Sprachanalyse 2: „Hängt die Grünen“

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Daniel
spricht über Sprache

Was hat das rechtsradikale Plakat denn nun wirklich ausgesagt?

Heute widme ich mich der Debatte um das Wahlplakat „Hängt die Grünen“ der rechtsradikalen Partei „Der 3. Weg“. Es gab wechselnde Beschlüsse, ob dieses abgehängt werden muss oder nicht, je nach der Interpretation, worauf sich dieses „die Grünen“ bezieht. Ich zeige auf, wie hier interpretiert wurde und was meines Erachtens die richtige Interpretation ist.

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Automatisiertes Transcript

Hallo, mein Name ist Daniel und ich möchte euch von Philosophie erzählen. Genauer gesagt habe ich mal seit längerer Zeit wieder so ein Thema, was mir auf dem Herzen brennt. Ich habe lange nicht mehr so eine freie Podcastfolge gemacht und deswegen dachte ich mir, das hole ich doch mal nach. Vor Jahren mittlerweile habe ich ja mal was zu Sprachanalyse gemacht und
da dachte ich mir, das könnte ich doch einfach mal wiederholen und Sprachanalyse an einem konkreten, aktuellen Beispiel betreiben. Da kommt noch hinzu, dass ich euch ja auch mal vor anderthalb Jahren jetzt
versprochen hatte, dass ich was zur neuen Rechten machen möchte und es ist auch nie wirklich geschehen, weil dann Corona kam und mein Leben auf den Kopf gestellt hat. Aber jetzt kann ich beides kombinieren, denn es gibt ein aktuelles Thema, das mich umgetrieben hat und zu dem ich ein paar Worte sagen wollte.

Ihr habt das bestimmt schon am Folgentitel gelesen, es geht um dieses unsägliche Plakat der Rechtsextremen Partei, der dritte Weg auf dem Stand, hängt die Grünen. Klein darunter noch, macht unsere Nationale Revolutionäre Bewegung durch Plakatwerbung in unseren Parteifarben in Stadt und Land bekannt. Da muss ich ja zunächst einmal dieses Prädikat national revolutionäre Bewegung. Unter die Lupen nehmen, denn hier sehen wir schon mal Exemplarisch völkisches Denken. Hier wird von einer Revolution gesprochen und was kann es nur für eine Revolution sein in diesem Land, in dem wir leben
muss sich hierbei um eine Revolution gegen die liberale Demokratie handeln
und an deren Ende soll so das Linksatribut national ein Nationalismus stehen. Die Frage, die sich daran natürlich direkt anschließt, ist, was soll denn in einer solchen Nationalrevolution mit Menschen geschehen, die nicht deutsch genug sind für diese Revolution, äh deutsch genug in Anführungszeichen, bitte.
Also hier haben wir schon fast unverholene Vernichtungsfantasien möchte ich mal vermuten. Oder zumindest, also hier geht es nicht mehr nur um strengere Einwanderungsgesetze oder Austritt aus der EU. Wie schlimm es auch wäre
sondern hier wird schon schwatroniert über wirklich einen Kampf gegen unsere Art zu leben. Jedenfalls hat dieses Plakat in den letzten Wochen für einiges an Aufruhr gesorgt. Zunächst gab es Proteste, da die Staatsanwaltschaft Zwickau nicht dagegen vorgehen wollte, dann entschloss ich die. Zwickau, die Plakate abzuhängen, woraufhin das Verwaltungsgericht entschieden hat.

Die Plakate Forst hängen bleiben dürfen. Allerdings nur in 100 Meter Entfernung zu Wahlwerbung der Grünen. Stadt Zwickau hatte dann angekündigt, gegen diese Entscheidung Beschwerde beim sächsischen Oberverwaltungsgericht einlegen zu wollen, dass das Verwaltungsgericht hier geurteilt hat, dass die Plakate hängenbleiben dürfen, passt natürlich schön in das Narrativ, dass es in Sachsen nur Nazis gibt und wurde auch entsprechend auf Twitter kommentiert. Die Begründung war dann aber ein etwas
andere. Und zwar sagte das Gericht, dass sich eben eine Doppeldeutigkeit bei diesen Plakaten ergebe, aus dem zweiten Satz, der in kleinerer Schrift unter dem Aufruf hängt die Grünen steht, nämlich macht unsere nationale revolutionäre Bewegung durch Plakatwerbung.

