Wenn Qualitätsjournalisten Metaphern nicht verstehen

Wissen Sie, was eine Metapher ist? Kurz gesagt: Eine rhetorische Figur, bei der ein Ausdruck für einen anderen steht. Metaphern sind allgegenwärtig. Allein in diesem Satz:

Eine rhetorische Figur, bei der ein Ausdruck für einen anderen steht.

… stecken drei Metaphern: ‚Figur‘, ‚Ausdruck‘ und ’steht‘. Metaphern sind so etwas banales, dass sie uns in den meisten Fällen nicht einmal mehr auffallen. Ich mag sehr gerne die Metaphern-Definition von Nelson Goodman, die verkürzt so lautet: Eine Metapher ist ein Symbolsystem, das ich von einer Bedeutungssphäre auf eine andere übertrage.

Wir nehmen einen Ausdruck, wie zum Beispiel die Farbe „Rot“ und übertragen sie aus der Bedeutungssphäre der Farben in jene der Gefühle, wenn wir etwa sagen: „Roter Zorn stieg in ihr auf!“

Der Witz ist, dass wir jetzt nicht nur das Wort „Rot“ übertragen, sondern – wie ich bereits schrieb – das gesamte Symbolsystem in dem es sich befindet. Der Einfachheit halber nenne ich das jetzt einfach mal die Assoziationen, die wir mit „Rot“ verbinden. Zum Beispiel: Wärme, Hitze, Feuer, Rotes Kreuz, aber auch Liebe, Erotik und so weiter.

Und wegen der Übertragung all dieser Assoziationen sind Metaphern etwas sehr nützliches und allgegenwärtiges, da sie uns ermöglichen, die Welt neu zu strukturieren und so Verbindungen zu erkennen, die uns bislang verborgen blieben.

Warum ich das alles schreibe? Nun, weil die Metapher und wie sie funktioniert offensichtlich nicht allen bekannt ist. Zumindest schrieb Krautreporter Rico Grimm kürzlich:

Wer oder was ist ein Nazi?

Ein Nazi ist ein Nationalsozialist. Der Nationalsozialismus (NS), angeführt von Adolf Hitler, hörte mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges offiziell auf zu existieren. Wer auch nach dem Krieg nationalsozialistischen Ideen treu blieb, war ein Altnazi. Immer weniger Menschen haben heute die NS-Zeit noch selbst erlebt, deswegen gibt es auch immer weniger (Alt-)Nazis. Wenn Sie heute also jemanden hören, der einen anderen als „Nazi“ beschimpft, ist die Wahrscheinlichkeit sehr, sehr hoch, dass er Unsinn redet. Wenn Sie diese Bezeichnung auf Facebook lesen, beträgt die Unsinns-Wahrscheinlichkeit fast 100 Prozent, denn wie viele 80- bis 90-Jährige kennen Sie, die die Plattform nutzen – und dort auch kommentieren?

Offensichtlich kann sich Rico Grimm gar nicht vorstellen, dass es eine andere Verwendung als die buchstäbliche für „Nazi“ gibt. Ich frage mich, welche möglicherweise nützlichen Assoziationen ihm dabei wohl verborgen bleiben …

Intention und Intension – Der Gang der Gauchos

Deutschland diskutiert die sogenannte Gaucho-Affäre. Stein des Anstoßes war dieses Auftreten von Teilen der deutschen Nationalmannschaft.

Nun gibt es eine Fraktion, die sich gewaltig aufregt, wie rassistisch dieser Tanz war.

Quelle: Reactiongifs. Lizenz: fragwürdig.

Während die andere Fraktion sich gewaltig aufregt, dass die erste Fraktion keine Ahnung hat, weil der Tanz doch gar nicht rassistisch gemeint war.

Quelle: Reactiongifs. Lizenz: fragwürdig.

Ich finde hieran kann man sehr schon den Unterschied zwischen zwei Begriffen der Semantik erkennen: Intention und Intension. Der erste Begriff „Intention“ ist landläufig bekannt und meint in etwa:

  • Was ist mit einem Symbol gemeint
  • Was ist die Absicht eines Symbols

Und vielleicht auch noch:

  • Was denkt man sich bei einem Symbol

Wobei das schon in Richtung der Intension geht. Oder gar:

  • Was bezweckt man mit einem Symbol

Das wiederum spielt in Illokution und Perlokution hinein, aber das ist Sache der Pragmatik und wurde bereits ein andermal besprochen

Die Fraktion, die also meint, man soll sich mal locker machen, wäre doch alles halb so schlimm. Die begründet das mit der Intention. Das Symbol ist in diesem Fall der Gaucho-Tanz: Die DFB-11 hat diesen nicht rassistisch gemeint, es war nicht die Absicht der DFB-11, rassistisch zu wirken, sie hatten keine rassistischen Gedanken und der Tanz hatte auch nicht bezweckt, einen neuen Nationalismus zu promoten. Das alles gestehe ich den weltmeisterlichen Tänzern auch zu. Das von Einwanderern und Einwanderernachkommen geprägte Team hatte bestimmt nicht die Absicht Rassismus zu propagieren, dafür werden sie von den Fußballerverbänden zu oft und zu intensiv auf Toleranz eingeschworen.

