Platons Schriftkritik

Zum Schluss meiner Platon-Reihe setze ich mich nach der Sprachphilosophie einem verwandten Thema auseinander: Platons Schriftkritik. Wie immer könnt ihr das als Video sehen oder den darunter stehenden Text lesen.

Medientheorie und Technikphilosophie

Muss ich eigens betonen, wie einflussreich Platons Schriftkritik war? Einerseits war sie die erste Medientheorie überhaupt und somit grundlegend für diesen Zweig von Philosophie und Kulturwissenschaften im 20. Jahrhundert. Andererseits war es auch das erste Stück Technikphilosophie. Und unter diesem Gesichtspunkt finde ich die Schriftkritik besonders spannend, da viele Argumente, die heutzutage von kulturpessimistischen Technikkritikern vorgebracht werden, sich bereits in diesem 2.300 Jahre alten kulturpessimistischen Text finden. Wenn früher alles besser war, wie kommt es dann eigentlich, dass wir seit Platon so große Fortschritte gemacht haben? Ach haben wir ja gar nicht. Zumindest im Feld der Technikphilosophie. ?

Anyway: Die spannenden Textstellen zu Platons Schriftkritik finden wir im Dialog Phaidros und im siebten Brief, einem der wenigen Texte Platons, der kein Dialog ist, sondern eben ein Brief. Schauen wir uns doch mal die Argumente an!

Vergesslich machende Technik

Platons erstes Einwand gegen die Schrift lautet, dass sie vergesslich macht. Wenn man sich immer alles aufschreibt, dann verlernt man, es sich zu merken. Das ist zunächst einmal fraglos richtig: Früher wurde etwa die Illias von Homer mündlich überliefert, deshalb ist sie in einem Versmaß abgefasst, damit der Barde sie  sich leichter merken kann. Irgendwann hat sie irgendjemand aufgeschrieben. Heute lernt sie kaum noch jemand auswendig, wir lesen sie einfach nach.

Die entscheidende Frage ist allerdings: Ist das wirklich schlimm? Ist das ein Verlust? Beispielsweise sind die Gedächtniskapazitäten eines Barden beschränkt, was heißt, er kann sich ein, zwei, vielleicht auch drei oder vier Epen merken, aber dann wird es irgendwann eng.

Mir aber stehen etliche tausend Bücher zur Verfügung, wenn ich in die Frankfurter Stadtbibliothek gehe (vom Internet will ich gar nicht erst anfangen). Und die Zeit, die ich früher für das Auswendiglernen aufbringen musste, kann ich heute mit Sinnvollerem verbringen: Zum Beispiel YouTube-Videos über Platon machen.

Jedenfalls kam das gleiche Argument wieder, als sich Navis anfingen, durchzusetzen. Niemand kann mehr Karten lesen! Die Menschen verlieren ihren Orientierungssinn! Und derlei mehr wurde gesagt. Das ist das gleiche Argument wie bei der Schrift: Navis sind schlecht fürs Gedächtnis. Die Frage, die wir uns stellen sollten, lautet: Ist das wirklich so schlimm? Wird nicht stattdessen eine Kulturtechnik schlichtweg von einer anderen abgelöst?

Schundliteratur und die Möglichkeit zu Rückfragen

Das nächste Argument von Platon lautet, dass Menschen sich einbilden, sich Wissen anzulesen, dass dies aber nicht der Fall ist, da sie nicht wissen können, ob das, was in den Texten steht, auch wirklich wahr ist. Die Schrift könne echtes Wissen nicht vermitteln, das könne nur die Dialektik.

Hierbei handelt es sich um das Schundliteratur-Argument, das wahrscheinlich gegen so ziemlich jedes neue Medium, insbesondere gegen Comics, das Fernsehen, das Internet, Computerspiele, Blogs, Social Media und YouTube vorgebracht wurde. Im ersten Jahrzehnt ihrer Existenz musste die Wikipedia sich immer wieder gegen den Vorwurf wehren, sie sei gar kein echtes Lexikon, „denn da kann ja jeder reinschreiben“. Ich will gar nicht bestreiten, dass man die Inhalte der Wikipedia mit mehr als einem Gran Skepsis lesen sollte, doch diese Medienkompetenz sollten wir nicht nur dem Onlinenachschlagewerk entgegenbringen, sondern genauso jedem gedruckten Werk. Jedenfalls wird die Existenzberechtigung der Wikipedia heute – im Jahr 2019 – kaum noch in Frage gestellt, auch das ist ein Muster, das ich in der Technikskepsis seit der Schrift immer wieder wiederholt: Erst wird etwas Neues als gefährlich attackiert, sobald das Medium dann etwas älter geworden ist, stellt es niemand mehr in Frage.