In unseren Parteifarben in Stadt und Land bekannt. Was das Gericht hier gemacht hat ist das sogenannte Fregeprinzip der Bedeutung anzuwenden
ich bin fast fertig mit meiner nächsten Aristoteles-Folge, die wird auch in Kürze hier auf dem Feed erscheinen. Und dann äh werde ich da nochmal ausführlicher auf das Pflegeprinzip eingehen man fasst es umgangssprachlich oder zumindest in meinem Studium habe ich da immer die Formulierung gehört das Wort bekommt erst im Satz Zusammenhang Bedeutung. Das heißt, dass äh das Gericht hier sagt, dass das Wort die Grünen im Gesamtzusammenhang des Plakates als Pas Pro Toto verwendet wird für die grünen Plakate. Das ist zunächst einmal eine.

Sprachphilosophische oder sprachanalytische Analyse, es ist doppelt gemobbelt, dieses Plakates, also aus dem Pflegeprinzip ergibt sich das eben, dass sich zum Beispiel die Bedeutung des Wortpilz erst dadurch ergibt, das aus dem Satzzusammenhang klar wird, ob ich mich in einer Kneipe oder im Wald befinde. Bei letzterem spielt wahrscheinlich auch noch die Rolle, ob Vatertag ist oder nicht. Und dieses Prinzip hat das Gericht also angewendet.
Das ist also eine gültige Analyse, die es vorgenommen hat. Es ist aber nicht die einzig mögliche Analyse. Zum einen können wir, wenn wir eine größere semantische Einheit betrachten.

Als eben diese größere Semantische Einheit nicht nur das Plakat selbst
in Augenschein nehmen, sondern eben auch den Kontext, in dem dieser komplette Satz sich befindet. Und wenn wir jetzt sehen, dass wir uns gerade in einem Bundestagswahlkampf befinden, dann liegt das wieder in Interpretation nahe, die den Begriff die Grünen unabhängig von der konkreten Satzbedeutung auf die Partei, die Grünen überträgt, die aktuellen Lieblingsgegner der extremen Rechten. Und diese Lesart bekommt jetzt auch einen zusätzlichen Nachdruck, wenn man noch eine weitere Analyseebene mit betrachtet, nämlich die pragmatische Denn das verdeutlichte uns die Philosophie im Anschluss an den Linguistik Turn, sprachliche Äußerungen sind immer auch Handlungen
nach Journal Austin haben Äußerungen immer drei Dimensionen, Lokution, Illokution und Perlokotion.

Und weil kein normaler Mensch mit diesem Zungenbrecher was anfangen kann, können wir auch sagen, eine Äußerung hat immer einen Inhalt
sie spielt eine Rolle in einem Sprachspiel und sie hat eine intendierte Wirkung
Und jetzt schauen wir uns dieses Plakat nochmal an. Auf der Inhaltsebene geht es hier tatsächlich möglicherweise um das Aufhängen von Plakaten. Aber
Jetzt fragen wir uns als nächstes, was ist denn die Rolle im Sprachspiel? Das Sprachspiel, das aktuell gespielt wird, ist der Wahlkampf. Und die Rolle von Wahlplakaten in diesem Sprachspiel Wahlkampf.

Entweder die eigenen politischen Positionen prägnant auf den Punkt zu bringen. Das findet hier nicht statt. Allenfalls ganz periphär, eben durch dieses Nationalrevolutionäre Bewegung. Aber Wahlplakate können noch eine
zweite Möglichkeit aufmachen und das ist die eigene Basis durch Unmut über den politischen Gegner zu mobilisieren und so zur Wahlurne zu bringen. Womit wir dann zu Perlokotion, also zur intendierten Wirkung von Wahlplakaten kommen denn was sie bewirken wollen ist, dass Menschen meiner Partei ihre Stimme geben was Wahlplakate in der Regel nicht oder ich würde sogar nicht sagen, in der Regel, sondern eigentlich niemals bewirken wollen, ist es, dass Menschen mehr Plakate aufhängen. Niemand, keine Partei möchte, dass die WählerInnen hingehen und Plakate aufhängen. Das machen die Anhänger der Partei.

