Die Philosophie von Fridays for Future

Heute geht es hier um ein Thema, das in aller Munde ist: Friday for Futures. Im Augenblick kann ich ja noch darüber sprechen, so lange uns AKK das noch machen lässt. Aber weil es mir hier um Philosophie geht, möchte ich nicht nur blöd meine Meinung zu FFF rausposaunen, sondern die Philosophie von Fridays for Future ergründen.

Unter philosophischer Betrachtung ist die Bewegung nämlich durchaus spannend. Denn interessant wird Ethik (was Friday for Futures zugrunde liegt) immer dann, wenn ein Wertekonflikt existiert. Dann muss man eine Güterabwägung vornehmen und sich überlegen, welchen Wert man höher einstuft als welchen anderen. Und je nachdem, welchen Wert ich wie gewichte, komme ich zu meinem Urteil über FFF.

Moralisch eindeutige Fragen sind ethisch betrachtet zumeist recht langweilig. Niemand wird ernsthaft diskutieren wollen, ob Danaerys im Recht war, die Bevölkerung von Kings Landing abzufackeln, nachdem diese bereits kapituliert hatte. Hingegen ist es interessanter, ob ich das Recht hatte, eben GoT zu spoilern, um hier ein philosophisches Argument zu machen.

Also wie ist das bei FFF? Was spricht dafür und was dagegen? Oder sollte ich noch einmal einen Schritt zurückgehen und erklären, was FFF überhaupt ist?

Was ist Fridays for Future?

Alles fing an mit Greta Thunberg, die jeden Freitag die Schule bestreikte, um auf die Gefahren des Klimawandels und unser aller Untätigkeit im Klimaschutz aufmerksam zu machen. Das hat sich mittlerweile zu einer internationalen Bewegung gemausert, bei der Schüler*innen Freitags blau machen und für Klimaschutz demonstrieren.

Man könnte sich sehr ausführlich damit beschäftigen, mit welcher Rhetorik FFF in der Öffentlichkeit begegnet wird. Aber das würde hier zu weit führen. Wir wollen das lieber den Experten überlassen. Jedenfalls muss sich Fridays for Future eine ganze Menge Kritik anhören und darunter sind auch ein paar inhaltliche Argumente. Um die geht es mir hier und heute. Eigentlich sollte es doch eine super Sache sein, dass sich Schüler*innen für Umweltschutz engagieren. Also: Was spricht dagegen?

Die Kritik an Fridays for Future

Der Hauptkritikpunkt ist zumeist, dass dieser Protest während der Schulzeit stattfindet. Dass die Kinder doch nur die Schule schwänzen wollen. Aber was ist eigentlich so schlimm daran? Ist die Schule nicht dafür gemacht, geschwänzt zu werden? Nun, dass das so viele Menschen stört, hängt mit der Schulpflicht zusammen.

Schulpflicht? Was ist denn das nun wieder? A long time ago in a galaxy far far away… Beziehungsweise vor ein paar Jahrhunderten auf diesem Kontinent. Im Zuge von Reformation und Aufklärung entstand der Gedanke, dass der Staat dafür zu sorgen habe, allen Kindern eine Grundbildung zu verschaffen. Diese Entwicklung beschleunigte sich durch die Industrialisierung und führte in Deutschland dazu, dass es seit der Weimarer Republik eine allgemeine Schulpflicht gibt.

Doch warum gibt es die, was soll das? Zunächst einmal hat eine Gesellschaft ein generelles Interesse daran, dass ihre Mitglieder Zugang zu Bildung haben. Wenn es niemand gäbe, die Ärztin werden könnte, wäre das schön doof, oder? Der Aufklärungsphilosoph Jean-Jacques Rousseau brachte die Idee hervor, dass es so etwas, wie einen Gesellschaftsvertrag gibt. Menschen leben in Gesellschaften zusammen, da sie sich davon versprechen, dass diese Gesellschaft das Wohl aller vergrößert. Die Details von Rousseaus Philosophie können wir außer Acht lassen, wichtig ist hier, dass so ein Gesellschaftsvertrag nur funktioniert, wenn sich mehr oder weniger alle mehr oder weniger an ihn halten.

