Scherenhänden ist! Und, so dachte ich in meiner Verblendung, bei ungeklärter Todesursache, sichert man besser mal Spuren. Damit man später was zum Ermitteln hat!!!!! Nein? Oh, na dann…

REaktion

Quelle: Reactiongifs. Lizenz: fragwürdig.

Na ja, aber unsere Freunde und Helfer, sind schließlich auch andernorts allzu beschäftigt:

Gegen halb ein Uhr früh stürmten nämlich zwei deutsche Polizeibeamte den Waggon, klopften heftig an die Türen und schrien “Polizei, aufmachen!”, um dann mit Taschenlampen die Abteile auszuleuchten. Als die überaus freundliche Zugbegleiterin herbeieilte, wurde auch sie angebrüllt, ob hier Syrer oder Iraker versteckt seien. Ich fragte daraufhin etwas verpennt warum sie Syrer_innen oder Iraker_innen suchten? “Wegen krimineller Handlungen.”

Quelle: Klaus Werner-Lobo

Also weiß unsere Polizei prinzipiell wohl schon, was eine kriminelle Handlung ist, nur nicht wenn sie an Flüchtlingen begangen wird, sondern bloß dann, wenn sie von ihnen begangen wird …? Aber ich tue den Damen und Herren in Uniform unrecht. Denn sie haben ja noch so viel anderes zu tun, zum Beispiel Handys sammeln

Reply WTF

Quelle: Replygif. Lizenz: ihr wisst schon …

Zugegebenermaßen ist das Werfen von Steinen keine ganz glorreiche Idee bei einer unangemeldeten Demo, besonders da wir die Schaufensterscheiben als Tatverdächtige im Mordfall Khaled Bahray mit ziemlicher Sicherheit ausschließen können. Dennoch ist die Reaktion der Polizei, besonders verglichen mit der Nichtreaktion im Mordfall einfach nur

Dafuq

Quelle: Troll.me. Lizenz: so halt …

Es fällt mir wirklich schwer bei dieser Nachrichtenlage nicht zu verzweifeln. Aber eines kann ich euch sagen: Heine zu lesen hilft…

Zur Beruhigung

Wir schlafen ganz, wie Brutus schlief –
Doch jener erwachte und bohrte tief
In Cäsars Brust das kalte Messer!
Die Römer waren Tyrannenfresser.

Wir sind keine Römer, wir rauchen Tabak.
Ein jedes Volk hat seinen Geschmack,
Ein jedes Volk hat seine Größe;
In Schwaben kocht man die besten Klöße.

Wir sind Germanen, gemütlich und brav,
Wir schlafen gesunden Pflanzenschlaf,
Und wenn wir erwachen, pflegt uns zu dürsten
Doch nicht nach dem Blute unserer Fürsten.

Wir sind so treu wie Eichenholz,
Auch Lindenholz, drauf sind wir stolz;
Im Land der Eichen und der Linden
Wird niemals sich ein Brutus finden.

Und wenn auch ein Brutus unter uns wär,
Den Cäsar fänd er nimmermehr,
Vergeblich würd er den Cäsar suchen;
Wir haben gute Pfefferkuchen.

Wir haben sechsunddreißig Herrn
(Ist nicht zuviel!), und einen Stern
Trägt jeder schützend auf seinem Herzen,
Und er braucht nicht zu fürchten die Iden des Märzen.

Wir nennen sie Väter, und Vaterland
Benennen wir dasjenige Land,
Das erbeigentümlich gehört den Fürsten;
Wir lieben auch Sauerkraut mit Würsten.

Wenn unser Vater spazierengeht,
Ziehn wir den Hut mit Pietät;
Deutschland, die fromme Kinderstube,
Ist keine römische Mördergrube.

