Aristoteles – Kritik an Platons Ideenlehre

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Daniel
ist ein Einzelding

Aristoteles – Der Logiker – Folge 12

Aristoteles war zwar Schüler Platons, aber wir zählen ihn nicht zu den Platonikern. Stattdessen hat er seine eigene Tradition begründet. Ausschlaggebend dafür ist seine Abkehr von der Ideenlehre. In dieser Folge lege ich die drei größten Kritikpunkte von Aristoteles an der Ideenlehre dar: Das Argument vom Dritten Menschen, dass Platon nicht erklären kann, wie die Ideen auf die Einzeldinge einwirken und das Problem der verschachtelten Ideen.

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Kleine Wiederholung: Warum Ideenlehre?

Bevor ich euch Aris Kritik an Platon vorstelle, lasst uns doch noch einmal ins Gedächtnis rufen, warum Platon überhaupt auf das Konzept zu seiner Ideenlehre kam. Sie ist ja nicht wirklich naheliegend, oder?  Denken wir noch einmal an die letzte Folge zurück und damit an die Grundfrage, was das Seiende ist. Was ist die wahre Natur der Welt? Auch wenn Platon genau wie Aristoteles noch im ersten Paradigma der Philosophie verfangen war, was bedeutet, dass beide noch glaubten, dass sich die Frage, was die Welt ist, beantworten lässt, war bereits Platon klar, dass es nicht so einfach ist, die richtige Antwort zu finden, weil beispielsweise meine Sinne mir Streiche spielen können. Im Dialog Theaitetos bespricht Platon das ausführlich.

Eine weitere Einschränkung ist, dass wir uns die Welt sprachlich erschließen und die Sprache die Welt auf bestimmte Weise darstellt. Erneut: Platon und Aristoteles hatten natürlich noch nicht den Linguistic Turn vollzogen, sie waren sich nicht der Medialität der Sprache bewusst. Die Vorstellung, dass die Struktur der Sprache uns die Struktur der Welt womöglich verstellt, war ihnen noch fremd. Für die beiden war Sprache ein Werkzeug, das unsere Welt abbildet. Und daher untersuchten sie die Welt, indem sie sprachliche Strukturen anschauten.

Aber wenn ich beispielsweise wissen will, was das Seiende ist, dann ist die Idee ja nicht ganz blöd, mir mal zu überlegen, wie sich dieses Seiende in einem Satz abbildet. Ich nannte das Seiende beim letzten Mal auch „die Struktur der Welt“. Wenn wir uns jetzt fragen, was diese Struktur in ihrer einfachsten Form ist, dann können wir das anhand eines einfachen Satzes machen.

Es spricht einiges dafür, dass der einfachste weltbeschreibende Satz die Form

(x)P

hat. Oder, um euch nicht mit Formeln zum Einschlafen zu bringen, zum Beispiel:

„Dies ist ein Stein.“

Warum soll das der einfachste Satz sein? Nun, ein beschreibender Satz setzt sich aus Subjekt und Prädikat zusammen. Hier ist „Dies“ das Subjekt und „ist ein Stein“ das Prädikat. Besonders schön ist, dass „dies“ auf ein Einzelding referenziert, also darauf verweist. Auf das eine Ding, was ich hier mit meinen Augen vor mir sehe. „Stein“ hingegen auf einen Allgemeinbegriff. Wenn wir jetzt also unterstellen, dass „Dies ist ein Stein“ die einfachste Form der Weltbeschreibung ist und sich hier drin die Struktur der Welt wiederspiegelt, dann stellt sich die Frage, was existiert als erstes? Das „dies“, also das Einzelding? Oder der Begriff „Stein“, also der Allgemeinbegriff, das Konzept des Steins.

Platons Antwort lautete: „Das Allgemeine hat ontologisches Primat.“ Also: Zunächst existieren erst einmal allgemeine Ideen von den Dingen, von diesen lassen sich dann einzelne Erscheinungen ableiten. Wie kam Platon auf diese Idee? Platon kam auf seine Ideenlehre über die zutreffende Beobachtung, dass ich erst einmal einen Begriff von einer Sache haben muss, um sie erkennen zu können. Ihr alle wisst mittlerweile, was ein R-Wert ist, könnt also mehr oder weniger gut erklären, wie sich Viren in der Bevölkerung verbreiten und unter welchen Bedingungen das zum Problem werden kann.

Aber im Jahr 2019 konnten 99% von euch das noch nicht. Ihr hattet noch keinen Begriff davon, wie sich Viren in einer Bevölkerung verbreiten. Entsprechend wart ihr genau wie ich nicht in der Lage, die Verbreitung eines einzelnen, speziellen Virus zu erkennen. Platon hatte seinerseits natürlich noch keinen Begriff von R-Werten. Aber er liefert im Dialog Menon ein mathematisches Beispiel, das ihn am Ende darauf schließen lässt, dass uns Menschen die Ideen – also die Allgemeinbegriffe – angeboren sind und wir uns nur noch an sie erinnern müssen, wenn uns ein Einzelphänomen das erste Mal begegnet. Das ist die platonische Anamnesis-Lehre.

Und an dieser Stelle kommt jetzt also Aristoteles mit seiner Kritik ins Spiel.

Das Argument vom dritten Menschen

Ich weiß nicht, ob ich es schon erwähnt habe – höchstens ein- oder zweimal – Aristoteles war ein Schüler Platons. Er gehörte zwanzig Jahre lang der platonischen Akademie an. Dennoch zählen wir ihn heute nicht zu den Platonikern. Stattdessen hat er seine eigene Tradition begründet. Woran liegt das? Nun, im Gegensatz zu den anderen uns bekannten Akademikern besteht Aris Philosophie nicht in einer Interpretation von Platons Worten. Stattdessen hatte er einiges am alten Philosophen auszusetzen. Die komplette Metaphysik des jungen Aristoteles liest sich ein bisschen wie eine heißblütige Rebellion gegen die Ideenlehre. Ein großes „Fuck You!“ an Platon. Ja, so ist das, wenn Philosophen in die Pubertät kommen: Sie schreiben ein Buch darüber, wie die Welt wirklich ist! Punk‘s not dead!

Doch was hatte Ari denn jetzt eigentlich an der Ideenlehre auszusetzen? Sie ist doch eine knorke Sache, oder? Was man immer liest, wenn irgendjemand auch nur einen Satz über Aris Kritik an Platon verliert, ist das Argument des dritten Menschen. Es geht so:

Wenn ein Einzelding „Mensch“ ein Mensch ist, weil er einem idealen Menschen gleicht, muss es einen noch idealeren Menschen geben, denen beide, das Einzelding und die Idee Mensch, gleichen.