Platons nächstes Argument ist im Kern wieder zutreffend: Einem Text kann man keine Rückfragen stellen. Das ist in der Tat ein Vorteil von gesprochener Sprache, die mit der unmittelbaren Nähe und Zeitgleichheit zusammenhängt. Daher sagen heute Medientheoretiker auch, dass Medien wie WhatsApp, Facebook oder Twitter, wo Nachfragen möglich ist, gewissermaßen Mischformen aus oraler und literaler Kommunikation sind. Denn sie haben neben dieser Eigenschaft der gesprochenen Sprache auch Aspekte der Schrift, in denen diese der gesprochenen Sprache überlegen ist: Raum und Zeit lassen sich überbrücken. Orale und geschriebene Sprache sind verschiedene Medien mit verschiedenen Existenzbedingungen, aber auch mit verschiedenen Vor- und Nachteilen.

Verantwortung und schriftliche Debatten

Platon klagt die Schrift außerdem an, weil sie zu jedermann redet, zu denen, die damit umgehen können, wie zu jenen, die es nicht können. Dieses Verantwortungsargument haben wir im Zusammenhang mit dem Internet oft gehört: Netzsperrenbefürworter und Kritiker von Wikileaks oder Whistleblowern wie Chelsea Manning und Edward Snowden bringen es immer wieder hervor: Nicht jeder Inhalt ist für jedes Augenpaar geeignet. Gegen die Nachrichtenseite Netzpolitik.org wurde deshalb wegen Landesverrats ermittelt.

Sicher ist an dem Argument etwas dran: Kinder sollten nicht zu früh Gewalt oder Pornos sehen und Bauanleitungen für Atombomben sollten auch besser unter Verschluss gehalten werden. Aber wenn man die Geheimhaltung und den Verschluss von Informationen zur Norm und nicht zur Ausnahme macht, dann ist das eine ziemlich elitäre und antidemokratische Forderung. Aber das braucht uns bei Platon ja nicht zu wundern. Lest einfach noch einmal, was ich zum platonischen Staat geschrieben habe.

Als nächstes will Platon aber nicht bloß die Leser vor der Schrift schützen, sondern auch die Schrift vor den Lesern. Oder wahrscheinlich eher den Autor vor den Lesern. Platon sagt: Die Schrift kann auf Widerworte nicht reagieren. Das ist ausgemachter Unsinn und kann nur von jemanden stammen, für den das Medium nagelneu war. Es gibt unzählige schriftliche Debatten in der Geschichte. Schon mit Aristoteles, Platons Schüler beginnen sie. Denn Aristoteles wehrte  sich oft schriftlich gegen Platons Argumente. Die Schüler der Akademie, die Platoniker, antworteten dann in ihren Schriften wieder auf die Aristoteliker.

E- und U-Kultur sowie Qualitätsmedien

Platon behauptet auch, dass Schrift nur eine Spielerei ist, im Gegensatz zur Rede, die echtes Wissen vermittelt. Die ganze Debatte um E- und U-Kultur, also dass es gute Kultur zur Erbauung und schlechte nur zur Unterhaltung gibt, basiert auf einem solchen Argument, dass es Medien von höherer und niederer Qualität gibt. Computer mussten sich lange gegen den konservativen Vorwurf wehren, dass sie nur zum Spielen da sind, das Internet existiert nur für Pornos und Smartphones braucht sowieso kein Mensch. Oh, Moment ich habe gerade eine neue Whatsapp-Nachricht bekommen …

Zu guter Letzt findet Platon es natürlich auch schändlich, wenn Unwissende sich erdreisten, zu schreiben. Die nervige Debatte in den 00er-Jahren, als sich selbsternannte Qualitätsmedien über Blogs aufregten, gehört genauso in diese Tradition wie der heutige Hohn, der von manchen Bloggern oder Podcastern YouTubern entgegengebracht wird. Notiz für mich: Das muss ich anders formulieren, wenn ich es im Blog zweitverwerte. 😉