Und hier kommt dann erstmals die Schulpflicht ins Spiel. Denn es gibt zu ihr noch ein Gegenstück. Alle Schüler*innen haben die Pflicht zur Schule zu gehen. Dies ist ihr Beitrag zur Einhaltung des Gesellschaftsvertrags. Doch auch der Staat hat eine Pflicht: Die Beschulungspflicht. Diese resultiert darin, dass Bildungseinrichtungen zu den größten Institutionen des Staates gehören. Egal, ob du in einer Großstadt wohnst, in einem Dorf in der Eifel, auf einer Alm in den Alpen, auf einer Nordseeinsel oder sogar in Katzenelnbogen. Der Staat sorgt dafür, dass du Zugang zu schulischer Bildung hast und möchte im Gegenzug, dass du diese auch wahrnimmst.

Okay, soviel zu den Pflichten. Aber niemand würde die Einhalten, wenn er oder sie nicht auch etwas davon hätte. Was spricht denn für die Schulpflicht? Was macht sie zu einer nicht ganz doofen Idee? Dafür müssen wir noch einmal zum Ziel von Rousseaus Gesellschaftsvertrags zurückkehren: Er soll das Wohl aller vergrößern. Damit das geschehen kann, muss es eine weitere Grundbedingung geben: Es muss Gerechtigkeit herrschen. Die Menschen müssen das Gefühl haben, dass sich wirklich für alle das Wohl mehr oder weniger vergrößert, sonst haben sie keine Veranlassung, den Gesellschaftsvertrag einzuhalten.

Das ist nun wieder ein riiiiiiiiesiges Fass, das ich gar nicht richtig aufmachen will, aber eine kleine Tasse möchte ich zumindest daraus schöpfen: Denn eine der wichtigsten Grundvoraussetzungen für Gerechtigkeit ist Chancengleichheit. Und an dieser Stelle kommt wieder die Schulpflicht ins Spiel. Die Idee dahinter ist, dass es egal ist, ob deine Eltern Millionäre oder Hartzer sind: Alle sollen die gleiche Ausgangssituation haben. Durch den gleichen Zugang zu Bildung soll ihnen ermöglicht werden, als Erwachsene den Beruf zu ergreifen, den sie möchten und so ihr persönliches Wohl zu mehren. Selbst wenn sie sich am Ende entscheiden, SPD-Spitzenkandidaten zu werden.

Aber würde es hier nicht reichen, dass der Staat einfach die Schulen hinstellt? Wer Lust hat, später fett Kohle zu verdienen, geht halt hin und wem das egal ist, lässt es bleiben? Nun, ohne jemanden hier zu nahe treten zu wollen: Schüler*innen wissen vielleicht nicht immer, was das Beste für sie ist und leben im hier und jetzt. Und Ja: Mir ist klar, wie absurd dieses Argument ist gegen Demonstrationen, die sich nur um die Zukunft drehen. Aber ich zumindest habe die Schule allzu oft lieber geschwänzt und mit Freunden rumgehangen als dass ich dem Unterricht aufmerksam gefolgt bin. Und seht, was aus mir geworden ist! Darüber hinaus spielt das Elternhaus hier eine große Rolle: Wenn deinen Eltern wichtig ist, dass du dich in der Schule anstrengst, wirst du es wahrscheinlicher tun, als wenn deine Eltern eher für „Netflix & chill“ sind.

Damit die Menschen unabhängig vom Engagement ihrer Eltern Chancengleichheit haben, gibt es die Schulpflicht. Es gibt sogar noch einen anderen Grund für die Schulpflicht. Früher gab es den Feudalismus, das war das Gesellschaftssystem vor der Aufklärung. Damals gab es Grundbesitzer – den Adel – die den ganzen Tag rumhingen, chillten und andere für sich arbeiten ließen. Diese Anderen waren die Leibeigenen und wie der Name schon sagt gehörten die buchstäblich dem Adel. Damals war es vollkommen Normal, dass Kinder mitarbeiteten, sobald sie dazu in der Lage waren. Mit der Industrialisierung verschärfte sich dieser Zustand sogar noch, als mehr und mehr Menschen, in die Städte zogen, um für einen Hungerlohn in Fabriken zu arbeiten. Damals war es total normal, dass Kinder mitarbeiten, um die Familie zu ernähren. Den Menschen blieb schlichtweg nichts anderes übrig.

