Die Idee zu Blackbox Urheberrecht I

… noch 25 Tage.

Am 15 September erscheint Blackbox Urheberrecht auch auf Papier im JMB Verlag. Übrigens könnt ihr es schon jetzt vorbestellen. Um euch und mir die Wartezeit zu verkürzen, wollte ich ein paar Geschichten rund um das Buch, das Urheberrecht und die Autoren erzählen. Und heute fange ich an mit der Geschichte, wie ich auf die Idee kam, das Buch herauszugeben.

Guy Fawkes Mask (Brian Chan)

Bild: Guy Fawkes Mask (Brian Chan) von Gabe Rosiak. Lizenz: CC-BY 2.0.

Das E-Book

Eigentlich sind das zwei Geschichten. Die erste ist die, wie ich auf die Idee kam ein E-Book zu veröffentlichen und die zweite ist jene, wie ich auf das Thema kam. Die Idee mit dem E-Book ist schnell erzählt: Von 2010 bis 2012 machte ich ein Volontariat im m.w. VERLAG hier in Frankfurt. Dort habe ich dann ab 2011 gelernt, wie man E-Books layoutet und vertreibt. Dabei habe ich auch gelernt, dass E-Books keinen Verlag mehr voraussetzen. So entstand die Idee, das auch zu versuchen. Und da es schon eine ganze Menge gelungener Experimente von Menschen gab, die ihr eigenes Buch über Amazon und Co. verkauft hatten, wollte ich eben mal etwas anderes versuchen, nämlich, ob ich nicht auch eine Anthologie ganz ohne Verlag herausbringen kann. Wie das geht, beschreibe ich ausführlich auf meinem anderen Blog.

Das Urheberrecht

Doch wie kam ich auf die Idee mit dem Urheberrecht? Nun, das lag 2012 irgendwie in der Luft… Fast im Wochentakt kamen neue provokante Texte oder Ereignisse rund ums Urheberrecht aufs Tapet. Ich habe das in „Blackbox Urheberrecht“ in einer Zeitleiste alles aufgelistet. Aber ich will hier zumindest mal ein paar der zentralen Ereignisse wiedergeben. Der erste Höhepunkt ereignete sich bereits im Dezember 2011. Anonymous griff die Webseite der Gema mit sogenannten DDoS Attacken an.

DDoS Atacken sind „distributed denial of service“-Attacken. Grob gesprochen wird dabei durch ein Computerprogramm, das auf möglichst vielen Rechnern gleichzeitig ausgeführt wird, die Webseite in möglichst kurzer Zeit möglichst oft aufgerufen. Das erfolgt so lange, bis der Server, auf dem die Webseite liegt, die Anfragen nicht mehr verarbeiten kann und abstürzt. Im kleinen, alltäglichen Umfang kann man sich das Prinzip auf eBay angucken. Ihr habt euch vielleicht schon einmal gefragt, warum diese Millionen Euro schwere Seite so langsam ist. Man sollte doch meinen, dass eBay genug Kohle haben müsste um ein paar flotte Server aufzustellen. Wahrscheinlich könnte eBay auch tatsächlich noch so manches an Performance herauskitzeln, aber es hat auch ein großes Problem: tausende Nutzer sitzen vor ihren heimischen Computern und aktualisieren unentwegt die Webseite, um zu prüfen, ob sie bei einer Auktion überboten wurden. Das heißt: der Server muss rund um die Uhr kleine DDoS-Attacken verkraften… Doch zurück zu Anonymous.

Es ist kompliziert, Anonymous irgendetwas zuzuschreiben, da jeder, der sich mit den Zielen von Anonymous identifiziert, im Namen von Anonymous Aktionen durchführen kann. Diese Barrierefreiheit wurde so manchem zum Verhängnis, der sich an den DDoS-Attacken beteiligte, weil er wohl nicht damit rechnete, dass ihm irgendetwas passieren könnte, als er die Gema angriff, „ohne den elterlichen Keller zu verlassen“, wie es ein Anon im Interview mit mir nannte. Ich habe Anonymous nämlich für Blackbox Urheberrecht interviewt. Was mich natürlch vor einige Schwierigkeiten gestellt hat, aber davon berichte ich ein anderes Mal. Im Interview habe ich sie auch gefragt, warum sie die GEMA angegriffen haben. Und die Antwort der Anons lautete, dass der Grund die Sperrung von Internetinhalten durch die GE sei:

„Die Sperrung von Internetinhalten ist ein ganz großes NO GO. Gerade Sperrung von Internetinhalten aus Copyrightgründen sind ein noch größeres NO GO. Solche Methoden werden mit großer Vorliebe von Extremisten benutzt, denen die Argumente für die eigene Position/Existenz ausgegangen sind: Sekten und Kulte, Kreationisten, totalitäre Organisationen und Regime und die GEMA.“

Anonymous: Es ist nicht einzusehen, dass man einmal einen Hit schreibt und hinfort sorgenfrei im Reichtum lebt. In: Daniel Brockmeier (Hrsg.): Blackbox Urheberrecht.

