Übrigens: Europa ist nicht gescheitert

Seit einiger Zeit wandere ich auf dem Gedanken herum, ob Europa gescheitert ist. Beispielsweise verkündet der Aufwachen-Podcast dies regelmäßig. Ursprünglich wollte ich diesen Artikel daher auch mit der Frage überschreiben: „Ist Europa gescheitert?“. Aber ich bin kein Journalist, entsprechend möchte ich mir auch keine journalistischen Klischees zu eigen machen und als Überschrift eine Frage stellen, die ich im Artikel dann verneine.

Grenze zwischen England und Schottland

By James – Flickr, CC BY 2.0.

Und doch, es sieht auf den ersten Blick nicht gut aus, das Projekt Europa und besonders seine realpolitische Version: Die EU. Das zeigt sich nirgends besser als im allgegenwärtigen Bestreben, wieder Grenzzäune aufzubauen. Das grenzenlose Europa, in dem ich von der Ostsee bis zum Atlantik fahren konnte, war das über allem strahlende Symbol, das Leuchtturmprojekt. Dafür waren wir auch bereit, genormte Gurken zu essen. Doch heute, da offenbar der eiserne Vorhang gründlich genug in Vergessenheit geraten ist, wird dieses großartige Projekt kleingeistiger Angst vor Terrorismus und dummen Rassismus gegenüber ein paar Flüchtlingen geopfert.

Kleine Randbemerkung: Ich bin nicht länger bereit, die Frage zu diskutieren, ob Flüchtlinge gefährlich oder Terroristen sind. Alles Nötige habe ich hier dazu geschrieben. Wissenschaftlich, politisch und ethisch steht fest: Alle Menschen sind gleich. Ich habe keine Lust mehr, auf Statistiken zu verweisen. Es gibt nicht mehr oder weniger Straftäter oder Terroristen unter anders Aussehenden als unter Europäern mit milchig-blasser Haut und fleckigen Sommersprossen. Wenn du irgendwelche Eigenschaften einer Nationalität oder Ethnie und nicht konkreten Imdividuen zuordnest, dann bist du ein Rassist. Die Diskussion dieser Frage ist nicht nötig, wir haben das vor 70 Jahren abschließend geklärt. Gerne kannst du dir aber die Protokolle der Nürnberger und Frankfurter Prozesse durchlesen, kannst ‚Eichmann in Jerusalem‚ und die Reden von Martin Luther King und Nelson Mandela lesen. Aber auf dumme „ich hab da ein paar dunkelhäutige Typen gesehen, die wirkten total gefährlich“-Debatten gibt es nichts mehr zu sagen, außer dass solche Anekdoten rassistisch sind, wenn du daraus allgemeine Schlüsse ziehst.. Selbst wenn du das nur aus unreflektierter Angst machst.

Die zweite sich abzeichnende große Niederlage Europas ist die der Menschenrechte und der Freiheit. Nach der Wende galt die EU und ihre Mitgliedsstaaten als das große Vorbild für Demokratie und Menschenrechte. Fast ganz Ost-Europa wurde genauso nach ihrem Vorbild umgebaut wie zum Beispiel Südafrika. Jetzt, zwei Jahrzehnte später führen wir Rückzugsgefechte, was die Freiheiten unserer Bürger betrifft, als stünden wir in Helms Klamm. Negativvorbilder sind natürlich die noch jungen Mitglieder Ungarn und Polen. Aber „Kerneuropa“ darf diesbezüglich gerne vor der eigenen Haustüre kehren: Das Vereinigte Königreich hat einen wildgewordenen Geheimdienst, dem es aus irrationaler Terrorangst demokratische Grundprinzipien wie die Unschuldsvermutung oder die unabhängigen Gerichte opfert. Frankreich befindet sich seit fast einem halben Jahr im Ausnahmezustand und darf in diesem staatlichen Delirium so ziemlich auf jeden Schutz seiner Bürger vor staatlicher Willkür scheißen. Jüngst wurde der Ausnahmezustand erneut verlängert: Wegen Fußball! Und auch in Deutschland muss die Judikative regelmäßig gedopte Sicherheitspolitiker zurückpfeifen und der NSA-Untersuchungsausschuss führt uns regelmäßig die undemokratischen Krebsgeschwüre unserer eigenen Geheimdienste vor Augen.

Warum ziehe ich nach dieser üblen Bestandsaufnahme dann das Fazit, dass die EU nicht gescheitert ist? Die Antwort ist einfach: Politik im Allgemeinen und die EU im besonderen waren schon immer ein Sauhaufen! Ich ziehe prinzipiell viel politischen Optimismus aus Karl Poppers Demokratieverständnis. In Poppers „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ gibt er dem Demokratiebegriff einen interessanten Spin: Demnach ist Demokratie nicht die Volksherrschaft sondern die Möglichkeit des friedlichen Machtwechsels. Popper macht klar, dass wir nie vom Volk oder seiner Mehrheit regiert wurden sondern schon immer von Eliten, die, weil sie menschlich sind, stets versuchten diese Macht zu ihren eigenen Gunsten zu missbrauchen. Aber was die Demokratie besonders macht, ist die Tatsache, dass das Volk diese Eliten loswerden kann, wenn sie zu viel Mist bauen, ohne dass es dafür zu den Waffen greifen muss. Das ist ein sehr beruhigender Gedanke, denn der nimmt den Idealismus aus der Betrachtung der Demokratie.

Was hat das jetzt mit Europa zu tun? Wir müssen bei der Betrachtung Europas auch den Idealismus herausnehmen! Dei EU funktioniert nicht als Ideal, urteilte neulich mspro in Wir.Müssen Reden. Ein richtiges Urteil! Die EU hat noch nie als Idealismus oder Utopie funktioniert. Na gut, vielleicht außer in der kurzen Phase von Mitte der 90er bis Mitte der 00er. Aber die EU ist eigentlich ein von Kompromissen geprägtes Gewürge und das war sie schon immer. Um das zu verstehen, müsst ihr euch nur einmal mit der „Politik des leeren Stuhls“ befassen. Trotzdem ist die EU wichtig und das liegt an ihrer Gründungsidee. Die europäische Einigung hatte zwei Ziele, die die EU ganz wunderbar erfüllt. Nach dem zweiten Weltkrieg sollte verhindert werden, dass jemals wieder Krieg und Hunger auf diesem Kontinent herrschen. Und das ist gelungen! Die EU-Mitglieder haben seit über 70 Jahren keinen Krieg und keine Hungersnot erlebt! Ich kann mich irren, aber ich glaube, das hat es nie zuvor auf diesem Kontinent gegeben. What a time to be alive!

