Leben ist mehr wert als Arbeit

50 Gedanken – Gedanke 2

Ich verblogge 50 Gedanken, dies ist der zweite. Dieser Gedanke ist sicher nicht neu und ich maße mir nicht an, ihn als erstes gedacht zu haben. Alles, was ich bescheiden zur Diskussion stellen möchte, ist, dass er wahr ist.

Im Diesel-Skandal werde in der öffentlichen Diskussion viele verschiedene Aspekte in die Waagschale gelegt, um zu entscheiden, wie weiter vorgegangen werden soll. Doch die Hauptkonfliktlinie ist die Frage, wer die Kosten tragen soll für den Skandal. Die eine Seite sagt, dass die Autofahrerinnen nicht belastet werden dürfen, denn sie sind nicht schuld an der Misere. Auf der anderen Seite wird argumentiert, dass der Industrie nicht zu hohe Kosten aufgetragen werden dürfen, denn das gefährde Arbeitsplätze.

Ich nehme mal für einen Augenblick an, dass die Industrie nicht kompletten Kokolores verzapft (was sie tut), dann hat sie ein gar nicht mal so schlechtes Argument: Während die Dieselwagenfahrer eine sicherlich harte finanzielle Belastung erfahren, weil sie ihr Auto aufgeben oder es für viel Geld umrüsten müssten, wäre der Verlust der Arbeit der Angestellten in der Autoindustrie tatsächlich das höhere Gut. Nicht nur finanziell wäre die Einbuße höher als der Gegenwert eines Autos. Hinzu käme auch noch der Verlust der sozialen Dimension von Arbeit, die wir nicht unterschätzen dürfen. Wie gesagt, ich glaube, die Industrie erzählt hier kompletten Bullshit und jede/r weiß es. Aber ich spiele das Spiel der Politik mal kurz mit und behandle das als valides Argument.

Denn der Punkt, auf den ich hinaus möchte, ist folgender: Dies ist bloßes Schattenboxen. Hier geht es gar nicht um die Verhandlung der Werte Autos vs. Arbeit. Es ist eine Nebelkerze, die von der eigentlichen Verhandlung ablenken soll: Arbeit vs. Leben. Denn, was ist denn der eigentliche Dieselskandal? Doch nicht irgendwelche abstrakten Grenzwerte auf irgendwelchen Prüfstationen für Autos. Sondern, dass die Luft in unseren Städten so scheiße ist, dass Menschen krank werden und früher sterben. Und obgleich Arbeit in unserer Gesellschaft ein hoher Wert ist, ist das Leben ein ungleich höherer. Daher kann die einzige moralisch vernünftige Forderung nur heißen: Fahrverbot für alle Dieselfahrzeuge bis zu einer effektiven Umrüstung – wer auch immer die bezahlt.

Die Umdeutungen des Herrn Matussek – Eine Analyse

Ich habe keine Lust alten Menschen, die der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts nachtrauern, die Moral des 21. Jahrhunderts zu erklären. Deswegen halte ich mich meist fern von Artikeln, die Homosexualität „kritisch“ sehen oder traditionelle Werte oder Familienbilder heraufbeschwören wollen. Doch diesmal war es anders. Diesmal ließ mich die Überschrift von Matthias Matusseks Text in der Welt aufhorchen:

„Ich bin wohl homophob. Und das ist auch gut so“

Zu Herrn Matusseks Gunsten muss man einräumen, dass die Überschriften bei Zeitungen in der Regel von Redaktionen gemacht werden. Somit ist sie mutmaßlich nicht auf seinen Mist gewachsen, sondern wurde fremdgedüngt. Allerdings ist sie ein Zitat aus Matusseks Fließtext.

Aber was ist so erstaunlich an dieser Überschrift? Zunächst einmal ist dies ein direkter Diss gegen Herrn Wowereits Outing, der, als er Bürgermeister von Berlin wurde, die Worte sprach: „Ich bin schwul. Und das ist auch gut so.“. Die Welt gibt hier zu verstehen, dass sie Wowereit verabscheut und zwar nicht wegen seiner Politik sondern wegen seiner sexuellen Orientierung.

Die Deutungshoheit

Aber auch sprachanalytisch ist diese Überschrift bemerkenswert. Da ist zunächst einmal das kleine Wörtchen „wohl“, das die Aufgabe hat, sich vom Ausdruck „homophob“ zu distanzieren. Dies ist die Wortwahl der anderen, dabei, so wird impliziert, ist es normal, gegen Schwule und Lesben was auch immer zu haben.