Sollen an der Wahlurne ihr Kreuz machen bei der richtigen Partei. Und wenn wir jetzt noch einmal auf das Nationalevolutionär zurückkommen
in dem kleingedruckten Teil des Plakates, dann spricht es eine klare Sprache. Hier wird ein implizites Versprechen gegeben, dass, wenn es zur nationalistischen Revolution kommt, dann werden die Grünen gehängt und deswegen sollen die Leute dritte Weg wählen. Ganz frisch heute, als ich diese Folge aufnehme.

Hat das auch das Oberverwaltungsgericht Sachsen so gesehen und hat die Plakate jetzt endgültig verboten. Gegen dieses Urteil kann auch nicht mehr in Revision gegangen werden. Und die Begründung lautete, die Aussage hängt die Grünen, beziehe sich nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums vor dem Hintergrund des Bundestagswahlkampfes auf die Mitglieder der Partei Bündnis die Grünen. Das Oberverwaltungsgericht hat also genau, wie ich’s im ersten Teil gesagt habe, wieder das Frege-Prinzip angewendet hat, nur eben nicht mehr bloß dieses Plakat in Augenschein genommen, sondern einen noch größeren semantischen Kontext. Und mit diesen, meines Erachtens vollkommen zurecht geurteilt,
ist hier nur eine mögliche Schlussfolgerung gibt, auf was sich hängt die Grünen bezieht.

Ja. In diesem Sinne, wenn ihr das hier noch vor der Wahl hört, dann geht wählen und gebt einer demokratischen Partei eure Stimme um Hamilton zu zitieren, unsere Demokratie ist eine. Wir müssen permanent an ihr fortschreiben, um sie gegen unsere Feinde zu verteidigen. Und wenn ihr das hier erst nach der aktuellen Wahl hört, dann kommt die nächste Wahl bestimmt und es gibt andere und viele Möglichkeiten am demokratischen Prozess zu partizipieren. Außerdem hoffe ich, ich habe euch mal wieder ein bisschen was gezeigt, was man damit machen kann, mit Philosophie, wenn ihr es zum Beispiel gerade studiert oder allgemein euch fragt, was komischen Eierköppe da den ganzen Tag so treiben und was das alles für Sinn und Zweck hat. Und an dieser Stelle bleibt mir dann nicht mehr mehr zu sagen, als. Ich danke euch, dass ihr mir eure Zeit geschenkt habt.

Paul Watzlawick – Man kann nicht nicht kommunizieren

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Daniel
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Mein Corona-Tagebuch der schönen Gedanken – Die verschollene Folge 17

Heute geht es um Pragmatik. Sie ist neben Syntax und Semantik eine der drei wesentlichen Arten, Sprache zu analysieren. Pragmatik beschäftigt sich mit dem Handlungsaspekt von Sprache und in ihrem Zentrum steht der Begriff der Kommunikation. Was ist Kommunikation? Was macht sie besonders? Und warum kann man sich ihr nicht entziehen?

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Paul Watzlawick – Man kann nicht nicht kommunizieren

Mein Corona-Tagebuch der schönen Gedanken – Teil 17

Heute geht es um Pragmatik. Sie ist neben Syntax und Semantik eine der drei wesentlichen Arten, Sprache zu analysieren. Pragmatik beschäftigt sich mit dem Handlungsaspekt von Sprache und in ihrem Zentrum steht der Begriff der Kommunikation. Was ist Kommunikation? Was macht sie besonders? Und warum kann man sich ihr nicht entziehen?