Platons ungeschriebene Lehre

Natürlich fällt jedem der Widerspruch sofort auf, dass Platon seine Schriftkritik aufgeschrieben hat. Dieses widersprüchliche Verhalten stützte viele Platon-Forscher in ihrer These, dass es neben den Dialogen auch eine ungeschriebene Lehre mit der eigentlichen Philosophie Platon geben müsse. Aber dass wir nur über diese ungeschriebene Lehre spekulieren können, die Dialoge hingegen 2.300 Jahre später noch immer lesen, zeigt auch, wie blind Platon gegenüber den Vorzügen der Schrift war. Denn sie ist dauerhaft im Gegensatz zum gesprochenen Wort. Erst die Schrift und die Möglichkeit die Erkenntnisse vergangener Generationen nachlesen zu können, machten Wissenschaft und Hochkulturen möglich. Von Bernhard von Chartres stammt der Ausspruch, dass wir auf den Schultern von Riesen stehen und nur deshalb weiter blicken können. Eigentlich stehen wir aber nicht auf ihren Schultern sondern auf ihrem Bücherstapel und keine unserer heutigen Erfindungen oder Entdeckungen wären möglich gewesen, wenn wir uns nicht unglaublich viel Wissen hätten anlesen können.

Jemand hätte daher Platon den Rat geben sollen, der jedem Kulturpessimisten nahezulegen ist: Warte erst einmal ab und schau dir das neue Medium oder die neueste Erfindung mal eine Weile an, vielleicht ist sie gar nicht so dumm, sondern bringt uns voran.

Platons Leben

Platon, der Philosophenkönig – Folge 1

Nun geht es endlich richtig los mit Platon. Und um diesen großen Philosophen richtig einordnen zu können, beginnen wir mit seiner Biographie. In dieser finden sich zum Beispiel viele Hinweise, warum Platons politische Philosophie so antidemokratisch ausfiel. Wie gehabt findet ihr neben dem Video hier ein Transkript, Literaturtipps und die Bilderquellen. Viel Spaß!

Platons Jugend

Hallo, mein Name ist Daniel und ich möchte euch von Philosophie erzählen, genauer gesagt von Platons Leben.

Platon wurde entweder 428 oder 427 vor Christus geboren, genauer wissen wir das nicht. Das waren die ersten Jahre des Peloponnesischen Krieges, der noch bis zu Platons 24. Lebensjahr fortgeführt werden sollte. Stellt euch bitte mal kurz vor, dass euer Land in den ersten 24 Jahren eures Lebens Krieg geführt hätte. Aber, auch wenn das sicher nicht spurlos an ihm vorüberging, dürfte der Krieg Platons Leben auch nicht allzu schwer gemacht haben, denn er stammte aus einer alten und reichen Athener Adelsfamilie und es fehlte ihm wohl an nichts.

Es gibt die Legende, dass „Platon“ urspünglich nur sein Spitzname gewesen sei, der aber im Laufe der Zeit zu seinem Rufnamen wurde. Demnach leitet sich Platon vom griechischen Wort für breit ab und kam daher, dass Platon als Jugendlicher Ringer war und eine außergewöhnlich breite Brust hatte. Wie gesagt, das ist eine unbewiesene Legende, aber ich fand sie so schön, dass ich sie euch nicht vorenthalten wollte. Wir wissen, wie auch schon bei Sokrates, hingegen mit Sicherheit, dass Platon eine gute Schulbidung genoss, zu der sicher auch Sport und somit auch Ringen gehörte.

In jungen Jahren soll sich Platon als Dichter versucht haben. Er habe später aber alle seine Dichtungen verbrannt. Letzteres geschah sicher, weil er mit zunehmenden Alter zum harschen Kritiker der Dichter wurde. Allerdings sind seine philosophischen Texte formvollendet und rein literarisch ohne Rücksicht auf den Inhalt schon ganz große Kunst.

Doch zurück zum Krieg: Der junge Platon scheint die Demokratie für die Niederlage Athens im Peloponnesischen Krieg verantwortlich gemacht zu haben. Dies war wohl der Samen, aus dem eine lebenslange Feindschaft dieser Regierungsform gegenüber erwuchs. Mehrere seiner Verwandten gehörten dann den 30 Tyrannen an – von denen ich euch schon bei Sokrates erzählte – und diese Verwandten forderten auch den demokratiekritischen Platon auf, sich an der Diktatur zu beteiligen. Dies lehnte der Sokrates-Schüler allerdings ab, weil er das Regime der 30 für verbrecherisch hielt.