Dies wird gleich durch den zweiten Teil der Überschrift unterstrichen „Und das ist auch gut so“. Dies ist ein normativer Satz, der daherkommt wie ein faktischer. Man kann diesen Satz umformulieren in „Und das sollte auch so sein“. Durch das „sollte“ sieht man, dass jemand hier seine moralischen Vorstellungen zum Ausdruck bringt und Moral ist immer diskutabel. Sie steht nicht fest sondern ist das Ergebnis der konsensualen Antwort auf die Frage „wie wollen wir leben?“. Aber auf diese Frage wollen Matussek und die Welt sich gar nicht erst einlassen (genauso wenig wie Wowereit seinerzeit), daher tauscht er das normative „sollte“ gegen das faktische „ist“. Er macht aus dem Werturteil ein Konstativa, eine Aussage über die Welt. Er versucht so, die Deutungshoheit zu bekommen. Wir sollen gar nicht erst auf die Idee kommen, dass Homophobie etwas Schlechtes ist.

Schattenboxen und Nazikeule

Auch im folgenden Abstrakt des Artikels stecken zwei schöne Sophismen:

„Wer nicht begeistert über Schwule spricht, ist gleich ein Schwulenhasser. Mittlerweile hat Homophobie dem Antisemitismus als schlimmste ideologische Sünde den Rang streitig gemacht“

Der erste Satz ist eine rhetorische Figur, die ich „Schattenboxen“ nennen möchte. Matussek und die Welt versuchen hier ihren Gegnern etwas in den Mund zu legen, was diese gar nicht gesagt haben. Aus der Forderung, die Realität zu akzeptieren, dass es verschiedene sexuale Orientierungen gibt, die natürlich vorkommen und die wir deshalb gesellschaftlich als normal anerkennen sollten, macht Matussek eine Begeisterung. Er versucht hier seine Leser an der Hand zu nehmen und zu der Überzeugung zu führen, dass diese Toleranten fordern, jeder müsse gleichgeseschlechtlichen Sex anstreben, ob das nun seinen sexuellen Vorlieben entspricht oder nicht.

Gefolgt wird dieses Argument von der Nazikeule. Ethiken sind nicht letztbegründbar, weswegen wir in ethischen Diskussionen als mahnendes Beispiel oft auf den Worst Case referieren. Das war zweifellos der Holocaust. Matussek weiß, dass er sich in diese Gefahr begibt, wenn er für Diskriminierung eintritt, deswegen versucht er Gegenargumenten sofort den Wind aus den Segeln zu nehmen: Er sagt, ich weiß, dass ihr mich gleich einen Nazi nennen werdet, aber dann seit ihr nicht besser als jene Menschen, die immer gleich „Antisemitismus“ schreien, also nicht ernst zu nehmen. Das ist aus vielerei Gründen ein garstiges Argument, aber vor allem weil es implizit zum Ausdruck bringt, dass nicht nur Homophobie, sondern auch Antisemitismus voll okay seien…

Das muss man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen: Matussek sagt, das man jetzt nicht mehr bloß Juden nicht hassen darf, sondern auch noch Homosexuelle!

Man wird doch wohl noch sagen dürfen

Nachdem Herr Matussek nun also den Rahmen abgesteckt hat, kann er uns als nächstes direkt ansprechen, indem er uns eine Anekdote erzählt. Um sich dennoch in Sicherheit zu wiegen, ist das, was er nun erzählt, vorsichtshalber „einem Freund“ passiert. Dieser erlebte nämlich unter widrigen Umständen

„weit nach Mitternacht, die Selbstkontrolle schwand zusehends“

einen Moment der Klarheit. Indem ihm entfuhr, als in Maischbergers viel erwähnter Sendung vom Ideal der Vater-Mutter-Kind-Familie die Rede war, demnächst dürfe man wohl auch nicht mehr in Gegenwart eines Rollstuhlfahrers von einem Wanderurlaub erzählen.