 

Intention und Intension – Der Gang der Gauchos

Deutschland diskutiert die sogenannte Gaucho-Affäre. Stein des Anstoßes war dieses Auftreten von Teilen der deutschen Nationalmannschaft.

Nun gibt es eine Fraktion, die sich gewaltig aufregt, wie rassistisch dieser Tanz war.

Quelle: Reactiongifs. Lizenz: fragwürdig.

Während die andere Fraktion sich gewaltig aufregt, dass die erste Fraktion keine Ahnung hat, weil der Tanz doch gar nicht rassistisch gemeint war.

Quelle: Reactiongifs. Lizenz: fragwürdig.

Ich finde hieran kann man sehr schon den Unterschied zwischen zwei Begriffen der Semantik erkennen: Intention und Intension. Der erste Begriff „Intention“ ist landläufig bekannt und meint in etwa:

  • Was ist mit einem Symbol gemeint
  • Was ist die Absicht eines Symbols

Und vielleicht auch noch:

  • Was denkt man sich bei einem Symbol

Wobei das schon in Richtung der Intension geht. Oder gar:

  • Was bezweckt man mit einem Symbol

Das wiederum spielt in Illokution und Perlokution hinein, aber das ist Sache der Pragmatik und wurde bereits ein andermal besprochen

Die Fraktion, die also meint, man soll sich mal locker machen, wäre doch alles halb so schlimm. Die begründet das mit der Intention. Das Symbol ist in diesem Fall der Gaucho-Tanz: Die DFB-11 hat diesen nicht rassistisch gemeint, es war nicht die Absicht der DFB-11, rassistisch zu wirken, sie hatten keine rassistischen Gedanken und der Tanz hatte auch nicht bezweckt, einen neuen Nationalismus zu promoten. Das alles gestehe ich den weltmeisterlichen Tänzern auch zu. Das von Einwanderern und Einwanderernachkommen geprägte Team hatte bestimmt nicht die Absicht Rassismus zu propagieren, dafür werden sie von den Fußballerverbänden zu oft und zu intensiv auf Toleranz eingeschworen.

Was ist gutes Bier?

Also ist alles super, oder? Na ja, ich hatte da ja noch diesen zweiten Begriff: die Intension. Der stammt aus der Semantik und ist weitaus weniger bekannt als die Intention. Was hat es mit ihm auf sich? Die Intension ist der Sinn eines Symbols, seine Bedeutung (aber nicht im Fregeschen Sinn (haha…)). Sie stammt aus dem Begriffspaar Extension und Intension. Jeder Begriff hat eine Extension, einen Begriffsumfang. Wenn ich von „Bier“ spreche, bezieht sich dieser Begriff auf alle Dinge in der Welt, die Bier sind. Diese Dinge sind die Extension des Begriffs. Wenn ich hingegen von „Pils“ spreche, wird die Erfüllungsklasse des Begriffs kleiner und es fallen nur noch Biersorten darunter, die auf eine bestimmte Art und Weise gebraut wurden – die Extension ist also kleiner. Und richtig kompliziert wird es, wenn ich den Begriff „gutes Bier“ verwende. Die Extension dieses Ausdrucks ist äußerst verworren und führt etwa zwischen Köln und Düsseldorf immer wieder zu heftigen Diskussionen. Woran liegt das? Meine steile These: An der weiten Hälfte des Begrifffspaars Extension und Intension: der Intension. Die Intension, also der Sinn von „gut“ ist äußerst verworren und vor allem im höchsten Maße subjektiv.

Das Standardbeispiel mit dem Philosophie- und Linguistikstudierende Intension und Extension erlernen müssen ist Freges berühmtes Beispiel von „Abendstern“ und „Morgenstern“. Beide Begriffe haben die gleiche Extension: den Planeten Venus. Aber höchst unterschiedliche Intensionen: Ich kann zwar vom Morgenstern sagen, dass er der letzte Stern ist, den ich morgens am Himmel sehe. Aber das kann ich nicht vom Abendstern sagen…

Kehren wir jetzt zum Gaucho-Tanz zurück. War der jetzt rassistisch? Wie, zur Hölle, soll ich das entscheiden?! Ihr habt gesehen, wie kompliziert die Intension von so simplen Symbolen wie „Morgenstern“, „Abendstern“ oder gar „gutes Bier“ ist, aber das ist nichts gegen die Bedeutung eines so komplexen Symbols wie eines Tanzes. Schon alleine weil ich dafür erst einmal ganz tief in die Metapherntheorie einsteigen müsste und so Sachen wie „Ausdruck“ erläutern müsste!