Dieses Problem hat sich mir nie erschlossen. Doch heute darf ich stolz verkünden, dass ich nach seeehr vielen Jahren, in denen ich mich schon mit Platon und Aristoteles beschäftige, es endlich verstanden habe. Zumindest, wenn ich der Interpretation von Gottfried Martin glauben schenken darf. Nach Martin kann das Problem nämlich erst entstehen, wenn man eine Eigenart des Altgriechischen beachtet, die mir mangels Kenntnis dieser Sprache stets verborgen blieb.

Demnach schreibt Platon wohl in der Regel nicht „die Idee von XY“, also zum Bespiel „die Idee der Schönheit“, er schreibt auch nicht „die Schönheit an sich“, sondern er verwendet das Adjektiv substantivisch. Was man am ehesten als „das Schöne“ übersetzen könnte.

Wenn er dann das Einzelding mit der Idee vergleicht, vergleicht er das Schöne mit dem Schönen und so haben wir plötzliche Anlass, anzunehmen, dass wir noch etwas drittes brauchen, um beide zu vergleichen. Erlaubt mir, da noch einmal eine dieser schrecklichen Formalisierungen aus der analytischen Philosophie einzusetzen, um das Problem klarzumachen. Demnach kannst du sagen, die Einzeldinge „Mensch“ bestehen aus der Menge M {M1; M2; M3, M4 …} und so weiter. Die Idee hingegen ist Mi. Wir können jetzt aber auch sagen, wir bilden eine Menge aller Menschen, egal ob sie Einzeldinge oder Ideen sind und nennen sie Meta-Mensch, dann haben wir Mm {M1, M2, M3, M4, Mi …} Und da Mengen Mengen enhalten können, lässt sich das Spiel bis in alle Ewigkeit fortführen, die Menge Meta-Meta-Mensch enthält dann Mmm {M1, M2, M3, M4, Mi, Mm …}

Dies führt zu einem Infiniten Regress und der ist neben Zirkelschluss und Dogma eine der drei roten Karten im Begründungsspiel der Philosophie.

Ich verstehe also endlich, wie Platon (der seinerseits das Problem bereits im Dialog Parmenides anspricht) und Aristoteles darauf kommen konnten. Was ich aber noch immer nicht verstehe, ist, warum das noch immer hervorgekramt wird, sobald man einen Kritikpunkt an der Ideenlehre sucht. Denn meines Erachtens hat dieses Problemchen Charles Sanders Peirce abschließend gelöst. Im Gegensatz zu Platon kannte Peirce nämlich den Buchdruck und mit ihm die Unterscheidung zwischen Typ und Token. Der Typ ist der Buchstabe in der Druckerpresse und er kann Millionenfache den gleichen Buchstaben auf Papier drucken. Die Buchstaben auf dem Papier sind Tokens. Ich kann easy-peasy sagen: Jepp, ein Token lässt sich auf einen Typen zurückführen, ohne dass ich einen Metatypen dafür brauche. Entsprechend kann ich jeden beliebigen Buchstaben-Token, egal wie und wo er zu sehen ist auf seinen Typen zurückführen. Etwa kann ich diesen Token G auf den Typen G an sich zurückführen, von dem ich eine mentale Repräsentation habe, sobald ich zu lesen gelernt habe oder platonisch-ontologisch gesprochen, kann ich den Token G auf die Idee G zurückführen, ohne ein drittes G zu benötigen.

Lasst uns das Problem vom dritten Menschen also zusammenknüllen als wäre es ein mit Ideen der FDP zur Verkehrspolitik beschriebenes Blatt Papier und ein für alle Mal in den Müll werfen. Denn es gibt viel bessere Kritikpunkte an der Ideenlehre!

Wie wirken die Ideen auf die Einzeldinge ein?

Ein sehr wichtiges Thema für Aristoteles war, dass Platon eigentlich nie erklärt, wie die Ideen Einfluss auf die Einzeldinge nehmen. In Platons Konzeption existieren die Ideen jenseits unserer Welt an einem überhimmlischen Ort. Wie gelingt es ihnen von dort, Einfluss darauf zu nehmen, wie ein konkretes Einzelding vor mir im hier und jetzt aussieht? Platon liefert dafür keine Erklärung. Er sagt einfach: Isso! Aber diese Frage beschäftigte Aristoteles bis ins Alter. Er war der festen Überzeugung, was auch immer die Form *Spoiler-Alert* eines Dings beeinflusst, muss in diesem Ding liegen. Doch da sind wir noch lange nicht. Kehren wir daher noch einmal zum jugendlich-leichtsinnigen Aristoteles zurück, denn den störte noch etwas anderes.

Das Problem der verschachtelten Ideen

Billy Eilish ist ein Mensch und ein Lebewesen. Wir können jetzt fragen, ob der ideale Mensch ein ideales Lebewesen ist. Wenn ja, dann muss es so viele ideale Lebewesen wie Arten von Lebewesen geben. Denn dann gibt es ja sicher auch den idealen Gibbon, die ideale Zecke, die ideale Qualle etc.

Okay, das Argument kann ich nachvollziehen, aber ist es auch ein K.O.-Kriterium für die Ideenlehre? Ich meine: Klar, das ist jetzt ein bisschen doof gelaufen, weil Platon ja auf der Suche nach DEM ALLGEMEINEN war und am Ende landet er bei einem  unüberschaubar großen Haufen Ideen. Aber unsere Lego-Kiste ist auch ziemlich unübersichtlich und dennoch existent.

Ari sah das anders und macht einen extrem guten Punkt. Er kritisiert, dass Platon sagt, die Ideen wären das Allgemeine zugleich aber annimmt, dass jede einzelne Idee eine vom Erfahrungsgegenstand separate Existenz hat. Letzteres macht sie selbst zu Einzeldingen. Nur zu Einzeldingen einer anderen Art. Zu sagen, eine Idee ist das Allgemeine und zugleich sagen, dass sie ein Einzelding ist, ist aber ein Widerspruch.

Wovon würden wir sagen, es existiert?

Der junge Ari stellt hier ganz berechtigt die Frage: Wenn die Ideenlehre eh auf einen riesigen Haufen an Dingen hinausläuft, können wir sie dann nicht auch ganz aufgeben? Sollten wir nicht den Boden des Kinderzimmers noch einmal komplett freiräumen vom metaphysischen Unterbau und uns fragen, was das eigentlich Seiende ist? Und da bei „das eigentlich Seiende“ sofort mein Heidegger-dar angeht, lasst uns doch einfacher formuliert noch einmal fragen: Wovon würden wir sagen, es existiert?