Eingebettet in die Anekdote fährt hier Mattusek mit seiner Strategie aus der Überschrift fort, indem er versucht normative Sätze in faktische umzudeuten. Denn bei Maischberger geht es ja um ein Ideal, also die Frage, wie etwas sein sollte. Hingegen handelt die Urlaubs-Anekdote von Fakten, dort wird kein Werturteil gefällt, nicht vorgeschrieben, dass alle Menschen nur noch wandern dürfen (eine Horrorvorstellung für mich!), sondern lediglich dargestellt, wie etwas war: der Urlaub eines einzigen Menschen. Der Grund, warum Matussek diesen Haken schlägt, ist, dass er auf die beliebte „Man wird doch wohl noch sagen dürfen“-Argumentation hinaus will. Die er dann in den folgenden Absätzen rund um Spanien, die Kirche und die Bibel weiter ausführt. Der Abschnitt ist ansonsten wenig spannend, er argumentiert ein bisschen biologistisch von der natürlichen Ordnung der Dinge (Ob er sich der Ironie bewusst ist, dass das Ding, auf dem er diese Sätze schreibt, so ziemlich das Unnatürlichste ist, was man sich denken kann: der Computer?) – alles ziemlich egal und rhetorisch schwach.

Ein Unrecht mit einem anderen rechtfertigen

Rhetorisch spannend wird es erst wieder hier:

„Von allen autokratischen Fehlleistungen Putins gilt seine Kampagne gegen Homosexuelle als die allerniederträchtigste, egal, wen er sonst so ins Gefängnis steckt.“

Hier versucht er zunächst einmal wieder das Schattenboxen: Niemand hat jemals behauptet, dass Homosexuellendiskriminierung schlimm, alles andere aber egal ist. Aber was Matussek hier darüber hinaus tut, ist spannend: Er versucht ein Unrecht mit einem anderen Unrecht zu rechtfertigen. Aber das ist nicht zulässig. Du kannst in einer Ethik nicht so argumentieren, dass es okay ist, zu rauben, weil andere morden. Das eine legitimiert das  andere schlichtweg nicht, so sehr ich mich auch winde. Genauso wenig legitimieren Putins sonstige „autokratische Fehlleistungen“ die Diskriminierung von Homosexuellen.

Um uns dennoch mit diesem falschen Argument einzulullen, bettet Matussek es gleich wieder in eine Anekdote ein von seinen Nachbarn, die jetzt wegen der Homosexuellen kein Olympia gucken. Diese Deppen! Schließlich gucken wir alle doch die Spiele, also müssen seine Nachbarn ja irren! Und wir können beruhigt die Fernbedienung in der Hand behalten, weil der liebe Herr M. gesagt hat, dass das okay ist.

Umdeutung der Rollen

Der folgende Absatz glänzt vor allem durch Hohn und Spott:

„Homosexualität, Bisexualität, Transsexualität, alles völlig normaaaal. Alles wurscht.“

Das ist eine Strategie, die auch im Kindergarten meiner Tochter sehr beliebt ist. Wenn jemand etwas sagt, auf das ich nichts erwidern kann, dann mache ich mich eben mit Nonsense über das gesagte lustig-schmustig! Der Grund für diese Strategie, liegt darin, dass Matussek versucht sich und seinesgleichen in die Opferrolle zu schmuggeln, wie Stefan Niggemeier unlängst vorzüglich darlegte. Was fällt denn diesen unverschämten Toleranten ein, dass sie meine Intoleranz nicht tolerieren? Und dass wir die Intoleranten gefälligst tolerieren müssen, wird auch dem letzten klar, wenn wir ein bisschen Stalinismus-Rhetorik verwenden:

„Sie zielte ab auf eine innere Bejahung, auf den umerzogenen NEUEN MENSCHEN.“

Namedropping

Als nächstes führt Matussek das Namedropping ein: Max Weber mochte S&M ohne das an die große Glocke zu hängen, also haben Schwule und Lesben auch zu schweigen. Und die großen Philosophen Robert Spaemann und Aristoteles haben auch schon aus einem Sein ein Sollen gemacht, indem sie homosexuelle Liebe als defizitär ansahen, weil sie keine Kinder zeugen könne. Dann muss es ja stimmen, oder?

Nachdem sich Matussek noch einmal mit ironischer Selbstbezichtigung versucht, gegen Kritik abzusichern, endet er damit, ein letztes Mal sich auf die natürlich Ordnung zu berufen und damit von einem Sein auf ein Sollen zu schließen. Der Sein-Sollen-Fehlschluss aber ist ein logischer Fehler, das sollte jemand der Aristoteles zitiert schon wissen. Wenn ihr wissen wollt, warum, könnt ihr es hier nachlesen.

Ich bin raus.