Das nächste Ereignis im Januar 2012, das mich zu meiner Themenwahl führt war die spektakuläre Abschaltung von Megaupload, aber von der erzähle ich euch das nächste Mal…

Verschlüsselung

Ich habe jetzt schon wiederholt aus netzaktivistischen Kreisen gehört, man solle besser nicht verschlüsseln, denn dadurch mache man sich verdächtig. Das ist meines erachtens falsch und das genaue Gegenteil ist die richtige Maßnahme zur digitalen Selbstverteidigung. Es sollten möglichst viele Menschen verschlüsseln, gerade wenn sie nichts zu verbergen haben. Dies sollte gewissermaßen unser ziviler Ungehorsam sein, damit wir den Geheimdiensten klar machen können, dass wir nichts von Ihnen und ihren Methoden halten.

Von Zigeunersauce und ihren schlüpfrigen Überlagerungen

Eigentlich ist die viel spannendere Frage ja, ob wir französisch-schön Sauce oder blöd eingedeutscht Soße schreiben sollten. Aber Deutschland diskutiert derzeit den ersten Teil des Kompositums „Zigeunersauce“. Na ja, zumindest jene konservativen Klatschmedien zwischen Bild, Focus, RTL und Web.de, die gerne mal die „Sprachsäuberer“ beschimpfen.

Sauce
Sauce. Vielleicht auch Soße. Jedenfalls nicht von Sinti oder Roma stammend, schon weil sie ja nicht rot ist.

Anscheinend hat eine Sinti- und Roma-Organisation fünf Hersteller der besagten Sauce aufgefordert, die Diskriminierung im Namen hinter sich zu lassen. Leider finde ich da keine Originalquelle sondern nur die vor Empörung triefenden Schreiberlinge minderer Qualität, auf die zu linken, ich mich weigere. Warum sie dies tun, habe ich übrigens hier schon einmal erläutert…

Die Sauciere, ihre medialen Advokaten und eine Piratin berufen sich indessen auf die 100 Jahre alte Tradition der Sauce und dass diese doch gar nicht versuche, Sinti und Roma zu bezeichnen. Das erste Argument ist Blödsinn. Denn Giftgas oder oder Bürgerbespitzelung haben eine nicht minder lange Tradition in diesem Land, ohne dass wir aufstehen und sie verteidigen. Außer, man heißt Friedrich…

Der zweite Teil des Arguments hingegen erscheint auf den ersten Blick plausibler, führt uns mal wieder tief in die Linguistik hinein und beleuchtet das gar wunderliche Verhältnis von Denotation und Konnotation. Klar bezeichnet die Zigeunersauce keine Sinti und Roma sondern so eine Art Ketchup mit Zwiebeln und Paprika. die Sauce denotiert diese Flüssigkeit, benennt sie. Eine Funktion von Sprache – wenn auch nicht, wie von den Philosophen zu Unrecht angenommen, die Hauptfunktion – ist es, die Dinge dieser Welt zu benennen. Damit wir über diese rote Sutsche mit verschiedenfarbigen Stückchen sprechen können, müssen wir sie irgendwie benennen. Sonst sitzen wir auf der Bierbank beim gemeinschaftlichen Grillen und sagen nur: „Gib mir mal dieses Dings, äh, dieses… na ja, das Rote da, das ich auf mein Steak machen will.“ Und das kann ja keiner wollen! Statt dessen bezeichnen wir diese Dinge mit Namen, um unser Leben zu vereinfachen.

Anders als jetzt Platon noch glaubte, sind diese Namen aber nicht natürlich, sie liegen nicht im Wesen der Dinge begründet. Statt dessen sind sie arbiträr, konventionell. Wir haben uns (ohne offizielle Abstimmung) darauf geeinigt, sie so zu nennen. Entsprechend können sich die Namen der Dinge auch ändern und tun es im übrigen unentwegt. Das nennen wir Sprachwandel. Es gibt also erst einmal keinen Grund der dagegen spricht den Namen Zigeunersauce hinter uns zu lassen und etwa Paprikasauce zu sagen.