Aber eines ist wichtig: Nach Wittgenstein ist die Bedeutung (im Sinne von Intension) eines Begriffs, sein Gebrauch in der Sprache. Und wir können hier ohne Probleme „Begriff“ durch „Symbol“ und „Sprache“ durch „Symbolsystem“ ersetzen. Was Wittgenstein mit diesem lyrischen Satz meint, ist, dass die Regeln der Verwendung eines Symbols bestimmen, was das Symbol aussagt. Der Gaucho-Tanz nun hat auf jeden Fall rassistische Bedeutungskomponenten, denn es wird einer Bevölkerungsgruppe (Argentiniern) eine Eigenschaft zugesprochen (geknickt zu gehen). Die Frage ist jetzt, ob „Gaucho“ metaphorisch nur für die argentinische Nationalmannschaft verwendet wurde und ob die Gangart dieser Mannschaft oder gar der Bevölkerungsgruppe wirklich als Wesenszug oder nur als ephemeres Attribut in der Niederlage zugeschrieben wurde. Die Verwendungsweise des Symbols ist eben unklar. Dabei ich habe noch nicht einmal mit Konnotationen angefangen…

Und wissta was? Genau das handeln wir gerade in der laufenden Debatte aus. Denn die Bedeutung von Symbolen steht nicht fest, sondern wandelt sich ständig. Rosa symbolisierte noch im 19. Jahrhundert Männlichkeit, doch der Gebrauch des Symbols hat sich massiv gewandelt!

Imperial Art Appreciation: Pink

Imperial Art Appreciation: Pink von JD Hancock Lizenz: CC BY 2.0.

Daher ist die aktuelle Diskussion nicht nervig sondern wichtig und richtig, damit wir die Bedeutung solcher Symbole in unserer Gesellschaft aushandeln können.

P.S.: Für mich ist übrigens ganz unstrittig, dass der Tanz zumindest hämisch war und das macht ihn und die Tänzer mir unsympathisch. Nicht so unsympathisch, dass ich nie wieder Fußball ansehen werde, aber er trübt mein Bild von der Mannschaft ein bisschen. Und da hilft der Hinweis darauf, dass es sich um einen etablierten Fangesang handelt nur wenig, denn nicht alles was in Fußballstadien passiert gefällt mir. So war ich zum Beispiel ungläubig verwundert als beim letzten Derby zwischen meiner Eintracht und Mainz, eine Mutter zwei Reihen vor mir „Alle Mainzer sind Hurensöhne“ skandierte, obwohl ihre vielleicht 10-Jährige Tochter daneben stand. Vielleicht sollte für Fußballstadien gelten, was für Vegas gilt:

panorama (Bearbeitung von mir) von  Martin Abegglen . Lizenz: CC BY-SA 2.0
panorama (Bearbeitung von mir) von Martin Abegglen. Lizenz: CC BY-SA 2.0

 

Literatur

Austin, John L. 1966. “Three Ways of Spilling Ink.” The Philosophical Review 75, 427-440. Printed in 1961, James O. Urmson and Geoffrey J. Warnock (eds.), Philosophical Papers (pp. 272-287). Oxford: Clarendon Press.

– Habe ich leider nirgends im Netz gefunden, über Hinweise freue ich mich…

Gottlob Frege: Sinn und Bedeutung. Hier legal und umsonst.