Platons Ausbildung

Platons erster Philosophie-Lehrer noch vor Sokrates war ein gewisser Kratylos, dem er auch mit dem nach ihm benannten Dialog ein Denkmal gesetzt hat. In diesem „Denkmal“ wird Kratylos natürlich von Sokrates komplett in den Schatten gestellt. Im Alter von 20 Jahren wurde Platon dann allerdings schon ein Schüler von Sokrates und blieb es bis zu Sokrates’ Tod. Platon war während Sokrates’ Prozess anwesend und wollte ihm wohl auch bei seiner Hinrichtung beistehen, konnte aber nicht kommen, da er krank war. Diese Hinrichtung nannte Platon später den:

„Wendepunkt in meinem Leben“

Platon radikalisierte die Tatsache, dass das demokratische Athen seinen Lehrer hingerichtet hatte, weiter und führten Jahre später zu seinen antidemokratischen Forderungen an einen für ihn idealen Staat. Vorerst hatte er jedoch die Schnauze voll von Athen und begab sich auf eine mehrjährige Reise. Das machte er nicht zuletzt auch weil in Athen das Pflaster für Sokrates-Schüler wohl gerade sehr heiß war und Platon noch nicht selbst an einem Schierlingscocktail nippen wollte.

Die erste Sizilien-Reise

Platon soll Ägypten, Kyrene (im heutigen Lybien), Unteritalien und Sizilien besucht haben. In Italien kam er in Kontakt mit den Pythagoreern, die nach Sokrates den nächsten großen Einfluss auf ihn ausüben sollten. Die Pythagoreer hatte ich ja auch schon im zweiten Sokrates-Teil erwähnt: Das war so eine Art Community von Mathe-Hippies, die in einer Art Kibbuz lebten, sich vor Bohnen fürchteten und Schwalben umbrachten. Platon hat das so begeistert, dass er nach diesem Vorbild Jahre später seine berühmte Akademie aufbaute. Zumindest mehr oder weniger …

Auf Sizilien blieb Platon eine Weile im Stadtstaat Syrakus: Man könnte sage, er war Hofphilosoph von Dionysios I. Und lernte dort auch einen gewissen Dion kennen, der ein lebenslanger Freund werden sollte und Platon zugleich immer wieder in die politischen Intrigen von Syrakus verwickeln sollte.

Jedenfalls lief die Nummer mit dem Hofphilosophen für Platon nicht ganz so, wie er sich das wahrscheinlich vorgestellt hatte. Er glaubte, Dionysios verklickern zu können, was gerechte Herrschaft ist. Aber Dionysios war ein Tyrann, ein Alleinherrscher mit absoluter Macht und war es nicht gewohnt, dass man ihn kritisierte, weswegen er Platon das ein oder andere Mal zurechtwies. Das wiederum war Platon nicht gewohnt, sodass da zwei Holzköpfe so lange aufeinander prallten, bis Platon letztlich in Ungnade fiel und das Land verlassen musste.

An dieser Stelle ist nicht ganz klar, was als nächstes geschah. Manche behaupten, Dionysios habe den nervigen Athener an die Erzfeinde aus Sparta ausgeliefert. Andere sagen, es war nur ein dummer Zufall, dass Platon auf seiner Heimreise nach Athen in die Hände der Spartaner fiel. So oder so, die Spartaner machten mit Platon das, was sie mit jedem Athener machten: Sie verkauften ihn als Sklave. Aber Platon hatte Glück, sein Sklavenhalter erwies sich wohl als knorke Typ, der ihn anständig behandelte und letztlich sogar in die Freiheit entließ. Jetzt hatte Platon aber wirklich die Schnauze voll vom Reisen und kehrte nach Athen zurück, um dort seine eigene Philosophen-Hippie-Kommune zu gründen.

Die Platonische Akademie und die zweite Sizilienreise

387 vor Christus gründete Platon die Akademie. Es war übrigens die allererste Bildungseinrichtung die diesen Namen trug und der Name „Akademie“ leitet sich vom Namen des Waldes oder Parks ab, in dem sie lag. Als Vorbild dienten, wie gesagt, die Pythagoreer und über der Tür soll auch sowas gestanden haben wie „Du kommst nicht vorbei! … Solange du Geometrie nicht beherrschst“. Jedenfalls lief die Nummer mit der Akademie ganz gut an und Platon hätte es sich eigentlich gemütlich machen können als Philosophielehrer.

Jedoch, ihr ahnt es schon, es kam anders: Und zwar meldete sich Dion wieder bei Platon und meinte so: Jo, Alter stell dir vor, der Dionysios I ist tot und sein Sohn Dionysios II, der jetzt regiert, ist voll anders drauf. Du hast da doch noch dieses Konzept vom Philosophenkönig in der Tasche. Wie wär’s? Komm doch mal rüber und verklickere dass unserem König.