Die Konnotation ist ein schlüpfriges kleines Ding

„Ja aber du hast doch eben selbst gesagt, dass die Sauce gar keine Sinti und Roma denotiert, warum sollten wir den Namen dann ändern?“

Fragt mein alter Ego

Das ist korrekt, aber wie ich oben schon anriss, gibt es neben der Denotation auch noch ihre schwer zu fassende Schwester: die Konnotation.

Hadumod Bußmann definiert sie im sehr zu empfehlenden Lexikon der Sprachwissenschaft als

[…] Individuelle (emotionale) stilistische, regionale u. a. Bedeutungskomponente(n) eines sprachlichen Ausdrucks, die seine Grundbedeutung überlagern und die – im Unterschied zur konstanten begrifflichen Bedeutung – sich meist genereller, kotextunabhängiger Beschreibung entziehen, z.B. Führer. […]

Hadumod Bußmann: Lexikon der Sprachwissenschaft

Wie läuft das ab, dieses „überlagern“? Nelson Goodman erklärt in den „Sprachen der Kunst“ sehr schön, dass Sprache semantisch nicht digital ist, kein Code. Ein Code ist eine eineindeutige Zuordnungsvorschrift. Ein Codeschnipsel bezeichnet nur genau ein Ding. In HTML etwa <img> ein Bild. Und dieses Bild hat nur genau einen Namen, nämlich <img>. In der Sprachphilosophie nennen wir so einen Code eine Idealsprache und unterscheiden diese von der normalen Sprache oder auch Alltagssprache. Diese ist nämlich eben gerade nicht digital, sondern ein Wort bezeichnet oft immer sehr viele Dinge. Das Wort „Baum“ kann etwa das Ding <Tanne> oder das Ding <Birke> bezeichnen, so verschieden die beiden auch sind. Aber diese unscharfen Grenzen, diese Überlagerung geht sogar noch weiter. Mit „Baum“ assoziiere ich gewisse andere Begriffe. Etwa „Holz“, „stabil“, „alt“, „groß“, „Vögel“, „Blätter“, „Wurzeln“, „Gummibärchenbande“, „Ent“ usw. usf.

Und ich wette, ihr habt ganz andere Assoziationen mit dem Wort Baum und habt bei einigem aus meiner Aufzählung da oben die Stirn gerunzelt. Außerdem stehen da Begriffe, die man klar mit Baum assoziieren kann, die aber nicht einmal stimmen müssen. Etwa „alt“. Denn auch wenn Bäume echt alt werden können, müssen sie eo ipso auch einmal jung gewesen sein.

Und damit komme ich jetzt ganz morsch auf unsere Sauce zurück. Denn macht doch einfach mal euren Assoziationsstrauß mit dieser auf. Vielleicht kommt ihr da dann auch auf solche Assoziationen wie die Piratin Kathrin Hilger:

„Der Name sollte damals, als er geschaffen wurde, Exotik vermitteln, etwas Besonderes, den Hauch von Fernweh.“

Kathrin Hilger: Quatsch mit Sauce

Und genau das ist Teil des Problems, denn von dieser „Exotik“, diesem „anders sein“ sind wir schnell wieder beim Klischee des romantisch die Zeit verrauchenden Tagediebs, der Kinder stiehlt. Oh Konnotation, du schlüpfriges kleines Ding, du! Und daher ist es vielleicht an der Zeit, unsere Exotik mit etwas anderem assoziieren als mit einem Begriff, der viele Menschen vor 80 Jahren ins KZ führte… Dass das Brechen mit Tradition marketingtechnisch durchaus erfolgreich sein kann, zeigt Raider, das „jetzt“ Twix heißt. Hat sich sonst was geändert?

Schön ist so ein Markenwandel auch bei der ersten Folge der Madmen dargestellt:

 

 

 

Ich bin raus!

 

Literatur

Hadumod Bußmann: Lexikon der Sprachwissenschaft
Nelson Goodman: Sprachen der Kunst
Platon: Kratylos (bei Amazon) oder gratis im Netz

Checks & Balances

Ich habe neben vielem anderen ™ Politik studiert. Aber ich habe die Politische Wissenschaft nie mit vollem Einsatz studiert, sondern mehr so nebenbei. Warum? Politikwissenschaft erschien mir immer ein bisschen zu einfach, zu offensichtlich. Die wirklich harten Nüsse fand ich in der Logik, der Symbol- und Erkenntnistheorie und in der Syntax: In den Königsdisziplinen von Philosophie und Linguistik. Aber (tm!!!) ich habe mich geirrt.