Was ist gutes Bier?

Also ist alles super, oder? Na ja, ich hatte da ja noch diesen zweiten Begriff: die Intension. Der stammt aus der Semantik und ist weitaus weniger bekannt als die Intention. Was hat es mit ihm auf sich? Die Intension ist der Sinn eines Symbols, seine Bedeutung (aber nicht im Fregeschen Sinn (haha…)). Sie stammt aus dem Begriffspaar Extension und Intension. Jeder Begriff hat eine Extension, einen Begriffsumfang. Wenn ich von „Bier“ spreche, bezieht sich dieser Begriff auf alle Dinge in der Welt, die Bier sind. Diese Dinge sind die Extension des Begriffs. Wenn ich hingegen von „Pils“ spreche, wird die Erfüllungsklasse des Begriffs kleiner und es fallen nur noch Biersorten darunter, die auf eine bestimmte Art und Weise gebraut wurden – die Extension ist also kleiner. Und richtig kompliziert wird es, wenn ich den Begriff „gutes Bier“ verwende. Die Extension dieses Ausdrucks ist äußerst verworren und führt etwa zwischen Köln und Düsseldorf immer wieder zu heftigen Diskussionen. Woran liegt das? Meine steile These: An der weiten Hälfte des Begrifffspaars Extension und Intension: der Intension. Die Intension, also der Sinn von „gut“ ist äußerst verworren und vor allem im höchsten Maße subjektiv.

Das Standardbeispiel mit dem Philosophie- und Linguistikstudierende Intension und Extension erlernen müssen ist Freges berühmtes Beispiel von „Abendstern“ und „Morgenstern“. Beide Begriffe haben die gleiche Extension: den Planeten Venus. Aber höchst unterschiedliche Intensionen: Ich kann zwar vom Morgenstern sagen, dass er der letzte Stern ist, den ich morgens am Himmel sehe. Aber das kann ich nicht vom Abendstern sagen…

Kehren wir jetzt zum Gaucho-Tanz zurück. War der jetzt rassistisch? Wie, zur Hölle, soll ich das entscheiden?! Ihr habt gesehen, wie kompliziert die Intension von so simplen Symbolen wie „Morgenstern“, „Abendstern“ oder gar „gutes Bier“ ist, aber das ist nichts gegen die Bedeutung eines so komplexen Symbols wie eines Tanzes. Schon alleine weil ich dafür erst einmal ganz tief in die Metapherntheorie einsteigen müsste und so Sachen wie „Ausdruck“ erläutern müsste!

Aber eines ist wichtig: Nach Wittgenstein ist die Bedeutung (im Sinne von Intension) eines Begriffs, sein Gebrauch in der Sprache. Und wir können hier ohne Probleme „Begriff“ durch „Symbol“ und „Sprache“ durch „Symbolsystem“ ersetzen. Was Wittgenstein mit diesem lyrischen Satz meint, ist, dass die Regeln der Verwendung eines Symbols bestimmen, was das Symbol aussagt. Der Gaucho-Tanz nun hat auf jeden Fall rassistische Bedeutungskomponenten, denn es wird einer Bevölkerungsgruppe (Argentiniern) eine Eigenschaft zugesprochen (geknickt zu gehen). Die Frage ist jetzt, ob „Gaucho“ metaphorisch nur für die argentinische Nationalmannschaft verwendet wurde und ob die Gangart dieser Mannschaft oder gar der Bevölkerungsgruppe wirklich als Wesenszug oder nur als ephemeres Attribut in der Niederlage zugeschrieben wurde. Die Verwendungsweise des Symbols ist eben unklar. Dabei ich habe noch nicht einmal mit Konnotationen angefangen…

Und wissta was? Genau das handeln wir gerade in der laufenden Debatte aus. Denn die Bedeutung von Symbolen steht nicht fest, sondern wandelt sich ständig. Rosa symbolisierte noch im 19. Jahrhundert Männlichkeit, doch der Gebrauch des Symbols hat sich massiv gewandelt!

Imperial Art Appreciation: Pink

Imperial Art Appreciation: Pink von JD Hancock Lizenz: CC BY 2.0.

Daher ist die aktuelle Diskussion nicht nervig sondern wichtig und richtig, damit wir die Bedeutung solcher Symbole in unserer Gesellschaft aushandeln können.