Alles verbieten!

fordert im Zeit-Blog Velophilstrengere Strafen für Falschparker„. Sie ist, wie der Titel ihres Blogs verrät für die gute Sache, nämlich die der Radfahrer unterwegs und trägt gewichtige Argumente vor:

„Viele Eltern beispielsweise lassen ihre Kinder nicht zu Fuß zur Schule gehen oder mit dem Rad fahren, weil sie den Schulweg gefährlich finden. Gerade vor den Schulen zwingen Falschparker Kinder immer wieder dazu, auf die Straße auszuweichen.“

Wer könnte etwas dagegen sagen? Für unsere Kinder! Da muss sie doch Recht haben. Das Wohl der Kinder ist ein perfides Totschlagargument, quasi der Antihitler. Denn du kannst ja nicht ernsthaft dagegen sein, ARSCHLOCH!?!

Reaction Gif Zorn

Daher argumentieren Politiker auch so gerne mit Kinderpornographie um mehr Überwachung und Reglementierung im beziehungsweise für das Internet zu fordern. Aber wir waren ja gerade beim Radfahren.

Ich bin selbst überzeugter Radfahrer, fahre jeden Tag zwischen 12 und 20 Kilometer durch Frankfurt. Und auch mich nerven Autos ungemein. Auch ich verstehe nicht, warum Autofahrer glauben, es sei eine unzumutbare Behinderung für andere Autofahrer, wenn sie mal eben ™ auf der Straße halten, aber das gleiche für absolut legitim halten, wenn sie sich einmal quer über Radweg oder Bürgersteig stellen. Sodass im schlimmsten Fall jemand mit Kinderwagen noch auf die Straße ausweichen muss. DAS KOTZT MICH AN!!!!!111!11!

Reaction-Gif: Zorn

Aber deshalb strengere Strafen fordern? Ich weiß nicht… Ich bin immer etwas skeptisch, wenn jemand den Just Cause ausgerechnet mit Verboten und Strafen durchsetzen will, das schrieb ich ja neulich schon. In diesem speziellen Fall ist es zudem noch so, dass unsere Gesetze durchaus Mittel zur Verfügung stellen, sich gegen Falschparkerinnen zu wehren, die dafür sorgen, dass Kinder auf die Straße ausweichen müssen. Man kann ein solches Auto nämlich völlig zu Recht abschleppen lassen. Allein, das kostet Zeit, Mühen und am Ende entscheidet der herbeigerufene Polizist vielleicht sogar, dass das alles gar nicht so schlimm ist.

Im Fall des Straßenverkehrs bin ich zudem noch deshalb skeptisch, da du als Teilnehmer insgesamt und als Radfahrerin im besonderen mit Adrenalin vollgepumpt bist, wenn du daran teilnimmst. Das ist wichtig, da es deine Sinne schärft und deine Konzentration erhöht. Ich erlebe mehrmals wöchentlich Situationen in denen Autofahrer meine Gesundheit, ach was, mein Leben riskieren. Da ist es überlebenswichtig, unter Strom zu stehen und schnell reagieren zu können. Aber zugleich ist Adrenalin ein extrem schlechter Ratgeber, weswegen man mir besser keine Bazuka in die Hände drücken sollte, wenn mich mal wieder ein Auto geschnitten hat!!!!

Versteht mich nicht falsch, Radfahren ist auf alle Fälle besser als Autofahren. Ich meine, Autos sind laut, sie stinken, sie machen durch ihre Abgase die Umwelt kaputt und deine Mitmenschen krank. Außerdem machen sie dich mangels Bewegung krank. Und sie sind gefährlich. Wenn ich mit meinem Fahrrad gegen ein Auto fahre, hat es im schlimmsten Fall eine Beule, wenn ein Auto mit seinen 1,5 Tonnen Kampfgewicht gegen mich fährt, bin ich Mus. Fahrräder sind außerdem leise (bis auf meine Vorderradbremse), halten dich fit und stehen nie im Weg…

Fahrräder im Weg
Bild: Münster. Urheber: Bundesarchiv. Lizenz: CC BY-SA 3.0 DE

Fahrradfahrerinnen sind also eindeutig bessere Menschen als Autofahrerinnen. Ausnahme bilden lediglich die paar Idioten, die, wenn meine Tochter (7) ihr Rad an eine städtischen Radstange oder einen Laternenpfahl anschließt, meinen, sie könnten ihr Rad noch über das Rad hinweg an der gleichen Stange anschließen, weil es ja nur ein kleines Rad ist, oder so… Aber ich habe Mittel und Wege, diesen paar Irrlichtern, ihren Irrtum ruhig und sachlich darzulegen.