Politische Wissenschaft ist schwerer als ich immer dachte. Beispielsweise dachte ich als kleiner Grundstudiumsstudent (heute wäre das der Bachelor) ich könne die 19 Grundrechte samt Staatsordnungsparagraphen Nummer 20 auswendig… Heute muss ich aber hören, dass ich mich geirrt habe, denn — so lehrt mich unser Superinnenminister — es gibt noch ein Supergrundrecht: Sicherheit.

Doch, ich will hier keine unwürdig dünnen Bretter boren. Ich will hier meinen Fehler berichtigen und über ein paar Grundprinzipien nachdenken. Beginnend mit den Checks & Balances.

Gewaltenteilung

Das wichtigste, aber bei Leibe nicht das einzige Instrument um Checks & Balances zu gewährleisten, ist die Gewaltenteilung. Wir haben keinen König der sowohl regiert, als auch Gesetze erlässt und Recht spricht. Wir haben ein Parlament, das für die Gesetzgebung zuständig ist, die Legislative, eine Regierung, die die Exekutive darstellt, den Staat also leitet, die Richtung, in die unser Zusammenleben gehen soll in Form von Gesetzesinitiativen vorgibt und unabhängige Gerichte — die Judikative — die urteilt, ob das Recht eingehalten wird und vor allem, ob neue Gesetze mit unserer Verfassung vereinbar sind.

Das Problem ist, dass die drei Gewalten nicht von sich aus „gut“ sind, sie sind fehleranfällig, durch Macht korrumpierbar, denn sie sind mit Menschen wie dir und mir besetzt. Deswegen brauchen wir etwas, dass kontrolliert, dass diese Macht nicht missbraucht wird: eine vierte Gewalt. Die vierte Gewalt wird oft mit den Medien gleichgesetzt, das ist aber nich ganz korrekt. Richtig ist viel mehr: die Öffentlichkeit. Durch das Internet etwa kann diese öffentliche Kontrolle viel unmittelbarer ausgeübt werden, als durch Zeitungen und das Fernsehen. Aber auch, dass Gerichtsprozesse vor Publikum stattfinden, ist als vierte Gewalt wichtig für die Checks & Balances. Wenn aber bei #PRISM Geheimgerichte der NSA die richterliche Erlaubnis zur Spionage erteilen, so ist zwar auf dem Papier noch die Gewaltenteilung gegeben, aber de facto ist sie nicht mehr als ein hohler Kürbis. Denn ohne Öffentlichkeit können wir nicht kontrollieren, ob es einen Anwalt gibt, der glaubhaft gegen die NSA streitet. Dass dem nicht so ist, zeigt, dass das Geheimgerichte nicht ein einziges Mal „Nein“ zur NSA gesagt hat. Es mangelt eben an Checks & Balances.

Genauso verhält es sich mit dem parlamentarischen Kontrollausschuss des Bundestages für die Geheimdienste. Wenn stimmt, was ich so höre, handelt es sich zwar auf dem Papier um einen Check, aber in Wirklichkeit macht er nichts anderes, als die Geheimdienste zu befragen und ihren Aussagen zu vertrauen. Zwischenmenschlich mag Vertrauen gut sein, aber in einer Demokratie ist Kontrolle nicht bloß besser, sondern notwendiges Gebot.

Und das Elend rund um die fehlenden Checks & Balances nimmt kein Ende, wie wir aus Herrn Pofallas Aussagen schließen kann. Denn warum weiß der Chef der deutschen Geheimdienste, dass die Amerikaner und Briten uns nicht ausspionieren? Ganz einfach: er hat sie gefragt und sie haben gesagt: „Nö, machen wie nicht.“

Na, dann ist ja gut, dachte sich der Ronald. Tja, Politik ist einfach zu kompliziert für unsere Regierung…

Heldenepos

Im Soziopod wurde vor geraumer Zeit ziemlich stichhaltig dargelegt, dass es der Demokratie an guten Geschichten mangelt. Dass es nicht ausreicht, den Menschen mit einer churchillschen Ratio zu kommen, dass die Demokratie bei all ihren Fehlern noch immer besser ist als alle anderen Regierungsformen. Der Mensch braucht halt was fürs Herz…

Und obgleich die Demokratie seit einigen pragmatischen Wochen in der Krise steckt, erleben wir doch zugleich eine dieser Geschichten. Gewiss ist dieser Heldenepos um Edward Snowden eine Tragödie, aber mit Siegfried oder Achilles steht Edward damit in einer langen Tradition.