Die Schulpflicht hat jetzt den äußerst wünschenswerten Nebeneffekt, dass sie Kinderarbeit faktisch ausschließt. Denn wer zur Schule gehen muss, kann nicht gleichzeitig arbeiten. Und wir Gutmenschen glauben heute, dass die Kindheit etwas Besonderes und Schützenswertes ist. Dass jedes Kind ein Recht auf eine Kindheit frei von Arbeit hat. Das spricht also gegen FFF. Wobei ich gleich dazu sagen muss, dass meine Darstellung hier äußerst idealisiert und vom Geist der Aufklärung geprägt ist. Michel Foucault zum Beispiel sah das eher so:

„Schulen haben die gleichen sozialen Funktionen wie Gefängnisse und Irrenhäuser – sie definieren, klassifizieren, verwalten und regulieren Menschen.“

Michel Foucault – Überwachen und Strafen.

Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein anderes Mal erzählt werden. Denn nachdem ich euch nun erzählt habe, was gegen Fridays for Future spricht,  muss ich natürlich auch noch darüber reden, was dafür spricht. Und das möchte ich aufspalten. In zwei Fragen. Denn einerseits ist interessant, was die Motive für FFF sind. Andererseits muss aber auch ein Blick darauf geworfen werden, ob die jungen Leute ™ die richtigen Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele ergriffen haben.

Es gibt den menschengemachten Klimawandel

Auch wenn es mich traurig macht, so muss ich doch zunächst einmal klarstellen, dass es den menschengemachten Klimawandel gibt, selbst wenn ein paar Lunatics das bezweifeln. Wenn ihr mir das nicht glaubt, dann fragt einfach mal bei Scientists for Future nach oder lutscht an eurem Diesel oder was euch sonst feuchte Träume beschert.

Wen also unsere Prämissen sind, dass es dem Klimawandel gibt und dass wir ihn beeinflussen können, dann folgt daraus aber noch nicht, dass wir das auch sollten. Aus der Tatsache des Klimawandels kann man nicht zwingend darauf schließen, dass Umweltschutz erstrebenswert ist. Dies ist eine ethische Entscheidung, die wir treffen müssen. Die Antwort auf die Frage, wie wir leben wollen, die jeder Ethik immer zugrunde liegt. Wir könnten auch sagen: Fuck it! No Future! Mir sind meine Mercedes S-Klasse und der Wochenendtrip nach Malle wichtiger!

Aber auch wenn Ethik immer etwas Kontingentes ist (das bedeutet, nur eine von mehreren verschiedenen Möglichkeiten), so ist sie dennoch nicht willkürlich, sondern in unserer Geschichte, unserer Gesellschaft, unseren Wünschen und Zielen begründet. Schauen wir uns also mal an, woher die Idee kommt, dass Klimaschutz etwas Erstrebenswertes ist.

Die Argumente für Fridays for Future

Der Klimaschutz ist eine Unterkategorie des Umweltschutzes. Und auch der war wieder eine Idee, die im Zuge der Industrialisierung entstand, als das Leben in den Städten durch Umweltverschmutzung teilweise sogar lebensgefährlich wurde. Alleine in London kam es bis 1952 immer wieder zu Smogkatastrophen, bei denen die Abgase aufgrund der Wetterlage nicht mehr aus der Stadt abziehen konnten und es im Zuge dessen zu zahlreichen Todesfällen kam.

In der Romantik kam es zu einer — nun ja — Romantisierung der Natur, in Zuge der sie mehr ins Zentrum der menschlichen Aufmerksamkeit geriet. Die Nazis machten sich diese Mode zu eigen mit ihrem Blut und Boden Schwachsinn. Wahrscheinlich war das auch ein Grund dafür, dass das Thema nach dem Zweiten Weltkrieg erst einmal wieder hintan gestellt wurde. Erst in den 1960er Jahren kam es wieder im Zuge der links-progressiven Jugendbewegungen zurück auf die Tagesordnung. Hier oftmals mit einer stark antikapitalistischen Haltung, bei der Umweltschutz und Kapitalismus als etwas Konträres gesehen wurde. In den 80ern schließlich, als in Deutschland alle Angst vorm Waldsterben hatten, sprangen dann auch die Konservativen mit auf den Zug. Sie kamen auf den Trichter, dass sich Umweltschutz hervorragend religiös begründen lässt: als Bewahrung der Schöpfung. 1994 wurde der Umweltschutz schließlich sogar ins Grundgesetz der BRD aufgenommen. Übrigens unter einer CDU-Regierung, der von Helmut Kohl.