P.S.: Für mich ist übrigens ganz unstrittig, dass der Tanz zumindest hämisch war und das macht ihn und die Tänzer mir unsympathisch. Nicht so unsympathisch, dass ich nie wieder Fußball ansehen werde, aber er trübt mein Bild von der Mannschaft ein bisschen. Und da hilft der Hinweis darauf, dass es sich um einen etablierten Fangesang handelt nur wenig, denn nicht alles was in Fußballstadien passiert gefällt mir. So war ich zum Beispiel ungläubig verwundert als beim letzten Derby zwischen meiner Eintracht und Mainz, eine Mutter zwei Reihen vor mir „Alle Mainzer sind Hurensöhne“ skandierte, obwohl ihre vielleicht 10-Jährige Tochter daneben stand. Vielleicht sollte für Fußballstadien gelten, was für Vegas gilt:

panorama (Bearbeitung von mir) von  Martin Abegglen . Lizenz: CC BY-SA 2.0
panorama (Bearbeitung von mir) von Martin Abegglen. Lizenz: CC BY-SA 2.0

 

Literatur

Austin, John L. 1966. “Three Ways of Spilling Ink.” The Philosophical Review 75, 427-440. Printed in 1961, James O. Urmson and Geoffrey J. Warnock (eds.), Philosophical Papers (pp. 272-287). Oxford: Clarendon Press.

– Habe ich leider nirgends im Netz gefunden, über Hinweise freue ich mich…

Gottlob Frege: Sinn und Bedeutung. Hier legal und umsonst.

Nelson Goodman: Sprachen der Kunst*

Ludwig Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen*

 

*hinterhältiger Affili-Link: Kauft ihr das Buch, bekomme ich eine winzige Provision und freue mich

 

digital und analog

Ich habe eine neue Podcastempfehlung für Sie, werte Leser: n00bcore. Dort geht Fiona, als eine, die keine Ahnung hat, der Frage nach, was eigentlich ein Computer ist und wie er funktioniert. Als einer, der keine Ahnung hat, macht mir das sehr viel Spaß anzuhören. In der letzten Folge interviewte sie beispielsweise Tim Pritlove zur Frage, was „analog“ und „digital“ bedeutet.

Nun trifft es sich zufällig, dass ich selbst dann doch ein bisschen Ahnung habe, was analog und was digital ist. Und so muss ich hier mal ein wenig klugscheißen, wie die beiden schon ganz richtig prognostiziert haben. Aber Sie, werte Leserinnen, kennen meinen Stil und wissen, dass ich diese Einleitung – im Stile der Simpsons – nutzen werde, um auf etwas anderes abzuschweifen. Ich will jetzt nicht bei jedem Satz des erwähnten Podcasts den Finger in die Wunde legen und schreien: „Ätsch, stimmt nicht!“, sondern die Philosophie von Nelson Goodman hier vorstellen.

Denn, wann immer in diesem Internet die Rede vom Digitalen ist, wundert es mich ein wenig, dass niemand Goodman ins Spiel bringt. Aber eigentlich wundert es mich nicht sonderlich, denn ich kenne die mutmaßliche Antwort. Dass Goodman nicht den Ruhm im Digitalen erhält, der ihm gebührt, liegt sicherlich an dreierlei:

Erstens ist Goodman hierzulande nicht sonderlich bekannt. Sage ich „Russell“ oder „Quine“, dürfte ein wissendes Nicken durch die Reihen meiner Leserinnen gehen, sage ich hingegen „Goodman“, ist die Reaktion wohl eher: Dafuq?

Zweitens ist Goodman nicht leicht zu lesen, sondern gehört in die Königsklasse der Philosophie. Zwar sind seine Texte sprachlich ein Genuss, aber inhaltlich eben eine harte Nuss. Ich hatte das Glück, seine Texte im Sprachwissenschaftsstudium seziert zu bekommen umd werde wohl dennoch die eine oder andere Definition für diesen Post nachschlagen müssen. (Musste ich dann doch nicht. Yeah!)

Drittens macht Goodmans Hauptwerk nicht den Eindruck, als hätte es viel mit Computern und Digitalität zu tun, denn es heißt: Sprachen der Kunst.*

Nichtsdestotrotz ist Goodmans Philosophie fantastisch geeignet, zu erklären, was analog und digital bedeutet, denn er liefert eine Definition, die mir absolut wasserdicht zu sein scheint.