Führt euch das doch mal vor Augen: Snowden saß im Zentrum der Macht, im Herzen des Todessterns. Er wusste genau, was er tat, als er in seine Pfeife blies. Er wusste, dass sein Leben verwirkt ist und sprach dennoch lutherisch: Hier stehe ich, ich kann nicht anders.

Und es ist jetzt an uns, ob wir uns unsere Helena wirklich ungestraft rauben lassen und Hagen von Tronje ungestraft davonkommen lassen…

Wenn Mondgötter argumentieren

Zu meinem letzten Post verfasste „Apokalypse 2012 Mondgott“, dem anscheinend entgangen ist, dass wir mittlerweile völlig apokalypsenlos 2013 schon zur Hälfte hinter uns gebracht haben, einen Kommentar der so krude war, dass er sich perfekt für mein zentrales Thema eignet, indem ich daran zeige, wie man nicht logisch argumentiert.

Der Mondgott beginnt folgendermaßen:

Reinhart Koselleck wies schon 1971 („Wozu noch Geschichte?“) nach, dass “die Geschichte” ein totalitäres Konstrukt (“Weltgeschichte”) im Zuge der Aufklärung war, an die bis heute alle abendländische verschulte bibliophile Menschen glauben.

Sehr schön setzt unser Mondgott hier als erstes rhetorisches Mittel das Namedropping ein, einen Sophismus: wenn schon Herr Koselleck das „nachgewiesen“ hat, dann muss es ja stimmen!
Meine vollkommen oberflächliche Netzrecherche ergab übrigens, dass Herr Koselleck durchaus ein rechts-konservativer, kritischer Historiker war, dass er aber wohl kaum die folgenden Thesen des Mondgottes teilen würde:

Stattdessen gab es vor dem 18. Jh. nur orale “Geschichten” (so wie heute noch bei den Jäger-und-Sammlern, den einzigen intelligenten Menschen auf diesem agrarischen Planeten).

Das ist schlichtweg falsch! Ich empfehle hier den großartigen Aufsatz von Goody und Watt: Konsequenzen der Literalisierung jedem, der genauer wissen möchte, wie die Menschen schreiben lernten und was das mit ihnen machte.
Aber auch jene, die es nicht genauer wissen wollen, sollten schon einmal so viel von ägyptischen Hieroglyphen, der Babylonischen Keilschrift oder dem griechischen Alphabet gehört haben, um zu wissen, dass es auch schon tausende Jahre vor dem 18. Jahrhundert viel mehr als orale Geschichten gab. Dazu lasse ich einfach mal ganz doof das Stichwort „Herodot“ fallen… Mal schauen, was dem Göttlein als nächstes einfällt…

Heute ist “Geschichte” (auch als Unterrichtsfach) praktisch nur noch ein Terrorinstrument, um all jene Leute fertig zu machen, die (angeblich!) keine — oder aber die “falschen” — Geschichten haben…

Das ist spannend, denn hier verquickt der Apokalyptiker zwei Sophismen. Einerseits „die Interessensvertretung“. Geschichte in Form von Aufzeichnungen historischer Ereignisse und in Form von Geschichtsunterricht sind nicht chonistischer Selbstzweck, sondern fremdbestimmt durch eine wie auch immer geartete Macht.

Er verstärkt die Interessensvertretung durch einen zweiten Sophismus, den ich in meiner Sammlung noch gar nicht aufgeführt habe, ich werde das in den Kommentaren nachholen: das Buzzword „Terrorismus“. Ein Buzzword ist ein Schlagwort, das nur einen Zweck hat: deinem Gegner die Luft aus den Segeln zu nehmen. Und der „Terrorismus“ ist der Prototyp unseres Zeitalters für diesen Sophismus: Warum belauscht uns die NSA? Terrorismus! Warum brauchen wir Vorratsdatenspeicherung? Terrorismus! Warum brauchen wir Drohnen? Terrorismus! Warum brauchen wir Innenminister Friedrich? Terrorismus! Was ist Geschichte? Terrorismus!

Dies ist „unsere“ Geschichte in 10 Sekunden: Sesshaftigkeit => Kain ermordet Abel (Jäger-und-Sammler) => Juden (Mörder wie Moses, David, etc.) => Christen => Muslime (inkl. Talibans) => Protestanten => Kapitalisten & Banker => Kommunisten-Marxisten => Nationalsozialisten => Hollywood => Atombomben (Teller, Oppenheimer, Kim Jong Un) => Neonazis etc.
Wann hört endlich dieser wahnsinnige beschnitten-traumatisierte Blödsinn überall auf???