Nelson Goodman: Sprachen der Kunst*

Ludwig Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen*

 

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digital und analog

Ich habe eine neue Podcastempfehlung für Sie, werte Leser: n00bcore. Dort geht Fiona, als eine, die keine Ahnung hat, der Frage nach, was eigentlich ein Computer ist und wie er funktioniert. Als einer, der keine Ahnung hat, macht mir das sehr viel Spaß anzuhören. In der letzten Folge interviewte sie beispielsweise Tim Pritlove zur Frage, was „analog“ und „digital“ bedeutet.

Nun trifft es sich zufällig, dass ich selbst dann doch ein bisschen Ahnung habe, was analog und was digital ist. Und so muss ich hier mal ein wenig klugscheißen, wie die beiden schon ganz richtig prognostiziert haben. Aber Sie, werte Leserinnen, kennen meinen Stil und wissen, dass ich diese Einleitung – im Stile der Simpsons – nutzen werde, um auf etwas anderes abzuschweifen. Ich will jetzt nicht bei jedem Satz des erwähnten Podcasts den Finger in die Wunde legen und schreien: „Ätsch, stimmt nicht!“, sondern die Philosophie von Nelson Goodman hier vorstellen.

Denn, wann immer in diesem Internet die Rede vom Digitalen ist, wundert es mich ein wenig, dass niemand Goodman ins Spiel bringt. Aber eigentlich wundert es mich nicht sonderlich, denn ich kenne die mutmaßliche Antwort. Dass Goodman nicht den Ruhm im Digitalen erhält, der ihm gebührt, liegt sicherlich an dreierlei:

Erstens ist Goodman hierzulande nicht sonderlich bekannt. Sage ich „Russell“ oder „Quine“, dürfte ein wissendes Nicken durch die Reihen meiner Leserinnen gehen, sage ich hingegen „Goodman“, ist die Reaktion wohl eher: Dafuq?

Zweitens ist Goodman nicht leicht zu lesen, sondern gehört in die Königsklasse der Philosophie. Zwar sind seine Texte sprachlich ein Genuss, aber inhaltlich eben eine harte Nuss. Ich hatte das Glück, seine Texte im Sprachwissenschaftsstudium seziert zu bekommen umd werde wohl dennoch die eine oder andere Definition für diesen Post nachschlagen müssen. (Musste ich dann doch nicht. Yeah!)

Drittens macht Goodmans Hauptwerk nicht den Eindruck, als hätte es viel mit Computern und Digitalität zu tun, denn es heißt: Sprachen der Kunst.*

Nichtsdestotrotz ist Goodmans Philosophie fantastisch geeignet, zu erklären, was analog und digital bedeutet, denn er liefert eine Definition, die mir absolut wasserdicht zu sein scheint.

Weisen der Welterschließung

Die Frage, die sich zuerst stellt, lautet: was kann denn eigentlich analog respektive digital sein? Die Antwort: Ein Symbolschema oder ein Symbolsystem. Die Welt selbst ist weder digital noch analog. Die Welt ist einfach. Wir Menschen erschießen sie uns aber auf bestimmte Arten und Weisen. Wittgensteins Diktum „Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt“ würde Goodman umformulieren in „Die Grenzen meiner Symbolsysteme sind die Grenzen meiner Welt“, denn die Sprache ist nur eines (wenngleich ein sehr wichtiges) von vielen Symbolsystemen, die wir benutzen um uns die Welt zu erklären. Was ist ein Symbolsystem? Ganz einfach: Ein Symbolschema mit Semantik. Ein Symbolschema wiederum ist ein ein Symbol, das eine interne Struktur hat: eine Syntax. Zum Beispiel ist dieser Blogpost zunächst einmal ein Symbolschema: Er hat eine interne Struktur. Buchstaben sind zu Worten geformt, die (mehr oder weniger) nach den Regeln der deutschen Grammatik zu Sätzen geformt sind.

Aber auch ein Gemälde, zum Beispiel, ist ein Symbolschema. Wenngleich bei diesem die Sache mit der internen Struktur etwas tückischer ist (Kleiner Spoiler: das hat etwas mit dem Thema dieses Textes zu tun), aber Sie werden mir sicher zustimmen, dass man etwa beim „Mädchen mit dem Perlenohrring“ den Perlenohrring mehr oder weniger als ein Element des Gesamtgemäldes ausmachen kann.
Mädchen mit dem Perlenohrring

Johannes Vermeer: Mädchen mit Perlenohrring. Quelle: Wikimedia Commons. Lizenz: gemeinfrei.

