Kritik an Platons Staat

Heute schließe ich Platons politische Philosophie ab, indem ich einerseits noch einmal erkläre, was mich an seinem Staatsmodell stört. Andererseits schreibe ich auch, wie Platon auf die Idee zu seinem idealen Staat kam. Hier als Video, darunter als Transkript …

Platons politische Philosophie

Man hat es mir bestimmt üüüüüüüberhaupt nicht angemerkt, aber für mich stellt Platons politische Philosophie den schwächsten Teil des Werks unseres großen Philosophen dar. Warum? Das will ich euch erklären. Doch zuvor stellt sich mir noch eine andere Frage. Eine Frage, die sich direkt an das letzte Mal anschließt, in der wir Platons Vorstellungen von einem perfekten Staat kennengelernt hatten:

Warum das Ganze?

Und diese Frage lautet: Warum? Wie kam Platon zu so einem – hoffentlich nich nur in meinen Augen – unglaublich reaktionären Staatsmodell? Erinnert euch dafür an das, was ich zu Platons Leben gesagt hatte: Platon war enttäuscht von der Demokratie, die Hinrichtung Sokrates’, des weisesten und gerechten Mannes, den er kannte, hatte ihn geschockt. er hatte die Demokratie als ein zutiefst ungerechtes System kennengelernt. Daher wollte er ein durch und durch von Gerechtigkeit und Vernunft geleitetes Gegenmodell entwerfen.

Damit wir Platons Hass auf die Demokratie besser verstehen und nicht komplett als stumpfen Reaktionismus abtun, sollte ich ergänzen: Die Athener Demokratie unterschied sich massiv von unserer heutigen Demokratie. So gab es keine Grundrechte, keinen Minderheitenschutz und nur einen bedingten Rechtsstaat. das System war radikal basisdemokratisch, das heißt, dass das Volk quasi alle Posten und Ämter im Staat wählte und vieles in Abstimmungen beschloss, das wir heute lieber Expertinnen überlassen. Es gab keine Gewaltenteilung: Die gleichen Menschen regierten also, erließen die Gesetze und waren Richter. Außerdem gab es keine sogenannten Checks and Balances – Also Institutionen, die darauf achten sollen, dass die Macht nicht missbraucht wird. Last not least wurden Frauen, Sklaven und Männer, die nicht in Athen geboren worden waren von den demokratischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen.

Platon hatte darüber hinaus aber auch den – sagen wir mal – „Gegenentwurf“ der 30 Tyrannen erlebt und von dieser Diktatur einer Gruppe von Aristokraten war er nicht weniger enttäuscht worden. Schließlich hatte er in Syrakus auch noch sehen können, dass ein Alleinherrscher nicht das Gelbe vom Ei ist. Schaut euch das alles am besten noch einmal in meiner Folge zu Platons Leben an.

Platon stellte sich also die Frage, wer denn nun der perfekte Herrscher sein kann, wenn doch alle in er Antike bekannten Systeme Probleme haben. Entsprechend war seine Antwort gar nicht so unvernünftig: Herrschen sollen nur Menschen, die sich eingehend mit so wichtigen Fragen wie „Was ist Gerechtigkeit?“ beschäftigt hat. Entweder müssen also die Philosophen Herrscher werden oder die Herrscher Philosophen.

Philosophen als ewige Regierungskaste

Prinzipiell spricht ja auch nichts dagegen, zu fordern, dass Politikerinnen sich schon einmal mit Moralfragen auseinandergesetzt haben. Aber begründet das Studium der Philosophie deshalb eine ewige Regierungskaste? Ich glaube nicht. Denn es gibt ein großes Problem, eine Tatsache, die für mich Platons System disqualifiziert: Menschen können sich irren.

Selbst jemand wie Platon, der extrem selbstsicher ist, weil er glaubt, die Ideen gesehen zu haben, kann sich irren. Viele der philosophischen Antworten, die Platon gibt, lehnen wir heute als falsch ab. Darüber hinaus sind Fragen der Moral nie ausschließlich Wissensfragen, wie ich schon bei Sokrates darlegte. Moral und Politik sind vor allem die Antwort auf die Frage: Wie wollen wir Leben? Auf diese Frage wurden im Laufe der Jahrtausende immer wieder neue Antworten gegeben.

