Platon – Die unsterbliche Seele

Heute möchte ich mal ein ganz lockeres, unstrittiges Thema betrachten: Es geht nur um die Kleinigkeit des Lebens nach dem Tod.

Der Kerker der Seele

Im Zuge der Anamnesislehre hatten wir Platons These von der Unsterblichkeit der Seele bereits kennengelernt. Dort hatte Platon die Existenz von implizitem Wissen damit erklärt, dass die Seele vor der Geburt die Ideen geschaut hat.

Nach Platon ist der Mensch ein zweigeteiltes Wesen, das aus einem Körper und einer Seele besteht. Im Augenblick des Todes, so Platon, trennt sich die Seele vom Körper. Während der Körper sterbe, lebe die Seele ewig. Platon bezeichnet den Körper sogar als den Kerker der Seele.

Diese Vorstellung ist der sogenannte Leib-Seele-Dualismus. Ich weiß, langsam beginnt es zu nerven, aber der Leib-Seele-Dualismus ist das nächste philosophische Konzept Platons, das die Jahrtausende überdauert hat und bis heute diskutiert wird. Sicher hat Platon ihn nicht erfunden, sondern Ansätze ausgearbeitet, die sich schon in der griechischen Tradition fanden. Besonders die Orphiker und die Pythagoreer dürften hier große Einflüsse auf Platon ausgeübt haben.

Aber zum Beispiel findet sich der Leib-Seele-Dualismus nicht in der jüdisch-christilichen Tradition. Dort glaubte man ursprünglich tatsächlich an die Wiederauferstehung des Fleisches. Und erst durch Platons Einfluss auf die Philosophie des Mittelalters ist die Vorstellung von der Seele auch ins Christentum eingesickert.

So glaubt heutzutage bestimmt kaum jemand daran, dass irgendwann die Toten sich aus den Gräbern erheben – außer vielleicht bei einer Zombieapokalypse. Aber die Vorstellung, dass unsere Seele nach dem Tod weiterlebt, ist weit verbreitet. Der Platon-Experte Walter Bröcker vertritt sogar die These, dass erst die Verbindung von Platonismus und Christentum dem Christentum zu seinem Erfolg verholfen hat, sodass es zu einer Weltreligion werden konnte. Ins gleiche Horn stößt auch Nietzsche, der das Christentum einen Platonismus fürs Volk nannte.

Gibt es ein Leben nach dem Tod?

Soviel zur philosophiehistorischen Dimension des Ganzen. Aber wie können wir da auch philosophisch etwas herausholen. Der wichtige Punkt dafür – ich wiederhole es erneut – ist, dass uns Philosophen im Gegensatz zur Religion reiner Glaube nicht reicht. Wir stellen stattdessen Hypothesen auf und beweisen oder widerlegen sie. Was also sind Platons Beweise für die unsterbliche Seele?

Die Unsterblichkeitsbeweise des altgriechischen Hipsterbartträgers befinden sich im Dialog Phaidon. Im Phaidon wird die Geschichte von Sokrates’ Hinrichtung erzählt und dies zum Anlass genommen, darüber zu philosophieren, ob es ein Leben nach dem Tod gibt. Springen wir mal in den Text.

Das erste, was mir hier auffällt, ist, dass Platon in diesem Dialog unmittelbar vor dem Beginn der Beweisführung für eine unsterbliche Seele noch einmal die Sokratische Lehre von der Ungewissheit der menschlichen Erkenntnisfähigkeit wiederholt: Sokrates kommt auf sein Daimon zu sprechen, seine innere Stimme, die ihm ins Gewissen redet, und gibt zu, dass er sich nicht sicher ist, ob er sie richtig verstanden habe. Den Daimon hatte Platon in der Apologie des Sokrates erklärt. Sokrates sagt dort, dass sein Gewissen ihn in Form einer inneren Stimme immer wieder antreibe, das Richtige zu tun. Der Daimon leitet Sokrates.

Dass der Daimon diesmal unsicher ist, steht nicht aus Zufall an dieser Stelle, sondern weil Platon uns daran erinnern will, dass bei allen Beweisen stets die Möglichkeit besteht, dass wir uns irren.

Die Analogie von den Gegensätzen

Platon beginnt seine Beweisführung dann damit, dass alles in der Welt aus Gegensätzen besteht und dass diese Gegensätze immer ineinander übergehen. Tag und Nacht, Sommer und Winter, Schlafen und Wachsein. So gehen auch Leben und Tod ineinander über. Das ist übrigens eine Analogie, also die Schlussfolgerung aufgrund einer Ähnlichkeit. Und genau darin besteht auch das Problem: Diese Form der Schlussfolgerung lässt sich nicht vorbehaltlos auf alles anwenden. Das wird in dem Moment einleuchtend, wenn ihr an den Wal denkt aus dem aufgrund seiner äußerlichen Ähnlichkeit ein Walfisch wurde, obwohl er doch zu den Säugetieren gehört!

Auch auf Platons konkreten Fall bezogen, dass sich alles ineinander verwandelt, ist die Analogie problematisch, denn es finden sich ganz leicht Beispiele, bei denen es nicht so ist: Eine Raupe wird zum Schmetterling, nicht umgekehrt. Okay, dem Schmetterling könnten wir noch eine Reinkarnation unterstellen. Aber besonders, wenn wir den Tod als Analogie zum Kaputtgehen sehen, geht das ganze nicht mehr auf: Mir zerbrechen ständig Gläser, ohne wieder ganz zu werden. Meine Fahrradpedale ist nach einem Sturz verbogen. Ich warte also einfach mal darauf, dass sie sich wieder in ihr Gegenteil entbiegt, oder wie? Hier passt ja schon der Begriff des Gegenteils gar nicht mehr. Was ist denn das Gegenteil einer verbogenen Pedale?

Die Anamnesis-Lehre

Anyway: Aus diesem Argument der ineinander übergehenden Gegensätze leitet Platon sein nächstes ab: Wenn es nur Sterben und keine Wiedergeburt gäbe, dann wären bald alle Menschen tot. Das ist sogar auf einem sehr komplexen Level richtig: Lebewesen zerfallen nach ihrem Tod in ihre Bestandteile. Aus diesen Bestandteilen ziehen Bakterien, Pflanzen und Pilze ihre Nährstoffe und erzeugen so neues Leben. Aber uns geht es ja um das Fortbestehen unseres Ichs, unseres Bewusstseins oder unserer Seele und nicht darum, Kompost zu werden. Und auf diesem Level erschließt sich mir nicht, was Platon hier sagt.

Als nächstes Argument im Phaidon folgt Platons Lehre, dass Lernen Wiedererinnerung. Und da fällt mir ein: Wir haben noch immer nicht geklärt, woher wir denn implizites Wissen bekommen, wenn wir Platons Vorstellung ablehnen, dass unsere Seele vor der Geburt die Ideen geschaut hat. Nun, die Antwort darauf lautet ganz einfach: Auch implizites Wissen lernen wir, es ist nur eine andere Art von Lernen. Nehmen wir eine Fahrradfahrerin: Sie kann auf dem Fahrrad das Gleichgewicht halten, weil sie über implizites Wissen verfügt, wie das geht. Das hat sie mühsam und wahrscheinlich auch schmerzhaft lernen müssen. Aber sie kann nicht unbedingt sagen, welche physikalischen Kräfte an welcher Stelle wie wirken, denn das müsste sie ganz unabhängig vom Radfahren ganz anders lernen.

Die zusammengesetzte Seele

Platon trägt persönlich den Einwand vor, dass selbst wenn wir an seine Anamnesis-Lehre glauben, daraus noch lange nicht folgt, dass die Seele auch nach dem Tod fortlebt. Sie könnte auch im Moment des Todes wie von einem Windstoß davongeweht werden. Platon fragt daraufhin, welche Dinge denn zerstieben, also von Wind auseinandergerissen werden können. Seine Antwort: Nur was zusammengesetzt ist, kann auch zerteilt werden. Eine echte Einheit hingegen ist unteilbar und die Seele ist eine solche Einheit.

Dass Zusammengesetztes auch zerteilt werden kann, folgt in der Tat logisch aus der Wortbedeutung. Aber gilt auch der Umkehrschluss? Und folgt aus der Unteilbarkeit auch die Unsterblichkeit? Kant hat dagegen eingewendet, dass zum Beispiel Helligkeit unteilbar ist. Dass sie aber – wie in der Abenddämmerung – verblassen kann, ohne dass sie dabei in Teile zerfällt. Analoges könnte auch mit der Seele geschehen.