Freiheit und Toleranz

So, so, auf Youtube wurde also ein Video veröffentlicht, das den Islam beleidigt. Ich habe es persönlich nicht gesehen. Aber es diente in Einigen wenigen Islamischen Ländern als Aufhänger für einige wenige Menschen, mal ordentlich auf den Putz zu hauen. Gegen die Amerikaner, gegen den Westen und überhaupt.

 

 

Die Ausschreitungen gegen westliche Botschaften in Nordafrika führten letzte Woche zu einer Welle der Empörung, die leider allzubald in allgemeines Islam-Bashing und schließlich in Spot, Häme und Hass gegenüber jeder Form von Glauben ausartete. Grund genug mich mal dem Thema zu widmen.

 

 

1. „Wie kann man nur so doof sein, an einen Gott zu glauben“, hieß es auf Twitter.

2. „Die Meinungsfreiheit ist unser höchster Wert“, hieß es weiter, und: „Was bilden sich diese Gläubigen eigentlich ein, uns diesen uns verbieten zu wollen?“

3. „Und überhaupt hat Religion immer nur Verderben und Krieg über uns gebracht und soll endlich ad Acta gelegt werden“, war das dritte meistgenannte Argument im kleinen, blauen Vogelland.

Gehen wir dies der Reihe nach durch.

1. Ist einfach. Ich habe mich weitgehend damit schon hier beschäftigt.

Das Gegenargument: Auch Atheismus ist ein Glaube, denn logisch betrachtet, kann man die Existenz Gottes weder belegen noch widerlegen. Der große, wenngleich wohl etwas schrullige Immanuel Kant kam als erstes auf diesen Trichter und hat – mehr oder weniger – der langen philosophischen Tradition des Gottesbeweis das Spiel verdorben. Wenn ihr meine analytisch, nicht kantisch tradierte Argumentation diesbezüglich en détail nachlesen wollt, so könnt ihr das hier.

2. Zunächst einmal: Ist das so? Wo steht das geschrieben? Im Grundgesetz? Nun, ich bin keine Jurist, aber soweit ich mich erinnere sind die Grundrechte Rechte des einzelnen gegenüber dem Staat nicht gegenüber einer Religionsgemeinschaft. Aber diese Rechte sind natürlich nicht in einem Vakuum entstanden, sondern basieren auf einem Wertekanon. Und mir fällt da zunächst einmal auf, dass ich hier von Rechten und Werten schreibe. Plural. Und da kommen wir schon zum Hebel um die Argumentation ins Wanken zu bringen.

 

 

Denn in unserem komplexen Wertesystem gibt es nicht nur diesen einen Wert der Meinungsfreiheit. Sondern auch andere, diesem zuwiderstreitende Werte. Ich will hier gar nicht die Religionsfreiheit bemühen, denn die sehe ich nicht gefährdet. Ein schlechter Film verbietet noch niemandem, seine Religion auszuüben (Im Gegensatz dazu sehe ich das allgemeine Klima in der Gesellschaft, den Islam grundsätzlich als ablehnungswürdig anzusehen, schon problematischer).

 

 

Aber es gibt Persönlichkeitsrechte, wenn ich den thorschen Hammer rausholen wollte, könnte ich gar die unantastbare Menschenwürde zu Felde führen. Frei nach Kant: die Freiheit des einzelnen endet dort, wo sie die Freiheit des nächsten einschränkt. Daraus folgt in unserem Wertesystem, dass nicht jede Meinung schützenswert ist. Wer einen anderen als Arschloch bezeichnet, kann sich nicht auf die Meinungsfreiheit berufen. Denn wir erachten das Äußern von Beleidigungen nicht als schützenswerte Meinungen. Ferner haben wir ganze Themenkomplexe, die wir von der Meinungsfreiheit ausschließen.

 

 

Sei es nun Kinderpornographie, Die Ablehnung unserer demokratischen Grundordnung oder etwa Antisemitismus. Oh. Moment. Ja stimmt. Letzteres ist — Gott sei Dank — ein Konsens. Nämlich, dass die unsachgemäße Verunglimpfung dieser Religion nicht durch die Meinungsfreiheit geschützt sein sollte. Nun frage ich euch: warum sollte, was für die eine Religion gilt, nicht auch für die anderen gelten?

Wie gesagt, habe ich das Video nicht gesehen, und weiß nicht, ob es nun sehr ehrverletztend war. Ich habe ein paar der Karrikaturen vor zehn Jahren gesehen und fand sie jetzt nicht so dramatisch, aber ich wollte diese Sätze mal allen mitgeben, die im braveheartartigen Reflex gleich „Freiheit“ schrien.