Weisen der Welterschließung

Die Frage, die sich zuerst stellt, lautet: was kann denn eigentlich analog respektive digital sein? Die Antwort: Ein Symbolschema oder ein Symbolsystem. Die Welt selbst ist weder digital noch analog. Die Welt ist einfach. Wir Menschen erschießen sie uns aber auf bestimmte Arten und Weisen. Wittgensteins Diktum „Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt“ würde Goodman umformulieren in „Die Grenzen meiner Symbolsysteme sind die Grenzen meiner Welt“, denn die Sprache ist nur eines (wenngleich ein sehr wichtiges) von vielen Symbolsystemen, die wir benutzen um uns die Welt zu erklären. Was ist ein Symbolsystem? Ganz einfach: Ein Symbolschema mit Semantik. Ein Symbolschema wiederum ist ein ein Symbol, das eine interne Struktur hat: eine Syntax. Zum Beispiel ist dieser Blogpost zunächst einmal ein Symbolschema: Er hat eine interne Struktur. Buchstaben sind zu Worten geformt, die (mehr oder weniger) nach den Regeln der deutschen Grammatik zu Sätzen geformt sind.

Aber auch ein Gemälde, zum Beispiel, ist ein Symbolschema. Wenngleich bei diesem die Sache mit der internen Struktur etwas tückischer ist (Kleiner Spoiler: das hat etwas mit dem Thema dieses Textes zu tun), aber Sie werden mir sicher zustimmen, dass man etwa beim „Mädchen mit dem Perlenohrring“ den Perlenohrring mehr oder weniger als ein Element des Gesamtgemäldes ausmachen kann.
Mädchen mit dem Perlenohrring

Johannes Vermeer: Mädchen mit Perlenohrring. Quelle: Wikimedia Commons. Lizenz: gemeinfrei.

Um ein Symbolsystem zu werden braucht so ein Symbolschema jetzt noch Bedeutung. Die erhält es, indem wir es auf etwas beziehen. Etwa beziehen wir uns in sehr vielen Fällen mit Sprache auf die Welt. Aber das ist nicht die einzige Form der Bezugnahme. Eine Note bezieht sich beispielsweise auf einen bestimmten Ton, dieser Ton gibt ihr die Bedeutung und die HTML-Auszeichnung „img“ bezieht sich auf ein Bild. Das Bild verleiht dem Schema seine Bedeutung.

Vertrackte Definitionen von digital und analog

So, jetzt haben wir geklärt, was ein Symbolschema und das dazu gehörende System sind. Und diese beiden können nun also analog oder digital sein. Wobei analog und digital keine Dichotomie bilden, sondern die Endpunkte eines Spektrums sind. Denn nun kommen wir zu diesen vertrackten Definitionen.

Goodman sagt, dass ein Symbolsystem dann digital ist, wenn es syntaktisch und semantisch durchgängig disjunkt und effektiv differenziert ist. Analog hingegen ist ein Symbolsystem wenn es semantisch und syntaktisch durchgängig dicht ist.

Puh, jetzt ist es raus, aber was bedeutet das?

Disjunkt

Die Wikipedia bringt das ganz gut auf den Punkt:

„In der Mengenlehre heißen zwei Mengen A und B disjunkt (lateinisch disiunctum ‚getrennt‘), elementfremd oder durchschnittsfremd, wenn sie kein gemeinsames Element besitzen.

Das Beispiel hierfür ist idealerweise der Computer. Der kennt nur 1 und 0. Es gibt für den Computer keine Zwischenzustände. Entweder ist etwas 1 oder es ist 0. Das Gegenbeispiel verhandeln wir gerade mit dem Tod. Der Tod ist nicht disjunkt, denn es gibt eine Zwischenphase im Übergang zwischen Leben und Tod, die wir begrifflich nicht richtig fassen können und die uns deshalb so viele ethische Probleme auferlegt.

Effektiv differenziert

Mit der effektiven Differenziertheit hat Goodman ein pragmatisches Kriterium in seine Theorie mit aufgenommen. Denn bloße Disjunktheit reicht nicht aus, um Digitalität zu gewährleisten. Es muss auch immer praktisch möglich sein, diese festzustellen. So könnten wir uns beispielsweise ein disjunktes Balkendiagramm vorstellen, das aber nicht effektiv differenziert ist. Das Diagramm hätte dann keine zwei Balken, die exakt gleich lang sind, aber die Längenunterschiede wären teilweise so minimal, dass man nicht mehr in der Lage ist, zu sagen, welcher Balken länger ist. Bei aller Disjunktheit wäre diese Diagramm dann trotzdem nicht digital, da es sich praktisch nicht anwenden lässt.

Durchgängig

Das Kriterium der Durchgängigkeit ist nun das nächste, dem wir uns widmen müssen. Denn ein Symbolsystem kann an einer Stelle disjunkt und differenziert sein, an einer anderen Stelle aber nicht. Das Beispiel hierfür sind Noten und das Klavier. Auf dem Klavier wird bei Fis und Ges die gleiche Taste gedrückt (im Gegensatz zu Streichinstrumenten). An dieser Stelle ist das Notensystem für Klavier nicht disjunkt, somit nicht digital.