Platon fährt aber fort: Unteilbar sind, wie wir schon sahen, die Ideen. Entsprechend schließt Platon, sind die Erscheinungen teilbar. Ferner sind sie veränderlich während die Ideen unveränderlich sind. Schließlich sind Erscheinungen wahrnehmbar, Ideen müssen gedacht werden. Die Frage die sich direkt daran anschließt, ist: Was ist die Seele? Eher Idee oder eher Erscheinung?

Wir können die Seele nicht sinnlich wahrnehmen. Platon kann aber auch nicht sagen, dass die Seele zu den Ideen gehört, denn dann währe sie unveränderlich. In diesem Fall kann er sich aber seine Ethik in die Haare schmieren. Denn Menschen zu sagen, wie sie sich verhalten haben, macht ja nur Sinn, wenn sie ihr Verhalten auch ändern können. Deshalb cheatet Platon genauso als würde er mit Eigenblut gedopt die Tour de France gewinnen und sagt, dass die Seele mit den Ideen verwandt ist. Okayyyy, klingt überhaupt nicht zurechtgebogen … Nun gut, jedenfalls folgert er aus dieser Verwandtschaft wieder die Unsterblichkeit der Seele.

Der Gitarrenkörper und die Seelenstimme

Aber auch hier bringt Platon selbst ein sehr gutes Gegenbeispiel: Das Verhältnis von Körper und Seele könnte das Gleiche sein, wie dasjenige von einer Gitarre und ihrer Stimme. Die Gitarre und ihre Saiten sind etwas körperliches, die Stimme, also die Töne, die sie von sich gibt, hingegen ist körperlos. Aber dennoch ist die Stimme an den Gitarrenkörper gebunden und wenn dieser kaputtgeht, dann existiert die Stimme auch nicht länger. Ich finde das ein wunderschönes Bild für die Seele, obwohl es uns die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod nimmt.

Und genau das geschieht an dieser Stelle auch im Phaidon: Den am Gespräch Beteiligten wird die Hoffnung genommen, dass Sokrates, der nur noch Augenblicke zu leben hat, sich auf das Jenseits freuen kann. Nachdem sie zuvor noch so guter Dinge waren, hat auch ihnen das Bild vom Instrument so sehr eingeleuchtet, dass sie enttäuscht anmerken, ob man sich denn nie sicher sein kann. Ob es Weisheit nicht geben kann.

Und mit diesem existentiellen Zweifel lasse ich sowohl Sokrates und sein Freunde als auch euch heute zurück. Nächstes Mal werden wir nach all diesen gescheiterten Versuchen uns fragen, was Philosophie überhaupt kann und soll. Verzagt nicht, denn daraus werden wir neuen Mut schöpfen, um am Ende vielleicht doch noch zu beweisen, dass die Seele unsterblich ist.

Heiligabend

Ich bin kein gläubiger Mensch. Aber an Heiligabend gehen wir in die Christmesse. Das Christentum hat einen großen Einfluss auf unsere Kultur und ich versuche meinen Töchtern diesen nahezubringen – das beste Mittel dagegen, dass sie eines Tages irgendeinen Abendlandblödsinn von sich geben.

Besonders leicht wird mir mein pädagogisches Anliegen dadurch gemacht, dass die Kirche in unserem Viertel so angenehm modern ist, dass ihr Pfarrer zum Beispiel demonstrativ schwul ist und während der Christmesse schon mal  Marilyn Monroes Version von „Happy Birthday“ anstimmt.

So war es auch nicht weiter verwunderlich, dass ein Programmpunkt des Gottesdienstes war, dass ein muslimischer Nachbar (wie er sich nannte) sprach, den Christen zu ihrem Fest gratulierte und für Liebe und Interreligiöses Verständnis plädierte.

Während dieser Rede spürte ich in mir eine leider vertraut gewordene Furcht, die mich mittlerweile immer ergreift, wenn der Islam in der Öffentlichkeit thematisiert wird: Hoffentlich sagt niemand aus dem Publikum etwas Dummes. Ich hatte Angst, dass – während auf der Bühne ein Mensch über Liebe sprach und seine Trauer über den Anschlag in Berlin zum Ausdruck brachte – jemand in meiner Nähe etwas hasserfülltes raunt oder gar laut hinaus schreit…

Aber das geschah nicht. Das Gegenteil trat ein: Als der Gast zu Ende geredet hatte, applaudierte die Gemeinde. Mir stiegen die Tränen in die Augen und es wurde mir sehr weihnachtlich ums Herz.

Metaphysik

Wir haben dir drei Gleichnisse von der Sonne, der Linie und der Höhle hinter uns gelassen und schreiten unaufhaltsam auf die platonische Ideenlehre zu. Heute mit der Frage, was Metaphysik ist und warum wir sie brauchen. Wie immer könnt ihr euch das Video anschauen oder einfach das Transkript darunter lesen:

Beim Liniengleichnis hatte ich den Begriff der Metaphysik bereits erläutert. Aber mit Erläuterungen in der Philosophie ist das so wie mit Folgen auf Netflix: Ist eine vorbei, startet gleich die nächste. Deshalb möchte ich mich heute noch einmal ganz intensiv mit der Frage auseinandersetzen, was Metaphysik ist und warum wir sie brauchen.

Metaphysik ist sinnlos

Platon ist der erste Philosoph, von dem uns ein komplexes metaphysisches Gebäude überliefert wurde. Aber er sollte bei weitem nicht der letzte sein! Theorien darüber anzustellen, wie die Welt jenseits unserer Wahrnehmung aussieht, ist ein beliebter philosophischer Sport, der noch heute betrieben wird, obwohl Ludwig Wittgenstein bereits 1921 in seiner Metaphysik, dem Tractatus logico-philosophicus, klargemacht hat, dass jede Form von Metaphysik sinnlos ist. Wittgenstein schreibt dort*:

„6.53 Die richtige Methode der Philosophie wäre eigentlich die: Nichts zu sagen, als was sich sagen läßt, also Sätze der Naturwissenschaft – also etwas, was mit Philosophie nichts zu tun hat –, und dann immer, wenn ein anderer etwas Metaphysisches sagen wollte, ihm nachzuweisen, daß er gewissen Zeichen in seinen Sätzen keine Bedeutung gegeben hat. Diese Methode wäre für den anderen unbefriedigend – er hätte nicht das Gefühl, daß wir ihn Philosophie lehrten – aber sie wäre die einzig streng richtige.“

Nun, bei Wittgenstein sind wir aber noch nicht in dieser Reihe. Wir sind noch bei Platon. Platons metaphysisches System wurde in den drei Gleichnissen, die ich euch in den letzten Folgen vorstellte, angerissen und wir nennen es „Die Ideenlehre“.

Ein Verlust an Sinn

Zum Beispiel war die Grundaussage des Höhlengleichnisses, dass der Mensch zum metaphysichen Denken gelangen soll. Das Gleichnis versucht zu begründen, dass Metaphysik notwendig ist, dass wir uns von den Fesseln unserer physischen Welt losreißen und aus der Höhle in die Welt der Ideen hinaufsteigen sollen.

An dieser Stelle muss ich noch einen Schritt weiter zurückgehen. Zum allerersten Teil dieser Reihe: Wir hatten bei Thales gesehen, dass dieser den Übergang vom mythologischen Denken zum logisch-wissenschaftlichen eingeleitet hatte. Thales hatte erklärt, dass die Welt aus Wasser entstanden ist. Damit hatte er Gott durch ein abstraktes Prinzip ersetzt. Er hatte genau das gemacht, was Wittgenstein fordert: metaphysische Sätze durch wissenschaftliche ersetzen.

Diesen Übergang vom Mythos zum Logos hatte ich, wie die gesamte westliche Tradition als enormen Fortschritt abgefeiert. Aber mit diesem Übergang tritt auch ein Verlust ein: Wir haben uns von übersinnlichen Vorstellungen verabschiedet.

Gott hat ja nicht bloß die Aufgabe, die Welt zu erschaffen und kann dann chillen wie Harry Potter, wenn er am Ende eines Abenteuers mal wieder Voldi abgewehrt hat. Gott oder andere übersinnliche Vorstellungen bringen Sinn in unser Leben. Wenn wir sie also aufgeben, dann geht damit ein emotionaler Verlust einher.