Die Vorstellung besipielsweise, dass Platons Philosophenkaste von selbst auf die Idee gekommen wäre, die Sklaverei zu beenden, ist äußert fragwürdig, denn politische Systeme tendieren dazu, den Status Quo zu erhalten. Das sieht man auch an Platon: Der Aristokratensohn entwarf nicht ohne Grund ein System, das stark einer Aristokratie ähnelte: Die Macht liegt bei einer privilegierten Gruppe und wird vererbt.

Veränderung als etwas Schlechtes

Platon macht auch gar keinen Hehl daraus, dass er glaubt, Veränderung wäre etwas Schlechtes. Dies geht – genau wie seine Überzeugung, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben – auf seine Metaphysik zurück: Die Idee ist unveränderlich und perfekt. Alle Erscheinungen sind veränderlich und nur degenerierte Abbilder der Idee. Entsprechend muss jede Veränderung in seinem Staat verhindert werden – Was unter anderem zu seinem harschen Zensursystem führt.

Das ist eine sehr konservative Haltung, die im übrigen gerade heute wieder sehr populär ist: Wir sollen unsere Grenzen schließen, denn wir können all die fremden Einflüsse, die andere Kulturen mitbringen, angeblich nicht aushalten. Wir dürfen Minderheiten wie Homosexuellen oder Intersexuellen nicht mehr Rechte geben, denn so wie es jetzt ist, war es schon immer. Wir dürfen Dieselautos nicht verbieten, auch wenn sie uns vergiften, wegen der Armen Menschen, die schon immer mit Autos gefahren sind.

So eine Haltung ist eine sehr bequeme Einstellung, aber auch eine sehr gefährliche. Denn sie geht davon aus, dass die Art, wie wir leben, richtig ist und neue Einflüsse falsch. Und allzu oft in der Geschichte wurden Systeme, die derart verkrustet waren, irgendwann einfach auf die eine oder andere Weise angeschafft.

Auf institutioneller Ebene haben wir daher in der Demokratie die schon erwähnten Checks & Balances. Beispielsweise haben wir Legislaturperioden, damit wir alle vier Jahre die Chance haben, einen begangenen Fehler wieder gut zu machen, indem wir eine schlechte Regierung abwählen oder dafür sorgen, dass die AfD wieder aus den Parlamenten fliegt. Das ist sehr wichtig! Der Philosoph Karl Popper definiert Demokratie nicht als das Mehrheitsprinzip – welches ja auch Platon zum kotzen fand – sondern als die Möglichkeit zum friedlichen Machtwechsel. Die Demokratie ist genauso schlecht und fehlerhaft wie Platons Staat, aber alle vier Jahre können wir auf friedliche Art und Weise zu schlechten Regierungen sagen: Nope, Leute, so nicht. Danke für euren Beitrag, aber wir probieren mal jemanden anderen aus. Platons System sieht diese Möglichkeit nicht vor.

Was ist das Grundprinzip des Totalitarismus?

Und wo ich gerade Karl Popper erwähnt habe: Er und Bertrand Russell gehören zu den schärfsten Kritikern von Platons politischer Philosophie. Sie sagen, dass Platon die theoretischen Grundlagen für einen Totalitären Staat wie den Nationalsozialismus oder den Stalinismus geschaffen hat. Ich will nicht verschweigen, dass diese Kritik ihrerseits auch oft kritisiert wurde. Zum einen konnte Platon natürlich nicht wissen, was über 2.000 Jahre später aus seinen Gedanken gemacht wurde. Zum anderen finden sich wohl viele nitpicky Details, in denen vor allem Popper in seinem Buch „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ Platon falsch auslegt.

Aber insgesamt ist diese Kritik meiner Meinung nach auch nicht ganz von der Hand zu weisen. Und zwar wenn wir genau das machen, wozu Platon uns auffordert und eine „Was ist …?“-Frage stellen: Was ist das Grundprinzip des Totalitarismus?

Der Gedanke, der dem Totalitarismus zu Grunde liegt, ist: Dass der Staat (beziehungsweise das Volk oder die Partei) etwas größeres und besseres ist als das Individuum und dass sich daher jeder Mensch in den Dienst dieses größeren Plans zu stellen hat, sodass am Ende das Große Ganze davon profitiert. Wenn dafür eine kleine Gruppe leiden muss (Juden, Andersdenkende, Flüchtlinge, Menschen mit Grundbesitz), dann macht das nichts, denn das Totale profitiert. Und das ist im Grunde genau die Philosophie, die hinter Platons Staat steckt.