Syntax und Semantik

Das ganze muss jetzt sowohl syntaktisch, als auch semantisch zutreffen. Das Paradebeispiel ist der Code. Ein Code ist eine eineindeutige Zuordnungsvorschrift. Beispielsweise ist die Syntax von „01000001“ eindeutig digital. Jedes Element ist entweder 1 oder 0 und ich kann das gut unterscheiden. Aber auch die Semantik von „01000001 = A“ ist digital, denn im Binärcode (ich vereinfache bewusst) wird 01000001 immer A ergeben und A immer 01000001 ergeben. Demgegenüber ist die Sprache (genauer gesagt die Schriftsprache) zwar syntaktisch digital aber nicht semantisch. Buchstaben sind alle disjunkt und Sie können in diesem Text alle Buchstaben gut unterscheiden. Aber in der Semantik ist das schon nicht mehr der Fall. Wir alle kennen „Teekesselchen“. Aber auch, wenn diese sich meist aus dem Kontext ergeben, macht die einfache Zuordnungsprobe, die wir eben auf den Code angewendet haben, klar, dass Sprache semantisch nicht digital ist: Das Wort „Ast“ bezeichnet das Ding /Ast/. Wenn es jetzt aber ein dünner Ast ist, kann jemand auf die Frage, was das ist, auch mit „Zweig“ antworten und schon ist unser Symbolsystem semantisch nicht mehr disjunkt.

Dichte

Das Gegenteil von disjunkt ist jetzt dicht. Ein Symbolsystem ist dann dicht, wenn ich nicht unterscheiden kann, welche Elemente bedeutungstragend sind und welche nicht. Beispielsweise ist es für Schrift so egal wie für die NSA die Unschuldsvermutung, ob sie Serifen hat oder nicht. Serifen sind nicht bedeutungstragend. Und die Gegenprobe stellt nun – wie vorhin angedeutet – das Gemälde dar. Wenn wir uns noch einmal das Mädchen mit seinem Ohrring anschauen, dann können wir einerseits von keinem Element in dem Bild sagen, dass es nicht bedeutungstragend ist. Aber die Dichte geht sogar noch weiter. Wenn wir uns den Ohrring angucken, können wir nicht einmal genau sagen, wo dieser endet. Wir können zwar sagen wo er eindeutig ist und wo er eindeutig nicht ist, aber es gibt einen Bereich, von dem wir nicht sagen können, ob dies nun Ohrring ist oder nicht.

Ein Spektrum mit ausgefranster Mitte

Wenn wir uns jetzt die Beispiele angucken, die ich hier aufgeführt habe, so können wir sie in ein Spektrum packen, in dem sich alle unsere Symbolsysteme wiederfinden:

An einem Ende ist unser Spektrum digital, dort finden wir alle Arten von Codes. Fast durchgängig digital sind Noten. Sprache bildet die goldene Mitte mit digitaler Syntax und analoger Semantik. Unsere Balkendiagramme, die so schwer zu unterscheiden waren, stehen der Analogizität noch näher. Und das Gemälde befindet sich ganz am anderen Ende: Es ist komplett analog.

So können wir am Ende auch das Phänomen der Analoguhr fassen, mit dem sich Fiona und Tim herumplagten. Denn diese ist zwar nicht digital, aber wenigstens ein Element, die Unruhe, ist effektiv differenziert. Dennoch ist eine Analoguhr ohne Stunden- oder gar Minutenstriche schon ziemlich nah am analogen Ende des Spektrums einzuordnen, hingegen trägt die Digitaluhr ihren Namen zurecht, denn zu jedem Zeitpunkt kann ich exakt sagen, welche Uhrzeit angezeigt wird.

Sprache

Es spricht übrigens einiges dafür, dass die Stellung der Sprache in diesem Spektrum, sie so besonders macht. Digitale Syntax und analoge Semantik scheinen ziemlich effektiv zu sein und haben wohl guten Dienst in der Evolution der Menschheit geleistet, weil sie zum Beispiel Logik ermöglichen. Aber dazu mehr ein anderes Mal.

Ich bin raus.

Literatur

Nelson Goodman: Sprachen der Kunst*

Nelson Goodman: Weisen der Welterzeugung*

Nelson Goodman und Catherine Z. Elgin: Revisionen*

Ludwig Wittgenstein: Tractatus-logico-hilosophicus*

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Metaphysische Spuren an performanten Medien

Oder kurz: Medientheorie

Wenn du ins Internet über Sprache schreibst, kommt früher oder später immer jemand, der oder die behauptet, dass es doch total egal ist, ob wir etwa „Zigeunersauce“ oder „Negerkuss“ sagen. Wichtig wäre doch allein, was wir meinen oder denken und es sei doch ganz klar, dass sie keine Rassisten seien, bloß weil sie Worte verwenden, die so klingen. Eine beliebte Variante dieses Arguments ist auch gerne die Marxsche Wende, dass es doch egal ist, was wir sagen. Statt dessen zählten allein unsere Handlungen.