Dalí hat hier sein Rad abgestellt
Dalí hat hier sein Rad abgestellt

Obwohl ich als Radfahrer also glaube, dass Radfahrer die besseren Menschen sind, bin ich dennoch gegen strengere Strafen für Autofahrer und zwar, weil ich nicht weiß, 0b ich nicht letzten Endes nur deshalb dafür bin, weil ich Radfahrer bin und nicht etwa, weil es wirklich gerechter wäre. Dem Problem der Motivation bei ethischen Begründungen hat sich John Rawls in seiner Theorie der Gerechtigkeit ausführlich gewidmet und den berühmt gewordenen ‚Schleier des Nichtwissens‘ als Gedankenexperiment erfunden. Rawls vertritt die Ansicht, dass wahre Gerechtigkeit eine Verfahrensgerechtigkeit ist. Dass also ein gerechtes Verfahren gefunden werden muss, um zu gesellschaftlichen Entscheidungen zu kommen, von denen wir dann sagen können, sie sind gerecht.

„Irgendwie muß man die Wirkung von Zufälligkeiten beseitigen, die die Menschen in ungleiche Situationen bringen und zu dem Versuch verführen, gesellschaftliche oder natürliche Umstände zu ihrem Vorteil auszunutzen.“

John Rawls: Eine Theorie der Gerechtigkeit.*

Und genau das ist hier der nicht der Fall, ich bin als Radfahrer eben in einer solchen ungleichen Situation, die ich immer versucht bin, zu meinem Vorteil auszunutzen…

„Zu der Entscheidung, wie eine wahrhaft gerechte Gesellschaft aussehen würde, könnte ich erst kommen, wenn ich nicht wüsste, welche Position ich in dieser Gesellschaft einnehme. Und genau das ist die Situation von der das Gedankenexperiment des Schleiers ausgeht. Sie nimmt an, dass sich Vertreter aller Gesellschaftsschichten zu einer Verhandlung treffen. Sie sollen entscheiden, wie ihre zukünftige Gesellschaft aussehen soll. Der Clou ist jetzt, dass alle Teilnehmer an einer temporären Amnesie leiden: Sie wissen nicht, welche Positionen sie später in dieser Gesellschaft einnehmen werden.“

Schamloses Eigenzitat.* Hervorhebung von mir. Mindfuck kostenlos dazu… 😉

Wenn ich also entscheiden müsste, ob Falschparker strenger bestraft werden müssen, müsste ich gerade von meiner Position als Radfahrer abstrahieren. Und das ist mir für einen Montagabend nun wirklich zu anstrengend, da rege ich mich lieber weiterhin über Autofahrer auf, spreche mich aber zugleich gegen härtere Strafen aus…

 

 

*Hinterhältiger: Affili-Link: Kauft ihr das Buch, bekomme ich eine winzige Provision und freue mich.

Die definitiv richtigen und letztgültigen Anworten für alle Debatten im Internet

Ach Internet, du nervst mich gerade mal wieder ein kleines bisschen. Einfach weil du immer über das gleiche redest obwohl doch alles schon gesagt ist. Um dem Ganzen jetzt mal ein Ende zu setzten, präsentiere ich euch:

Die definitiv richtigen und letztgültigen Anworten für alle Debatten im Internet!