Das heißt nicht, dass es bestens steht um diesen Kontinent. Das Gegenteil ist der Fall, wie ich oben beschrieb und wir müssen hart arbeiten und kämpfen, um die EU zu erhalten und wenn möglich auch noch so zu formen, dass sie für die Menschen besser wird. Aber es besteht auch kein Grund zu verzweifeln. Europa ist nicht gescheitert!

Was beweist Don Alphonsos Post?

Don Alphonso hat einen Blogpost geschrieben, darüber, dass Feministinnen schlechte Menschen sind. Dieser Post geht gerade viral und viele lassen sich von seinen Argumenten überzeugen. Amüsant fand ich zum Beispiel, dass sich Fefe schockieren ließ:

„Aber alleine die Liste an menschenverachtenden Tweets, die er da verlinkt, die hat mich gerade ein bisschen sprachlos gemacht.“

Fefe ist ja selbst kein Kind von Traurigkeit und zurückhaltender Sprache, aber das ist eine andere Geschichte. Mir geht es mal wieder nicht um den Inhalt einer Debatte, sondern um die Form, in der diese geführt wird. Die Frage, die für mich spannend ist, lautet: Was beweist Don Alphonsos Post?

Die Antwort:

Nichts. Er bestätigt nur die vorgefertigte Meinung von Menschen, die gerne in dieser Meinung bestätigt werden möchte. Warum ist das so? Weil D.A. anekdotisch argumentiert. Eine Anekdote eignet sich zwar, um die Stimmung zu heben, aber sie ist kein Beweis. Würde hier nicht über Feminismus diskutiert, sondern über Homöopathie, dann würde Herr Alphonso immer wieder Variationen von „Also mir hat’s geholfen“ schreiben. Er reißt Tweets mit markiger Ausdrucksweise aus dem Kontext einer langen Debatte unf reiht sie aneinander. Das würzt er mit Blogposts, bei denen er durch anteasern darauf setzt, dass nur die Überschrift gelesen und dann kopfnickend in der Lektüre des Don fortgefahren wird.

Aber so zu verfahren ist höchst manipulativ, oder wie ich es gerne nenne: sophistisch. Denn man kann fast alles damit beweisen. Ich kann euch diese These beweisen, denn ihr werdet in den folgenden Zeilen selbst lesen können, was für ein schlechter Mensch dieser Don Alphonso ist. Aber nie vergessen: Das ist eigentlich einfach nur ein tendenziöser Artikel, der nichts beweist…

Don Alphonso ist ein schlechter Mensch

Don Alphonso ist ein schlechter Mensch, denn ganz offensichtlich bezahlt DA Menschen für Kommentare, …

… um den Verkauf von Anne Wizoreks Buch zu sabotieren.

Und nicht nur das, Don Alphonso ist auch ein schlechter Mensch, weil er irgendwelche ekeligen Sachen in anderer Leute Briefkästen schmeißt, während sie im Urlaub sind:

Und zwar ist es Torte!

Das ist doch widerlich! Das verklebt doch die komplette Post, die sich im Urlaub ansammelt!

Da seht ihr, was Don Alphonso für ein schlechter Mensch ist! Gott sei Dank, gibt es offenbar Zustellungsprobleme:

Dass Don Alphonso ein schlechter Mensch ist, sieht man zudem daran, dass er Drogen nimmt! So hatte er bei seinem letzten Berlinbesuch Probleme, sich seine Drogen zu besorgen:

Don Alphonso ist ein schlechter Mensch! Aber immerhin erkennt er seine eigenen Defizite:

Anscheinend besteht noch Hofnung für ihn, denn er sieht ein, dass solche Tweets …

… doch sehr infantil sind:

Positiv ist auch, dass er einsieht, dass sein Hass auf Jaron Lanier bei seinem eigenen Körper und Geist nicht angemessen ist:

Ich denke das reicht. Nicht vergessen: Ich weiß nicht, ob Don Alphonso wirklich ein schlechter Mensch ist, aber ich weiß, dass so zu argumentieren, manipulativ ist…

Ich bin zwar auch kein Fan von überhitzten Debatten, bei denen die verschiedenen Seiten versuchen, sich durch lauteres Schreien zu übertönen. Aber noch schlimmer finde ich manipulative Artikel, die versuchen durch Rosinenpickerei ihre Widersacher zu diskreditieren. Besonders, wenn sie von einem von uns weißen, heterosexuellen Männern stammen, der sich darüber beschwert, wie schlecht wir ™ behandelt werden. Wie sagte Louis C. K. einst so schön:

https://www.youtube.com/watch?v=qg48ZZ2wYfM

Irrtümer – Teil 2

Vor einer Weile verbloggte ich hier bereits einige Irrtümer, die wir im Alltag gerne vor uns hertragen, ohne sie zu hinterfragen. Dies ließ mich nicht mehr los und ich spitzte meine Augen und hielt die Ohren offen, auf der Suche nach weiteren Irrtümern…

Einen Anruf zurückverfolgen

A prospos „offen“: Offen muss auch die Leitung sein, um einen Anruf zurückzuverfolgen, oder?
Es gehört zur traditionellen Dramaturgie eines Erpresserkrimis, dass irgendwann der Erpresser anruft und die Erpresste trotz gegenteiliger Forderung die Polizei eingeschaltet hat. Die Polizei versucht dann, den Anruf zurückzuverfolgen. Dafür muss die Angerufene den Erpresser dann möglichst lange an der Leitung halten. Ist ja auch logisch: So ein Anruf geht über verschiedene Verteilstationen und an jeder muss dann nachgeguckt werden, woher der Anruf kam. Legt der Ganxta zu früh auf, gucken die Beamten in die Röhre. Was dann der Harry des Ermittlers meist mit einem geknickten Kopfschütteln zum Ausdruck bringt.