Ein Fernseher ist ein Medium. Zeigt er Loriot, ist er sogar ein gutes Medium.
Ein Fernseher ist ein Medium. Zeigt er Loriot, ist er sogar ein gutes Medium.

Einmal ganz davon abgesehen, dass diese Einstellung übersieht, dass eine sprachliche Äußerung immer auch eine Handlung ist (womit ich mich zu anderer Zeit noch einmal auseinandersetzen werde), ist sie auch deswegen falsch, weil die Sprache das Medium meiner Gedanken ist. Somit ist wesentlich für meine Weltsicht, meine Lebensform, meine Wünsche, Träume und Überzeugungen, welche Worte ich verwende.

Ich möchte und werde diesen Gedanken in Zukunft weiter ausführen, doch um ihn zu verstehen, muss ich zunächst einmal erklären, was ein Medium ist. Denn der Begriff des Mediums ist selbst so kompliziert weil so unscharf in unserer alltäglichen Verwendung, dass ich für seine Bestimmung einen ganzen Blogpost brauchen werde.

Wie immer gilt: was ich hier schreibe ist nicht auf meinen Mist gewachsen. Es geht auf viele schlaue Köpfe zurück, die ich im Laufe des Textes und als Literaturtips am Ende auch nennen werde. Allerdings werde ich nicht Zitate im einzelnen belegen, dies ist ein Blogpost, den ich an einem grauen Novembernachmittag runterschreibe und keine wissenschaftliche Arbeit.

Von der Metaphysik zurück zum Alltag

Wie fange ich an? Gemäß Wittgenstein am besten damit, dass ich den Begriff von seiner metaphysischen wieder in seine alltägliche Sphäre zurückführe und mal schaue, wie wir ihn verwenden. Wir alle benutzen das Wort „Medium“ ständig. Es ist von alten und neuen Medien die Rede, von Massenmedien, vom Medium Zeitung, Internet, Fernsehen oder Radio. Wir alle haben extensional eine ziemlich exakte Vorstellung davon, was der Begriff umfasst, ohne dass wir ihn im einzelnen intensional definieren können. Versuchen wir es, kommen wir schnell auf Begriffe wie Sender und Empfänger, Symbole, Botschaften, Bilder oder Sprache.

Diese stümperhafte, stichprobenartige Analyse unseres alltäglichen Medienbegriffs stößt uns gleich auf eine erste Unterscheidung. Es gibt einen weiten und einen engen Medienbegriff. In der weiten Verwendung meint der Begriff des Mediums immer etwas das als Träger oder Mittel für etwas anderes dient. Wir sprechen dann vom Licht als Medium des Sehens, vom Wasser als Medium des Schwimmens, vom Auto als Medium der Fortbewegung und vielleicht sogar vom Kran als Medium des Hochhausbaus.
Demgegenüber steht die enge Verwendung des Medienbegriffs. In dieser hat ein Medium immer etwas mit einer Botschaft (im Sinne von Message nicht im Sinne von Spionage), mit einem Symbolsystem zu tun. Die Zeitung bringt uns die Nachrichten, das Internet bringt uns Meme, im Fernsehen läuft die Daily Soap und im Radio laufen die aktuellen Charts.

Ich bevorzuge diesen engen Medienbegriff aus zweierlei Gründen. Zum einen kommt er meines Erachtens dem alltäglichen Gebrauch des Wortes „Medium“ näher und das sollte immer unsere Basis sein. Die weite Verwendung erscheint mir eher wie eine Metapher. Erst wenn ich anhand von Büchern, Filmen, Comics, CDs etc. verstanden habe, was ein Medium ist, kommt es mir überhaupt in den Sinn soetwas wie Licht oder ein Auto Medium zu nennen.

Zum anderen ist ein Begriff ein Terminus und in diesem steckt der lateinische Ausdruck für Grenze oder Grenzpunkt. Ein Begriff begrenzt immer eine Bedeutung, indem er sie von anderen Begriffen mit anderen Bedeutungen unterscheidet. Daher sind Begriffe, die letztlich alles bedeuten können, sinnlos. Ich habe so den Eindruck, als würde genau das auf unseren weiten Medienbegriff zutreffen.