Schauen wir dabei einen Legostein an. Was existiert an ihm? Platon hatte die Frage in seiner Ideenlehre so beantwortet: Wirklich existieren tun abstrakte, unabhängig vom Einzelding existierende Urbilder. Platon sagte zum Beispiel: Dieser grüne Legostein existiert, weil es die Idee des Legosteins und die Idee der Grünheit gibt. Ist das ein Wort? Grünheit? Seine Grünheit erwartet Sie … Anyway …

Schauen wir noch einmal auf unseren einfachen Satz vom Anfang an:

xP

Dann haben wir jetzt:

Dies ist Grün

Dies ist ein Legostein

Jetzt komm Aristoteles und sagt: Moment, Platon Du redest die ganze Zeit nur über den rechten Teil des einfachen Satzes, über das Prädikat. Und damit gerätst du in alle möglichen Schwierigkeiten. Warum schauen wir uns nicht einfach erstmal dieses „Dies“ an?

Ari sagt, das „grün“, doch zunächst einmal eine Eigenschaft ist, die irgendeinem Ding zukommt. Grün braucht immer einen Träger, der grün ist. Wir können uns gar nicht vorstellen, was Grünheit sein soll, ohne ein konkretes Ding, das grün ist. Grün erlangt überhaupt dadurch erst eine Existenz, dass es eine Eigenschaft von einem existierenden Einzelding ist.

Das klingt alles sehr einleuchtend. Aber Platon hat noch ein Ass im Ärmel: die Anamensislehre. Die Anamnesislehre ist eines der stärksten Argumente für die Ideenlehre. Nach Platon ist Erkenntnis überhaupt nur deshalb möglich, weil unsere Seele vor unserer Geburt die Ideen geschaut hat. Die Seele kommt demnach nicht als leere Tafel zur Welt. Stattdessen sind in sie die Ideen schon vorgeprägt.

Aristoteles Reaktion hierauf war: Ist das wirklich alles notwendig? Reicht es nicht eigentlich vollkommen, dass lediglich die Vernunft angeboren ist? Aber damit verlassen wir die Metaphysik und begeben uns in die Erkenntnistheorie hinein. Da Ari aber für eine strikte Trennung zwischen den einzelnen philosophischen Diziplinen eintrat, sage ich an dieser Stelle: Das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden.

Wir haben jetzt nämlich die wichtigsten Kritikpunkte des guten Aristoteles an seinem Lehrer Platon zusammengekratzt:

  1. Das totlangweilige Argument vom Dritten Menschen
  2. Dass Platon nicht erklären kann, wie die Ideen auf die Einzeldinge einwirken.
  3. Und das Problem der verschachtelten Ideen.

Beim nächsten Mal können wir dann das System angucken, das der junge Aristoteles dagegen in Stellung bringt.

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Aristoteles – Metaphysik … oder die Suche nach der Struktur der Welt

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Daniel
sucht die Struktur

Aristoteles – Der Logiker – Folge 11

Wäre es nicht toll, mal was praktisches von Aristoteles zu lernen? Etwas, das euch zum Beispiel bei der nächsten Steuererklärung hilft? Das bekommt ihr hier nicht! Stattdessen geht es um Metaphysik, die nerdigste aller philosophischen Disziplinen. Ich erläutere den Begriff und frage, wie Ari auf die Idee kam, solche abgehobenen Fragen zu stellen. Schaut die Folge, um zu sehen, dass Aristoteles‘ Metaphysik dennoch etwas von Punk hat!

 

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Mataphysik – die nerdigste aller philosophischen Disziplinen

Hallo, mein Name ist Daniel und ich möchte euch von Philosophie erzählen. Genauer gesagt möchte ich euch von Metaphysik erzählen, der nerdigsten aller philosophischen Disziplinen. Wisst ihr noch, was Metaphysik ist? Nein? Am besten schaut ihr dann noch einmal meine Playlist zu Platons Ideenlehre. Ich warte hier so lange.

Fertig? Okay, für alle, die zu faul dazu waren, schaue ich noch einmal in mein kleines philosophisches Lexikon:

Der Begriff der Metaphysik stammt aus der Aristoteles-Rezeption. Der Legende nach wurden so die Bücher Aris genannt, die in der Bibliothek des Lyceums hinter Aris Buch „Physik“ standen.

Wie ich bereits in einer der Folgen gesagt habe, die ihr euch weigert, zu sehen, wäre diese Legende – sollte sie wahr sein – ein enormer Zufall, denn der Name ist sehr passend. Aristoteles seinerseits sprach allerdings stets von der „ersten Philosophie“, der Wissenschaft von den ersten Prinzipien und Ursachen.

Was untersucht die Metaphysik?

Metaphysik will untersuchen, was hinter der Natur,  hinter der Physik liegt. Hinter dem, was wir nicht mit unseren Sinnen wahrnehmen können. Und was wir nicht mit Messgeräten erfassen können. Mit dem, was wir nur noch denkend begreifen können. Im Kern geht es in der Metaphysik um drei Fragen:

  1. Was ist das Wesen Gottes? Wir kommen in einer späteren Folge darauf zurück.
  2. Was ist die Seele? Da Aristoteles ein eigenes Buch darüber geschrieben hat, werden wir uns dem natürlich auch widmen.
  3. Und schließlich: Was das Wesen der Welt ist oder konkreter was das Seiende ist, beziehungsweise die Frage: Was ist die Struktur der Welt? Das wird die Frage sein, um die wir uns in den nächsten Folgen hauptsächlich kümmern.

Wichtig dabei ist, dass es der Metaphysik – wie der Name schon sagt – nicht um Physik, nicht um Atome und Elemente geht. Metaphysik beschäftigt sich nicht mit den sinnlich (oder auch instrumentell) wahrnehmbaren Dingen, sondern stellt Fragen zu den noch dahinter liegenden Strukturen, die wir uns nur noch durch reines Nachdenken erschließen können. Mit den Konzepten, die wir immer schon voraussetzen müssen, bevor wir überhaupt anfangen können, Physik zu betreiben.

Puh, klingt das mal wieder abgehoben. Und ich kann auch gar nicht leugnen, dass es so ist. Aber lauft mir einfach mal ein bisschen hinterher wie Aris Schüler ihm, wenn er dozierte und vielleicht ergeben sich dann ja ein paar spannende Gedanken.

Der Kreis als metaphysisches Objekt

Und um das mal ein bisschen aus diesen abgehobenen Sphären herunterzusteuern in eine Höhe, in der wir noch atmen können. Wir können uns fragen: Was ist ein Kreis? Und die mathematische Definition geben: Ein Kreis ist eine Figur, bei der alle Punkte gleich weit vom Mittelpunkt entfernt sind. Das führt uns aber vor das Problem, dass es in der Welt kein solches Ding gibt. Allein schon, weil, immer wenn wir Archimedes-mäßig ungestört unsere Kreise ziehen, die Linie, die wir dafür machen, eine Ausdehnung hat, also in ihrer Breite aus mehr als einem Punkt besteht und somit nicht alle Punkte im Kreis gleich weit vom Mittelpunkt entfernt sind. Wenn es also in der Welt keinen Kreis gibt, der unserer Definition entspricht, was ist dann ein Kreis? Er kann nichts sein, was in der Welt der Wahrnehmung, der Physik zu finden ist. Er muss etwas metaphysisches sein.