Tja, Platon ließ sich tatsächlich darauf ein und reiste 366 wieder nach Syrakus, bestimmt weil er den ersten Trip in so guter Erinnerung hatte. Spaß beiseite, der Grund war, dass Platon hoffte, dort eine Philosophenregierung errichten zu können. Überraschenderweise hatte Dionysios II daran aber überhaupt kein Interesse. Ich werde Platons Staatsentwurf mehrere Folgen widmen und dann werdet ihr verstehen, dass wohl kein Alleinherrscher sich je auf dieses Konzept eingelassen hätte.

Auch diesmal lief es für Platon nicht so spitze in Syrakus. Erst versuchte Dion gegen den Tyrann zu intrigieren und ihn so zu stürzen. Aber, weil das fehlschlug wurde er verbannt. Als dann Platon ohne Dion keinen Bock mehr auf Syrakus hatte, wurde ihm diesmal die Ausreise verboten und nur befreundete Pythagoreer schafften es, Dionysios umzustimmen, sodass Platon 365 wieder abreisen konnte.

Die dritte Sizilienreise

Kaum war Platon weg, fing Dionysios II wieder an ihn zu bezirzen, wie so ein Alkoholiker, der verspricht, niiiiie wieder zu saufen. Er meinte, dass das doch alles nicht so gemeint gewesen sei. Und dass Platon doch zurückkommen soll, man könne doch über alles reden, zum Beispiel auch über die Verbannung von Dion.

Tja, und ob ihr es glaubt oder nicht: Platon ließ sich tatsächlich darauf ein. 361 reiste er ein drittes Mal nach Syrakus. Freunde von ihm drängten Platon, er solle reisen, damit er sich für Dion einsetzen könne. Platon hoffte neben Dions Begnadigung wohl auch noch immer auf seinen Philosophenkönig. Aber als Platon dann da war, lief natürlich auch ein drittes Mal alles schief. Dionysios erwies sich als arrogant und glaubte er sei schon längst der Philosophenkönig und statt Dion zu begnadigen beschlagnahmte er auch noch Dions Vermögen.

Platon platzte jetzt endgültig der Kragen und er fing selbst an mit der Opposition zu konspirieren. Um ein Haar wäre er wieder in Gefangenschaft geraten, aber sein Freund Archytas verhalf ihm zur Rückkehr nach Athen.

Dion versuchte übrigens später noch einmal einen Umsturz in Syrakus, um dort selbst zum Philosophenkönig zu werden. Anfangs lief dieser sogar erfolgreich, doch dann wurde Dion ermordet, bevor er Platons Staat realisieren konnte. Wie gesagt: Platons Staatsmodell ist sehr radikal. Kein Establishment damals wie heute konnte Interesse daran gehabt haben, da es auf seine Entmachtung und Enteignung hinauslief.

Platons Tod

Platon jedenfalls hatte nun endgültig die Nase voll von Politik und beschränkte sich für den Rest seines Lebens aufs Lehren und Forschen. Er starb 348 oder 347 vor Christus im Alter von 81 Jahren und seine letzten Worte sollen gelautet haben: „

Ich bin ein Schwan, der von Baum zu Baum fliegt und damit den Jägern viel Sorge bereitet, weil es ihnen nicht gelingen will, mich zu fangen.“

… Ähm, ja! Genau!

Vielen Dank, dass ihr euch die Zeit genommen habt. Wenn euch das hier gefallen hat, dann erzählt doch euren Freunden davon und schaltet auch das nächste Mal wieder ein, wenn ich euch erzähle, warum Platon Dialoge schrieb.

Literaturtipps

Bilderquellen

 

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Neue Narrative setzen und alte Narrative brechen

Ich wollte schon seit längerem ein Stück über Narrative schreiben, da ich den Begriff und seine derzeitige Verwendung sehr spannend finde. Ohne das irgendwie empirisch belegen zu können, habe ich das Gefühl, dass „Der Diskurs“ als zentrales akademisches Leitmotiv vom „Narrativ“ abgelöst wurde.

Ein Rabe hinter Gittern. Wenn ihr die Metapher verstanden habt, erklärt sie mir bitte...
Ein Rabe hinter Gittern. Wenn ihr die Metapher verstanden habt, erklärt sie mir bitte…

Während meines Studiums in den Nullerjahren schien sich noch alles um Dikurse zu drehen. Der öffentliche Diskurs wurde geführt, Diskurse lösten sich ab und uns wurden Diskurse aufgezwungen. Ich habe den Begriff im Rahmen von Habermas’ Diskursethik kennengelernt, weiß aber nicht ob er von Habermas auch im Original stammt, oder ob er schon zuvor in der Soziologie gebräuchlich war. Über Hinweise wäre ich sehr dankbar. Soziologisch ist der öffentliche Diskurs eine über Zeit und Raum sich erstreckende Diskussion zu einem Thema, das in der Gesellschaft strittig ist. Beispielsweise sind zwei seit Jahren aktuelle Diskurse der richtige Umgang mit der Eurokrise und der Atomausstieg. Politiker, Zeitungen und andere Massenmedien melden sich in so einem Diskurs genauso zu Wort wie Wissenschaftlerinnen und die kleine Bürgerin, wenn sie zum Demonstrieren auf die Straße geht oder eben blogt.