The medium is the message

Einer der berühmtesten Medientheoretiker war Marshall McLuhan, der für genau zwei Sachen berühmt ist: 1. Den Satz „The medium is the message“ und 2. seinen Gastauftritt in Woody Allens Annie Hall:

Ich habe McLuhan zwar in meinem Studium gelesen, aber das ist so lange her, dass ich mich kaum daran erinnern kann. Daher kann ich nicht genau sagen, was er mit seinem Zitat meinte, aber ich kann zumindest sagen, was in der Rezeption, besonders in der popkulturellen allzu oft daraus gemacht wurde: Nämlich die Behauptung, dass die Botschaft gar keine (gesonderte) Rolle mehr spiele, dass sie im Medium aufgehe und nicht von dem Medium losgelöst werden könne. Das ist in etwa das diametrale Gegenteil der Position der oben erwähnten Anhänger einer strikten Unterscheidung von Sagen, Denken und Handeln. Und ich denke, es ist zumindest in diesem Extremismus genauso falsch.

Spielen wir dafür mal folgendes Sprachspiel durch:

Ein Land, nennen wir es „Gondor“ wird von einem verfeindeten Land, nennen wir es „Mordor“ angegriffen. Gondor möchte nun seinen Verbündeten mit dem hypothetischen Namen „Rohan“ zu Hilfe rufen. Gondor möchte also die Botschaft „Hilfe“ mit einem Medium nach Rohan transportieren. Wären Medium und Botschaft eine nicht zu trennende Einheit, könnte Gondor das nur mit dem hypothetischen Medium „Zettel in der Hand eines Boten machen“. Es ist nun leicht einzusehen, dass Gondor statt dessen noch ganz andere Möglichkeiten hat: Raben mit Zettel versehen, Telefon, Whatsapp oder so etwas weit hergeholtes wie Leuchtfeuer.

Worauf ich hinaus will ist also, dass ein Medium weder unlösbar mit einer Botschaft verbunden ist, noch sich komplett neutral gegenüber der Botschaft verhält.

Die symbolisierende Performanz

Mein ehemaliger Prof. Christian Stetter vertritt die Auffassung vom Medium als symbolisierender Performanz. Dieser Medienbegriff hat eine ganze Reihe Vorteile, aber auch ein paar Nachteile. Was meint „symbolisierende Performanz“?

Zum einen steckt da wieder der Enge Medienbegriff drin: Medien haben immer etwas mit Symbolen zu tun. Sie erzeugen oder transportieren Symbole. Zum anderen steckt die Performanz drin, die uns vor allem aus der Kunst oder dem Tanz in irgendwelchen Castingshows bekannt ist. Eine Performanz ist ein Vollzug, eine Handlung, etwas, das zu einem bestimmten Zeitpunkt stattfindet und dann wieder vorbei ist. Wie hängt das nun mit unserem Medium zusammen? Ganz einfach: Ein Medium transportiert Symbole, aber es ist kein Ding, sondern ein Vollzug.

Das erscheint zunächst einmal kontraintuitiv, besonders wenn wir uns wieder an der alltäglichen Verwendung abarbeiten. Aber es ist gar nicht so kontraintuitiv, wenn man darüber nachdenkt: Eine Zeitung ist nur dann ein Medium für Nachrichten, wenn ich sie lese. Wenn ich hingegen mein Geschirr bei einem Umzug damit polstere, ist es bloß noch ein Ding, das ich als austauschbares Mittel zu irgendeinem Zweck einsetze. Mit Büchern kann ich hervorragend Blumen oder Herbstlaub pressen, aber das macht sie nicht zum Medium für einen Roman. Erst das Lesen macht sie dazu. Das iPad könnte ich als Brettchen zum Hacken von Kräutern benutzen, aber erst wenn ich etwa damit im Internet surfe, wird es zu einem Medium fürs Internet. Und ich hatte mal ein Handy, mit dem ich hervorragend Bierflaschen öffnen konnte. Aber erst wenn ich damit telefonierte, wurde es zum Medium für meine Gespräche.

Christian Stetter verdeutlicht diesen Punkt, indem er den Begriff des Mediums von dem des Mittels abgrenzt. Ein Mittel ist eine Handlung zu einem bestimmten Zweck, die diesem Zweck vorausgeht und die austauschbar ist. Mein Zweck ist es, unversehrtes Geschirr in meiner neuen Wohnung zu haben, das Mittel ist die Polsterung dieses Geschirrs. Aber ich kann außer mit Zeitungen auch mit Luftpolsterfolie polstern. Will ich hingegen einen Roman lesen, so muss ich zum Buch greifen und das Lesen der Geschichte funktioniert auch nur solange ich das Buch zur Hand habe. Lege ich das Medium weg, so steht mir meine Botschaft nicht mehr zur Verfügung. Ein Mittel ist hinreichende Bedingung zur Erreichung eines Zwecks. Das Medium hingegen ist notwendige Bedingung.