Die Frage nach dem Sinn des Lebens ist schlichtweg einfacher zu beantworten, wenn man zum Beispiel sagen kann: Der Sinn des Lebens ist das, was Gott uns sagt. Wenn ich nur noch logisch-wissenschaftliches Denken habe, dann gibt es nichts und niemanden, das mir sagen kann, was der Sinn des Lebens ist. Das ist zum Beispiel der Grund, warum für manche Menschen der Islamismus oder auch das radikale Christentum so verlockend sind: Er und es bieten ihnen die absolute Gewissheit, das Richtige zu tun. Wenn du so sehr davon überzeugt bist, dass Gott dir durch ein Buch und seine Prediger sagt, was du tun sollst, dann bist du von jedem Zweifel entbunden. Das ist ein sehr beruhigender Gedanke.

Der Übergang vom Mythos zum Logos ist auch ein logischer Verlust

Aber neben diesem Verlust ans Sinn ist mit dem Übergang vom Mythos zum Logos auch ein logischer Verlust verbunden. Und ich weiß, dass dieser Satz so absurd und widersprüchlich klingt, dass ihn Donald Trump wahrscheinlich in seine nächste Wahlkampfrede einbauen wird.

Aber dennoch ist er wahr. Denn wir verlieren die sogenannte Letztbegründung, also den Punkt, an dem ich nicht mehr weiter „warum?“ fragen kann. Ich hatte bei Thales die These einfach hingenommen, dass die Welt aus Wasser entstanden ist. Dabei stellt sich doch sofort die Frage: Warum ist sie aus Wasser entstanden? Was veranlasste das Wasser dazu sich zu einer Welt zu formen? Im Mythos stellt sich diese Frage nicht: Warum hat Gott die Welt erschaffen? Na weil er gütig und allmächtig ist. Genauso wenig die Frage: Wer hat Gott erschaffen? Alter, der Typ ist allmächtig, da kannst du dir aussuchen, ob er schon immer da war, oder sich selbst aus Nichts erschaffen hat!

Metaphysik versucht nun, sowohl den Sinn-Verlust als auch den Verlust der Letztbegründung auszugleichen, indem sie ein begründetes Gedankengebäude errichtet, das an die Stelle von einfachen Glaubenssätzen tritt. Denn darin besteht weiterhin der ganz große Unterschied: Während die Religion ein Dogma ist und einfach an Gott glaubt, versuchen wir Philosophen, alles zu beweisen, was nicht nit- und nagelfest ist. Das machen wir selbst dann, wenn es nicht sinnlich erfahrbar ist, weil es hinter der Physik liegt, also metaphysisch ist.

Platons Versuch, eine solches begründetes metaphysisches System zu entwerfen, besteht in seiner berühmten Ideenlehre. Allerdings – soviel spoilere ich schon mal – teile ich die Meinung vieler Platonkritiker, dass der Platonismus in diesem Versuch gescheitert ist.

Doch da sind wir noch lange nicht. Beim nächsten Mal begeben wir uns erst einmal auf die Suche nach gesichertem Wissen.

Literatur

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Der Geist in der Maschine

Dies ist die Geschichte des Geistes. Die Geschichte, wie die Menschen ihn verloren haben und die Maschinen den Geist vielleicht finden werden. Es geht um die Redewendung vom ‚Geist in der Maschine‘. Wir finden sie in der Popkultur in vielerlei Form, der Anime Ghost in the Shell referenziert sie genau wie der Film Ex Machina, aber auch in I Robot, Brazil, Futurama oder Akte X taucht sie auf. Verwendet wird sie, um auf den Zustand zu verweisen, in dem die künstliche Intelligenz uns ebenbürtig ist. Jüngst machte Furore, dass Googles AlphaGo das äußerst komplexe Spiel Go spielen kann. Aber nicht nur das: Der Computer hat sich das Spiel mittels Deep Learning sogar selbst beigebracht und obendrein kann er intuitiv entscheiden, was der richtige Zug ist. Wenn wir solche Formulierungen wie „selbst beibringen“ und „Intuition“ hören, dann flackert der Geist in der Maschine, den wir bislang nur aus Literatur und Film kannten, in der echten Welt auf. Doch auch wenn diese spezialisierte Intelligenz unglaublich beeindruckend ist, so wird es wohl noch ein paar Jährchen dauern, bis die Maschine einen echten Geist mit allgemeiner Intelligenz, Vernunft, Verstand, Kreativität, Selbstbewusstsein und freien Willen besitzen wird, wenn überhaupt …

Filmplakat zu Ex Machina. Copyright: DNA Films / Film4 Productions
Filmplakat zu Ex Machina. Copyright: DNA Films / Film4 Productions

Denn das Spannende daran ist, dass die Redensart vom „Geist in der Maschine“ sich ursprünglich gar nicht auf Computer und künstliche Intelligenzen bezog, sondern auf uns Menschen! Der Philosoph Gilbert Ryle prägte die Phrase 1949 in seinem Buch Der Begriff des Geistes, um unser menschliches Selbstverständnis zu kritisieren – das, was in der Philosophie der Leib-Seele-Dualismus genannt wird. Denn während wir gerade auf der Suche nach dem Geist für die Maschine sind, haben wir Menschen ihn längst verloren. Und diese Geschichte möchte ich euch erzählen.

SF65 - Her

Dieser Post ist Teil einer umfassenden Auseinandersetzung mit Spike Jonzes Film Her, in dem sich der Mensch Theo in die künstliche Intelligenz Samantha verliebt. In meinem Podcast Spätfilm habe ich bereits mit meiner Co-Hostin Paula und unserem Gast Christian über die Darstellung der Liebe zwischen Mensch und Maschine in Her gesprochen. In Christians Podcast Second Unit war ich zu Gast zur Diskussion über die Frage, ob die in Her gezeichnete Welt eine Utopie oder eine Dystopie ist. Und demnächst erscheint noch eine Folge des Podcasts Enough Talk, in der Paula und ich zusammen mit unserem Gastgeber Arne durch die Filmgeschichte reisen und uns fragen, welche Geschichten wir rund um künstliche Menschen gewöhnlich erzählt bekommen.

Wie wir Menschen den Geist fanden

Natürlich beginnt unsere Geschichte mit Platon. So, wie fast alles in der Philosophie mit Platon beginnt. Denn die Idee, dass der Mensch einen Geist hat, stammt ursprünglich vom griechischen Philosophen, auch wenn er noch gar nicht vom Geist sondern von der Seele sprach. Genauso natürlich werden jetzt manche einwenden, dass es vor Platon schon andere gab, wie die Pythagoreer oder die Orphiker, die davon sprachen, dass der Mensch eine Seele hat. Das stimmt, Platons Geist hat diese Idee nicht spontan hervorgebracht, sondern war kulturell geprägt. Aber dennoch ist Platon der Ausgangspunkt dieser Geschichte und zwar aus zwei Gründen: Zum einen ist er der erste, von dem ums komplette Texte mit zusammenhängenden Argumentationen erhalten geblieben sind. Zum anderen war sein Konzept vom Leib-Seele-Dualismus enorm wirkungsträchtig. Das zeigt nichts besser, als die Tatsache, dass das Christentum ursprünglich keine Seele kannte. Das hört sich für uns heute absurd an, aber ursprünglich glaubte das Christentum an die „Wiederauferstehung des Fleisches“. Man glaubte also, dass der Körper eines Menschen am Tag des jüngsten Gerichts wieder zum Leben erwachen und zwar nicht im Sinne einer Zombieapokalypse sondern so wie dies Jesus an Ostern vorgemacht haben soll. Erst als im Mittelalter die sogenannten Kirchenväter Platon gelesen hatten, tröpfelte die Idee vom Leib-Seele-Dualismus schließlich ins Christentum ein.