Diese Diskurse, so mein ganz persönlicher Eindruck, wurden mittlerweile von Narrativen als Buzzword abgelöst. Die Diskurse selbst bleiben ja bestehen, wie ich an den beiden Beispielen oben vorführen wollte, aber die Intellektuellen reden im Metadiskurs weniger über sie und ihre Existenzbedingungen. Stattdessen ist man in der Metabetrachtung vom Diskutieren zum Erzählen übergegangen. Kulturpessimisten könnten das als Symptom dafür ansehen, dass heutzutage weniger miteinander gesprochen oder sich weniger zugehört wird. Stattdessen erzählen alle ihre eigene Geschichte. Aber ganz sachlich betrachtet, liegt der Wechsel des Buzzwords wohl daran, dass Diskurse nur existieren können, wenn es ein Narrativ gibt. Juna im Netz liefert uns hierfür eine knackige Definition:

„Narrative: Meme, die den Diskurs eröffnen und in der Lage sind, auch die Menschen zu erreichen, die bisher nicht daran teilnehmen.“

Wir brauchen also erst einmal eine Erzählung, die geeignete Sprache, um einen Diskurs zu eröffnen. Ich finde eines der eindrücklichsten Beispiele für ein sehr wirkungsmächtiges Narrativ waren die Frankfurter Prozesse. Dort wurden in den 1960er Jahren die Verbrechen von Auschwitz verhandelt und vor allem: weitgehend zum ersten Mal erzählt. Der deutschen Öffentlichkeit wurde von dem Grauen erzählt, das die Nazis in Auschwitz errichtet hatten. Und erst mit dieser öffentlichen Erzählung wurde der öffentliche Diskurs angestoßen. Das Narrativ „Man hat es ja nicht gewusst“ wurde gebrochen. So wurde der gesellschaftliche Wandel eingeleitet, der in die 68er-Generation mündete.

Wenn Blogger Geschichten erzählen

Heute, so wird es sich im Internet erzählt, brauchen wir wieder ein solches Narrativ um einen Diskurs anzustoßen, von dem wir alle hoffen, dass er uns in eine bessere Gesellschaft geleitet.

Es soll dahinten in der Ecke ja noch jemanden geben, der oder die die letzte Woche unter einem Stein gelebt und noch nichts von der re:publica mitbekommen hat. Die re:publica ist diese „Bloggerkonferenz“, wie sie in großen Medien noch immer oft genannt wird. Und eines der ganz großen Themen dort war eben die Suche nach neuen Narrativen gegen die Totalüberwachung. Damit wir endlich erfolgreich einen Diskurs anstoßen können.

Am meisten Aufmerksamkeit erhielt Sascha Lobo mit seiner Rede „zur Lage der Nation“, in der er einige streitbare These präsentierte, über die seither — wie jedes Jahr über die Vorträge von Lobo — auch tatsächlich gestritten wird.

Ein Aspekt ist dabei nicht bloß von mir als der wichtigste erkannt worden: Lobo griff das Thema auf, dass wir eine neue Sprache für und über die „Totalüberwachung“ brauchen. Er schlug vor dass wir nicht mehr von „Spähskandal“ oder „Geheimdienstaffäre“ sprechen, weil Affären und Skandale vorübergehen, die Totalüberwachung aber bleibt. Statt dessen wollte Lobo, dass wir andere Begriffe verwenden, die die Situation besser beschreiben: „Spähangriff“, „Spitzelattacke“ oder eben „Totalüberwachung“. Lobo schlägt vor, dass wir Geheimdienste „Spähradikale“ nennen. Wir sollen sie als „antidemokratisch“, „grundrechtsfeindlich“ und „sicherheitsfeindlich“ brandmarken. Geheimdienste „leiden an Kontrollsucht“ und „Spähfanatismus“. Und die unbewiesene, wenn nicht gar widerlegte Wirkung von Überwachung sollen wir als „Sicherheitsesotherik“ entlarven.

Den wichtigsten Talk zu neuen Narrativen hielt allerdings Friedemann Karig, dessen Vortrag mir in der Nacharbeitung neben Lobos so oft wie kein anderer in die Filterblase gepustet wurde.