Als mir dieser filmische Code das letzte Mal über den Weg lief, wurde ich stutzig. War das nicht doch ein bisschen anachronistisch? Und ein Blick in die Wikipedia verrät, dass in der Tat bereits in den 70ern die Fangschaltung erfunden wurde. Die Angerufene brauchte nur eine vereinbarte Taste zu drücken und die Post blockierte die Leitung, sodass sie auch nach dem Auflegen offen blieb und die Ermittler sie in aller Ruhe zurückverfolgen konnten.
Doch damit noch nicht genug: Seit der Digitalisierung der Telefonnetze gibt es die Rufnummerübertragung. Die kann man zwar unterdrücken, diese Unterdrückung wird aber erst in der letzten Verteilstation aktiv, sodass die Ermittlerinnen dort ganz bequem die Nummer ablesen können. Und wissta was? Die Digitalisierung der Telefonnetze fand schon in den 1980er Jahren statt…

Spinnen im Schlaf essen

Seit Jahren kursiert die Horrorgeschichte durchs Netz, dass jeder Mensch im laufe seine Leben zehn Spinnen im Schlaf isst. ZEHN. SPINNEN. 10! Ich bin nun wirklich kein Arachnophobiker, aber das ist ekelig! Zum Glück ist es eben nur eine Horrogeschichte und den Spinnen fällt es nicht im Traum ein, nachts in unser Bett zu krabbeln.

Murphy’s Law

„Alles, was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen“

So lautet die populäre Varaiante von Murphy’s Law. Die Sache ist aber: Stimmt halt nicht. Murphy’s Law ist kein Gesetz im Sinne eines Naturgesetzes, sondern ein normativer Satz für Versuchsaufbaue und das Ingenieurswesen, der etwa dem Ingenieur sagen soll: „Obacht! Du kannst das Auto nicht für die Produktion zulassen, obwohl die Wahrscheinlichkeit, dass es explodiert, nur bei 0,001% liegt, denn was schiefgehen kann, das geht auch schief!“ Aber Murphy’s Law ist kein Gesetz wie die Schwerkraft, was sich mit zwei simplen Beweisen … nun ja … beweisen lässt.

Erstes Beweismittel, euer Ehren: Bei jedem Prozess ist die Zahl der möglichen Fehler unendlich groß, die Zeit, in der dieser Prozess durchgeführt wird, ist hingegen beschränkt. Also wird nicht alles schiefgehen, was schiefgehen kann.

Zweitens, Ein bisschen weniger abstrakt: eine beliebte Alltagsanwendung für Murphy’s Law ist die Kaufhausschlange. Denn frei nach Murphy müsste man sich ja immer an der Schlange anstellen, die am längsten braucht, weil vorne mal wieder irgendeine Oma mit ihrer Pfennigsammlung bezahlt. Doch hier kommt der Haken: Will Murphy’s Law mehr sein als eine triviale Anekdote, muss es einen allgemeinen Geltungsanspruch haben. Das Licht denkt sich ja auch nicht: „Och, heute fliege ich mal nur 200.000 km/s. Ich hab’s heute nicht so eilig.“ Aber wenn alle immer an der längsten Schlange im Supermarkt stehen. Was ist dann die kurze Schlange? Die Schlange hat nichts mit Murphy’s Law zu tun, sondern etwas mit selektiver Wahrnehmung: All die Male, als du an der kurzen Schlange standest, sind dir eben nicht in Erinnerung geblieben…

Bleibt noch die Sache mit dem Marmeladenbrot, das immer auf die Marmeladenseite im Leben fällt. Tja, das liegt einfach an der Höhe unserer Tische

Toastcat

Quelle: Uncyclopedia. Lizenz: fragwürdig.

Wir nutzen nur 10% unseres Gehirns

Glaubt man einer weitverbreiteten Sage oder eben Luc Besson, dann benutzen wir nur 10% unseres Gehirns und wären voll die Genies, wenn wir lernen würden, mehr zu benutzen.

Wäre das nicht cool? Schade nur, dass halt nichts dran ist an der Legende. Sogar wenn wir nichts tun oder gar schlafen, sind große Teile unseres Gehirns aktiv. Und wenn ein Teil des Gehirns keinen Input bekommt, wie etwa die Sehrinde bei Blinden, dann blubbert sie nicht gemütlich vor sich hin, sondern übernimmt schleunigst andere Aufgaben. Übrigens stammt der Mythos von Scientology

Die rechte und die linke Gehirnhälfte

Und wo wir gerade beim Gehirn sind: Habt ihr auch schon einmal gehört, dass die linke Hälfte für alles analytische und sprachliche zuständig ist und die rechte Hälfte sich um die Emotionen, die Empathie und das ganzheitliche Denken kümmert? Tja, ist ein Irrtum. Der hat zwar einen waren Kern, zum Beispiel, dass die meisten, wenn auch nicht alle Bereiche des Gehirns, die für Sprache zuständig sind, links sitzen. Aber in dieser drastischen Verkürzung, ist es reine Pop-Psychologie, zumal das mit den Emotionen wohl sogar komplett erfunden ist.

Überholen auf der Landstraße

Wer kennt das nicht: Du bist morgens auf dem Weg zur Arbeit und dann hat sich so ein Sonntagsfahrer im Tag geirrt und tuckert mit 70 durch die Kurven, die man locker mit 100 nehmen kann. DER IST SCHULD, WENN ICH ZU SPÄT ZUR ARBEIT KOMME! Also schnell überholen, um die verlorene Zeit wieder wett zu machen. Aber ist das wirklich so?

Gut auf der Autobahn kannst du dir das schnell herleiten: Wohnst du 100 Kilometer von deinem Arbeitsplatz entfernt, kannst du mit 200km/h Durchschnittsgeschwindigkeit(!!!) deine Fahrtzeit gegenüber derjenigen, die mit 100 dahintuckert halbieren. Aber wie ist das auf der Landstraße?