3. Was mich zum Letzten und wichtigsten Punkt bringt. Wer von euch hat eigentlich den Koran gelesen? Da ihr ja alle so genau wisst, dass er Hass und Intoleranz propagiert. Klar, habe ich auch schonmal vom Djihad und der Scharia gehört. Aber das sind nur quotenbringende Labels von Clash-of-Cultures-Propagandisten.

Ich glaube gern, dass es Stellen im Koran gibt, die Hass predigen, aber ich bin mir fast sicher, dass sich dort genauso Stellen finden, die Liebe predigen. Genauso wie ich weiß, dass in der Bibel genauso Backen hingehalten werden, wie an anderer Stelle Augen und Zähne fliegen. Denn beide Bücher sind komplexe Systeme, die nicht nur die Existenz Gottes behaupten. Darüber hinaus waren sie vor allem Handlungsanweisungen für das Zusammenleben von Gesellschaften, die schon 1.000 respektive 2.000 Jahre alt sind. Das heißt nicht, dass sie komplett obsolet sind, sondern, dass sie differenziert betrachtet werden müssen.

Im Bezug auf die Bibel haben wir hier im Westen durch Reformation, Renaissance, Aufklärung und Revolution regelmäßige Updates geliefert, die leider im Islam fehlen. Das wiederum ist ein Tatbestand, an dem wir, der Westen, durch Imperialismus, Kolonialismus, Kalten Krieg und Globalisierung nicht unschuldig sind.

Denn, im Ernst, wer sind denn die zornigen jungen Männer, die religiöse Beleidigungen durch uns zum Anlass nehmen, ordentlich auf den Putz zu hauen? Es sind die Verlierer der Globalisierung. Ohne Bildung, ohne Eigentum und ohne Zukunft.

Und der Hass fällt dort auf fruchtbaren Boden, wo wir den Acker bestellt haben. Wir haben die Grenzen dieser Staaten oft willkürlich gezogen, wir haben die arabischen und afrikanischen Diktatoren jahrzehntelang protegiert, solange sie uns nur Sicherheit und Rohstoffe lieferten. Wir haben Afghanistan in einen nunmehr 30 Jahre währenden Krieg getrieben. Wir? Nein, nicht wir. Denn genau das ist das Problem, der auf 140 Zeichen verkürzten Antiislamstatements auf Twitter genauso, wie das Problem der Botschaftszerstörer im Maghreb. Sie setzen die Untaten einzelner, kleinerer und größerer Gruppen mit „dem Westen“ oder eben „dem Islam“ gleich.

 

 

Der Islam ist nicht unser Problem. Die moslemische Erzieherin in der Kita bringt unseren Kindern Liebe und keinen Hass bei. Der moslemische Autor in meinem Verlag lächelt, wenn er mich sieht und streckt mir freundlich die Hand entgegen. Mein moslemischer Obsthändler verkauft freundlichere Äpfel als der laizistische Discounter nebenan und mein moslemischer Schulfreund hat mich nicht gehasst, sonst wäre er ja nicht mein Freund gewesen. Machen wir einmal die Gegenprobe: wenn Religion angeblich Hass und Krieg befördern. Wie sieht es denn dann mit dem Atheismus aus. Der fördert dann Frieden. Immer. Auch zwischen den Jahren 1939 und 1945? Ja, jetzt komme ich mit der Nazikeule, aber nicht zum Todschlagen, sondern um zu zeigen, dass komplexe Systeme immer interne Widersprüche aufweisen. Und so kann auch der Atheismus genauso zur Dialektik der Aufklärung führen wie zu so etwas so wundervollem wie dem Russellschen Pazifismus! Unser Problem sind nicht die Gläubigen oder die Atheisten. Unser Problem sind die Hassprediger auf allen Seiten. Und wenn ihr wollt, dass keine Botschaften brennen, dann dürft ihr nicht den Islam verteufeln, sondern dann müsst ihr Krankenhäuser und Schulen bauen und diesen zornigen jungen Menschen eine Zukunft bieten.

 

Ich bin raus.

 

 

Falls es euch interessiert, ich persönlich bin Agnostiker, denn das ist die einzig logisch stringente Position. Siehe 1.

Literatur:

Max Horkheimer und Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung.

Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft.

Immanuel Kant: Metaphysik der Sitten.