Aber was genau stellte sich Platon unter der Seele vor und in welchem Verhältnis steht sie zum Körper? Platon bezeichnet den Körper als das Gefäß für die Seele, ja, manchmal sogar als ihr Gefängnis. Seiner Vorstellung nach schwappen die Seelen an einem „überhimmlischen Ort“ in einer Art Eintopf rum und wenn dann ein Körper geboren wird, dann flutscht eine Seele in den Körper hinein. Nach dem Tod darf sie dann wieder in den überhimmlischen Eintopf zurückkehren. Nach Platon besteht die Seele aus drei Teilen. Zum ersten gibt es die Begierden, die natürlichen Triebe wie Hunger, Durst und der Sexualtrieb. Der zweite Teil ist die Vernunft und der dritte Teil sind die Gefühle, die Emotionen. An manchen Stellen sagt Platon übrigens, dass nur der vernünftige Teil der Seele unsterblich ist, an anderen bezeichnet er auch unsere innere Stimme, die wir beim Denken hören, als die Seele. Interessant ist, dass Platon die Seele nicht unbedingt im Kopf verortet, stattdessen ist irgendwie der ganze Körper von der körperlosen Seele beseelt.

Platons Leben

Mehr zu Platon könnt ihr auf meinem YouTube-Kanal sehen. In einer ausführlichen Staffel werde ich mich unter anderem auch mit Platons Seelenvorstellungen und seinen Unsterblichkeitsbeweisen beschäftigen.

Der menschliche Körper ist wie ein Uhrwerk nur schleimiger

Doch genug zu Platon, denn hier soll es doch eigentlich um die Idee vom Geist in der Maschine gehen. Die Frage ist also: Wie wurde aus der Seele der Geist? Dafür sorgte ein anderer großer Name in der Philosophie: René Descartes. Er machte aus dem Leib-Seele-Dualismus den Geist in der Maschine und er verlagerte den Geist auch endgültig in den Kopf.

Warum? Was war in der Zwischenzeit geschehen? Die Rennaisance und mit ihr der Beginn der philosophischen Epoche der Neuzeit! Die Rennaisance hatte vor allem zwei Innovationen gebracht, die unser Bild vom Leib-Seele-Dualismus maßgeblich beeinflussten. Zum einen war dies die Anatomie. Zwar hatten schon in der Antike Ärzte tote Menschen aufgeschlitzt, doch im Mittelalter war dieser Zweig der Medizin größtenteils als Sünde verboten gewesen. Männer wie Leonardo da Vinci oder Andreas Vesalius begannen nun wieder zu untersuchen, wie der menschliche Körper aufgebaut ist und hatten dabei große Schwierigkeiten, eine Seele zu finden. Stattdessen fanden sie etwas anderes, nämlich das Gehirn. Und dies kombiniert mit der zweiten großen Innovation sorgten für das Bild vom Geist in der Maschine. Diese zweite Innovation war das Mechanistische Weltbild. Dafür sorgten so Menschen wie Nikolaus Kopernikus, Johannes Kepler, Galileo Galilei und Francis Bacon. Mmmmh, Bacon … Äh, Tschuldigung! Das mechanistische Weltbild war dadurch geprägt, dass die Menschheit mehr und mehr erkannte, dass die Welt anscheinend kausal aufgebaut ist. Jede Wirkung in der Welt hat eine Ursache. Sei es nun im kleinen Maßstab, wo geschickte Ingenieurskunst dieses Prinzip nutzte um zahnrädergetriebene Uhrwerke zu entwickeln oder sei es im Großen, wo die Planeten sich auch nur deshalb bewegen, weil ursächliche Kräfte auf sie einwirken.

Die Entdeckungen der Anatomen passten nun hervorragend in dieses Weltbild. Anscheinend war der Mensch auch nichts anderes, als ein perfekt funktionierendes Uhrwerk, nur ein bisschen schleimiger. Aber war der Mensch das wirklich? Unser alltägliches Leben scheint uns etwas anderes zu erzählen. Während ein Uhrwerk solange das Gleiche macht, bis es kaputt geht, ist der Mensch kreativ. Wir verfügen über die Gabe der Spontaneität. Während in der mechanischen Welt alles inklusive unseres Körpers durch die Prinzipien der Kausalität bestimmt ist, ist unser Geist frei, nicht an die Gesetze von Ursache und Wirkung gebunden. Ich kann mich zum Beispiel jederzeit entscheiden, ob ich diesen Text weiterschreibe oder

 

Tumbleweed

 

Da bin ich wieder, wo war ich stehen geblieben? Ach ja, beim freien Willen. Unsere ganze Welt von der Erziehung über unsere Rechtssprechung bis zur Entscheidung, wo wir nach dem Tod die Ewigkeit verbringen, basiert auf der Idee, dass wir uns frei entscheiden können. Der freie Wille ist eine Idee, die scheinbar überhaupt nicht zusammenpasst mit dieser kausal-mechanischen Welt. Das motivierte Descartes dazu an Platons Dualismus festzuhalten: Wir besitzen nicht nur einen Körper, der dem Kausalitätsprinzip unterliegt, sondern in unserem Kopf sitzt zudem unser Geist, der nicht gebunden ist an die mechanische Welt.

Dies war lange Zeit die herrschende Lehre und auch heute noch, da sie schon lange bröckelt, zweifeln wir im Alltag nicht im geringsten an ihr, auch wenn sie uns manchmal auf den Geist geht. Wir sprechen von der Welt des Geistes, wenn wir uns mit Kunst, Literatur oder Musik beschäftigen. Die Geisteswissenschaften behandeln alles, was sich nicht ins starre Kausalraster der Naturwissenschaften pressen lässt. Und unser Geist kann krank oder behindert sein. Auch Descartes wichtigste und berühmteste Erkenntnis, das „Ich denke, also bin ich“ basiert auf der Idee des Geistes und auf jener, dass wir einen priveligierten Zugang zu ihm haben: Alles außer der eigene Geist ist ungewiss.

Aber am wichtigsten ist und bleibt der freie Geist für die Ethik. Unser Gehirn komplett dem Kausalitätsprinzip zu unterwerfen, bedeutet, die Unterscheidung von Gut und Böse aufzugeben. Die Vorstellung, dass die Nazis nicht anders handeln konnten, dass sich der Holocaust kausal notwendig ereignen musste, bereitet hoffentlich nicht nur mir Schmerzen. Die Idee, dass alles seit dem Urknall einer unbeeinflussbaren ewigen Kettenreaktion folgt, ist im Grunde nur eine mechanistische Variante des Schicksalsglauben.

Unser Geist ist nicht ganz sabberfrei

Andererseits ist die Idee des Geistes in der Maschine wohl nicht aufrechtzuerhalten, wie wir sehen, wenn wir darauf blicken, was in den Jahrhunderten nach Descartes geschah. Vor allem ab dem späten 19. Jahrhundert ergaben sich in der Verhaltensforschung und der Psychologie entscheidende Erkenntnisse, die das Bild vom freien Geist in der determinierten Maschine in Frage stellten. Allem voran brachte Pawlow in seinen Experimenten Hunde zum sabbern. Und schon bald stellte sich heraus, dass auch der menschliche Geist nicht ganz sabberfrei ist. Anscheinend unterliegt er ebensovielen Regeln und Gesetzen wie der Körper. Dies führte zur psychologischen Theorie des Behaviorismus. In seiner radikalen Ausprägung sagt der Behaviorismus, dass jedes menschliche Verhalten eine Reiz-Reaktions-Kette ist.

Zu diesem Zeitpunkt brachte dann Gilbert Ryle 1949 sein Buch „Der Begriff des Geistes“ heraus, in dem er den Geist-Körper-Dualismus als „intelektualistische Legende“ entlarvt. Ryles zentrales Argument ist, dass es sich beim Dualismus von Körper und Geist um eine sogenannte Kategorienverwechslung handelt. Er bringt ein Beispiel für eine Kategorienverwechlung: Ich soll einer Gästin die Universität zeigen. Ich zeige ihr die verschiedenen Institute, die Bibliothek, die Mensa, die Verwaltung, den Asta etc. Doch anschließend sagt meine Gästin: „Jetzt hast du mir all diese Orte gezeigt, aber zeige mir doch endlich die Universität!“ Mein Gast glaubt in diesem Fall, dass die Universität vom gleichen logischen Rang ist, eine eigene weitere Kategorie neben den Instituten usw. In seinem Buch zeigt Ryle auf, dass es uns mit dem Geist genauso geht, dass wir ihn nicht als einen Teil des Körpers betrachten, sondern glauben, er sei eine diesem Körper ebenbürtige Kategorie. Ryle zeigt dann an sehr vielen Beispielen auf, in welche Absurditäten uns diese Vorstellung hineinführt, wenn wir sie konsequent durchspielen. Ryles Philosophie ist sehr spannend und zu einem anderen Zeitpunkt einen eigenen Post wert, doch hier würde das jetzt zu weit führen, schreiten wir lieber voran.