Nun, angenommen, dein Weg zur Arbeit beträgt 20 Kilometer, dann legst du die mit 100 Sachen in 12 Minuten zurück. Wenn du hingegen nur 70 fährst, dann sind es gerade einmal 17 Minuten! Dein Chef muss schon ziemlich kleinlich sein, wenn er wegen fünf Minuten Terz macht. Aber, damit nicht genug: Deutschland ist ein dichtbesiedeltes Land, daher ist es wohl keine allzu steile These, anzunehmen, dass du ca. alle 10 Kilometer eine Ortschaft kommt, in der du auf 50 runtergebremst wirst. Das versaut dir deinen 100er-Schnitt und verkürzt so deinen fünf minütigen Vorsprung schon gewaltig. Und wenn du jetzt noch Ampeln ins Spiel bringst, schmilzt er ganz dahin: Wie lange ist die durchschnittliche Wartezeit an einer Ampel? 2 Minuten? Das heißt, dass spätestens an der dritten Ampel der Überholte wieder hinter dir steht… Denkt daran, wenn ihr das nächste Mal überlegt, ob die Gerade lang genug ist, für ein entschlossenes Überholmanöver…

Der Hippokratische Eid

Den muss jeder Arzt ablegen, nicht wahr? Wie ging er noch gleich….? Ach ja:

„Ich schwöre und rufe Apollon, den Arzt, und Asklepios und Hygieia und Panakeia und alle Götter und Göttinnen zu Zeugen an, dass ich diesen Eid und diesen Vertrag nach meiner Fähigkeit und nach meiner Einsicht erfüllen werde.

Ich werde den, der mich diese Kunst gelehrt hat, gleich meinen Eltern achten, ihn an meinem Unterricht teilnehmen lassen, ihm, wenn er in Not gerät, von dem Meinigen abgeben, seine Nachkommen gleich meinen Brüdern halten und sie diese Kunst lehren, wenn sie sie zu lernen verlangen, ohne Entgelt und Vertrag. Und ich werde an Vorschriften, Vorlesungen und aller übrigen Unterweisung meine Söhne und die meines Lehrers und die vertraglich verpflichteten und nach der ärztlichen Sitte vereidigten Schüler teilnehmen lassen, sonst aber niemanden.

Ich werde ärztliche Verordnungen treffen zum Nutzen der Kranken nach meiner Fähigkeit und meinem Urteil, hüten aber werde ich mich davor, sie zum Schaden und in unrechter Weise anzuwenden.

Auch werde ich niemandem ein tödliches Gift geben, auch nicht, wenn ich darum gebeten werde, und ich werde auch niemanden dabei beraten; auch werde ich keiner Frau ein Abtreibungsmittel geben. Rein und fromm werde ich mein Leben und meine Kunst bewahren.

Ich werde nicht schneiden, sogar Steinleidende nicht, sondern werde das den Männern überlassen, die dieses Handwerk ausüben.

In alle Häuser, in die ich komme, werde ich zum Nutzen der Kranken hineingehen, frei von jedem bewussten Unrecht und jeder Übeltat, besonders von jedem geschlechtlichen Missbrauch an Frauen und Männern, Freien und Sklaven.

Was ich bei der Behandlung oder auch außerhalb meiner Praxis im Umgange mit Menschen sehe und höre, das man nicht weiterreden darf, werde ich verschweigen und als Geheimnis bewahren.

Wenn ich diesen Eid erfülle und nicht breche, so sei mir beschieden, in meinem Leben und in meiner Kunst voranzukommen indem ich Ansehen bei allen Menschen für alle Zeit gewinne; wenn ich ihn aber übertrete und breche, so geschehe mir das Gegenteil.“

Quelle: Internet.

Ähhhm, so etwas müssen die Ärzte von heute schwören? Ich frage mich, wie viele ehemalige Profs heute ein Altenzimmer in den Villen der Chefärzte haben… Aber keine Sorge: Laut der Wikipedia muss kein Arzt den Hippokratischen noch irgendeinen anderen Eid ablegen…

Nilpferde sind die gefährlichsten Tiere Afrikas

Habt ihr auch schon mal was darüber gehört, dass Nilpferde die gefährlichsten Tiere Afrikas sind? Die Story packt eigentlich immer irgendjemand während eines Zoobesuchs als nette Anekdote aus: Vergiss Löwen, Krokodile oder Elfanten. Nilpferde sind die wahren Killer! Na ja, immerhin ist die Story nicht komplett aus der Luft gegrifen: Immerhin 500 Menschen gehen jedes Jahr auf das Konto der Dickhäuter, damit lassen sie Löwen und Elefanten hinter sich. Allerdings sind Krokodile und Schlangen dann doch noch etwas gefährlicher, ganz zu schweigen von der Mücke!

Die tödlichsten Tiere
Die tödlichsten Tiere

Blasensprung bei Gewitter

Die letzte Geschichte ist „a tricky one“ und ich bin noch zu keinem abschließenden Urteil gekommen. Kürzlich hörte ich von keinem geringeren als dem Chefarzt der größten Frankfurter Geburtsklinik die Worte, dass bei Gewitter vermehrt Fruchtblasen springen. Das machte mich stutzig, es klang sehr nach der Mähr, dass bei Vollmond mehr Kinder geboren würden, die sich statistisch leicht widerlegen lässt.

Jetzt ist ein Chefarzt ja nicht irgendwer, andererseits nennen böse Zungen Ärzte auch die Zierpudel der Wissenschaft, weil sie ihre Doktorarbeiten gewöhnlich schon während des Studiums in einem oder zwei Semestern schreiben. Alles für den Titel. Ich machte mich also auf Spurensuche…

Leider blieb diese erfolglos. Entweder gibt es zu dem Thema keine Studie oder sie wurde sorgfältig vor dem Internet versteckt. Was auch nicht sonderlich schwer ist, da sich in den Spitzenpositionen der Suchergebnisse SEO-triefende Müttercommunitys und Schwangerschaftsportale tummeln. Dort wird dann stets im Anekdoten-Stil betichtet: „Also bei mir…“ oder „Hebammen wissen zu berichten…“.

Aber Anekdoten sind keine Beweise, da uns bei ihnen wieder die selektive Wahrnehmung einen Strich durch die Rechnung macht: Eine Hebamme erinnert sich nicht an die 20 Blasensprünge bei Sonnenschein, aber bei dem einen, der bei einem Gewitter vorkam, springt ihr die Hypothese von dem angenommenen Zusammenhang ins Gesicht. Und ich möchte betonen, dass das nichts mit Intelligenz oder der Kompetenz einer Hebamme zu tun hat, sondern menschlich ist. Es ist sogar sinnvoll, wenn die Hebamme unter einer Geburt auf ihren Erfahrungsschatz zurückgreift, denn sie muss schnelle Entscheidungen fällen und hat keine Zeit, Statistiken zu wälzen.