Alle Menschen sind gleich

Wir hingegen haben gerade als Antwort auf die fatalen Konsequenzen des Totalitarismus nicht den Staat in den Mittelpunkt unserer politischen Bestrebungen gesetzt, sondern das Individuum. „Alle Menschen sind gleich“ ist der dahinterstehende Grundsatz. Wichtig ist, dass die Menschen nicht in ihren Talenten oder Neigungen gleich sind sondern gleich in ihrem Status. Diese feine Nuance hat Platon mit seinem Grundsatz „Jedem das Seine“ stets übersehen. In Bezug auf Talente und Neigungen ist „Jedem das Seine“ eine feine Sache. Aber in dem Moment, in dem ich das Prinzip auf den Status von Menschen ausdehne und verlange, dass Menschen in bestimmte Kasten einsortiert werden müssen, weil das ihrer Natur entspricht, in dem Moment wird das Prinzip totalitär. Nein, im Status müssen alle Menschen stets gleich sein, das ist unsere feste Überzeugung. Der Staat ist nur dazu da, jedes einzelne Individuum zu schützen, keinen als bloßes Mittel zum Zweck des Glückes der anderen zu behandeln. Das kommt in unserem anderen, noch wichtigeren Grundsatz zum Ausdruck: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“.

Das soll es von mir gewesen sein zu Platons politischer Philosophie. Da der große Philosoph in diesem praktischen Zweig der Philosophie so episch gefailt hat, wollen wir als nächstes uns anschauen, was Platon zur theoretischen Philosophie zu sagen hat. Konkret: zur Frage, wie Erkenntnis und Wissen möglich sind.

Vorher möchte ich mich aber nochmal mit euren Fragen und eurem Feedback beschäftigen. In diesem Sinne: Schreibt mir einen Kommentar!

Platon – Erziehung und Zensur

Heute beginne ich, mich in Platons politische Philosophie hineinzustürzen. Bevor wir die Verfasstheit von Platons idealem Staat kennenlernen, beschäftigen wir uns zunächst mit den Grundbedingungen. Welche Maßnahmen müssen in der Erziehung getroffen werden, um den idealen Staat vorzubereiten? Das heißt für Platon vor allem eines: Zensur. Ihr könnt das als Video ansehen oder darunter das Transkript lesen.

Der Staat

Wir hatten den Dialog über die Frage verlassen, was Gerechtigkeit ist und werden über diese auch wieder zu ihm zurückkehren. In „Der Staat“ werden noch viele klassische Probleme und Thesen der Ethik besprochen: So zum Beispiel die später noch oft vertretene These, dass die Menschen von Natur aus egoistisch sind und sich nur deshalb auf gerechte Gesetze geeinigt haben, um zu verhindern, dass sie selbst einen Nachteil erleiden.

Doch, wie gesagt, für uns wird es nun Zeit, mal langsam in Platons Utopie hineinzuschauen. Also in Platons Vision für einen idealen Staat. Dieser Dialog ist übrigens die erste aller uns bekannten Utopien. Es ist also das erste Mal, dass das Modell einer idealen Gesellschaftsform entworfen wurde. Alle großen Entwürfe der Politikwissenschaft von Aristoteles über Machiavelli, Hobbes, Locke, Montesquieu und natürlich Thomas Morus bis hin zu Hegel, Marx und John Rawls stehen in seiner Tradition. Die Frage ist nur, ist dieser, Platons Staat auch wirklich so ideal? Lasst uns in den Text reinschauen:

Nachdem die Gesprächsrunde in Kephalos‘ Haus nicht so recht vorankommt mit ihrer Untersuchung, was denn Gerechtigkeit ist, macht Sokrates schließlich einen Vorschlag: Manchmal lassen sich Probleme besser klären, wenn man einen Schritt zurücktritt und versucht, das große Ganze zu betrachten. Statt zu sagen, was den einzelnen Menschen gerecht macht, lässt sich ja vielleicht klären, was für einen gerechten Staat wesentlich ist.

Wie das so seine Art ist, legt Platons Sokrates aber wieder einmal nicht gleich die Karten auf den Tisch, sondern dreht eine Extrarunde, ganz als ob er Kilometergeld bekommen würde. Bevor er beginnt, die Institutionen des idealen Staates zu beschreiben, fragt Sokrates sich also zunächst, was denn die Grundvoraussetzungen sind, unter denen ein solcher Staat überhaupt möglich ist. Dabei kommt er ganz schnell darauf, dass man bei Bildung und Erziehung ansetzen müsse, wenn man überhaupt irgendwas erreichen will.