Soviel zur Geschichte. Aber warum ist Umweltschutz so wichtig, dass er sogar offizielles Staatsziel der BRD ist? Warum steht nicht zum Beispiel das Recht auf gesunden Salat im Grundgesetz? Ist Umweltschutz einfach ein Wert an sich, weil Blumen und Kaninchen so schön sind? Oder lässt sich dieser Wert aus einem anderen herleiten? Ich denke, letzteres ist der Fall. Es geht schlicht und einfach darum, dass dieser Planet, so wie er ist, ziemlich ideal für Menschen ist, um darauf zu leben. Eine Erwärmung des Klimas hingegen könnte das Überleben wesentlich schwerer machen. Das Recht auf Leben aber gehört zu einem der ganz wenigen Werte, auf die sich so ziemlich alle Menschen als erstrebenswert einigen können. Denn mal ehrlich: Leben ist schon ziemlich geil, oder?

Ein anderer Wert spielt hier aber noch mit hinein, denn ich und meine Generation können wahrscheinlich pupsende Kühe essen, bis wir umfallen, wir werden nicht mehr erleben, dass unser Planet zum Mad-Max-Fanclub wird. Dieses Schicksal trifft die nachfolgenden Generationen. Der Wert, der also noch zu Umweltschutz und Recht auf Leben hinzukommt, ist die Generationengerechtigkeit. Ich hatte vorhin schon den Gesellschaftsvertrag erwähnt. Dessen Ziel ist soziale Gerechtigkeit. Er versucht zu erreichen, dass es keinem Teil der Gesellschaft so richtig kacke geht. Diese Idee lässt sich jetzt natürlich nicht nur auf die derzeit lebenden Menschen anwenden. Man kann auch noch die Menschen miteinbeziehen, die noch gar nicht geboren sind. Wenn wir sagen, wir wollen nicht, dass zukünftige Generationen unter dem Scheiß zu leiden haben, den wir verbockt haben. Dann ist das Generationengerechtigkeit.

Und jetzt wird es richtig absurd. Denn ihr habt bestimmt schon einmal was von der schwarzen Null gehört. Das ist die Idee, dass sich Deutschland nicht immer weiter Verschulden soll, damit zukünftige Generationen auch noch genug Spielraum mit den Staatsfinanzen haben. Diese Idee ist nichts anderes als Generationengerechtigkeit. Und absurderweise wird sie am vehementesten von den Parteien vertreten, die beim Umweltschutz auf Generationengerechtigkeit scheißen: CDU und SPD. Schon ein bisschen inkonsequent, oder?

Der Wertekonflikt am Grunde von Fridays for Future

Damit haben wir unseren Wertekonflikt beisammen: Wir haben also auf der einen Seite Werte wie die Schulpflicht, den Gesellschaftsvertrag, die Chancengleichheit, das Verbot auf Kinderarbeit und das Recht auf eine Kindheit. Demgegenüber stehen die Werte des Umweltschutzes, der Erhaltung der Schöpfung, die Generationengerechtigkeit und vor allem das Recht auf Leben.

Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber wenngleich beide Seiten gute Argumente haben, so habe ich dennoch eine eindeutige Antwort, welcher Wert bei dieser Abwägung am höchsten zu gewichten ist.

Das Mittel zum Zweck von Fridays for Future

Denn wir müssen noch die Frage beantworten, ob das Mittel, das FfF gewählt hat, das richtige ist. Zunächst einmal steht außer Frage, dass die Schüler*innen ein Recht auf die Demos haben. Die Versammlungsfreiheit steht in Artikel 8 des Grundgesetzes. Es ist eines der Grundrechte, der höchsten Rechte, die man in der BRD hat.