Aber wenn es uns um Erkenntnis geht, also um die Frage, wie die Welt wirklich ist, dann helfen uns in diesem Fall nur Zahlen. Die Frage, ob bei Gewitter mehr Fruchtblasen springen, bleibt also vorerst ungeklärt. Allerdings spricht gegen die Theorie, dass die Geschichte genau wie alle anderen Irrtümer, die ich hier versammelt habe, im Stil der Anekdote daherkommt…

Die Umdeutungen des Herrn Matussek – Eine Analyse

Ich habe keine Lust alten Menschen, die der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts nachtrauern, die Moral des 21. Jahrhunderts zu erklären. Deswegen halte ich mich meist fern von Artikeln, die Homosexualität „kritisch“ sehen oder traditionelle Werte oder Familienbilder heraufbeschwören wollen. Doch diesmal war es anders. Diesmal ließ mich die Überschrift von Matthias Matusseks Text in der Welt aufhorchen:

„Ich bin wohl homophob. Und das ist auch gut so“

Zu Herrn Matusseks Gunsten muss man einräumen, dass die Überschriften bei Zeitungen in der Regel von Redaktionen gemacht werden. Somit ist sie mutmaßlich nicht auf seinen Mist gewachsen, sondern wurde fremdgedüngt. Allerdings ist sie ein Zitat aus Matusseks Fließtext.

Aber was ist so erstaunlich an dieser Überschrift? Zunächst einmal ist dies ein direkter Diss gegen Herrn Wowereits Outing, der, als er Bürgermeister von Berlin wurde, die Worte sprach: „Ich bin schwul. Und das ist auch gut so.“. Die Welt gibt hier zu verstehen, dass sie Wowereit verabscheut und zwar nicht wegen seiner Politik sondern wegen seiner sexuellen Orientierung.

Die Deutungshoheit

Aber auch sprachanalytisch ist diese Überschrift bemerkenswert. Da ist zunächst einmal das kleine Wörtchen „wohl“, das die Aufgabe hat, sich vom Ausdruck „homophob“ zu distanzieren. Dies ist die Wortwahl der anderen, dabei, so wird impliziert, ist es normal, gegen Schwule und Lesben was auch immer zu haben.

Dies wird gleich durch den zweiten Teil der Überschrift unterstrichen „Und das ist auch gut so“. Dies ist ein normativer Satz, der daherkommt wie ein faktischer. Man kann diesen Satz umformulieren in „Und das sollte auch so sein“. Durch das „sollte“ sieht man, dass jemand hier seine moralischen Vorstellungen zum Ausdruck bringt und Moral ist immer diskutabel. Sie steht nicht fest sondern ist das Ergebnis der konsensualen Antwort auf die Frage „wie wollen wir leben?“. Aber auf diese Frage wollen Matussek und die Welt sich gar nicht erst einlassen (genauso wenig wie Wowereit seinerzeit), daher tauscht er das normative „sollte“ gegen das faktische „ist“. Er macht aus dem Werturteil ein Konstativa, eine Aussage über die Welt. Er versucht so, die Deutungshoheit zu bekommen. Wir sollen gar nicht erst auf die Idee kommen, dass Homophobie etwas Schlechtes ist.

Schattenboxen und Nazikeule

Auch im folgenden Abstrakt des Artikels stecken zwei schöne Sophismen:

„Wer nicht begeistert über Schwule spricht, ist gleich ein Schwulenhasser. Mittlerweile hat Homophobie dem Antisemitismus als schlimmste ideologische Sünde den Rang streitig gemacht“

Der erste Satz ist eine rhetorische Figur, die ich „Schattenboxen“ nennen möchte. Matussek und die Welt versuchen hier ihren Gegnern etwas in den Mund zu legen, was diese gar nicht gesagt haben. Aus der Forderung, die Realität zu akzeptieren, dass es verschiedene sexuale Orientierungen gibt, die natürlich vorkommen und die wir deshalb gesellschaftlich als normal anerkennen sollten, macht Matussek eine Begeisterung. Er versucht hier seine Leser an der Hand zu nehmen und zu der Überzeugung zu führen, dass diese Toleranten fordern, jeder müsse gleichgeseschlechtlichen Sex anstreben, ob das nun seinen sexuellen Vorlieben entspricht oder nicht.

Gefolgt wird dieses Argument von der Nazikeule. Ethiken sind nicht letztbegründbar, weswegen wir in ethischen Diskussionen als mahnendes Beispiel oft auf den Worst Case referieren. Das war zweifellos der Holocaust. Matussek weiß, dass er sich in diese Gefahr begibt, wenn er für Diskriminierung eintritt, deswegen versucht er Gegenargumenten sofort den Wind aus den Segeln zu nehmen: Er sagt, ich weiß, dass ihr mich gleich einen Nazi nennen werdet, aber dann seit ihr nicht besser als jene Menschen, die immer gleich „Antisemitismus“ schreien, also nicht ernst zu nehmen. Das ist aus vielerei Gründen ein garstiges Argument, aber vor allem weil es implizit zum Ausdruck bringt, dass nicht nur Homophobie, sondern auch Antisemitismus voll okay seien…

Das muss man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen: Matussek sagt, das man jetzt nicht mehr bloß Juden nicht hassen darf, sondern auch noch Homosexuelle!

Man wird doch wohl noch sagen dürfen

Nachdem Herr Matussek nun also den Rahmen abgesteckt hat, kann er uns als nächstes direkt ansprechen, indem er uns eine Anekdote erzählt. Um sich dennoch in Sicherheit zu wiegen, ist das, was er nun erzählt, vorsichtshalber „einem Freund“ passiert. Dieser erlebte nämlich unter widrigen Umständen

„weit nach Mitternacht, die Selbstkontrolle schwand zusehends“

einen Moment der Klarheit. Indem ihm entfuhr, als in Maischbergers viel erwähnter Sendung vom Ideal der Vater-Mutter-Kind-Familie die Rede war, demnächst dürfe man wohl auch nicht mehr in Gegenwart eines Rollstuhlfahrers von einem Wanderurlaub erzählen.