Diese pragmatische Wendung des Medienbegriffs weg vom Ding hin zur Handlung ist meines Erachtens eine clevere Näherung an den Begriff, allerdings hat sie auch ein Problem: Denn sie kann nicht den Unterschied zwischen ephemer und persistent erklären, den Stetter in der Sprachwissenschaft selbst aus Tapet brachte: Ein wesentlicher medialer Unterschied zwischen gesprochener und geschriebener Sprache ist, dass gesprochene Sprache ephemer ist, vergänglich, ja flüchtig. Ausgesprochen ist das Wort auch schon wieder verschwunden. Die geschriebene Sprache ist hingegen persistent. Das geschriebene Wort steht wie eine Skulptur auf dem Papier, dem Stein oder dem Bildschirm und kann jederzeit wieder betrachtet werden. Diesen Unterschied kann ich aber nicht erklären, wenn ich das Medium selbst als Performanz verstehe. Denn Performanzen sind Handlungen, Ereignisse, also per se immer ephemer. Es muss zur Performanz also noch etwas anderes hinzukommen: ein physisches Substrat. Aber das nur am Rande, denn mein Studium liegt jetzt auch schon ein paar Jährchen zurück und ich kenne die neuesten Entwicklungen in der Medientheorie nicht.

Die Spur des Mediums

Kommen wir lieber zurück zur These, dass das Medium die Botschaft ist. Sybille Krämer hat eine sehr elegante Lösung gefunden zwischen dem Widerstreit in der Position, dass das Medium und die Botschaft unlösbar voneinander sind und jener, dass das Medium gar keinen Einfluss auf die Botschaft hat. Sie löst dieses Problem aristotelisch, indem sie feststellt, dass Medium und Botschaft zwar durchaus zwei getrennte Phänomene sind (ob Dinge oder Handlungen, lass ich jetzt mal dahingestellt), dass aber der Botschaft „die Spur des Mediums“ anhaftet.

Eine wunderbar Metapher, wie ich finde. Sie wird auch jedem sogleich verständlich, der schon einmal die Verfilmung eines Buches gesehen hat, das er zuvor gelesen hat. Im Grunde erzählen beide die gleiche Geschichte: Etwa dass Frodo einen Ring in einen Vulkan schmeißen soll. Aber dem Buch steht dabei alle Zeit der Welt zur Verfügung. Romane, für die ich hunderte Stunden Lesezeit brauche, sind kein Problem im Medium des Buches. Hingegen ist das Medium Spielfilm diesbezüglich beschränkt. Es kann nicht jeden bekloppt vor sich hin singenden und tanzenden Nebencharakter eine Stunde Screentime gewähren. Auch funktionieren manche Dinge im Film überhaupt nicht, die im Buch hervorragend klappen. Lady in the Lake hat uns gezeigt, dass ein Film mit Ich-Erzähler nicht funktioniert. Hintergrundgeschichten und innere Monologe sind andere Probleme des Films. Aber der Film kann anderes schaffen: Bilder. Er zeigt uns, wie ein Balrog aussieht, nimmt uns mit zum Mond oder lässt in der Matrix die Schwerkraft nur als eine Option erscheinen.

Ich schaue gerade die Serie Six Feed Under und an dieser sieht man hervorragend, wie das Medium Internet das Medium Serie verändert hat. Die Serie ist von 2001, also aus einer Zeit, in der Streaming noch keinerlei Rolle spielte und auch die DVD gerade erst dabei war, das Video abzulösen. Damals wurden Serien noch fast ausschließlich im Fernsehen gesehen. Pro Woche eine Episode. Das zeigt sich in Six Feed Under am Intro, das geschlagene 1:39 Minuten dauert.

Das ist kein Problem, wenn ich es bloß einmal in der Woche sehe, denn es ist ein sehr gut gemachtes Intro. Aber wenn ich Serien streame und mir eine Folge nach der anderen angucke, nervt das ungemein. Dem gegenüber stammt die Serie Breaking Bad von 2008. DVDs waren da schon ein alter Hut. Streaming allgegenwärtig und den Machern war vollkommen bewusst, dass die Zuschauer eine Folge nach der anderen hintereinander weggucken werden. Was dazu führt, dass das Intro sechs Akkorde und ein Grillenzirpen lang ist, 17 Sekunden.

An dem Medium Serie haftet die Spur des Internets… Nebenbei zeigt es auch, dass Medien in Medien in Medien verschachtelt sind…

Soweit soll das genügen. Jetzt habe ich meinen Medienbegrif vorgestellt und kann nun demnächst mal abbiegen in Richtung „Die Sprache ist das Medium meiner Gedanken“. Aber ich kann auch genauso betrachten, inwiefern das Medium Internet Botschaften verändert, die ehedem uns anders übermittelt wurden.

Ich bin raus. vorerst…

 

Literatur:

 

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