Doch müssen die unbedingt während der Schule demonstrieren? Sie könnten das doch auch Samstags machen. Diese gemeinen Schulschwänzer nennen ihre Demos „Streik“. Was ist denn das, ein Streik? Das Wort kommt vom englischen „strike“ und leitet sich wohl ursprünglich von „to strike sails“ her, also „die Segel streichen“. In diesem Satz steckt auch schon die Essenz eines Streiks. Denn dabei nutzen Arbeiter*innen die einzige Macht, die sie ihrem Arbeitgeber gegenüber haben: Die Verweigerung der Arbeitskraft. Doch, Moment: Schüler*innen haben keine Arbeitskraft, die sie durch ihren „Streik“ verweigern können. Wenn sie nicht zur Schule gehen, schaden sie damit niemand anderem als sich selbst.

Nein, „Streik“ ist eigentlich das falsche Wort. Hier ist etwas kategorial anderes im Gange. Die Schüler*innen demonstrieren deshalb während der Schulzeit, um dadurch die Öffentlichkeit auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen. Und wenn ich mir die Reaktionen von konservativer Seite angucke, funktioniert das auch ganz wunderbar! Dieses Konzept ist nicht ohne Vorbilder: Die amerikanische Bürgerrechtsbewegung um Martin Luther King und die indische Unabhängigkeitsbewegung um Mahatma Gandhi haben das Konzept weltberühmt gemacht: Was die Schüler*innen hier durchziehen, ist ziviler Ungehorsam.

Bei zivilem Ungehorsam begeht man einen kalkulierten Regelbruch: in diesem Fall wird die Schulpflicht gebrochen. Dies geschieht aber nicht als Selbstzweck wie beim Schulschwänzen, sondern als Mittel zum Zweck: Um auf ein höheres Gut aufmerksam zu machen. In diesem Fall auf das Recht auf Leben. Wesentlich für zivilen Ungehorsam ist, dass er gewaltlos abläuft, dass die Bestrafung für den Regelverstoß wissentlich in Kauf genommen wird und dass er aus einer Position der Schwäche gegenüber der Staatsmacht geschieht, da den zivil Ungehorsamen kein anderes Mittel zur Verfügung steht. All dies trifft auf FfF zu. Und die Geschichte zeigt, dass ziviler Ungehorsam ein legitimes Mittel sein kann, wenn das Anliegen gewichtig genug ist: Etwa bei der Segregation, der Besetzung Indiens oder eben beim Klimawandel.

Damit haben wir es, oder? Das ist sie, die Philosophie von Fridays for Futur. Ich hoffe, ihr konntet ein bisschen was mitnehmen …

Kritik an Platons Staat

Heute schließe ich Platons politische Philosophie ab, indem ich einerseits noch einmal erkläre, was mich an seinem Staatsmodell stört. Andererseits schreibe ich auch, wie Platon auf die Idee zu seinem idealen Staat kam. Hier als Video, darunter als Transkript …

Platons politische Philosophie

Man hat es mir bestimmt üüüüüüüberhaupt nicht angemerkt, aber für mich stellt Platons politische Philosophie den schwächsten Teil des Werks unseres großen Philosophen dar. Warum? Das will ich euch erklären. Doch zuvor stellt sich mir noch eine andere Frage. Eine Frage, die sich direkt an das letzte Mal anschließt, in der wir Platons Vorstellungen von einem perfekten Staat kennengelernt hatten:

Warum das Ganze?

Und diese Frage lautet: Warum? Wie kam Platon zu so einem – hoffentlich nich nur in meinen Augen – unglaublich reaktionären Staatsmodell? Erinnert euch dafür an das, was ich zu Platons Leben gesagt hatte: Platon war enttäuscht von der Demokratie, die Hinrichtung Sokrates’, des weisesten und gerechten Mannes, den er kannte, hatte ihn geschockt. er hatte die Demokratie als ein zutiefst ungerechtes System kennengelernt. Daher wollte er ein durch und durch von Gerechtigkeit und Vernunft geleitetes Gegenmodell entwerfen.

Damit wir Platons Hass auf die Demokratie besser verstehen und nicht komplett als stumpfen Reaktionismus abtun, sollte ich ergänzen: Die Athener Demokratie unterschied sich massiv von unserer heutigen Demokratie. So gab es keine Grundrechte, keinen Minderheitenschutz und nur einen bedingten Rechtsstaat. das System war radikal basisdemokratisch, das heißt, dass das Volk quasi alle Posten und Ämter im Staat wählte und vieles in Abstimmungen beschloss, das wir heute lieber Expertinnen überlassen. Es gab keine Gewaltenteilung: Die gleichen Menschen regierten also, erließen die Gesetze und waren Richter. Außerdem gab es keine sogenannten Checks and Balances – Also Institutionen, die darauf achten sollen, dass die Macht nicht missbraucht wird. Last not least wurden Frauen, Sklaven und Männer, die nicht in Athen geboren worden waren von den demokratischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen.