Eingebettet in die Anekdote fährt hier Mattusek mit seiner Strategie aus der Überschrift fort, indem er versucht normative Sätze in faktische umzudeuten. Denn bei Maischberger geht es ja um ein Ideal, also die Frage, wie etwas sein sollte. Hingegen handelt die Urlaubs-Anekdote von Fakten, dort wird kein Werturteil gefällt, nicht vorgeschrieben, dass alle Menschen nur noch wandern dürfen (eine Horrorvorstellung für mich!), sondern lediglich dargestellt, wie etwas war: der Urlaub eines einzigen Menschen. Der Grund, warum Matussek diesen Haken schlägt, ist, dass er auf die beliebte „Man wird doch wohl noch sagen dürfen“-Argumentation hinaus will. Die er dann in den folgenden Absätzen rund um Spanien, die Kirche und die Bibel weiter ausführt. Der Abschnitt ist ansonsten wenig spannend, er argumentiert ein bisschen biologistisch von der natürlichen Ordnung der Dinge (Ob er sich der Ironie bewusst ist, dass das Ding, auf dem er diese Sätze schreibt, so ziemlich das Unnatürlichste ist, was man sich denken kann: der Computer?) – alles ziemlich egal und rhetorisch schwach.

Ein Unrecht mit einem anderen rechtfertigen

Rhetorisch spannend wird es erst wieder hier:

„Von allen autokratischen Fehlleistungen Putins gilt seine Kampagne gegen Homosexuelle als die allerniederträchtigste, egal, wen er sonst so ins Gefängnis steckt.“

Hier versucht er zunächst einmal wieder das Schattenboxen: Niemand hat jemals behauptet, dass Homosexuellendiskriminierung schlimm, alles andere aber egal ist. Aber was Matussek hier darüber hinaus tut, ist spannend: Er versucht ein Unrecht mit einem anderen Unrecht zu rechtfertigen. Aber das ist nicht zulässig. Du kannst in einer Ethik nicht so argumentieren, dass es okay ist, zu rauben, weil andere morden. Das eine legitimiert das  andere schlichtweg nicht, so sehr ich mich auch winde. Genauso wenig legitimieren Putins sonstige „autokratische Fehlleistungen“ die Diskriminierung von Homosexuellen.

Um uns dennoch mit diesem falschen Argument einzulullen, bettet Matussek es gleich wieder in eine Anekdote ein von seinen Nachbarn, die jetzt wegen der Homosexuellen kein Olympia gucken. Diese Deppen! Schließlich gucken wir alle doch die Spiele, also müssen seine Nachbarn ja irren! Und wir können beruhigt die Fernbedienung in der Hand behalten, weil der liebe Herr M. gesagt hat, dass das okay ist.

Umdeutung der Rollen

Der folgende Absatz glänzt vor allem durch Hohn und Spott:

„Homosexualität, Bisexualität, Transsexualität, alles völlig normaaaal. Alles wurscht.“

Das ist eine Strategie, die auch im Kindergarten meiner Tochter sehr beliebt ist. Wenn jemand etwas sagt, auf das ich nichts erwidern kann, dann mache ich mich eben mit Nonsense über das gesagte lustig-schmustig! Der Grund für diese Strategie, liegt darin, dass Matussek versucht sich und seinesgleichen in die Opferrolle zu schmuggeln, wie Stefan Niggemeier unlängst vorzüglich darlegte. Was fällt denn diesen unverschämten Toleranten ein, dass sie meine Intoleranz nicht tolerieren? Und dass wir die Intoleranten gefälligst tolerieren müssen, wird auch dem letzten klar, wenn wir ein bisschen Stalinismus-Rhetorik verwenden:

„Sie zielte ab auf eine innere Bejahung, auf den umerzogenen NEUEN MENSCHEN.“

Namedropping

Als nächstes führt Matussek das Namedropping ein: Max Weber mochte S&M ohne das an die große Glocke zu hängen, also haben Schwule und Lesben auch zu schweigen. Und die großen Philosophen Robert Spaemann und Aristoteles haben auch schon aus einem Sein ein Sollen gemacht, indem sie homosexuelle Liebe als defizitär ansahen, weil sie keine Kinder zeugen könne. Dann muss es ja stimmen, oder?

Nachdem sich Matussek noch einmal mit ironischer Selbstbezichtigung versucht, gegen Kritik abzusichern, endet er damit, ein letztes Mal sich auf die natürlich Ordnung zu berufen und damit von einem Sein auf ein Sollen zu schließen. Der Sein-Sollen-Fehlschluss aber ist ein logischer Fehler, das sollte jemand der Aristoteles zitiert schon wissen. Wenn ihr wissen wollt, warum, könnt ihr es hier nachlesen.

Ich bin raus.

Verschwörungstheorien widerlegen

Jemand gelangte mit der Suchanfrage „Logische Fehlschlüsse Verschwörungstheorien“ auf mein Blog. Das ist ein spannendes Thema, dem ich mich hier widmen möchte. Doch vorweg muss ich die Suchende enttäuschen, denn die Logik kann uns hier nur bedingt weiterhelfen.

Der Mond
Der Vollmond, fotografiert in Hamois (Belgien). Urheber: Luc Viatour. Lizenz: CC BY-SA 3.0.

Das liegt in ihrer Natur: Die Logik ist die Lehre vom formal richtigen Schließen. Dass heißt, sie untersucht Schlussfolgerungen nur anhand ihrer sprachlichen Form, um zu prüfen, ob in dieser Fehler stecken. Der Inhalt der Äußerung interessiert die Logik dabei überhaupt nicht, sie überlässt es der Empirie, der Wissenschaft, zu prüfen, ob dieser Inhalt wahr ist.

Daraus folgt natürlich, dass ich fantastische Welten ohne einen einzigen logischen Fehler erschaffen kann, die dennoch nicht wahr sind. Ein Beispiel: Mit dem klassischen Syllogismus kann ich beweisen, dass es keine Klimakatastrophe gibt…

P1 Ein Klimawandel ist ein ganz natürlicher, ungefährlicher Vorgang.
P2 Wir erleben gerade einen Klimawandel.

C Wir erleben gerade einen ganz natürlichen ungefährlichen Vorgang.

Mit anderen Worten: Diese Wissenschaftler regen sich ohne Grund auf. Es gibt nichts zu befürchten, tanken Sie bitte voll!