Der Dolchstoß als Geisteraustreibung

Denn Gilbert Ryle war noch nicht der Abschluss der Geisteraustreibung. Als nächstes wurde der Computer erfunden. Nun gut, die Idee der Turing-Maschine und der Zuse-Rechner sind älter als Ryles Buch, aber Innovationen brauchen immer eine Weile, bis sie in den philosophischen Diskurs eindringen. Jedenfalls erschien die Metapher des Computers perfekt, um komplett geistlos zu beschreiben, was in unserem Kopf vorgeht. Doch auch wenn ich immer wieder Sätze wie diesen lese:

„Here’s something we know. Building a computer as powerful as the brain is possible—our own brain’s evolution is proof.“

… Möchte ich darauf bestehen, dass das Gehirn kein Computer ist. Es erscheint uns als ein solcher, da es sich mit der Terminologie der Informatik derzeit am besten beschreiben lässt. Aber auch die Seele und der Geist in der Maschine waren das Ergebnis der damals besten Beschreibungsmöglichkeiten. Ich bin mir ziemlich sicher, dass in einigen Generationen jemand schmunzelnd auf unser komisches Bild vom Computer im Gehirn zurückblicken wird. Wenn uns die Philosophie eines lehrt, dann dass wir immer Gefangene des Zeitgeists sind.

Aber auch mit dem Computer war noch immer nicht Schluss. Den bislang letzten Dolchstoß verpasste dem Geist das Libet-Experiment und seine Nachfolger. Denn dieses und ähnliche Experimente scheinen zu beweisen, dass der freie Wille eine Illusion ist. Demnach fällt das Gehirn schon Entscheidungen, bevor unser Geist oder unser Bewusstsein glaubt, dass es diese Entscheidungen fällt. Sind wir also wirklich nur determinierte Maschinen? Nun, das wird die Zukunft zeigen. Aber wenn wir das Libet-Experiment ernst nehmen würden, dann müssten wir unser Rechtssystem komplett umkrempeln. Denn, wie Bertrand Russell einst sagte: Niemand würde ein Auto, das aufgrund eines Defekts gegen eine Wand gefahren ist, dafür als Strafe jahrelang in die Garage sperren. Doch genau das machen wir mit Straftätern, obwohl sie ohne freien Willen nichts anderes sind als kaputte Maschinen. Andererseits können wir unser Rechtssystem auch nicht ändern, schließlich war es kausal vorbestimmt, das zu werden, was es heute ist. Und schon stecken wir wieder mitten im Schicksalsglauben.

Wie die Maschinen den Geist fanden

So, das war sie, die Geschichte, wie die Menschen den Geist verloren haben. Schauen wir uns doch mal an, wie die Maschinen ihn fanden. Denn, wenn wir heute vom Geist in der Maschine sprechen, meinen wir zumeist künstliche Intelligenz – die denkende Maschine. Denkende Maschinen sind die neueste Version des künstlichen Menschen, einem Wunschtraum, den wir schon seit der Antike haben. Hephaistos, der griechische Gott der Schmiedekunst soll mechanische Dienerinnen gehabt haben und der von den Frauen enttäuschte Bildhauer Pygmalion hat sich in eine seiner Statuen verliebt. Venus fand das wohl so knorke, dass sie sie zum Leben erweckte. Im Mittelalter taucht in der jüdischen Mystik der Golem auf, ein aus Lehm geschaffener und mit Zahlenmystik zum Leben erweckter künstlicher Mensch. Mit Hilfe der Alchemie machte man sich außerdem vergeblich daran den Homunkulus zum Leben zu erwecken. Im mechanischen Zeitalter waren dann zum Beispiel der Schachtürke oder die automatische Tochter Olimpia aus E. T. A. Hoffmanns „Der Sandmann“ die neuen Träume.

 

Pygmalion

 

Und heute träumen wir eben den Traum von der K.I. Spannend ist diesbezüglich der Turing-Test, da sich in ihm wieder die behavioristische Geistesaustreibung zeigt. Dieser von Alan Turing entwickelte Test soll beweisen, ob ein Computer intelligent ist. Beim Versuch führt eine Person zwei Gespräche mit Unbekannten, die sie nicht sehen kann. Einer ist ein Mensch der andere ein Computer. Wenn die Testperson nach diesen Gesprächen nicht sagen kann, welcher der Unbekannten der Mensch und wer der Computer ist, dann ist der Test für den Computer bestanden und er gilt als so intelligent wie der Mensch.

Wir sehen, dass der Turing-Test überhaupt nicht nach dem Geist in der Maschine fragt. Ganz im Sinne Ryles bleibt er gänzlich äußerlich, er macht nichts anderes, als nach dem Verhalten der Maschine zu fragen und zu prüfen, ob dieses Verhalten geistreich ist. Natürlich wurde der Test dafür auch kritisiert: John Searle kritisierte, dass der Test nicht beweisen könne, dass die Maschine ein Bewusstsein habe. Oder, wie es im Film Ex Machina gut zusammengefasst wird: Woher weiß ich, dass der Computer nicht bloß besonders clever darauf programmiert ist, mit vorzugaukeln, er könne denken. Diese Frage ist genauso spannend wie im Bild vom Geist in der Maschine gefangen. Denn nach Ryle kann die einzige Antwort darauf die Gegenfrage sein: Wie machen wir das denn bei Menschen?

Der Käfer in der Schachtel

Gewiss, wir unterstellen Menschen, dass sie einen Geist haben. Aber, ob es ihn nun jenseits unserer Neuronen gibt oder nicht, wir können ihn nie sehen, hören oder gar berühren. Obwohl … Wir sprechen manchmal davon, dass etwas jemandes Geist berührt, etwa wenn wir über Poesie sprechen. Und das ist auch des Rätsels Lösung: Wenn wir herausfinden wollten, ob ein anderer Mensch einen Geist hat, bliebe uns nichts anderes übrig, als mit ihm oder ihr zu sprechen. Wir würden wahrscheinlich ihren Humor testen und ihren Geschmack, wir würden die andere Person in eine politische Debatte verwickeln und mit ihr über Filme, Bücher und Fußball sprechen. Und wenn die Person bei diesem Gespräch geistreiche Antworten gegeben hätte, dann würden wir ihr einen Geist unterstellen. Mit anderen Worten: Wir würden diese Person einem Turing-Test unterziehen, denn wir haben keinen Zugang zu ihren inneren Vorgängen, was auch immer das sein mag. Ja, wir machen das sogar ständig! Zwar gehen wir selten so weit, jemanden den Geist komplett abzusprechen, aber wenn wir neue Menschen kennenlernen, prüfen wir im Gespräch implizit auch immer ihre Intelligenz mit, damit wir wissen, worüber wir uns mit ihnen unterhalten können. So finden wir dann beispielsweise heraus, dass sich mit dem neuen Kollegen hervorragend über Musik sprechen lässt, dass wir aber besser die Flüchtlingskrise meiden, da er diesbezüglich ein viel zu unterkomplexes Weltbild hat. Das ist im Grunde nichts anderes als ein kleiner Turing-Test.

Die Pointe meiner langen Geschichte ist, dass es letztlich sowohl für den Menschen als auch für die Maschine irrelevant ist, ob sie einen Geist haben. Intelligentes Verhalten zeigt sich nicht an einem mystischen, körperlosen Wesen sondern an unserem alltäglichen Verhalten. Letztlich werden wir auf der Suche nach dem Geist auf Wittgensteins „Käfer in der Schachtel“ verwiesen, der genialen Metapher, mit der Wittgenstein unsere inneren Vorgänge und ihre Relevanz für die Welt und das Menschsein beschreibt:

293. Wenn ich von mir selbst sage, ich wisse nur vom eigenen Fall, was „Schmerz“ bedeutet, – muß ich das nicht auch von den Anderen sagen? Und wie kann ich denn den einen Fall in so unverantwortlicher Weise verallgemeinern?