Copy und Paste dieses Blogposts sind explizit erlaubt. Versprich mir nur eines, Internet, sprich einfach in Zukunft über neue Themen und immer, wenn jemand mit einer dieser alten Diskussion ankommt, knallst du ihm die Antwort, die du hier findest, vor den Latz. Jetzt aber zu den Antworten:

Urheberrecht

Das Urheberrecht ist kaputt, wird aber nicht repariert werden. Du sharest keine Files oder streamst, wegen Meinungsfreiheit oder um Künstler zu unterstützen, selbst wenn du mir noch so viele Studien zeigst, die das eine oder andere beweisen oder widerlegen, sondern weil du Mukke, Spiele und Filme für umme haben willst. Wer wegen Filesharing abgemahnt wird, hat deswegen pech gehabt. Aber jeder, der abmahnt, ist ein Arschloch.

Privatsphäre

Gibt es im Internet nicht. Kannste scheiße finden oder geil, ist aber so und wird sich auch nicht ändern.

Überwachung

Ist scheiße, wird aber nicht weggehen. Überwachung wird die Demokratie kaputt machen und wir müssen sie dann anschließend wieder aufbauen.

Feminismus

Sexismus existiert und ist scheiße. Die Feministinnen haben recht und Maskulisten sind einfach nur lächerlich. Wir sollten uns alle bemühen, Sexismus zu überwinden und ihr, liebe Feministinnen, solltet uns immer wieder geduldig und freundlich erklären, wenn wir was falsch gemacht haben und open minded etwaige Gegenargumente anhören. Dennoch wird Sexismus nicht weggehen.

Homöopathie und andere Esotherik

Ja, ist albern. Aber wem es Spaß macht und wer es freiwillig macht, den sollte man es halt um Gottes Willen machen lassen.

Apple vs. Samsung

Apple baut die besseren Handys, aber 90% der Menschen können die sich halt nicht leisten. Und die Dinger von Samsung machen halt auch ihre Arbeit.

Print vs. Online

Print war geil und hatte ne geile Zeit. Aber Print wird sterben. Und ja, das wird die Qualität des Journalismus’ insgesamt etwas mindern, weil werbefinanzierte Plattformen eben hauptsächlich Massenkompatibles produzieren. Ist scheiße, aber lässt sich nicht ändern.

Piratenpartei

Ihr hattet gute Ideen. Ihr habt es verkackt. Danke fürs Mitspielen!

Religion vs. Atheismus

Man kann weder beweisen, dass Gott existiert, noch dass er das nicht tut. Auch nicht, ob er erlaubt, dass wir Alk trinken oder nicht. Daher soll jeder es mit der Religion so halten, wie es ihm Spaß macht, aber allen anderen nicht auf den Sack gehen.

Homosexualität

Homosexualität existiert, sie ist normal, niemand kann was dafür, niemand kann sie erlernen oder verlernen. Daher sollten Homosexuelle exakt die gleichen Rechte haben wie Heteros.

Star Wars

Die alte Trilogie ist besser als die neue und Star Wars VII wird definitiv die Erwartungen nicht erfüllen.

Facebook

Facebook ist noch schlechter als die neuen Star Wars Filme, aber es ist halt so wie damals die Dorfdisko: Alle sind da, deshalb gehst du auch hin.

Essensfotos und Selfies

99,9% sind scheiße oder langweilig, aber sie tun halt auch nicht weh, weshalb wir jetzt alle weiterscrollen können.

Für alles andere gilt:

 

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Danke für die Aufmerksamkeit.

Ich bin raus.

Diskussion mit einem PRISM-Befürworter

Ich war neulich auf einer Party und hatte eine ebenso interessante wie frustrierende Unterhaltung mit einem PRISM-Befürworter. Diese hat mich einerseits verstehen lassen, warum das Thema den Großteil der Bevölkerung so wenig interessiert, andererseits hat sie mich selbst, als Überwachungsgegner, argumentativ an meine Grenzen gebracht.

Mein Widerpart in der Diskussion fand das alles mit der Überwachung schon ganz gut so, weil damit ja Terroristen™ gefunden würden. Ich kam natürlich gleich mit dem Gegenargument, dass die ganze Überwachung die Anschläge von Boston nicht verhindert habe.