Ich kann Verschwörungstheorien aufbauen, die in sich komplett schlüssig sind, daher ist hier die Logik als Waffe oftmals stumpf. Natürlich bleibt der Satz vom Widerspruch wie immer unser wichtigstes Werkzeug. Denn auch in einer Verschwörungstheorie kann etwas nicht zugleich der Fall sein und nicht der Fall sein. Beispielsweise liegt der Widerspruch offen wie der Quellcode von Linux, wenn Nazis einerseits Arier als Über- und Juden als Untermenschen stilisieren, andererseits aber von einer jüdischen Weltverschwörung sprechen, denn wie soll diese denn gegen die vermeintlichen Übermenschen möglich sein?

Aber, auch wenn solche Dummheiten viele Anhänger finden können, sind die spannenden Verschwörungstheorien eben jene, die logisch schlüssig sind. Und bei diesen begehen Kritiker oft den Fehler, sie logisch widerlegen zu wollen, doch für jeden abgeschlagenen Kopf der Hydra wachsen ihr zwei nach. Nein, wollen wir sie zu Fall bringen, dann müssen wir ihr die Beine wegschlagen. Statt zu prüfen, ob in einer Verschwörungstheorie die richtigen Schlüsse gezogen werden, ist viel erfolgsversprechender, zu prüfen, ob von den richtigen Prämissen ausgegangen wird. Das wiederum ist nicht mehr Sache der Logik, sondern jene von Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie.

Über Gewissheit

Die Wissenschaftstheorie gibt uns eine ganze Reihe von Werkzeugen an dir Hand mit denen wir dem Verschwörungstheoretiker begegnen können. Und um mit meinem Muster zu brechen und meine Texte nicht zu vorhersehbar zu machen, fange ich mal mit Wittgenstein an, statt mit ihm zu enden. Die für uns fruchtbaren Gedanken Wittgensteins finden sich in „Über Gewissheit„. Dort setzt sich Wittgenstein mit erkenntnistheoretischem Skeptizismus auseinander. Das ist kein Skeptizismus im Sinne der GWUP, sondern in gewissem Sinne die Verschwörungstheorie der Philosophie, nämlich die philosophische Lehre, dass Erkenntnis prinzipiell unmöglich ist. Dass wir uns also nie sicher sein können, ob die Welt wirklich existiert oder alles nur in deinem Kopf existiert, Thomas D.

Wittgensteins Antwort darauf lautet, salopp gesprochen: wenn du an allem zweifelst, dann musst du auch dein Maul halten. Denn warum zweifelst du am Rest, wenn du nicht an der Bedeutung deiner Worte zweifelst? Sätze stehen nie so isoliert da wie Will Smith in I am Legend, statt dessen ist der Kontext wichtig. Sie erhalten erst in einem komplexen Geflecht mit anderen Sätzen ihre Bedeutung.

Zurück zu unserem Problem: Wenn der Verschwörungstheoretiker einen Aspekt der Tagesschau-Wikipedia-Realität leugnet, dann liegt auch die Beweislast bei ihm. Er muss zeigen, wie seine Theorie sich in diese Realität einfügt. Und dabei ist es wichtig, dass es seine Theorie ist, die sich einfügen muss. Er kann sich nicht lutherisch hinstellen und nicht anders können. Schon Paul [Carl; korrigiert am 11.10.14] Sagan wusste zu sagen: „Außergewöhnliche Behauptungen bedürfen außergewöhnlicher Beweise„. Oder in den Worten Spidermans: „Aus großer Kraft entspringt große Verantwortung“. Es reicht nicht, zu sagen: „Du kannst eine außergewöhnliche Sichtung am Loch Ness nicht erklären, also gibt es Nessi!“ Die Fakten sprechen zunächst einmal gegen die Existenz eines Monsters im Loch Ness, wenn du also beweisen willst, dass es doch existiert, reicht nicht ein einziges außergewöhnliches Phänomen. Nein, du musst alle meine Argumente entkräften, denn dein Satz ist es, der nicht ins Sprachspiel passt, nicht meiner.

Zahlen und Fakten statt Anekdoten

Oft verläuft das Plädoyer für eine Verschwörungstheorie wie im Falle der Homöopathie und als Argument dafür wird angeführt: „Also mir hat’s geholfen.“ Das aber ist eine Abduktion. Aus dem Einzelfall einer wie auch immer zustande gekommenen Heilung wird auf die Allaussage, dass Homöopathische Mittel wirken, geschlossen. Das ist kein Fehlschluss, sondern eine Schlussform, die wir im Alltag ständig anwenden und die uns auch meistens gute Dienste leistet. Aber es ist dennoch eine sehr unsichere Schlussform. In einem Experiment hat man mal Wölfen den Geschmack an Schafsfleisch verdorben, indem man diesem ein starkes Abführmittel beifügte. Aus dem einmaligen Magenproblemen schlossen die Tiere falsch, dass Schafsfleisch immer unverträglich ist (Leider finde ich den Lin nicht mehr, weswegen ich das hier mal als Anekdote stehen lasse…). o.O

Ein Einzelfall ist letztlich nichts anderes als eine Anekdote, was uns in einer Diskussion mit einem Verschwörungstheoretiker aber weiterbringt, sind Zahlen und Fakten. Im Falle des Klimawandels wären das zum Beispiel die Menge an Kohlendioxid, die die Menschheit jährlich produziert, der genaue chemische Prozess, wie Kohlendioxid das Klima beeinflusst und das Ausmaß des aktuellen Klimawandels verglichen mit solchen aus der Vergangenheit.

Das besten Mittel, um einen Fakt von einer Anekdote zu unterscheiden, kennt jede, die schon einmal eine Grundlagenvorlesung in empirischer Sozialforschung besucht hat: Reliabilität, Validität und Objektivität. Und weil dieses YouTube-Video das viel besser erklärt, als ich es je könnte, gebe ich das Wort an Stephan Georg:

Ockhams Rasiermesser

Ockhams Rasiermesser wird oft auch englisch Ockham’s Razor oder Occam’s Razor genannt, da es auf den englischen Philosophen William of Ockham zurückgeht, der, da er bereits 1288 zur Welt kam vielleicht auch of Occam hieß. Wer weiß das heute schon so genau. Das Prinzip ist ganz einfach und besagt, dass wir, wenn wir zwei oder mehr Erklärungen für ein Phänomen haben, diejenige bevorzugen sollten, die mit weniger Hypothesen auskommt.