Um ein Symbolsystem zu werden braucht so ein Symbolschema jetzt noch Bedeutung. Die erhält es, indem wir es auf etwas beziehen. Etwa beziehen wir uns in sehr vielen Fällen mit Sprache auf die Welt. Aber das ist nicht die einzige Form der Bezugnahme. Eine Note bezieht sich beispielsweise auf einen bestimmten Ton, dieser Ton gibt ihr die Bedeutung und die HTML-Auszeichnung „img“ bezieht sich auf ein Bild. Das Bild verleiht dem Schema seine Bedeutung.

Vertrackte Definitionen von digital und analog

So, jetzt haben wir geklärt, was ein Symbolschema und das dazu gehörende System sind. Und diese beiden können nun also analog oder digital sein. Wobei analog und digital keine Dichotomie bilden, sondern die Endpunkte eines Spektrums sind. Denn nun kommen wir zu diesen vertrackten Definitionen.

Goodman sagt, dass ein Symbolsystem dann digital ist, wenn es syntaktisch und semantisch durchgängig disjunkt und effektiv differenziert ist. Analog hingegen ist ein Symbolsystem wenn es semantisch und syntaktisch durchgängig dicht ist.

Puh, jetzt ist es raus, aber was bedeutet das?

Disjunkt

Die Wikipedia bringt das ganz gut auf den Punkt:

„In der Mengenlehre heißen zwei Mengen A und B disjunkt (lateinisch disiunctum ‚getrennt‘), elementfremd oder durchschnittsfremd, wenn sie kein gemeinsames Element besitzen.

Das Beispiel hierfür ist idealerweise der Computer. Der kennt nur 1 und 0. Es gibt für den Computer keine Zwischenzustände. Entweder ist etwas 1 oder es ist 0. Das Gegenbeispiel verhandeln wir gerade mit dem Tod. Der Tod ist nicht disjunkt, denn es gibt eine Zwischenphase im Übergang zwischen Leben und Tod, die wir begrifflich nicht richtig fassen können und die uns deshalb so viele ethische Probleme auferlegt.

Effektiv differenziert

Mit der effektiven Differenziertheit hat Goodman ein pragmatisches Kriterium in seine Theorie mit aufgenommen. Denn bloße Disjunktheit reicht nicht aus, um Digitalität zu gewährleisten. Es muss auch immer praktisch möglich sein, diese festzustellen. So könnten wir uns beispielsweise ein disjunktes Balkendiagramm vorstellen, das aber nicht effektiv differenziert ist. Das Diagramm hätte dann keine zwei Balken, die exakt gleich lang sind, aber die Längenunterschiede wären teilweise so minimal, dass man nicht mehr in der Lage ist, zu sagen, welcher Balken länger ist. Bei aller Disjunktheit wäre diese Diagramm dann trotzdem nicht digital, da es sich praktisch nicht anwenden lässt.

Durchgängig

Das Kriterium der Durchgängigkeit ist nun das nächste, dem wir uns widmen müssen. Denn ein Symbolsystem kann an einer Stelle disjunkt und differenziert sein, an einer anderen Stelle aber nicht. Das Beispiel hierfür sind Noten und das Klavier. Auf dem Klavier wird bei Fis und Ges die gleiche Taste gedrückt (im Gegensatz zu Streichinstrumenten). An dieser Stelle ist das Notensystem für Klavier nicht disjunkt, somit nicht digital.