Karig kritisierte, dass wir die Totalüberwachung noch immer mit veralteten Symbolen wie „1984“, „Stasi“ oder „Gläserner Bürger“ anprangern. Weiterhin hebt Karig hervor, wie wichtig es ist, auch die anscheinend viel wirkvolleren Narrative unserer Gegner zu brechen: „Ich habe doch nichts zu verbergen“, „Supergrundrecht“, „wir sammeln doch nur Metadaten“, „Google, Facebook und Co. sind der Feind“ und „man kann eh nichts tun“.

Das ist ein spannender Punkt aber vielleicht noch wichtiger ist, dass Karig als einer der ganz wenigen mal mit empirischen Studien auf die Frage eingeht, warum Überwachung schlecht ist. Die meisten von uns sprechen immer davon, dass Überwachung schlecht ist. Für uns ist das klar, wir sind davon überzeugt und brauchen das gar nicht weiter zu begründen. Aber für die Bürger da draußen ist das nicht so klar, wie ich in der Vergangenheit schon einmal geschrieben habe. Daher sind die Antworten von Karig auf das
„Warum ist Überwachung schlecht?“ so wichtig:

  • Überwachung macht krank
  • Überwachung macht verletzlich (das Individuum und die Gesellschaft)
  • Überwachung macht unsere Demokratie kaputt
  • Überwachung macht dumm
  • Überwachung macht primitiv
  • Überwachung macht ohnmächtig aka. Überwachung macht impotent
  • Überwachung klaut
  • Überwachung ist unmenschlich

 

Für die ausführliche Begründung dieser Thesen lege ich euch ganz dringend ans Herz, den Vortrag Karigs anzuhören!

Der von mir sehr verehrte Felix Schwenzel läutete dann noch während der re:publica die Nachbearbeitung ein und griff in seinem sehr aktuellen Beitrag beide oben genannten Vorträge auf:

Hier gibt es den Vortrag auch zum Nachlesen.

Er machte noch einmal klar, dass eines der wichtigsten aktuellen Narrativen „Angst“ ist. Der Staat hat Angst vor Terror, die Sicherheitsbehörden haben Angst vor Versagen und wir haben Angst vorm Staat. Schwenzel sagt, dass niemand den Satz: „Überwachung gefährdet die Demokratie“ mehr hören will, da die Menschen nicht daran glauben. Wir sehen doch, dass die Demokratie läuft, obwohl es die Totalüberwachung gibt.

Als Gegenentwurf präsentiert Schwenzel die Macht der Bilder am Beispiel der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung und verwies auf vier parallelen zwischen der Bürgerrechtsbewegung und der Antiüberwachungsbewegung:

  • Wenig gesellschaftlicher Rückhalt
  • Wenig politische Unterstützung
  • Viel Kritik aus den eigenen Reihen
  • Und die These: Wer nicht schwarz ist, hat auch nichts zu befürchten

Weiter sieht Schwenzel ein Problem darin, dass wir die Überwachung zu sehr aufbauschen, also gewissermaßen zu starke Narrative beschwören, dass wir nicht klar genug definiert haben, wer unsere Gegner sind und dass uns drittens die geeigneten Symbole fehlen. Gegen die Wirkungsmächtigen Bilder vom „Kampf gegen den Terror“ kommen wir mit angestaubten Begriffen wie „Datenschutz“, „Privatsphäre“ und erneut „Gläserner Bürger“ nicht an. Schwenzel fährt fort, dass wir auch umdenken müssen und die Konzepte von Privatsphäre und Freiheit neu denken müssen. Wir sollten weniger schwarz malen, sondern mehr Pragmatismus an den Tag legen. Wir sollen das System bespielen.
Schwenzels Forderung sind der Dreiklang:

  • provozieren
  • (Täter) benennen
  • und verspotten

Go, tell it on the mountain…

Die Nachbearbeitung der re:publica griff sodann Anatol Stefanowitsch auf, indem er sich mit Sascha Lobos Suche nach neuen Begriffen auseinandersetzte. Stefanowitsch hält die Angriffsmetaphern, die Lobo vorschlug, für ungeeignet und betont, dass das Besondere der Gefahr ist, dass sie unsichtbar ist, dass wir sie nicht bemerken.