Zensur

Diesen Ausgangspunkt nutzt Platon, um mal so richtig schön tief in die Kiste des Konservatismus zu greifen und auch ordentlich im Regal des Reaktionismus zu kramen. Denn Platon hielt es für problematisch, dass bereits Kinder in den Schulen Griechenlands mit Schundliteratur in Kontakt kamen oder zumindest dem, was Platon dafür hielt. Das erinnert mich übrigens sehr an meine Schulzeit und die Einstellung von so manchem Lehrer. Überhaupt ist es spannend, wie Kulturpessimisten in ihren Argumenten immer wieder zu Platon zurückkehren. Aber das nur am Rande, wir werden in einer anderen Folge darauf zurückkommen. Aus seiner Analyse heraus, dass es zu viel literarischen Schrott gibt, zog Platon jedenfalls die Schlussfolgerung, dass es für die Etablierung eines ideale Staates eine strenge Zensur von Literatur und Musik geben müsse. Mütter, Ammen und Lehrerinnen sollten Kindern nur von der Zensur genehmigte Geschichten oder Lieder vortragen dürfen, um sicherzustellen, dass sie die Erziehung nicht von vornherein versauen. Ich hoffe, euch wird bei diesen Worten ähnlich mulmig zumute wie mir.

Insbesondere die Klassiker von Homer und Hesiod wollte Platon verbieten, weil sie die Götter zu negativ darstellen. Platon lehnte das klassische polytheistischen Weltbild der alten Meister ab. In Griechenlands Vielgötterreligion gab es quasi für jedes Phänomen auf der Erde einen passenden Gott. Platon vertrat hingegen die Ansicht, dass die Götter nur für das Gute in der Welt verantwortlich sind und die Menschen das Schlechte selbst zu verantworten haben. Meinungen zu verbreiten, die davon abweichen, hielt er für schädlich, weswegen Platon Gotteslästerung unter Strafe stellen wollte. Insbesondere war ihm die griechische Vorstellung ein Dorn im Auge, dass der Hades ein schlechter Ort ist. Die Erziehung müsse darauf abzielen, dass sich der Einzelne bereitwillig auf dem Schlachtfeld opfert, weswegen keine Angst vor dem Tod gelehrt werden dürfe.

Diese religiöse Zwecklehre, die Menschen zu Kriegsmaterial reduziert, ist schon schlimm genug, dennoch ist Platon noch nicht am Ende. Er beginnt vollkommen abzudrehen und will alles von der Zensur verbieten lassen, das nicht seinen persönlichen Idealvorstellungen entspricht. Zum Beispiel kritisiert er Homer, der schreibt, die Götter würden lachen. Das muss verboten werden, denn der Anstand verbietet lautes Gelächter! Außer den Regenten soll es ferner jedem verboten sein, zu lügen. Die Regenten dürfen gegenüber Feinden des Staates lügen. Aber die normalen Bürger nicht.

Die Funktion von Sprache

An dieser Stelle muss ich einhaken, meine moralische Empörung mal kurz beiseite legen und einfach mal bitten, euch vorzustellen, wie ein absolutes Lügenverbot in der Praxis aussehe. Sie würde beispielsweise zu folgenden Dialogen führen:

 

„Wie hat dir mein Essen geschmeckt?“

„Es war das widerlichste, was ich je gegessen habe!“

 

„War es für dich so gut, wie für mich?“

„Nein, du bist ein grauenhafter Liebhaber!“

 

„Mein Vater ist gestorben.“

„Zum Glück, der war ja ein Riesenarschloch!“

 

Platon hat hier eine komplett eindimensionale Vorstellung von Sprache. Die Wahrheit ist für ihn das einzige Gut im Gespräch. Dass es auch andere Ideale gibt, dass Sprache zum Beispiel auch eine soziale Funktion hat, übersieht er vollkommen.