Dafür ist dieser Abschnitt wieder ganz dürre Kost. Erstens entkräftet Mondgott sein Argument indem er Geschichte und Mythos vequickt und zweitens ist dies eine komplett willkürliche Zusammenstellung, die keinen anderen Zweck hat, als uns seinen Rassismus noch einmal reinzuwürgen. Das geiche Spiel kann ich mit anderen Substantiven spielen und komme zu einem ganz anderen Ergebnis:

Die Venus von Willendorf -> Die Erfindung des Rads -> Begründung der abendländischen Kultur durch das Judentum (Helden wie David, Salomon etc.) -> Erfindung des Alphabets -> Muslime retten die antike Philosophie durchs Mittelalter -> Renaissance -> Aufklärung -> Sozialstaat -> Kino -> moderne Kunst (Picasso, Dalí, Magritte) -> die Wikipedia. Hoffentlich geht dieser fantastische holistisch-misanthrope Fortschritt immer weiter!!!

Das Komplexeste, was die Natur je hervorgebracht hat, sind jagende Schamanen…

Und diese sind schon längst unterwegs (auch in der Türkei als altanatolischer Mondgott…)

Das ist auch ganz doof gelaufen für den Mondgott aber schön für uns, denn mit seinem Schlusskommentar tappt er noch einmal richtig schön in den performativen Widerspruch.

Der performative Widerspruch ist ein Widerspruch, der sich aus der Performanz, dem Vollzug meines Sprechaktes ergibt. Sage ich: „Es gibt keine Wahrheit.“, erhebe ich zugleich für diesen Satz den Anspruch, wahr zu sein. Somit verfange ich mich in einem Widerspruch.

Der Mondgott sagt nun, das Komplexeste, was „die Natur“ hervorgebracht habe, seien jagende Schamanen. Aus seinen Ausführungen folgend möchte ich hinzufügen: eine orale Gesellschaft ohne Geschichte. Das Problem ist nun aber, dass der Mondgott dieses Argument in zwei Medien verschachtelt, die jene jagenden Schamanen nicht erfunden haben: die Schrift und das Internet. Er zeigt also, indem er schriftlich in meinem Blog behauptet, jagende Schamanen seinen die komplexeste Gesellschaftsform, dass dem nicht so ist. Und an dieser Stelle bleibt mir nichts weiter zu sagen, als: danke fürs Mitspielen, aber leider sind Sie schachmatt, lieber Apokalypse 2012 Mondgott.

BTW: der ganze Kommentar steht für mich in keinerlei Zusammenhang zu #PRISM. Seht ihr den?

Ich bin raus.

Unsere Gleichgültigkeit kotzt mich an

Da wird die größte Grundrechtsverletzung seit 1989 aufgedeckt und alles, was wir machen, ist zynische Witze zu reißen.

 

Von wegen: War doch schon immer klar, dass meine E-Mails mitgelesen werden, darf ich halt nichts sensibles schreiben.

Mal ganz abgesehen davon, dass sich das gar nicht umsetzen lässt, ist das gar nicht der Punkt, sondern die gleiche fucking Argumentation, die mir Konservative in Sachen Videoüberwachung entgegnen: wenn du nichts zu verbergen hast, hast du auch nichts zu befürchten.

Aber dabei geht es bei Grundrechten nicht. Meine Grundrechte sollen mich vor staatlicher Willkür schützen und sie aufzugeben, heißt nichts anderes, als dem Totalitarismus die Tür aufzuhalten. Klar kann man jetzt sagen, dass ich übertreibe, weil unser System im großen und ganzen noch demokratisch funktioniert, aber Fakt ist auch: Seit 2001 werden unsere Grundrechte Stück für Stück eingeschränkt, immer nur in ganz kleinen Schritten und wir machen nichts weiter, als jedes Mal zurückweichen und zynische Sprüche zu klopfen. Und uns hier und da mal ein bisschen aufzuregen.

Und nur, weil jetzt noch nicht alles am Arsch ist, heißt das nicht, dass es immer so sein wird. Unsere Grundrechte sollen uns vor dem nächsten Hitler schützen, und nur weil der noch nicht vor der Tür steht, heißt das nicht, dass er nicht in 10, 20 oder 50 Jahren anklopft.