Er daraufhin: Ja, man könne eben nicht alles verhindern, aber viele Anschläge wären verhindert worden.
Ich so: Das sagen sie™ uns immer, aber, sie legen keine Beweise vor, was natürlich an den fehlenden Checks & Balances liegt.
Er so: Ja, aber die Sauerlandgruppe, die habe man ja zum Beispiel gefunden.

Da war ich argumentativ im Nachteil, da ich die Faktenlage über die Ermittlungen gegen die Sauerlandgruppe nicht gut genug kenne. Ein Wissensloch, das ich dringend stopfen muss.

„Die sogenannte Sauerland-Gruppe war eine bis zum Jahre 2007 bestehende deutsche Zelle der im Grenzgebiet von Pakistan und Afghanistan ansässigen terroristischen Vereinigung Islamische Jihad-Union (IJU). […] Später wurden sie wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung, Vorbereitung eines Sprengstoffanschlags und Verabredung zum Mord angeklagt. Am 4. März 2010 wurden die drei Hauptangeklagten und ein Helfer in Düsseldorf zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.[…] Im Oktober 2006 leitete der amerikanische Abhörgeheimdienst NSA Erkenntnisse über intensiven Mailverkehr zwischen Deutschland und Pakistan über den Auslandsnachrichtendienst CIA an den deutschen BND weiter, der wiederum das Bundesamt für Verfassungsschutz einschaltete. […]

Quelle: Wikipedia

Daher schwang ich um auf die Argumentationsstrategie, dass die Kosten-Nutzen-Relation aus dem Gleichgewicht geraten ist. Du wirst mit Überwachung Attentate nie zu 100% verhindern, aber du machst das Ding, das du bewachst kaputt, indem du die Freiheit massiv einschränkst.

Er so: Ach, solange du noch alles machen und sagen dürftest, wäre das ja gar nicht so schlimm.
Ich so: Aber es ist ja gar nicht so, es gibt doch schon Fälle, die zeigen, dass unsere Freiheit beschnitten wird. Ich führte die Geschichten von Ilija Trojanow und Andrej Holm an.
Er so: ja klar, es gäbe immer Ermittlungspannen und Fehlentwicklungen, da müsse der Staat eben gegensteuern. Aber das seien ja nur Einzelfälle. Im Grunde funktioniere das System ja.
Ich so wieder: Aber es fehlt an Kontrolle.
Er so: Sicher, da könne man noch dran arbeiten, aber eigentlich könne man dem Staat doch vertrauen. Das wisse man doch aus Erfahrung.

Und an dieser Stelle war ich matt gesetzt. Denn das ist das Narrativ (damit ich auch mal das Wort benutze, das gerade in der Netzgemeinde so viel Aufsehens macht/ etwa hier, hier und hier), das in breiten Schichten der Bevölkerung die Haltung zu PRISM bestimmt: Wir™ sind doch die Guten™. Unser Staat Der Westen™ ist doch gut, was haben wir denn da zu befürchten? Und da kannst du jetzt noch so viele Stichproben anführen, die zeigen sollen, dass unser Staat nicht per se gut ist. Das wird, wenn man von der Prämisse ausgeht, dass der Staat der führsorgende Vater ist, immer als Einzelfall abgetan. „Menschen machen halt Fehler“. Und wenn du den Faschismus anführst, der in diesem Land ja demokratisch an die Macht kam, so wird das nur als „Nazikeule“ abgetan.

Ich glaube, das Problem ist nicht, dass wir den Menschen noch nicht deutlich genug gemacht haben, dass wir die Überwachung ablehnen und warum, sondern dass es sie einfach nicht stört. Und das auch nicht, weil sie an Pseudoprivatheit glauben, sondern weil sie wirklich glauben, dass der Staat ja der gute Vater ist, der über uns wacht, während der Nachbar der Böse ist. Deswegen ist die Überwachung durch die Geheimdienste okay aber Google Streetview nicht.