Verbotswahn

Aber Platon geht in seinem Verbotswahn noch weiter als selbst ein CSU-Mitglied in der Einschränkung von Bürgerrechten: In der Literatur – so Platon, nicht die CSU – darf keine Textstelle vorkommen, in der jemand einen Vorgesetzten kritisiert, da dies zu ungehorsam gegenüber dem Staat führen könnte. Okay, vielleicht könnte das doch auch von der CSU kommen …

Anyway: Platon war außerdem, wie wir schon mehrfach gesehen haben, ein riesiger Lustfeind. Deswegen gehören Beschreibungen von Trunkenheit und Sex natürlich auch zensiert. Helden in Geschichten dürften ihre Heldentaten nicht gegen Geld anbieten, so fährt er fort, und es darf keine Geschichten geben, in denen der Schlechte glücklich, der Gute aber unglücklich ist.

Zu guter Letzt kritisiert Platon noch direkte Rede in Epen und Dramen. Und ich kann wirklich nur noch WTF sagen! Platon findet die direkte Rede kacke, weil bei ihr nachgeahmt wird. Das ist für ihn schon widerlich genug, erinnert es doch an die Welt der Erscheinungen, die die Ideen nur „nachahmt“. Was für Platon bedeutet, dass sie nicht wahr ist.

Am besten ist es also, wenn auf Nachahmung ganz verzichtet wird, aber wenn sie sich nicht komplett verbieten lassen, dann sollen in Dramen zumindest nur gute Menschen vorkommen, damit niemand in die Verlegenheit kommt, schlechte Menschen schauspielen zu müssen. Die Forderung nach griechischen Dramen, in denen alle lieb und artig sind, ist ungefähr so sinnvoll, als würden wir verlangen, dass heutzutage nur noch Horrorfilme mit einer Altersfreigabe ab 6 Jahren gedreht werden dürfen.

Auch für die Musik, die Justiz, die Medizin und sogar für das Essen hatte Platon ähnlich rigorose Vorstellungen. Aber darauf möchte nicht so detailliert eingehen. Insgesamt entsteht ein Bild von Erziehung und Kultur, mit dem sich auch der IS sehr gut anfreunden könnte. Platons Vorstellungen zur Zensur der Literatur aber finde ich mit am niederträchtigsten.

Die eigenen Existenzbedingungen ignorieren

Und zwar weil ich mich von Platon persönlich betrogen fühle. Denn was er hier tut und was noch viele Philosophen und Autorinnen nach ihm tun werden, ist, seine eigenen Existenzbedingungen zu ignorieren. Er selbst war ein Produkt der liberalen griechischen Kultur. Er selbst konnte seine Philosophie nur betreiben, weil es keine derartige Zensur gab. Und er selbst hatte in Syrakus am eigenen Leib gespürt, was es bedeutet, wenn Freidenker unterdrückt werden.

Dennoch macht er sich massiv für Zensur stark, solange es nur seine Zensur ist. Platon glaubt, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben. Irrtum ausgeschlossen. Im Namen der Gerechtigkeit darf er bestimmen, was andere zu sagen, ja sogar zu denken haben. Platon vertritt einen moralischen Doppelstandard: Das, was er für sich selbst einfordert, nämlich die herrschenden Verhältnisse zu kritisieren, das will er anderen nicht zugestehen, sobald er erst einmal an der Macht ist.

Das ist eine Denkweise, die heutzutage die AfD immer wieder an den Tag legt. Wenn sie die Errungenschaften der liberalen Demokratie wie Asylrecht, Gleichberechtigung der Frau oder ein geeintes friedliches Europa immer und immer wieder in Frage stellt, dann nutzt sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung über die Grenze des Erträglichen aus. Zugleich beschimpft sie die politischen Gegner, sobald diese das gleiche Recht für sich in Anspruch nimmt. Jammert über Meinungsdiktatur, sobald ihr klar wird, dass die Mehrheit in diesem Land anders denkt und will Religionen verbieten, Politikerinnen ausweisen und was weiß ich nicht noch alles.

Platon Motivation freilich war eine andere als der stumpfe Nationalismus der AfD: Er wollte das echte, wahre Gute erreichen und glaubte nur mit diesen Mitteln einen idealen Staat durchsetzen zu können. Aber seine angestrebten Mittel waren dabei die gleichen, wie sie später immer und immer wieder von reaktionären Kräften missbraucht wurden. Platon, der in einem freien Land ohne viel Zensur lebte, wollte die Zensur einführen, wodurch es unmöglich würde, so frei zu denken und zu reden, wie er selbst es tat. Vielen Dank fürs Mitspielen, Herr Platon, aber so nicht!