Wir haben einen Verfassungsschutz, der zumindest seinem Namen nach meine Grundrechte schützen sollte. Und: nein, ich habe keine Ahnung, ob der im aktuellen Fall überhaupt zuständig wäre, wegen Auslandsspionage und so. Aber er würde ja eh nichts unternehmen, weil er stattdessen lieber Neonazis alimentiert und die Linkspartei überwacht, nur weil die der scheiß DDR hinterhertrauern.

Und es ist auch total egal, was ich wähle! Weil alle Parteien, die jetzt ins liberale Horn blasen, am Ende doch wieder mit CDU oder SPD koalieren müssen und wir dann eh wieder den nächsten Innenminister à la Schily haben. Und beim nächsten Überwachungsplan werden wegen des Burgfriedens Koalitionsfriedens wieder unsere Grundrechte geopfert. Und natürlich schreit die SPD jetzt wieder am lautesten! Aber das ist doch auch nichts anderes, als das Lippenbekenntnis eines Alkoholikers, dass er nie wieder trinken wird.

Und auch der ganze Antiamerikanismus in der aktuellen Debatte ist voll für den Arsch, weil in Sachsen eben auch einfach mal, wegen einer ANTI-NAZI-DEMO(!) ALLE Handydaten ausspioniert werden, wenn es irgendeinem reaktionären Polizeipräsidenten in den Kram passt. Und danach kommt ein Richter und sagt: „Du, du, du …. Das war aber nicht okay von dir“. Und das Arschloch senkt mal kurz das Haupt, nur um es in der nächsten Situation wieder genauso zu machen.

Also, falls ihr es nicht gemerkt habt: ich bin sauer! Und zwar auf uns! Unsere Gleichgültigkeit kotzt mich einfach an!

Wie du nicht willst, dass man dich nervt…

mspr0 schrieb im Rahmen der Debatte um den Adblocker am 24.05.2013 dass Werbung sozial sei, weil damit ärmere User von Reicheren, auf die die Werbung abzielt, mitgetragen werden und so ein kostenloses Internet ermöglicht wird. Hingegen hierarchisieren Paywalls Informationen und halten die Armen außen vor. Ich kommentierte dort lapidar:

Wenn ich deinen Ansatz weiterdenke, solltest du dann nicht entweder auf den Adblocker verzichten, um das freie Netz zu unterstützen, das dich quersubventioniert. Oder aber den Reichen ihre Paywalls und Premiumaccounts als eine andere Spielart der Filtersouveränität zugestehen?

Diesen Gedanken möchte ich hier etwas weiter ausführen. Dahinter steht natürlich wieder einmal Kant mit dem kategorischen Imperativ:

Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.

Immanuel Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten.

Das Prinzip ist ganz einfach… Du sollst deine eigene Handlungsweise verallgemeinern und schauen, ob sie dann noch funktioniert. Im Falle des Adblockers bedeutet das: wenn alle die Werbung blockieren, lohnt es sich nicht mehr, auf Webseiten Werbung zu schalten und den Webseiten wird nichts anderes übrigbleiben, als andere Finanzierungsmodelle wie etwa Paywalls einzuführen.

Allerdings ist dieser Gedanke etwas zu kurz gefasst. Denn wir dürfen nicht vergessen, dass der Adblocker seinerseits nicht Ursache, sondern Wirkung war. Mittel meiner Filtersouveränität, wie mspr0 es nennt. Denn zuerst war da nicht der Wille der User, jegliche Werbung auszublenden, sondern zuerst war da Werbung, die sich bewegte und blinkte, um meine Augen vom Text weg hin zur Reklame zu ziehen. Werbung, die Geräusche machte, damit ich die Tabs durchsuchen musste, welcher denn derjenige ist, der da nervt. Und die Höhe der Dreistigkeit: Werbung, die sich über meinen Text schob, mich also aktiv daran hinderte, die Informationen zu erlangen, um derentwegen ich überhaupt auf die Seite kam. Gekrönt manchmal noch dadurch, dass die Ikonographie des Kreuzes, die im Digitalen IMMER „schließen“ bedeutet, zum Öffnen der Seite missbraucht wurde.

Diese Werbeformen sind natürlich ihrerseits dem kategorischen Imperativ unterworfen. Wenn wir diese Methoden zum allgemeinen Gesetz erheben, dann haben wir ein lärmendes, blinkendes Netz, das mich aktiv daran hindert, dass ich es zum Medium für meine Botschaft nutzen kann. Und die Pointe ist: genau das war die Ausgangssituation, in der Adblock Plus 2006 seinen Siegeszug antrat.