Platon hatte darüber hinaus aber auch den – sagen wir mal – „Gegenentwurf“ der 30 Tyrannen erlebt und von dieser Diktatur einer Gruppe von Aristokraten war er nicht weniger enttäuscht worden. Schließlich hatte er in Syrakus auch noch sehen können, dass ein Alleinherrscher nicht das Gelbe vom Ei ist. Schaut euch das alles am besten noch einmal in meiner Folge zu Platons Leben an.

Platon stellte sich also die Frage, wer denn nun der perfekte Herrscher sein kann, wenn doch alle in er Antike bekannten Systeme Probleme haben. Entsprechend war seine Antwort gar nicht so unvernünftig: Herrschen sollen nur Menschen, die sich eingehend mit so wichtigen Fragen wie „Was ist Gerechtigkeit?“ beschäftigt hat. Entweder müssen also die Philosophen Herrscher werden oder die Herrscher Philosophen.

Philosophen als ewige Regierungskaste

Prinzipiell spricht ja auch nichts dagegen, zu fordern, dass Politikerinnen sich schon einmal mit Moralfragen auseinandergesetzt haben. Aber begründet das Studium der Philosophie deshalb eine ewige Regierungskaste? Ich glaube nicht. Denn es gibt ein großes Problem, eine Tatsache, die für mich Platons System disqualifiziert: Menschen können sich irren.

Selbst jemand wie Platon, der extrem selbstsicher ist, weil er glaubt, die Ideen gesehen zu haben, kann sich irren. Viele der philosophischen Antworten, die Platon gibt, lehnen wir heute als falsch ab. Darüber hinaus sind Fragen der Moral nie ausschließlich Wissensfragen, wie ich schon bei Sokrates darlegte. Moral und Politik sind vor allem die Antwort auf die Frage: Wie wollen wir Leben? Auf diese Frage wurden im Laufe der Jahrtausende immer wieder neue Antworten gegeben.

Die Vorstellung besipielsweise, dass Platons Philosophenkaste von selbst auf die Idee gekommen wäre, die Sklaverei zu beenden, ist äußert fragwürdig, denn politische Systeme tendieren dazu, den Status Quo zu erhalten. Das sieht man auch an Platon: Der Aristokratensohn entwarf nicht ohne Grund ein System, das stark einer Aristokratie ähnelte: Die Macht liegt bei einer privilegierten Gruppe und wird vererbt.

Veränderung als etwas Schlechtes

Platon macht auch gar keinen Hehl daraus, dass er glaubt, Veränderung wäre etwas Schlechtes. Dies geht – genau wie seine Überzeugung, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben – auf seine Metaphysik zurück: Die Idee ist unveränderlich und perfekt. Alle Erscheinungen sind veränderlich und nur degenerierte Abbilder der Idee. Entsprechend muss jede Veränderung in seinem Staat verhindert werden – Was unter anderem zu seinem harschen Zensursystem führt.

Das ist eine sehr konservative Haltung, die im übrigen gerade heute wieder sehr populär ist: Wir sollen unsere Grenzen schließen, denn wir können all die fremden Einflüsse, die andere Kulturen mitbringen, angeblich nicht aushalten. Wir dürfen Minderheiten wie Homosexuellen oder Intersexuellen nicht mehr Rechte geben, denn so wie es jetzt ist, war es schon immer. Wir dürfen Dieselautos nicht verbieten, auch wenn sie uns vergiften, wegen der Armen Menschen, die schon immer mit Autos gefahren sind.

So eine Haltung ist eine sehr bequeme Einstellung, aber auch eine sehr gefährliche. Denn sie geht davon aus, dass die Art, wie wir leben, richtig ist und neue Einflüsse falsch. Und allzu oft in der Geschichte wurden Systeme, die derart verkrustet waren, irgendwann einfach auf die eine oder andere Weise angeschafft.