Angenommen

P1 Omas gutes Porzellan ist zerbrochen und den Scherben finden sich Kakaoreste.

Und du hast jetzt die Wahl zwischen

P2 Dein Kind wollte sich einen Kakao machen

C Dein Kind hat die Tasse zerbrochen.

oder

P2 Möglicherweise ist dein Nachbar ein Mafiaboss
P3 Daher wurden Ninjas ausgesandt um ihn zu ermorden
P4 Die Ninjas haben sich in der Wohnung geirrt
P5 Die Ninjas sind in deine Wohnung eingedrungen, ohne Spuren zu hinterlassen
P6 Das Kakaopulver ist eigentlich ein seltenes Gift
P7 Die Ninjas wurden irgendwie gestört
P8 Die Ninjas haben überstürzt den Rückzug angetreten

C  Ninjas haben die Tasse zerbrochen

Welche Erklärung ist dann plausibler? Wichtig ist: Erklärung Nummer Zwei ist nicht ausgeschlossen. Es gibt durchaus eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass Ninjas das gute Porzellan deiner Oma zerbrochen haben, aber sie ist eben seeeeeeeeeehr klein. Doch warum ist das so? Was macht die einfachere Theorie zur besseren? Nun darüber haben die Philosophen lange und oft diskutiert. Die Antwort, die ich hier geben möchte, führt uns zur letzten und stärksten Waffe gegen Verschwörungstheorien. Quasi zum Herrscherring der Wissenschaftstheorie. Für jede unserer Prämissen muss nämlich gelten: dass sie zumindest prinzipiell auch widerlegbar ist. [Edit: Und mit der Zahl der Prämissen steigt die Wahrscheinlichkeit, dass eine davon dem Falsifikationsvorbehalt nicht genügt]

Der Falsifikationsvorbehalt

David Hume hat uns in seinem „A Treatise of Human Nature“ das Induktionsproblem hinterlassen: Aus der Tatsache, dass die Sonne bis jetzt jeden Morgen aufgegangen ist, kann ich nicht schließen, dass sie bis in alle Ewigkeit jeden Morgen aufgeht. Denn, wenn sie morgen nicht aufgehen sollte, kann ich meinen Schluss in die Tonne kloppen. Andererseits ist aber die Induktion (das ist der Schluss von einer Reihe von Einzelfällen auf eine allgemeine Regel) unser einziges Mittel in der empirischen Wissenschaft, um wirklich neues Wissen zu gewinnen. Wie kann ich denn dann sicher sein, dass ich mich nicht geirrt habe? Die Antwort lautet einfach: gar nicht, aber genau das kann ich zum Prinzip erheben. Um die Induktion sicherer zu machen, muss ich zunächst alle oben angeführten Prinzipien befolgen:

1. Meine Induktion muss sich ins Geflecht bestehenden Wissens einfügen
2. Meine Induktion muss objektiv sein
3. Meine Induktion muss valide sein
4. Meine Induktion muss reliabel sein
5. Ich muss die Komplexität möglichst weit reduzieren

Wenn ich diese Schritte durchgeführt habe, dann habe ich die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass mein Schluss richtig ist. Aber er könnte ebenso falsch sein… Daher gilt für ihn der Falsifikationsvorbehalt. Karl Popper hat uns diesen vererbt, indem er das Prinzip einführte, dass eine Theorie nur so lange als wahr gilt, bis ihr Gegenteil bewiesen wurde. Das Beispiel mit den schwarzen Schwänen kennt wahrscheinlich jeder: Lange Zeit war die Aussage wahr: Alle Schwäne sind weiß. Dann schipperte James Cook nach Australien und entdeckt dort den Trauerschwan und – Booooom! – Unsere Wahrheit zerfiel zu Staub wie ein Vampir im Sonnenlicht (nein, die glitzern nicht!). Ein Schwarzer Schwan reicht, um den Satz „Alle Schwäne sind weiß“ zu falsifizieren.

Doch wie können wir Poppers geheime Superkraft gegen unsere Verschwörungstheoretiker zu Felde führen? Ganz einfach: Wie ich schon sagte, wir erheben sie zum Prinzip. Denn wahr kann nur sein, was auch falsch sein kann. Eine Theorie muss widerlegbar sein, sonst ist sie nur noch eine Geschichte ohne jeglichen Wahrheitsanspruch. Brian kann nicht der Messias sein…

Klassisches Beispiel für den Nicht-Theorie-Status ist die Freudsche Psychoanalyse. Eine psychoanalytische Hypothese kann ich prinzipiell nicht widerlegen, denn wann immer ich ein Argument gegen sie anführe, wird mir der Analytiker entgegenhalten, dass ich das jetzt nur sage, weil mein Unterbewusstsein mir einflüstert, dass ich das jetzt sagen soll. Aber das heißt nichts anderes als:

Vielen Dank fürs Mitspielen aber Sie haben sich eben im großen Wahrheitsquiz disqualifiziert, denn wenn Ihre Theorie nicht falsifizierbar ist, dann kann sie auch nicht wahr sein.

In der Verschwörungstheorie kommt das Argument oft in der Gestalt daher, dass ich jedesmal, wenn ich ein Argument gegen die Verschwörung vorbringe, ebenjenes angeblich nur sage, weil ich Teil der Verschwörung bin. Aber das ist eben kein gültiges Argument, es besitzt keinen Wahrheitswert sondern ist rein sophistisch. Doch das ist eine andere Geschichte, der ich mich schon einmal hier gewidmet habe…

Wenn ihr meine Ausführungen mal in der Praxis erleben wollt, empfehle ich euch Hoaxilla. Alexander und Alexa (die Namen zeigen eindeutig, dass sie Teil der Verschwörung sind!!!11einself) haben schon so manche Verschwörungstheorie unter die Lupe genommen.

Literatur:

Ludwig Wittgenstein: Über Gewissheit (bei Amazon)
David Hume: A Treatise of Human Nature (umsonst und legal bei Gutenberg.org)
Karl Popper: Logik der Forschung (bei Amazon)

Update:

Das Buch gibt’s hier.

 

Ich bin raus!