Nun, ein Jeder sagt es mir von sich, er wisse nur von sich selbst, was Schmerzen seien! – Angenommen, es hätte Jeder eine Schachtel, darin wäre etwas, was wir „Käfer“ nennen. Niemand kann je in die Schachtel des Andern schaun; und Jeder sagt, er wisse nur vom Anblick seines Käfers, was ein Käfer ist. – Da könnte es ja sein, daß Jeder ein anderes Ding in seiner Schachtel hätte. Ja, man könnte sich vorstellen, daß sich ein solches Ding fortwährend veränderte. – Aber wenn nun das Wort „Käfer“ dieser Leute doch einen Gebrauch hätte? – So wäre er nicht der der Bezeichnung eines Dings. Das Ding in der Schachtel gehört überhaupt nicht zum Sprachspiel; auch nicht einmal als ein Etwas; denn die Schachtel könnte auch leer sein. – Nein, durch dieses Ding in der Schachtel kann >gekürzt werden<; es hebt sich weg, was immer es ist.

Das heißt: Wenn man die Grammatik des Ausdrucks der Empfindung nach dem Muster von >Gegenstand und Bezeichnung< konstruiert, dann fällt der Gegenstand als irrelevant aus der Betrachtung heraus.

Ludwig Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen I; § 293.

Der Urgrund der Philosophie

YEAH! PHILOSOPHY BITCH!

Ich habe mich mal an ein anderes Medium herangewagt. Das mit den bewegten Bildern:

Ich würde mich über euer Feedback freuen. Wenn ihr es nicht ganz schlecht fandet, werde ich noch mehr solche Videos produzieren. Gerne nehme ich dazu auch Wünsche entgegen. Alle, denen das da oben zu albern ist, finden hier noch einmal das Transkript:

Der Beginn der Philosophie

Wir können die Geburtsstunde der Philosophie ziemlich genau bestimmen. Die westliche Philosophie begann mit ein paar Typen, die wir heute die „Vorsokratiker“ nennen. Den Namen tragen sie folgerichtig, weil sie schon vor einem anderen Typen mit Namen „Sokrates“ philosophiert haben. Und dieser Sokrates sollte später dann eine ganz große Nummer werden, ein echter Game-Changer. Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein anderes mal erzählt werden.

Der erste Philosoph war mit ziemlicher Sicherheit ein gewisser Thales von Milet. Und dieser Thales hat einen Satz gesagt oder wahrscheinlich eher geschrieben, für den ihn heute die Philosophie-Profs noch immer abfeiern. Leider haben wir den Text nicht mehr, denn von den Texten der Vorsokratiker sind uns nur Fragmente und Zitate erhalten geblieben. In den Worten von Aristoteles (der auch so ein Superstar in der Philosophen-Community ist), lautet dieser entscheidende Satz so:

„Thales, der Begründer von solcher Art Philosophie, erklärt als den Urgrund das Wasser“

Aristoteles: Metaphysik I 3 983 b 6 ff.

O – kay … Aber was ist jetzt der Big Deal an diesem Satz? Ich meine Arnold Schwarzenegger hat mal gesagt:

„Ich werde mehr von meinen Vorstellungen gelenkt als von bewußtem Denken.“

Arnold Schwarzenegger

Aber ich bezweifle, dass wir uns in knapp 2.600 Jahren noch daran erinnern werden, obwohl die Worte von Arnie stammen!

Die Antwort auf die Frage, was so toll an Thales Satz ist, lautet: Er ist der erste Beleg von wissenschaftlich-logischem Denken. Dieser Satz von Thales ist die erste wissenschaftliche Hypothese überhaupt. Das ist eine ziemlich steile These, und ich werde sie auch gleich noch begründen, aber zunächst will ich noch einmal einen Schritt zurückgehen und ein paar Worte dazu verlieren, wer dieser Thales überhaupt war.

Zur Person von Thales

Thales lebte in einer Hafenstadt namens Milet. Das lag im damaligen Kleinasien, was die heutige Türkei ist. Mit Blick auf unsere heutige politische Lage eigentlich eine ganz spannender Funfact, dass die europäische Philosophie von einem Griechen aus der Türkei erfunden wurde …

Wie viele Philosophen war Thales ein Rundum-Gelehrter, der auf vielen Gebieten forschte. Beispielsweise kennen wir auch den Zeitraum, in dem er lebte, da er eine Sonnenfinsternis im Jahr 585 v. Chr. voraussagte. Allerdings war diese Voraussage ist für sich genommen noch nicht so super krass, denn Astronomie wurde schon lange, vor allem in Babylon betrieben und die Babylonier hatten auch schon lange herausgefunden, dass Sonnenfinsternisse sich in gewissen Zyklen wiederholen.

Spannender ist da schon, dass Thales auch ein ganz schön gewiefter Mathematiker gewesen sein muss. Auch das ist keine Seltenheit in der Philosophiegeschichte, die Art zu Denken bei Mathematik und Philosophie, ist eben verwandt. Zumindest solange man Heidegger nicht beachtet.

Es gibt die Anekdoten, dass Thales einerseits die Distanz zu einem Schiff errechnet haben soll, indem er es von zwei verschiedenen Landpunkten aus beobachtete. Außerdem soll er die Höhe einer Pyramide anhand der Länge ihres Schattens bestimmt haben. Und wir alle kennen ihn nicht zuletzt, weil wir in der Schule in Mathe den Satz des Thales lernen mussten.

„Konstruiert man ein Dreieck aus den beiden Endpunkten des Durchmessers eines Halbkreises (Thaleskreis) und einem weiteren Punkt dieses Halbkreises, so erhält man immer ein rechtwinkliges Dreieck.“

Thales von Milet

Übrigens soll auch dieses mathematische Gesetz sowohl den Babyloniern als auch den Ägyptern schon bekannt gewesen sein.

Dann gibt es noch zwei Anekdoten über Thales, die eher ins Reich der Propaganda gehören. Propaganda für Philosophie ist wohl die Geschichte, dass er von seinen Mitmenschen gedisst wurde, weil Philosophie eine brotlose Kunst sei. Aber Thales hat dann mithilfe der Sterne herausgefunden, dass es eine fette Olivenernte geben soll und hat alle Olivenpressen der Gegend gekauft, die er dann zu horrenden Preisen vermieten konnte und so schweinereich wurde. Wie gesagt: Bloße Propaganda, denn den Sternen ist die Olivenernte so schnuppe wie dein Horoskop und mit Philosophie hat das schon mal gleich gar nichts zu tun.

Die andere Anekdote ist Propaganda kontra Philosophen: So soll Thales mal von einer „Thrakischen Magd“ ausgelacht worden sein, weil er beim Sternebeobachten in einen Brunnen fiel. Das ist eine typische Geschichte vom „zerstreuten Professor“, wie wir sie auch heute noch erzählen und Thrakien war damals für die Griechen das, was für den Berliner Hipster heute Brandenburg ist, wodurch die Demütigung für Thales natürlich nur noch größer wird.

Warum die Griechen?

Kehren wir zur Frage zurück – What’s the big deal about:

„Thales, der Begründer von solcher Art Philosophie, erklärt als den Urgrund das Wasser“

Aristoteles: Metaphysik I 3 983 b 6 ff.

Die nächste kurze Antwort, die ich euch darauf geben möchte, lautet: Thales hat als erster den Ursprung der Welt nicht dadurch erklärt, dass irgendein Gott sie erschaffen hat. Doch auch jetzt noch belasse ich es erst einmal bei dem Teaser und beantworte die Frage indirekt, indem ich zunächst frage: Warum haben jetzt ausgerechnet die Griechen mit der Philosophie angefangen? Ihr müsst dabei bedenken, dass zu dem Zeitpunkt, als Thales lebte, die Ägypter schon krasse 3.500 Jahre lang eine Hochkultur hatten. Das sind noch mal locker 1.000 Jahre mehr als von Thales zu uns heute. Und dennoch hatte niemand in Ägypten jemals das Bedürfnis gehabt, anzuzweifeln, dass irgendein Gott die Erde erschaffen hat.

Diese Frage wurde früher oft mit dem „Griechischen Genius“ beantwortet. Eine Antwort, die nicht nur gefährlich ist, weil sie auf der „Europäer sind besser als andere“-Welle reitet, sondern auch mit ziemlicher Sicherheit falsch.

Was also war der Grund dafür, dass die Griechen nun plötzlich eine andere Antwort gaben auf die Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest?

Einer der wichtigsten Gründe war sicherlich, dass es in Griechenland eine reiche Bürgerschicht gab: Alte, weiße Männer, die es sich leisten konnten, ihre Zeit mit Philosophie zu verschwenden, während Frauen und Sklaven für sie arbeiteten. Aber das kann noch nicht der einizige oder gar entscheidende Grund gewesen sein, den Aristokratien, die ihren Reichtum auf Sklaven aufbauten, gab es in der Antike zur Genüge. Aber Philosophie zunächst nur in Griechenland.