Und die Frage ist: Sollen wir uns wirklich wünschen, dass sie erfahren, dass sie falsch liegen? Oft wurde in den letzten Wochen ja auch über die Zulässigkeit eines Vergleichs von Stasi und NSA gestritten. Und der große Unterschied ist meines Erachtens nicht, dass es damals Freunde und Verwandte waren, die spionierten, sondern dass ich heute (noch) sagen darf: „Dieser Staat ist scheiße“ ohne mit Konsequenzen rechnen zu müssen. Die Frage ist nur, wie schaffen wir es, damit es so bleibt? Was können und müssen wir tun, damit die Meiers™ und Müllers™ da draußen auch noch in fünfzig Jahren sich die Geschichte vom guten Vater Staat erzählen können?

Unsere Gleichgültigkeit kotzt mich an

Da wird die größte Grundrechtsverletzung seit 1989 aufgedeckt und alles, was wir machen, ist zynische Witze zu reißen.

 

Von wegen: War doch schon immer klar, dass meine E-Mails mitgelesen werden, darf ich halt nichts sensibles schreiben.

Mal ganz abgesehen davon, dass sich das gar nicht umsetzen lässt, ist das gar nicht der Punkt, sondern die gleiche fucking Argumentation, die mir Konservative in Sachen Videoüberwachung entgegnen: wenn du nichts zu verbergen hast, hast du auch nichts zu befürchten.

Aber dabei geht es bei Grundrechten nicht. Meine Grundrechte sollen mich vor staatlicher Willkür schützen und sie aufzugeben, heißt nichts anderes, als dem Totalitarismus die Tür aufzuhalten. Klar kann man jetzt sagen, dass ich übertreibe, weil unser System im großen und ganzen noch demokratisch funktioniert, aber Fakt ist auch: Seit 2001 werden unsere Grundrechte Stück für Stück eingeschränkt, immer nur in ganz kleinen Schritten und wir machen nichts weiter, als jedes Mal zurückweichen und zynische Sprüche zu klopfen. Und uns hier und da mal ein bisschen aufzuregen.

Und nur, weil jetzt noch nicht alles am Arsch ist, heißt das nicht, dass es immer so sein wird. Unsere Grundrechte sollen uns vor dem nächsten Hitler schützen, und nur weil der noch nicht vor der Tür steht, heißt das nicht, dass er nicht in 10, 20 oder 50 Jahren anklopft.

Wir haben einen Verfassungsschutz, der zumindest seinem Namen nach meine Grundrechte schützen sollte. Und: nein, ich habe keine Ahnung, ob der im aktuellen Fall überhaupt zuständig wäre, wegen Auslandsspionage und so. Aber er würde ja eh nichts unternehmen, weil er stattdessen lieber Neonazis alimentiert und die Linkspartei überwacht, nur weil die der scheiß DDR hinterhertrauern.

Und es ist auch total egal, was ich wähle! Weil alle Parteien, die jetzt ins liberale Horn blasen, am Ende doch wieder mit CDU oder SPD koalieren müssen und wir dann eh wieder den nächsten Innenminister à la Schily haben. Und beim nächsten Überwachungsplan werden wegen des Burgfriedens Koalitionsfriedens wieder unsere Grundrechte geopfert. Und natürlich schreit die SPD jetzt wieder am lautesten! Aber das ist doch auch nichts anderes, als das Lippenbekenntnis eines Alkoholikers, dass er nie wieder trinken wird.

Und auch der ganze Antiamerikanismus in der aktuellen Debatte ist voll für den Arsch, weil in Sachsen eben auch einfach mal, wegen einer ANTI-NAZI-DEMO(!) ALLE Handydaten ausspioniert werden, wenn es irgendeinem reaktionären Polizeipräsidenten in den Kram passt. Und danach kommt ein Richter und sagt: „Du, du, du …. Das war aber nicht okay von dir“. Und das Arschloch senkt mal kurz das Haupt, nur um es in der nächsten Situation wieder genauso zu machen.

Also, falls ihr es nicht gemerkt habt: ich bin sauer! Und zwar auf uns! Unsere Gleichgültigkeit kotzt mich einfach an!