Ein anderes Beispiel: Wissenschaft ist immer Abstraktion Wenn ich etwas wissenschaftlich untersuchen will, dann kann ich nie alle Phänomenbereiche eines Dings gleichzeitig ins Auge fassen. Stattdessen muss ich mich auf einen bestimmten Aspekt konzentrieren und von den anderen Aspekten abstrahieren. Wenn wir zum Beispiel die Sonne untersuchen wollen, dann müssen wir von ihrer vollen Wirklichkeit abstrahieren und uns auf einen Teilaspekt ihrer Existenz konzentrieren. Wir können das mit Blick auf die Klimakrise dahingehend machen, wie stark ihr Energie-Output ist, wie viel dieser Energie bei uns ankommt und wie viel sich davon von Solarzellen absorbieren lässt. Wir können die Sonne aber auch als Objekt der Astronomie auffassen. Ihre Bewegungen und Kräfte als Himmelskörper untersuchen. Wir können uns anschauen, was Chemisch oder Atomar in der Sonne vorgeht. Wir können aber noch weiter abstrahieren und die Sonne auffassen als Objekt der Geometrie. Welche geometrische Form hat ihr Körper? Dieses Abstraktion lässt sich nun noch weiter treiben, wenn wir auch noch von allen geometrischen Bestimmungen abstrahieren. Dann erhalten wir die Sonne lediglich als Zählbares. Es gibt 100 bis 400 Milliarden Sterne in der Milchstraße. Im Sonnensystem gibt es mit Sonne und den acht Planeten neun große Objekte. Jetzt wird die Sonne nur noch als ein Zählbares betrachtet, und in dieser Auffassung wird von ihrer vollen Wirklichkeit noch viel weiter abstrahiert als in der astronomischen, der geometrischen Betrachtung oder den anderen.

Aber nach Aristoteles kann diese Abstraktion noch einen Schritt weiter getrieben werden. Die Sonne kann nicht nur als beweglich, als durch geometrische Formen bestimmt, als zählbar gedacht werden. Viel mehr kann in einer letzten Abstraktion die Sonne lediglich auf ihr Sein hin betrachtet werden. Wenn wir nun jedes Seiende in einer solchen bis an das Ende getriebenen Abstraktion lediglich auf sein Sein hin betrachten, dann erhalten wir die aristotelische Bestimmung der Metaphysik, die primär auf das gerichtet ist, was vom Sein, als Sein ausgesagt werden kann. Das ist der Untersuchungsgegenstand der Metaphysik.

Warum interessierte sich Aristoteles für Metaphyisk?

Doch bevor wir uns weiter mit inhaltlichen Fragen beschäftigen, möchte ich erst noch einmal der Frage nachgehen, warum Ari sich überhaupt dafür interessierte. Warum fragte er stattdessen nicht ob Jack nicht vielleicht doch auf diese fucking Tür gepasst hätte? Was er übrigens bestimmt auch gemacht hätte, hätte er Titanic sehen können.

Natürlich stand der alte Grieche wieder einmal in der Tradition seiner Vorgänger. Zum einen natürlich die Vorsokratiker, die aufgehört hatten, alles mit Göttern zu erklären und stattdessen mit logisch-kritischem Denken anfingen und versuchten, rationale Prinzipien im Weltgeschehen zu erkennen. Ari, der nerdige Methodiker hat das alles gelesen und dann erst einmal die Trennung vorgenommen zwischen Naturphilosophie oder Physik auf der einen Seite und Metaphysik auf der anderen Seite, was die ollen Vorsokratis noch so UNVERANTWORTLICH in einen Topf geworfen hatten.

Darüber hinaus gab es aber eine noch viel direktere Strömung über Aristoteles‘ Lehrer Platon und dessen Lehrer Sokrates. Erinnert euch: Die alte Socke wollte immer herausfinden, was „das Allgemeine“ ist. Das, was Einzeldingen gemeinsam ist. Sokrates fragte, was das für ein merkwürdiges Ding ist, das aus einzelnen tapferen Taten das allgemeine Konzept der Tapferkeit macht. Gibt es überhaupt die Tapferkeit als ein Allgemeines? Dadurch, dass es viele verschiedene Handlungen gibt, drängt sich uns der Gedanke auf, dass es allgemeine Tapferkeit geben muss. Die Frage, die wir uns dann stellen müssen, ist: Wo existiert dieses Allgemeine?

Diese Frage wurde zum großen methodischen Grundprinzip von Platon. Und mit Blick auf die Welt beantwortete er sie mit: „Das Allgemeine sind die Ideen“. In seinen Dialogen unterschied Platon hier nicht systematisch zwischen Erkenntnistheorie und Metaphysik, bzw. „Ontologie“.

„Onto-WTF?“, was ist denn dass jetzt schon wieder? Na das ist genau die Lehre von der Struktur der Welt. Mein kleines Philosophie-Lexikon mal wieder:

„Ontologie … ist die Lehre vom Sein als solchem, von den allgemeinsten Seinsbegriffen, Seinsbedeutungen und Seinsbestimmungen.“

Natürlich nahm wieder einmal Ari diese Trennung zwischen Erkenntnistheorie und Ontologie vor. Wenn etwas nicht in eine Schublade passte, dann wurde der Hipsterbartträger ganz hibbelig und doktorte solange daran rum, bis es sich fein, ordentlich wegsortieren ließ.

Aristoteles, der Erbe von Platon?

Der junge Ari sitzt also in der platonischen Akademie und hört sich den ganzen Tag an, dass es eine Welt hinter der Welt gibt, dass es dort immerwährende Ideen gibt und dass unsere Welt mit ihren konkreten Einzeldingen nur ein Abbild der wahren Welt der Ideen ist. Und wie das Adoleszente schon immer gemacht haben so machte das auch Ari: Er rebellierte gegen seinen großen, weltberühmten Lehrer. Sagte: Fuck The System of Ideas! Wenn hier irgendwas real ist, dann jawohl die konkreten Einzeldinge und alles andere ist ausgedachter Kokolores!

Was Ari genau an der Ideenlehre störte, wie er zu seiner punkigen These von den konkreten Einzeldingen als die zugrundeliegende Struktur der Welt kam und in welche Probleme er damit stolperte, als er älter wurde – das sollen die Themen der nächsten Folgen sein. Also abonniert meinen Kanal, damit ihr die nicht verpasst und erzählt euren Omas und Opas davon. Ich danke euch, dass ihr mir eure Zeit geschenkt habt.