„Stattdessen bräuchten wir einen Frame, der zu einer unsichtbaren Gefahr passt, die jahrelang unbemerkt und folgenlos bleiben und dann plötzlich akut werden kann. Mir fallen spontan zwei solche Frames ein, die beide gut in deutschen Angstdiskursen verankert sind: Der VERUNREINIGUNGS-Frame und der KRANKHEITS-Frame.“

Anatol Stefanowitsch: Spähmetaphorik und ihre Grenzen [re:publica]

Stefanowitsch schlägt daher Begriffe wie „Spähgeschwür“ und „Spitzelparasiten“ vor. Die Verunreinigungsmetapher in Form von Radioaktivität bereitet ihm dann aber selbst in der Umsetzung einige Probleme:

„Allerdings ist Radioaktivität selbst nur schwer fassbar, und Wörter wie Spähradioaktivität oder Spitzelstrahlung klingen deshalb sehr konstruiert und unverständlich.“

Anatol Stefanowitsch: Spähmetaphorik und ihre Grenzen [re:publica]

Als Nachtrag unterbreitet Anatol Stefanowitsch dann auch noch Dierk Haasis’ Vorschlag Raubtiermetaphern zu verwenden.

Einen habe ich noch: Michael Seemann geht diverse Talks durch und warnt vor allem vor unangebrachten Metaphern. Leider begründet er das insgesamt zu wenig, , wenn er etwa sagt, dass es geschmacklos ist, die Totalüberwachung mit der AIDS-Epedemie zu vergleichen. Besonders kann ich folgendes nicht nachvollziehen:

„Ebenso unpassend ist der Vergleich mit der rassistischen Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung im Amerika der 60er Jahre, den Felix Schwenzel bemüht.“

mspro: re:publica 2014 – Deutschland sucht das Supernarrativ

Denn Felix Schwenzel hatte die amerikanische Bürgerrechtsbewegung nicht in ihrer moralischen Tragweite oder in der Form der Unterdrückung mit der Totalüberwachung vergleichen, sondern sie ja lediglich als Beispiel für eine erfolgreiche Agenda verwendet, in der eine unbeachtete Bevölkerungsgruppe sich und ihrem Problem erfolgreich Aufmerksamkeit verschafft hat.

Seemann schließt damit, dass er nicht glaubt, dass fehlende Narrative das Problem sind, sondern dass unser Überwachungsbegriff kaputt ist und verweist auf seinen eigenen Beitrag für Deutschlandradio Kultur.

Das Warum und die alten Narrative

So, und was mache ich jetzt mit dieser vorläufigen Chronik? Mir Gedanken! Ich glaube schon, dass die Sache mit den Narrativen Teil des Problems ist. Klar ist Sprache nie die alleinige Lösung, aber ohne Sprache können wir unser Problem einfach nicht artikulieren.

Ich finde in den Vorträgen und Artikeln oben, kommen noch zwei Aspekte zu kurz. Auch wenn sie hier und dort anklingen. Zum einen, und damit hat Karig begonnen, aber wir müssen es weiterführen, müssen wir erklären, warum Überwachung doof ist. Wir versteifen uns fast immer zu sagen, dass es so ist. Aber, ich wiederhole es noch einmal, glaube ich nicht, dass die Mehrheit der Menschen unsere Ansicht teilt. Daher müssen wird erklären, warum es scheiße ist, wenn die Geheimdienste unsere Mails lesen und durch unsere Webcams gucken, auch wenn wir deshalb nicht mit einem Dronestrike zu rechnen haben.

Der zweite und noch wichtigere Punkt ist, dass wir nicht bloß neue Narrative setzen müssen, sondern auch eines brechen müssen. Wir müssen das Narrativ vom Kampf gegen den Terror zermürben. Denn mit dem Buzzword „Terror“ wird seit 2001 jede nationalstaatliche Sauerei gerechtfertigt.

Aus dem Buzzword „Terror“ ist noch nie etwas Gutes entstanden.

Daher müssen wir den Leuten klar machen, dass der Terror nicht unser Problem ist, dass fettiges Essen gefährlicher ist als Bomben und dass Geheimdienste Anschläge wie den in Boston eben trotz dem Backup all unser Passwörter nicht verhindern können. Als unglaublich wertvolles Lehrstück empfehle ich hier übrigens den Roman von Maj Sjöwall, Per Wahlöö: Die Terroristen*, in dem genau dieses Szenario aufgeführt wird: trotz massiver Polizeimaßnahmen kann dort ein Terroranschlag nicht verhindert werden. Warum, sag ich mal nicht, um nicht das Ende zu spoilern. Daher müssen wir den Kampf gegen den Terror beenden und mit dem Kampf für unsere Grundrechte beginnen, indem wir anfangen, die richtigen Geschichten zu erzählen…

 

Ich bin raus!

 

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