Nein, der wichtigste Grund für das Erwachen der Philosophie war wohl die Art und Weise, wie der griechische Staat und die griechische Gesellschaft damals aufgebaut waren. Ihr wisst das bestimmt: Es gab keinen starken Zentralstaat wie in Ägypten oder später in Rom. Stattdessen gab es jede Menge kleiner Stadtstaaten. Und dort gab es sehr repressive Stadtstaaten, so wie zum Beispiel Sparta, aber es gab auch andere, wie zum Beispiel Athen oder Milet, die ihren Bürgern (also den alten, weißen Männern) viele Freiheiten einräumten und die sich entsprechend auch nicht daran störten, wenn diese Bürger dann so gotteslästerliches Zeug von sich gaben.

Außerdem hatte dieses Stadtstaaten-Ding den Vorteil, dass du als aufsässiger Denker mal eben den Staat wechseln konntest, wenn das Kopfsteinpflaster unter deinen Füßen mal zu heiß wurde. Und diese Stadtstaaten-Struktur hatte noch weitere Vorteile. Dafür müssen wir uns ansehen, wie Griechenland aussieht: Griechenland ist bergig. Nicht ohne Grund sitzen die griechischen Götter auf einem Berg. Und die verschiedenen Stadtstaaten saßen zumeist, in fruchtbaren Tälern mit Meerzugang. Statt mühsam über die Berge zu kraxeln, bot es sich da an, mit dem Schiff zu fahren. So wurde Griechenland zu einer großen Seefahrernation und Seefahrt und Seehandel brachten viele kulturelle Einflüsse und andere Arten zu denken aus dem ganzen Mittelmeerraum – So etwas ist ein sehr fruchtbares Klima für innovatives Denken. Es ist kein Zufall, dass im gleichen Zeitraum in Griechenland auch die Geschichtsschreibung, die Mathematik und die Naturwissenschaften durch die Decke gingen.

Aber auch das war noch nicht alles: Es musste noch mehr hinzukommen, denn große Seefahrer waren zum Beispiel auch die Phönizier. Es mussten noch zwei Schäufelchen oder drei draufgelegt werden, damit die Griechen zu Philosophen werden konnten. Das erste Schäufelchen war dabei mit Sicherheit die griechische Sprache. Denn die hatte eine Tendenz zum Abstrahieren. So kann man im Griechischen ganz ähnlich wie im Deutschen ziemlich leicht aus den verschiedensten Worten Substantive machen. Und über den Sinn des Adjektives „wahr“ lässt sich eben nicht halb so gut spekulieren wie über den des sakralen Substantives „Wahrheit“.

Das zweite Schäufelchen war dann bestimmt die Alphabetschrift. Zwar hatte es Schriftsysteme schon lange vor den Griechen gegeben, aber keine der älteren Schriften war so vielseitig und leicht zu lernen gewesen, wie die griechische Alphabetschrift. So können wir heute mit Sicherheit sagen, dass die Mehrheit der griechischen Bürger (also der alten weißen Männer) lesen und schreiben konnte. Und das führte zu einigen spannenden Konsequenzen.

Eine dieser Konsequenzen war sicher, dass so Typen wie Hesiod und Homer anfingen die religiösen Mythen aufzuschreiben. Bis dahin waren diese Geschichten immer mündlich weitergegeben worden. Und ein mündlicher Vortrag hat die Eigenschaft und zugleich soziale Funktion, dass er angepasst werden kann. Wenn etwas aufgeschrieben wurde, dann steht es hingegen fest. Schwarz auf weiß. Jeder kann es hervorholen und mit der Welt vergleichen. Und möglicherweise ergeben sich einige Widersprüche zwischen dem, was in den Büchern über die Götter und die Welt steht und dem, was man selbst wahrnimmt. Fest steht zumindest, dass die Griechen nicht sehr hoch von ihren Göttern dachten. Wenn ihr Homer oder Hesiod lest, dann sind die Olympier ein ziemlich rüder Haufen.

Nun werfe man in diese Situation die schon erwähnte Seefahrt mit all ihren fremdartigen Einflüssen. Da war es kein Wunder, dass in Griechenland Sekten aus dem Boden schossen, die andere, neue Religionen versprachen. Die berühmtesten waren sicher der Dionysos-Kult und die daraus hervorgehenden Orphiker. Und in diesem Klima wirkt jemand wie Thales, der statt die einen Götter durch andere zu ersetzen, die Götter einfach durch ein abstraktes Prinzip wie Wasser ersetzt, vielleicht nicht ganz so überraschend. Und damit kommen wir nun endlich zur Beantwortung der Frage:

What’s the big deal?

Ich sagte schon, dass Thales mit seinem Spruch, dass der Urgrund der Welt Wasser ist, das logisch-wissenschaftliche Denken gewissermaßen erfunden hat. Außerdem sagte ich, dass er erstmals den Ursprung der Welt nicht mit Religion begründet hat. Aber das sind ja nun ersteinmal nichts weiter als Worthülsen. Was bedeutet das? Schauen wir uns den Schöpfungsmythos der Griechen doch einmal an: Da ist am Anfang das Chaos. Aber das ist nicht das, was wir heute darunter verstehen, auch wenn es gewisse Eigenschaften teilt. Stattdessen wurde dieses Chaos von den Griechen als ein denkendes, fühlendes Wesen gedacht, das dann folgerichtig auch ein Kind gebären kann: Gaia, die Erde. Auch Gaia ist wiederum beseelt. Wir nennen diese Art zu denken Animismus, dass also Dinge wie die Erde denken können, denen wir heute kein Bewusstsein zuschreiben. Dem gegenüber meint nun Thales, dass die Welt einfach aus Wasser entstanden ist. Ohne dass er Wasser irgendeine Seele oder ähnliches zuschreibt. Und diese Antwort unterschiedet sich auch zum Beispiel vom jüdisch-christlichen Schöpfungsmythos, in dem zwar die Erde nicht beseelt ist, aber von einem denkenden und fühlenden Gott geschaffen wurde.

Aber noch etwas ist anders zwischen Thales’ Antwort und jener der Religionen: Es handelt sich um eine Hypothese, die sich überprüfen lässt. Religion hingegen ist ein Dogma. Alle Fragen werden etwa im Christentum einfach mit „Es steht in der Bibel“ beantwortet. Das kann die Philosophie im besonderen und die Wissenschaft im Allgemeinen nicht. An die Stelle von „Steht in der Bibel“ muss nachdenken und beobachten treten. Natürlich geht aus Aristoteles Zitat nicht hervor, wie Thales seine Hypothese begründet hat, aber er hat damit eine Tradition begündet, in der eben dieses logische Begründungsspiel gespielt wird.

Schließlich ist noch ein dritter Aspekt an Thales Hypothese spannend. Denn er hat damit ein Frage gestellt, ein Thema eröffnet, dem wie in Philosophie, Physik und Biologie noch immer hinterherjagen. Eine der großen Fragen: Was ist das Prinzip oder der Ursprung der Welt, des Lebens etc.? Thales Antwort ist natürlich nicht sonderlich spannend oder auch nur kreativ. Ich sagte ja schon, dass er in einer Stadt lebte, die im höchsten Maße abhängig vom Meer war. Nein, Thales Hypothese war nicht ausgereift, aber sie regte zu weiterem Nachdenken an. Sie war eben der Urgrund der Philosophie.

Quellen

Zur Recherche habe ich verwendet:

* Hinterhältiger Afiliate-Link: Wenn ihr das Buch kauft, bekomme ich eine winzige Provision und freue mich.

Bildquellen

Die Slides wurden erstellt mit dem Programm SketchBookExpress. Alle Quellenangaben in chronologischer Reihenfolge. Alle Bilder, für die keine Quelle angegeben wurde, stammen entweder von mir oder sind gemeinfrei.

Vegetarier

Eines vorweg: ich bin kein Vegetarier sondern esse Fleisch. Trotzdem oder vielleicht auch gerade deswegen möchte ich ein bis zwei Zeilen schreiben über deinen Spott, liebes Internet. Deinen Spott über Menschen die kein Fleisch essen, oder schlimmer noch, Menschen, die überhaupt keine tierischen Produkte essen, aka. Veganer.