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Die drei Paradigmen der Philosophie

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Daniel
wechselt Paradigmen

Eine kurze Reise durch die Philosophiegeschichte

Was ist die Welt? Was kann ich erkennen? Was kann ich sprachlich ausdrücken? Das sind die drei großen Fragen der Erkenntnistheorie. Wie kamen die Philosophen darauf, sie zu stellen? Lasst uns in die Geschichte gucken.

Das Universalienproblem

Heute wollen wir den Block zu Platons Ideenlehre abschließen, damit wir uns anschließend anderen Aspekten seiner Philosophie zuwenden können. Euch hängt diese Welt der Ideen sicher schon zum Hals raus: Wir haben die Ideenlehre kennengelernt, Probleme gesehen und angerissen, warum es vielleicht trotzdem schlau ist, an den Ideen festzuhalten. Heute möchte ich die Ideenlehre in einen größere philosophischen Kontext einordnen, um euch klarzumachen, warum auch in unseren Tagen – nach 2300 Jahren – noch immer einige Philosophen auf diese abgehobenen Ideen fliegen, als wären sie kleine Kinder, die glauben, Justin Bieber würde gute Musik machen. Der größere Kontext, in den es die Ideenlehre einzuordnen gilt, ist das Universalienproblem. Wie immer könnt ihr euch das als Video anschauen oder ihr lest darunter das Transkript:

Ein letztes Mal „Was ist …?“ gefragt

Zur Einordnung möchte ich noch ein letztes Mal zu Sokrates und seiner „Was ist“-Frage zurückkehren. Ich hatte euch im zweiten Teil zu Sokrates erzählt, dass Sokrates auf der Suche nach dem Allgemeinen war. Dieses Allgemeine benennen wir in der Philosophie heute mit dem Begriff „Universalien“. Unstrittig ist in der zeitgenössischen Philosophie, dass es Univeralien gibt. Wir haben schlichtweg nicht nur Begriffe in unserer Sprache, die konkrete Dinge bezeichnen, wie zum Beispiel „Daniels Handy“, sondern auch solche, die eben Allgemeines bezeichnen, wie einfach nur „Handy“. Oder auch: Mensch, Raumschiff, Pferd. Das, was diese Begriffe bezeichnen, sind Universalien.

Mein großes Philosophie-Lexikon sagt dazu:

„[Universalien] benennen Ähnlichkeiten oder Gemeinsamkeiten und decken so Zusammenhänge der Wirklichkeit auf oder schaffen eine Ordnung, die die einzelnen Dinge miteinander in Zusammenhang bringt. Sie sind die Voraussetzung für jegliche Form von Wissenschaft. Ohne die Annahme von Universalien, welcher Art auch immer, ist eine Theorie, die Gesetzmäßigkeiten der Wirklichkeit zum Ausdruck bringen will, grundsätzlich unmöglich.“

Ontologie ist keine Krankheit

Das Universalienproblem bezieht sich genau auf diesen kleinen Einschub: „welcher Art auch immer“. Das Problem besteht in der Frage, was der sogenannte ontologische Status von Universalien ist. Ontolgisch? Klingt wie eine Krankheit, oder? Die Ontologie ist aber die Lehre vom Seienden, also die Frage, was existiert und in welcher Form es existiert. Und genau diese Frage stellen sich die Philosophen in Bezug auf die Universalien.

Dabei gibt es drei Positionen: Erstens, die Nominalisten. Nominalisten glauben, dass Universalien rein sprachlich existieren. Unsere Sprache bringt sie überhaupt erst hervor. Dann gibt es als zweites die Konzeptualisten. Die meinen, dass Universalien im menschlichen Denken existieren. Der menschliche Geist erzeugt Konzepte davon, wie die Welt ist. Und diese Konzepte sind Universalien. Schließlich gibt es noch die Realisten. Die wiederum glauben, dass Universalien unabhängig vom Menschen wirklich in der Welt existieren, in irgendeiner Form. Die Frage ist nun, in welcher Form? Denn schließlich sehen wir zwar jede Menge einzelne Menschen, aber nie die Universalie „Mensch“. Ihr ahnt es vielleicht schon: Ausgerechnet der abgehobene Platon zählt zu den Realisten, denn seine Antwort lautet, dass Universalien Ideen sind, die in einer eigenen Ideenwelt existieren.

Jetzt wird auch klar, was ich im zweiten Sokrates-Teil meinte, als ich sagte, dass nach Aristoteles Sokrates noch nicht glaubte, dass das Allgemeine etwas vom Begriff Unabhängiges sei. Sokrates war demnach eher Nominalist oder Konzeptualist. Was genau, können wir heute nicht mehr sagen.

Der Universalienstreit

Der Streit, was denn jetzt die richtige Lösung für das Universalienproblem ist, tobt seit dem Mittelalter und geht bis unsere Tage. Das alles jetzt wiederzugeben würde eindeutig zu weit führen. Aber wenn dieser Kanal es wirklich schafft, durch die Philosophiegeschichte zu reisen, dann werden wir zwangsläufig immer wieder auf den Universalienstreit stoßen. Aber ich hatte euch eine Antwort auf die Frage versprochen, warum wir auch heute, mehr als 2300 Jahre später noch am Platonismus festhalten.

Denn auf den ersten Blick erscheint es doch naheliegender, anzunehmen, dass Universalien etwas Sprachliches oder Mentales sind, als an so crazy Shit wie ein real existierendes Reich der Ideen zu glauben, oder? Der Knackpunkt dafür liegt noch einmal in dem Zitat aus meinem Philosophielexikon:

Universalien „sind die Voraussetzung für jegliche Form von Wissenschaft.“

Die Frage ist keine geringere als jene, welchen Status unsere wissenschaftlichen Theorien haben! Sind so Sachen wie die Evolutionstheorie, der Urknall, das Periodensystem der Elemente, die Syntax der Sprache oder unser Modell vom Gehirn nur irgendwelche Gedanken- oder Sprachspiele? Oder existieren sie wirklich,  in echt, in dieser unserer Welt?

Der Platonismus sagt: Ja, Wissenschaft beschreibt unsere wirkliche Welt und zwar, weil es außer der vergänglichen Welt der einzelnen Erscheinungen auch eine ewige Welt des Allgemeinen und der Gesetzmäßigkeit gibt. Das ist der Grund dafür, warum der Platonismus trotz all seiner Schwierigkeiten, Probleme und metaphysischen Unterstellungen noch immer Anhänger hat. Denn, wenn ihr ihn aufgebt, dann müsst ihr eben eine andere Antwort auf die Frage finden, welchen Status unsere wissenschaftlichen Theorien haben. Ihr müsst beantworten, warum die Dinge immer zur Erde fallen, obwohl die Schwerkraft doch angeblich nur in unserem Kopf oder auf Papier existiert.