Es waren nicht wir User, die bösartig die Webseiten daran hindern wollten, Geld zu verdienen (Eine Legende rund um die Kostenloskultur, die im Zusammenhang mit Leistungsschutz- und Urheberrecht allzu gerne gepflegt wird), es waren die Webseiten, die uns belästigten. Jetzt ist es aber so, dass bei Internetwerbung im Gegensatz zur Werbung in anderen Medien, das Risiko vom Werbenden auf den Werbeplatzanbieter übertragen wurde. Während ich für eine einseitige Anzeige im Spiegel 64.078 Euro zahlen muss, ohne vorher zu wissen, wie viele Leser die Seite überhaupt aufschlagen oder gar am Ende meine Dienstleistung nutzen, muss ich als Werbende auf Webseiten oft nur pro Klick auf die Anzeige zahlen oder gar, wie bei den Amazon-Affili-Links (die ich hier übrigens auch gelegentlich nutze, ihr erkennt das dann am Rollovertext) nur bezahlt werde, wenn es beim Werbenden tatsächlich zu einem Kaufabschluss kam. Die vorherrschende Meinung ist daher, dass Werbung möglichst aufdringlich zu sein habe, damit sie Wirkung erzielt, im schlimmsten Fall sogar so sein müsse, dass die Klicks gar nicht gewollt, sondern gegen den Willen des Users zustande kommen. Werbung, die nicht stört, sei nutzlose Werbung, da sie ja schließlich vom User nicht bemerkt würde. Dazu kann ich nur eines sagen:

Seid ihr wirklich so einfallslos?

In diesem Land fließen jährlich Millionen Euro in Werbung. Werbung, wie wir sie kennen, gibt es seit über 150 Jahren, Internetwerbung seit etwa 20 Jahren. Ihr habt eure eigene Kulturform, euer eigenes Sprachspiel geschaffen und dennoch fällt euch nichts besseres ein, als zu nerven? Belästigung ist für euch die Spitze der Kulturtechnik? Ich bitte euch, liebe Werberinnen und Webseitenbetreiberinnen, das ist nur armselig.

Szenenwechsel

In einem Youtube-Clip sitzt ein Zeichner vor einer Leinwand, man hört Interviewfetzen von Frauen, die erzählen, dass es sich um einen Phantombildzeichner der Polizei handelt. Diese Werbung der Marke Dove kennt mittlerweile fast jeder, sie wurde mir auf sämtlichen sozialen Medien etliche Male in jede Form von Timeline gespült. Bald schon wurde sie variiert, zitiert und parodiert. Kurz: zu einem Mem. Der kurze Clip hat es in den Olymp der Werbespots geschafft, er wurde viral. Warum? Weil er nervte? Gut, er nervte in seiner Omnipräsenz bestimmt den einen oder anderen. Aber er nervte nicht, weil der Werber ihn absichtlich nervig erstellt hat. Im Gegenteil: sehr viele Menschen schauten sich den Spot an, weil sie es wollten. Weil sie ihn gut fanden, teilten sie ihn. Also erzählt mir bitte nicht, dass Werbung aufdringlich sein muss!

 

 

Und bevor ihr jetzt jammert: „Okay, im Video geht das, das ist etwas anderes, aber Bannerwerbung oder gar Textwerbung, die hat doch gar keine Chance so zu wirken!“ Sage ich nur: Deine Mutter liest SpOn ohne Adblocker!

Oh! Was ist das? Ja, in der Tat: ein textbasiertes Mem. Also schiebt bitte nicht eure Ideenlosigkeit auf das Medium. Wer wissen will, wie man kreativ mit Texten und Bildern arbeitet, so dass es ansprechend ist, dem empfehle ich: setzt euch einfach mal eine oder zwei Stunden vor Tumblr. Dort zeigen euch eure Kinder, wie das geht.

Aber bevor ich jetzt gehe und mit dem Rant ende, werde ich den Bogen zurückschlagen und dem kategorischen Imperativ folgend nicht mehr tit for tat geben, sondern im Sinne Herrn Gigerenzers euch ein tit Vorsprung einräumen und Ausnahmen in meinem Adblocker definieren: auf allen Seiten, die ich regelmäßig besuche, werde ich mir wieder Werbung anzeigen lassen. Aber ich warne euch: beim ersten Mal, da ich wieder von euch genervt sein werde…..

 

Seid ihr raus!

Literatur:

Immanuel Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten
Gerd Gigerenzer: Bauchentscheidungen