Ein Rind
Ein Rind

Doch bevor Vegetarier und Veganer nun mit allzu breiter moralischer Brust diese Zeilen hier lesen, zwei frustrierende „Funfacts“ vorweg:

  1. Niemand verbringt 60 bis 80 – ach was – auch nur fünf Jahre, auf diesem Planeten, ohne zu töten. Dafür müsst ihr im Sommer nur einen einzigen Blick auf einen Mähdrescher werfen. Auch wenn ihr kein Fleisch esst, sterben Tiere, die bei der Kornernte für euer täglich Brot einfach mit kleingedroschen werden. Und es gibt zum Töten keine Alternative: Denn wenn wir wieder anfingen, Felder von Hand zu sensen, könnten wir den Hunger der westlichen Welt nicht mehr stillen und statt Tieren würden hier wieder Menschen sterben, so wie es derzeit schon in weiten Teilen der restlichen Welt der Fall ist.
  2. Würden wir den Vegetarismus oder gar den Veganismus gemäß des kategorischen Imperativs zum allgemeinen Gesetz erheben, würde dies bedeuten, dass Kühe, Schweine und Hühner aussterben würden. Glaubt ihr nicht? Dann beachtet folgenden Präzedenzfall: Wann habt ihr zuletzt in Europa einen Esel außerhalb eines Tierparks gesehen? Durch die Einführung des Traktors ist der Esel in Mitteleuropa faktisch ausgestorben. Würden wir keine tierischen Produkte mehr essen und trinken, würde das gleiche Schicksal Schweine, Kühe und Hühner erwarten.

Aber ich will Vegetarier und Veganer hier nicht schlecht machen. Im Gegenteil, ich, als Todesser, will hier mal aufzeigen, dass sie uns moralisch überlegen sind und dass du, liebes Internet, das weißt und mit deinem Spott und deiner Häme versuchst, das zu verbergen. Lese ich auf Twitter über die V-Esser, dann meist derlei:

So amüsierten sich drei Herren des CCC erst kürzlich königlich über den Begriff „Speziesismus“. Möglicherweise äußerten sie diesen Spott sogar mit den richtigen Intentionen, wie man aus dem Kontext des Podcasts erahnen konnte, aber da sie das nicht ausführten, sondern die Idee schon belachenswert fanden, konnte ich das nicht erschließen. Aber was ist so lustig am Speziesismus? Oder zunächst einmal: Was ist Speziesismus? Der Begriff „Speziesismus“ ist analog zu „Rassismus“ oder „Sexsismus“ gebildet. Die Idee ist, dass es keinen apriorischen Grund gibt, zu behaupten, der Mensch sei Tieren überlegen. Klar kannst du im Christentum rechtfertigen, dass Menschen den Tieren überlegen sind. Gott sagte ja, dass wir uns die Erde untertan machen sollen. Aber wenn wir das religiöse Dogma als Begründung ablehnen, dann ergibt sich für uns ein Problem, wenn wir versuchen, zu rechtfertigen, warum Menschen den Tieren überlegen sein sollen.

Bleiben wir mal beim Töten um den Speziesismus zu erläutern. Ich behaupte einfach mal, dass jede, die diesen Text liest die ehtische Norm „Du sollst nicht töten“ akzeptiert. Im Normalfall beschränken wir das Tötungsverbot allerdings auf Menschen. Doch warum tun wir dies? Nun, das kommt jetzt auf die Begründung an. Ich kann das Tötungsverbot natürlich wieder religiös begründen: Steht in der Bibel. Aber für viele ist das kein Argument, wie wir am Sex vor der Ehe sehen.

Eine alternative Begründung wäre etwa, dass das Tötungsverbot eine notwendige Voraussetzung für die Bildung menschlicher Gemeinschaften ist. Als Mängelwesen ist der Mensch auf das Leben in der Gruppe angewiesen. Aber so ein Leben in der Gruppe ist äußerst ekelig, wenn du dir nicht sicher sein kann, ob du morgen wieder aufwachst. Die Prävention dagegen: Du sollst nicht töten. Alles klar. Aber warum haben wir dann etwas gegen die Todesstrafe oder gegen Krieg? Beides ist argumentativ in einer solchen Stammesethik eigentlich kein Problem: Wenn jemand die Gruppe von innen heraus bedroht, ist seine Strafe der Tod und wenn jemand die Gruppe von außen bedroht, ist die Antwort darauf Krieg.

Und dennoch, so unterstelle ich wieder, haben viele Leserinnen und Leser dieses Blogs ein Problem mit Todesstrafe und Krieg. Das liegt daran, dass wir unsere Ethik anders begründen. Beispielsweise mit dem oben erwähnten kategorischen Imperativ: Handle stets nach derjenigen Maxime, von der du zugleich wollen kannst, dass sie zum allgemeinen Gesetz werde. Oder volkstümisch-biblischer ausgedrückt: Was du nicht willst, was man dir tu, das füg auch keinem anderen zu. Mit so einem ethischen Baukasten, lassen sich Todesstrafe und Krieg schon nicht mehr so leicht rechtfertigen, wie mit einer Stammesethik.

Die spannende Frage, die die Theorie vom Speziesismus nun stellt, ist: Für wen sollte denn das Tötungsverbot alles gelten? Lassen wir die biblische Begründung beiseite, kommen ein paar andere Begründungskandidaten in Frage:

  1. Nichts, das lebt, sollte getötet werden.
    – Nun das ist schlechtweg unpraktikabel, da wir Menschen nur organisches Material verdauen können, müssen wir selbst entweder sterben oder etwas, das lebt, essen. Also müssen wir notwendigerweise zumindest Pflanzen essen.
  2. Nur Lebewesen, die ein Konzept von Leben und Tod oder die ein Bewusstsein ihrer selbst haben, sollten nicht getötet werden.
    – Klingt zunächst einmal gut, wird aber problematisch, wenn wir an Kinder oder Schwerbehinderte denken. Die haben nicht unbedingt ein Bewusstsein ihrer selbst oder in Konzept von Leben und Tod. Sollten wir sie deshalb töten dürfen? Ich für meinen Teil bin jedenfalls dagegen!
  3. Kein empfindungsfähiges Lebewesen sollte getötet werden.
    – Das ist der heißeste Kandidat. Nichts und niemand, das, der oder die Schmerz oder Angst verspürt, sollte getötet werden. Das schließt nämlich alle nötigen Kandidaten – alle Menschen – ein.

Zu dumm nur für uns Todesser, dass dies auch eine ganze Reihe von Tieren mit einschließt. Ich bin kein Verhaltens- oder Neurobiologe, aber ich bin ziemlich sicher, dass Kühe, Schweine und Hühner Schmerz und Angst empfinden können. Selbst bei Fischen glaube ich ganz sicher an Schmerz, nur bei Angst bin ich mir in diesem Fall nicht sicher. Die Frage ist also, liebe Mittodesser, warum wir dann diese empfindungsfähigen Wesen von unserem Tötungsverbot ausschließen?

Das Argument, das ich am häufigsten zu hören bekomme, ist: Weil wir Menschen von Natur aus Fleischfresser sind. Klingt plausibel ist aber ein Logikfehler. Und zwar der Sein-Sollen-Fehlschluss, den ich in diesem Blog schon des öfteren behandelt habe: Aus der Tatsache, dass wir Menschen Fleischfresser sind, folgt nicht, dass wir es auch sein sollten. Wir Menschen haben in vielerlei Hinsicht weit von unserer Natur entfernt. So sitze ich, während ich diese Zeilen schreibe in einem Zug, der über 100 km/h fährt, und schreibe auf einem Computer, während ich Kleidung trage, die teilweise aus Kunstfasern bestehen. Alles Dinge, die nicht gerade natürlich sind. Wir haben etwa die natürlich Art zu reisen (per Fuß) schon lange hinter uns gelassen, warum sollte uns das im Fall des Essens von Tieren nicht möglich sein? Im Gegenteil: Vegetarierinnen leben uns täglich vor, dass wir den Speziesismus hinter uns lassen können und so moralisch eine Ebene aufsteigen können.

Und ich glaube, du liebes Internet, weißt tief in dir drinnen, dass es so ist, und dass du im Unrecht bist, dass dein Fleischessen nichts anderes als eine traditionell vermittlete Lebensform ist. Deshalb sähst du Spott und regst dich auf, wenn Veganer „predigen“. Dabei würde niemand den Satz

kritisieren. Warum sollte es bei

anders sein?

Ich bin raus.