So, jetzt haben wir die Ideenlehre aber wirklich im Kasten und damit den größten und wichtigsten Brocken der Philosophie Platons. Bevor wir uns an den nächsten dicken Fisch heranwagen (Platons Ethik und damit verbunden seine politische Philosophie), will ich mal ein bis zwei kleinere Themen behandeln. Und beginnen möchte ich mit etwas fürs Herz: Mit der Liebe.

Literatur

 

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Gottes Existenz wurde bewiesen

Zeigt sich Gott in der Welt?
Zeigt sich Gott in der Welt?

„Mathematiker bestätigen Gottesbeweis“

titelt SpOn auf seiner Wissenschaftsseite und fährt fort:

„Jetzt sind die letzten Zweifel ausgeräumt: Gott existiert tatsächlich.“

Gut, dass wir das endlich hinter uns haben. Nach 2.500 Jahren wurde es auch endlich Zeit. Und an alle Atheisten: Vielen Dank fürs Mitspielen, holt euch bitte eure Trostpreise an der Pforte zur Hölle ab! Aber, ihr ahnt es sicher schon, ganz so einfach werde ich es euch nicht machen…

Also, beginnen wir mit einem Faktencheck

Was ist passiert? Kurt Gödel, fraglos einer der größten Logiker der Geschichte, hatte sich dereinst daran gemacht, die Existenz Gottes zu beweisen. Mithilfe der Modallogik entwickelte Gödel einen formallogischen Beweis für die Existenz Gottes. Dieser lässt sich holzschnittartig auf zwei Schritte runterbrechen:

1. Es ist möglich, dass es ein göttliches Wesen gibt.
2. Wenn es möglich ist, dass es ein göttliches Wesen gibt, dann ist es auch notwendig.

Jetzt haben die Wissenschaftler Christoph Benzmüller und Bruno Woltzenlogel Paleo einen Computer mit der Formel gefüttert, der bestätigt, dass Gödels Ableitung korrekt ist. Interessant an dem SpOn-Artikel ist übrigens, dass dieser zweimal ostentativ darauf hinweist, dass es ein Mac war, der uns Gott bewiesen hat. Ein Schelm würde sagen, dass das ziemlich gut zeigt, wie sich unser Glaubenssystem mittlerweile verschoben hat…

Stutzig machen sollte uns aber, dass der Beweis, der bereits um 1970 veröffentlicht wurde, erst jetzt von einem Computer bestätigt worden sein soll. Denn selbst wenn die Formel, die Gödel niederschrieb in die Königsklasse dessen gehört, was ein Mensch nachvollziehen kann, sollte ein Computer dazu leichter in der Lage sein und dies auch schon lange vor dem Jahr 2013 geschafft haben können. Wenn man sich die Pressemeldung von Benzmüller und Woltzenlogel Paleo anschaut, so stellt man auch gleich fest, dass diese schreiben, dass der Beweis noch nie so detailreich, in solch einer Tiefe durchgeführt wurde. Denn – so wieder SpOn – Gödel machte nicht all seine Annahmen explizit.

Stimmt Gödels Gottesbeweis denn jetzt?

Soweit, so gut, aber ist die Existenz Gottes jetzt wirklich bewiesen? Ist jetzt alles gesagt und es steht fest, dass Gläubige recht und Ungläubige unrecht haben? Ich habe mich mit dem Thema ja schon einmal auseinandergesetzt und habe damals behauptet, dass diese Streitfrage prinzipiell nicht entscheidbar ist. Aber wer bin ich schon im Vergleich zu Gödel… Okay ich sollte mich jetzt nicht selbst mit einem Sophismus (Namedropping) ausknocken sondern lieber mich selbst zitieren und damit in Erinnerung rufen, was die Logik ist und kann und was sie nicht kann:

Die Logik ist die Lehre vom formal richtigen Schließen. Dass heißt, sie untersucht Schlussfolgerungen nur anhand ihrer sprachlichen Form, um zu prüfen, ob in dieser Fehler stecken. Der Inhalt der Äußerung interessiert die Logik dabei überhaupt nicht, sie überlässt es der Empirie, der Wissenschaft, zu prüfen, ob dieser Inhalt wahr ist.

Quelle: Ein selbstverliebter, sich selbst zitierender Daniel Brockmeier über das Widerlegen von Verschwörungstheorien

Daraus folgt aber – natürlich vorausgesetzt, ich habe die Logik richtig verstanden – dass Gödel „nur“ bewiesen hat, dass es möglich ist, auf die notwendige Extistenz eines göttlichen Wesens zu schließen, wenn man eine bestimmte Menge von Prämissen – Mathematiker würden Axiome sagen – als gegeben voraussetzt. Welche sind das?

Die Wikipedia hilft uns hier weiter, indem sie uns den Beweis normalsprachlich aufschlüsselt:

  • Annahme 1: Entweder eine Eigenschaft oder ihre Negation ist positiv.
  • Annahme 2: Eine Eigenschaft, die notwendigerweise durch eine positive Eigenschaft impliziert wird, ist positiv
  • Theorem 1: Positive Eigenschaften sind möglicherweise beispielhaft
  • Definition 1: Eine gottesähnliche Existenz enthält alle positive Eigenschaften
  • Annahme 3: Die Eigenschaft, gottähnlich zu sein, ist positiv
  • Schlussfolgerung: Möglicherweise existiert Gott
  • Annahme 4: Positive Eigenschaften sind notwendigerweise positiv
  • Definition 2: Die Essenz eines Individuums ist die Eigenschaft, die von diesem umgesetzt wird und impliziert notwendigerweise irgendeine seiner Eigenschaften
  • Theorem 2: Götterähnlich zu sein ist eine Essenz von jeder götterähnlichen Existenz
  • Definition 3: Notwendige Existenz eines Individuums ist die notwendige Beispielhaftigkeit von all seinen Essenzen
  • Annahme 5: Die notwendige Existenz ist eine positive Eigenschaft
  • Notwendigerweise, Gott existiert

Die spannenden Aspekte sind dabei die Definitionen 1, 2 und 3. Denn, was ist eine Definition? Auch das habe ich bereits zuvor erläutert: Eine Definition ist ein Dogma. Ich kann mein Beweisspiel nicht bis in alle Ewigkeit weiterspielen, das wäre ein infiniter Regress, daher breche ich sie irgendwann ab und definiere meine Grundbegriffe. Diese Definitionen sind aber eben nicht bewiesen, sie stehen unter einem Falsifikationsvorbehalt. Sie haben im Sprachspiel die Funktion, das Spielfeld abzustecken innerhalb dessen ich meinen logischen Ball hin- und herschlage. Aber wie beim Tennis, wo sich die Größe des Feldes ändern kann, wenn Doppel statt Einzel gespielt wird, ist auch eine Definition nichts, das ewig feststeht. Sie ist nichts, was bewiesen wurde, sondern unterliegt allein schon durch den Sprachwandel Änderungen.