Auf institutioneller Ebene haben wir daher in der Demokratie die schon erwähnten Checks & Balances. Beispielsweise haben wir Legislaturperioden, damit wir alle vier Jahre die Chance haben, einen begangenen Fehler wieder gut zu machen, indem wir eine schlechte Regierung abwählen oder dafür sorgen, dass die AfD wieder aus den Parlamenten fliegt. Das ist sehr wichtig! Der Philosoph Karl Popper definiert Demokratie nicht als das Mehrheitsprinzip – welches ja auch Platon zum kotzen fand – sondern als die Möglichkeit zum friedlichen Machtwechsel. Die Demokratie ist genauso schlecht und fehlerhaft wie Platons Staat, aber alle vier Jahre können wir auf friedliche Art und Weise zu schlechten Regierungen sagen: Nope, Leute, so nicht. Danke für euren Beitrag, aber wir probieren mal jemanden anderen aus. Platons System sieht diese Möglichkeit nicht vor.

Was ist das Grundprinzip des Totalitarismus?

Und wo ich gerade Karl Popper erwähnt habe: Er und Bertrand Russell gehören zu den schärfsten Kritikern von Platons politischer Philosophie. Sie sagen, dass Platon die theoretischen Grundlagen für einen Totalitären Staat wie den Nationalsozialismus oder den Stalinismus geschaffen hat. Ich will nicht verschweigen, dass diese Kritik ihrerseits auch oft kritisiert wurde. Zum einen konnte Platon natürlich nicht wissen, was über 2.000 Jahre später aus seinen Gedanken gemacht wurde. Zum anderen finden sich wohl viele nitpicky Details, in denen vor allem Popper in seinem Buch „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ Platon falsch auslegt.

Aber insgesamt ist diese Kritik meiner Meinung nach auch nicht ganz von der Hand zu weisen. Und zwar wenn wir genau das machen, wozu Platon uns auffordert und eine „Was ist …?“-Frage stellen: Was ist das Grundprinzip des Totalitarismus?

Der Gedanke, der dem Totalitarismus zu Grunde liegt, ist: Dass der Staat (beziehungsweise das Volk oder die Partei) etwas größeres und besseres ist als das Individuum und dass sich daher jeder Mensch in den Dienst dieses größeren Plans zu stellen hat, sodass am Ende das Große Ganze davon profitiert. Wenn dafür eine kleine Gruppe leiden muss (Juden, Andersdenkende, Flüchtlinge, Menschen mit Grundbesitz), dann macht das nichts, denn das Totale profitiert. Und das ist im Grunde genau die Philosophie, die hinter Platons Staat steckt.

Alle Menschen sind gleich

Wir hingegen haben gerade als Antwort auf die fatalen Konsequenzen des Totalitarismus nicht den Staat in den Mittelpunkt unserer politischen Bestrebungen gesetzt, sondern das Individuum. „Alle Menschen sind gleich“ ist der dahinterstehende Grundsatz. Wichtig ist, dass die Menschen nicht in ihren Talenten oder Neigungen gleich sind sondern gleich in ihrem Status. Diese feine Nuance hat Platon mit seinem Grundsatz „Jedem das Seine“ stets übersehen. In Bezug auf Talente und Neigungen ist „Jedem das Seine“ eine feine Sache. Aber in dem Moment, in dem ich das Prinzip auf den Status von Menschen ausdehne und verlange, dass Menschen in bestimmte Kasten einsortiert werden müssen, weil das ihrer Natur entspricht, in dem Moment wird das Prinzip totalitär. Nein, im Status müssen alle Menschen stets gleich sein, das ist unsere feste Überzeugung. Der Staat ist nur dazu da, jedes einzelne Individuum zu schützen, keinen als bloßes Mittel zum Zweck des Glückes der anderen zu behandeln. Das kommt in unserem anderen, noch wichtigeren Grundsatz zum Ausdruck: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“.

Das soll es von mir gewesen sein zu Platons politischer Philosophie. Da der große Philosoph in diesem praktischen Zweig der Philosophie so episch gefailt hat, wollen wir als nächstes uns anschauen, was Platon zur theoretischen Philosophie zu sagen hat. Konkret: zur Frage, wie Erkenntnis und Wissen möglich sind.

Vorher möchte ich mich aber nochmal mit euren Fragen und eurem Feedback beschäftigen. In diesem Sinne: Schreibt mir einen Kommentar!