Syntax und Semantik

Das ganze muss jetzt sowohl syntaktisch, als auch semantisch zutreffen. Das Paradebeispiel ist der Code. Ein Code ist eine eineindeutige Zuordnungsvorschrift. Beispielsweise ist die Syntax von „01000001“ eindeutig digital. Jedes Element ist entweder 1 oder 0 und ich kann das gut unterscheiden. Aber auch die Semantik von „01000001 = A“ ist digital, denn im Binärcode (ich vereinfache bewusst) wird 01000001 immer A ergeben und A immer 01000001 ergeben. Demgegenüber ist die Sprache (genauer gesagt die Schriftsprache) zwar syntaktisch digital aber nicht semantisch. Buchstaben sind alle disjunkt und Sie können in diesem Text alle Buchstaben gut unterscheiden. Aber in der Semantik ist das schon nicht mehr der Fall. Wir alle kennen „Teekesselchen“. Aber auch, wenn diese sich meist aus dem Kontext ergeben, macht die einfache Zuordnungsprobe, die wir eben auf den Code angewendet haben, klar, dass Sprache semantisch nicht digital ist: Das Wort „Ast“ bezeichnet das Ding /Ast/. Wenn es jetzt aber ein dünner Ast ist, kann jemand auf die Frage, was das ist, auch mit „Zweig“ antworten und schon ist unser Symbolsystem semantisch nicht mehr disjunkt.

Dichte

Das Gegenteil von disjunkt ist jetzt dicht. Ein Symbolsystem ist dann dicht, wenn ich nicht unterscheiden kann, welche Elemente bedeutungstragend sind und welche nicht. Beispielsweise ist es für Schrift so egal wie für die NSA die Unschuldsvermutung, ob sie Serifen hat oder nicht. Serifen sind nicht bedeutungstragend. Und die Gegenprobe stellt nun – wie vorhin angedeutet – das Gemälde dar. Wenn wir uns noch einmal das Mädchen mit seinem Ohrring anschauen, dann können wir einerseits von keinem Element in dem Bild sagen, dass es nicht bedeutungstragend ist. Aber die Dichte geht sogar noch weiter. Wenn wir uns den Ohrring angucken, können wir nicht einmal genau sagen, wo dieser endet. Wir können zwar sagen wo er eindeutig ist und wo er eindeutig nicht ist, aber es gibt einen Bereich, von dem wir nicht sagen können, ob dies nun Ohrring ist oder nicht.

Ein Spektrum mit ausgefranster Mitte

Wenn wir uns jetzt die Beispiele angucken, die ich hier aufgeführt habe, so können wir sie in ein Spektrum packen, in dem sich alle unsere Symbolsysteme wiederfinden:

An einem Ende ist unser Spektrum digital, dort finden wir alle Arten von Codes. Fast durchgängig digital sind Noten. Sprache bildet die goldene Mitte mit digitaler Syntax und analoger Semantik. Unsere Balkendiagramme, die so schwer zu unterscheiden waren, stehen der Analogizität noch näher. Und das Gemälde befindet sich ganz am anderen Ende: Es ist komplett analog.

So können wir am Ende auch das Phänomen der Analoguhr fassen, mit dem sich Fiona und Tim herumplagten. Denn diese ist zwar nicht digital, aber wenigstens ein Element, die Unruhe, ist effektiv differenziert. Dennoch ist eine Analoguhr ohne Stunden- oder gar Minutenstriche schon ziemlich nah am analogen Ende des Spektrums einzuordnen, hingegen trägt die Digitaluhr ihren Namen zurecht, denn zu jedem Zeitpunkt kann ich exakt sagen, welche Uhrzeit angezeigt wird.

Sprache

Es spricht übrigens einiges dafür, dass die Stellung der Sprache in diesem Spektrum, sie so besonders macht. Digitale Syntax und analoge Semantik scheinen ziemlich effektiv zu sein und haben wohl guten Dienst in der Evolution der Menschheit geleistet, weil sie zum Beispiel Logik ermöglichen. Aber dazu mehr ein anderes Mal.

Ich bin raus.

Literatur

Nelson Goodman: Sprachen der Kunst*

Nelson Goodman: Weisen der Welterzeugung*

Nelson Goodman und Catherine Z. Elgin: Revisionen*

Ludwig Wittgenstein: Tractatus-logico-hilosophicus*

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