Das heißt, liebe Atheisten, ihr könnt weiter an Gottes Existenz zweifeln, ihr müsst dafür nur Gödels Definitionen angreifen…

Eines noch und dafür werden mich alten Relativisten sämtliche Ontologen ans Kreuz nageln: Angenommen, wir gestehen Gödel zu, dass er richtig definiert hat, hat er dann wirklich die Existenz eines (meta-)physischen Dinges bewiesen? Mitnichten! Er hat dann bewiesen, dass unsere Sprache diesen Ausdruck notwendigerweise beinhaltet. Dass er im Regelwerk unserer Sprache steckt. Selbst in der natürlichen Sprache ist das wenig überraschend, denn diese Sprache wurde seit nunmehr fast 100.000 Jahren von Menschen gesprochen, die an ein göttliches Wesen glauben. Da ist es nicht verwunderlich, dass sich dies tief in ihr Flussbett eingegraben hat. Aber im Falle Gödels ist es sogar noch vertrackter: Denn Gödel benutzte eine Kunstsprache, eine Idealsprache für seinen Beweis. Eine böse Zunge könnte also sagen: Gödel hat bewiesen, dass die Sprache, die er „erfunden“ hat, für den Beweis Gottes geeignet ist.

 

Ich bin raus!

Die drei Paradigmen der Philosophie

Ich habe lange nicht mehr gebloggt, was daran hängt, dass ich zurzeit jede freie Minute auf mein Buch verwende. Doch gerade muss ich auf die Arbeit anderer warten, bevor ich mich endlich an die Veröffentlichung machen kann. Und so habe ich kurzerhand Evernote geöffnet und das erste der 45 noch zu verbloggenden Themen gewählt:

Wilhelm von Humboldt. Urheber unbekannt. Gemeinfrei (CC-PD-Mark).

Die Drei Paradigmen der Philosophie

Auf diese Idee kam ich, als ich eine Folge Vorgedacht gehört habe. „Vorgedacht“ ist ein toller Podcast, in dem Stephanie Dahn über Philosophie spricht. Genauer gesagt spricht sie über die Geschichte der Philosophie und noch genauer über die Vorsokratiker (ich nehme an, sie wird auch den Rest der Philosophiegeschichte noch drannehmen). Ganz toll ist auch die Form von Vorgedacht: Die einzelnen Episoden sind immer kurz und prägnant, gerade so lang, dass man nicht in Gedanken davondriftet.

Und da Vorgedacht gerade bei den Vorsokratikern steckt, geht es da eben ziemlich viel um „das Seiende“ und „das Nichts“ und um „Prinzipien“ und so ein Gedöns. Das sind jetzt so Begriffe, die der Mensch und im besondern der Deutsche (daran ist Heidegger schuld) mit Philosophie verbindet und die den Menschen dieses Bild von dem komplett abgehobenen Geriesel der Philosophie vermitteln. Und obwohl Philosophie total abgehoben ist, ist sie es – zumindest in der Strömung, der ich anhänge – auf eine komplett andere Art und Weise.

Um dies zu erklären, möchte ich euch einen kurzen, allzu kurzen Überblick über die drei Paradigmen der Philosophie bieten. Doch bevor ich das tue, muss ich erst einmal mein Vokabular auf die Reihe kriegen und zwei Fragen beantworten:

  1. Was ist denn eigentlich Philosophie?
  2. Und was zum Geier ist ein Paradigma?

Was ist Philosophie?

Philosophie lässt sich jetzt irgendwie total Knorke aus dem Griechischen herleiten und heißt in etwa „Liebe zur Weisheit“, was ich selbstverständlich auch im Namen meiner Tochter verwurschtelt habe. Natürlich könnte ich einen ganzen Blogpost damit füllen, was Philosophie ist, denn schließlich braucht ihr dafür nur in die Buchhandlung eurer Wahl gehen, euch vor das entsprechende Regal zu stellen und schon seht ihr, wie viele Bücher man mit dieser Begriffsdefinition füllen kann. Aber ich werde das Ganze stark verkürzen und euch einfach sagen, dass die Philosophie seit rund 2500 Jahren versucht, drei Fragen zu beantworten:

  1. Was ist das Gute?
    Hierum kümmert sich die Ethik
  2. Was ist Schönheit?
    Die Leitfrage der Ästhetik
  3. Was ist Wahrheit?
    Dieses Problem erörtert schließlich die Erkenntnistheorie oder Epistemologie. Und wenn ich die drei Paradigmen der Philosophie erörtere, dann kümmere ich mich dabei nur um diese letzte Frage.

Was zum Geier ist ein Paradigma?

Die Wikipedia sagt:

„Ein Paradigma ist eine grundsätzliche Denkweise. Im engeren Sinn ist es eine bestimmte Lehrmeinung oder Weltanschauung. Die Ersetzung eines Paradigmas durch ein anderes heißt Paradigmenwechsel.“

Berühmt sind die Paradigmenwechsel in der Physik, wo das geozentrische Weltbild (Die Erde ist der Mittelpunkt) durch das heliozentrische (Die Sonne ist der Mittelpunkt) abgelöst wurde. Oder wo die Physik Newtons, in der die ganze Zeit irgendwelche Äpfel fallen von der Einsteins mit ihren krummen Räumen abgelöst wurde.

Aber auch in der Philosophie gab es solche Paradigmenwechsel und um diese geht es mir hier.

Was ist die Welt?

Die Frage „Was ist Wahrheit?“ kann ich nun mit einigen Reibungsverlusten umformulieren in „Was ist Erkenntnis?“, schließlich heißt die Disziplin ja auch Erkenntnistheorie. Und wie die Philosophen so sind, interessiert sie weniger die Erkenntnis, wie lange man ein Ei kochen muss, sondern gleich die Frage nach dem großen Ganzen. So kam es eben, dass die Vorsokratiker sich nicht mehr mit den Erklärungen der Religion abgeben wollten, woher die Welt stammt und was die Naturphänomene auslöst, sondern dass sie die Frage ganz neu stellten: „Was ist die Welt?“ Und das lange bevor Platon – dessen Fußnote ja bekanntlich die restliche abendländische Philosophie ist – die Frage in „Was ist Wahrheit?“ abstrahierte.

Der Clou ist, dass die altgriechischen Philosophen eben noch glaubten, dass sie prinzipiell erkennen könnten, „Was die Welt im Innersten zusammenhält“, wenn sie nur gründlich genug darüber nachdenken würden. Platon bringt uns das mit seinem Höhlengleichnis sehr schön nahe. Ihr wisst schon, da sitzen ein Haufen Typen und Ilsen in so einer unterirdischen masochistischen Schattentheatervorführung, bei der sie auch noch alle gefesselt sind und denken: „Das ist die Welt“. Unser Superheld Philo Man befreit sich nun von den Fesseln, dreht sich um, sieht den Projektor und entdeckt den Schwindel. Philo Man kraxelt dann die Höhle hoch und kommt an die Oberfläche, wo er – nachdem er zu Beginn vom Licht der Erkenntnis geblendet ist – erkennt, wie die Welt wirklich ist.

Das mit dem Blenden wird übrigens bei Matrix zitiert, nachdem Neo aus ebenjener befreit wurde.

Aber worauf ich hinaus will: nachdem Philo Man seinen Quest gelöst hat, kann er die Frage beantworten: „Was ist die Welt?“.

Was kann ich erkennen?

Nach Platon kam bekanntlich sein Schüler Aristoteles und der gute alte Ari hat aus seinen Theorien einen Kanon gemacht, der eigentlich das ganze Mittelalter hindurch nachgebetet wurde, während man sich in der Philosophie um das Wesen Gottes und wie es zu beweisen ist, kümmerte.

Dann kam die Renaissance, mit ihr rückte das Individuum in den Vordergrund und damit der erste Paradigmenwechsel der Philosophie. An Stelle der Frage „Was ist die Welt?“ trat die Frage „Was kann ich erkennen?“. Und zwar, ohne dass die erste Frage beantwortet wurde, denn das ist das Wesen von Paradigmenwechseln. Das spiegelt sich sehr schön in Descartes Cogito wieder: „Ich denke, also bin ich“. Auf der Suche nach dem einen Ding, dessen er sich gewiss sein kann, findet Descartes sein Denken. Mit ihm beginnt sodann die philosophische Epoche der Neuzeit.

Aber den eigentlichen Turn vollzog dann Kant, weshalb dieser Paradigmenwechsel auch „Die kantische Wende“ oder in Anlehnung an die Physik „die kopernikanische Wende Kants“ genannt wird. Kant kommt jetzt nämlich auf den Trichter, dass der Mensch schlichtweg nicht erkennen kann, was die Welt ist. Das „Ding an sich“ bleibt dem Menschen für immer verborgen, da unsere Sinne uns nicht die ganze Welt zeigen, sondern nur einen Ausschnitt ihrer. Aber noch weiter: Auch unsere Vernunft, auf die Platon noch seine ganze Hoffnung gesetzt hatte, kann die Welt nicht erkennen, denn schon bevor wir anfangen zu denken, müssen wir ein paar Sachen als gegeben annehmen und können nicht überprüfen, ob sie wirklich existieren: etwa Raum, Zeit oder Kausalität. Folglich ging es nach dem ollen Kant nur noch um die Beantwortung der Frage: Was kann ich erkennen? Beziehungsweise: hätte es gehen sollen. Denn, wenn man sich den deutschen Idealismus (Kants Nachfolger) anguckt, schwappt der geradezu über von metaphysischen Unsinn in Bezug auf das, was die Welt dann wieder irgendwie nicht ist oder doch…?

Was kann ich sagen?

Dieses zweite Paradigma wurde aber schließlich auch abgelöst. Das Ganze fing eigentlich schon mit Wilhelm von Humboldt an, den man zurzeit eher kennt, weil er ein „Bildungsideal“ hatte, das jetzt irgendwie futsch ist. Jetzt wisst ihr auch endlich, warum er gütig auf diesen Blogpost herabblickt. Aber der gute alte Willy hatte ja bekanntlich einen Bruder, namens Alex, der die Welt vermessen hat und der Willy eine ganze Menge Infos über andere Sprachen mitbrachte. Da Willy ein Talent für Sprachen hatte, erkannte er schließlich, dass Sprache unser Weltbild prägt. Nun, der gute alte Willy war seiner Zeit aber etwas voraus, sodass der Mainstream der Philosophie sich noch nicht wirklich dafür interessierte, sondern mehr für Hegels durchgeknallten Weltgeist. Es blieb dann an den analytischen Philosophen der ersten und zweiten Generation hängen, den „Linguistic Turn“ zu vollziehen, der leider noch immer allzu oft falsch mit „Linguistische Wende“ übersetzt wird, da er die „Sprachkritische Wende“ oder die „Sprachphilosophische Wende“ ist. Das waren so Leute wie Frege, Russel, Moore und Wittgenstein. Dieser Wittgenstein bringt den Linguistic Turn sehr gut auf den Punkt mit:

„Und eine Sprache vorstellen heißt, sich eine Lebensform vorstellen“

(PU19)

Der Gag des Linguistic Turns ist, dass ich eben nicht nur nicht alles denken kann, weil meinem Denken Grenzen gesetzt sind, sondern weil dieses Denken auch immer in einem Medium stattfinden muss: in der Sprache (Ja, ja, man kann auch in Bildern denken…. Dann fang schon mal damit an, die Principia Mathematica aufzumalen!) Diese Sprache ist nun ihrerseits Regeln unterworfen, die unser Denken einschränken. So zum Beispiel die grundlegende Struktur von Subjekt, Prädikat und Objekt mit der wir die Welt beschreiben. Aber vielleicht ist die Welt gar kein Objekt sondern eher ein Ereignis, was wir nur nicht richtig mit unser Sprache fassen können.

Diese sprachanalytische Philosophie ist zwar jetzt auch abgehoben, aber auch viel cooler als der ganz metaphysiche Dummquatsch. Denn mit ihr kann man auch sehr gut Sprachanalyse betreiben und zum Beispiel so, wie ich es hier ab und an tue, das ein oder andere Argument des öffentlichen Diskurses zu Hackfleisch verarbeiten.

Leider haben nicht alle Philosophen die Paradigmenwechsel mitgemacht und gerade hier in Deutschland hatte etwa Heidegger einen viel zu großen Einfluss auf die Philosophie und das Bild der Philosophie in der Öffentlichkeit. Aber Heidegger mit seinem ganzen Sein und Nichtsein und seiner Verdinglichung des Nichts gebraucht die Sprache in Wittgensteins Worten ‚missbräuchlich‘, bricht ganz einfache Regeln und holt sich so nichts weiter als Beulen an den Grenzen der Sprache:

„Die Ergebnisse der Philosophie sind die Entdeckung irgendeines schlichten Unsinns und die Beulen, die sich der Verstand beim Anrennen an die Grenze der Sprache geholt hat. Sie, die Beulen, lassen uns den Wert jener Entdeckung erkennen.“

(PU 119)

Ich bin raus!

P.S.: Ich habe gerade keine Lust mehr, jetzt noch — wie sonst — Literaturempfehlungen rauszusuchen, entweder hole ich das nach, oder ihr macht es in den Kommentaren.