Das Sein und das Nichts

Gleich zwei Podcasts, die ich höre, haben sich in letzter Zeit mit philosophischen Grundproblemen herumgeschlagen, zu denen ich ein Wörtchen zu sagen habe. Zum einen hat der Soziopod sich mit der Existenzphilosophie auseinandergesetzt. Die Zettelwirtschaft quatschte hingegen den Welt-Nichts-Tag durch. Beide Podcasts wurden dadurch auf Grundfragen der Erkenntnistheorie zurückgeworfen und bemühten sich um Antworten auf: „Was ist das Sein?“ und „Was ist das Nichts?“.

Sein und Nichts

Nichts und Sein, was seid ihr? Bild von mir.

Seiendes abseits vom konkret Seienden und die Existenz des Nichts

Das führte sie ins Herz der ungeheuren Schlacht, die die Philosophen nun seit 2500 Jahren schlagen. So fragte Dr. Köbel an einer Stelle des Soziopods, was denn das „Seiende“ abseits eines „konkret Seienden“ sei. Wie man sich das „Sein“ vorstellen kann, ohne sich die Existenz eines bestimmten Dinges vorzustellen, sondern eben das „Sein“ an sich! Demgegenüber fragten sich Jens Fischer und Wastl von der Zettelwirtschaft solche Fragen, wie: Was kann ich mir unter dem „Nichts“ vorstellen? Gibt es das „Nichts“ an sich? Und: Wenn es „Nichts“ nicht gibt, wie kann dann nach dem Tod nichts (oder Nichts?) kommen?

Die Ergebnisse, die die vier Herren hinter ihren Mikrofonen erlangen, sind sehr hörenswert. Allerdings habe ich auch noch meinen Senf dazuzugeben. Denn ich hänge einer philosophischen Strömung an, die sich analytische Philosophie nennt. Die analytische Philosophie ist in akademischen Diskursen mittlerweile absoluter Mainstream, wird im Bild, das die Öffentlichkeit hierzulande von Philosophie hat, aber zumeist ignoriert. Das liegt vor allem daran, dass die analytische Philosophie eine angelsächsisch zentrierte Angelegenheit ist und die populärsten kontinentaleuropäischen Philosophen eben keine Analytiker waren.

Die Sprache ist kein Spiegel der Natur

Was macht diese analytische Philosophie nun aus? Die große Gemeinsamkeit ist, dass sie den Linguistic Turn vollzogen hat. Demnach sind alle unsere philosophischen Probleme zunächst einmal sprachliche Probleme, denn nur mit Sprache kann ich die Welt erfassen. Die Sprache ist aber kein Spiegel der Natur, sondern hat eine eigene interne Struktur, die sie der Welt überstülpt. Daher sind die Grenzen meiner Sprache die Grenzen meiner Welt.

Glaubt ihr nicht? Denkt ihr, ich verwechsle Linguistik mit Philosophie? Es geht doch eigentlich um existenzielle Fragen und nicht darum, wer was wie sagt?

Nun, viele unsere philosophischen Probleme sind darauf zurückzuführen, dass die Sprache feiert. Wir verwenden Wörter falsch und heraus kommen irgendein Unsinn und Beulen, die sich unser Verstand beim Anrennen gegen die Grenzen unserer Sprache geholt hat. Und „das Sein“ und „das Nichts“ sind zwei hervorragende Beispiele dafür…

Substantivierung, Existenzquantor und Negation

Betrachten wir das „Sein“ und das „Nichts“ auf einer sprachlichen Ebene, so fällt zunächst einmal auf, dass beides Substantivierungen sind. Das Substantiv „Sein“ ist verwandt mit dem Verb „sein“ und und das Substantiv „Nichts“ ist verwandt mit dem Adverb oder Partikel (je nach Kontext) „nicht“. Es ist nämlich eine Grundregel unserer Sprache, dass ich aus jedem Wort ein Substantiv machen kann: „Das Sein, das Nichts und ihre Kumpel das Und und die Ihre trafen sich auf einen Äppler im Gemalten Haus.“.

Seht ihr? Und niemand kommt auf die Idee das „Und“ oder die „Ihre“ semantisch derart aufzuladen, wie es dem „Sein“ und dem „Nichts“ widerfährt. Wenn wir also zu wirklicher Erkenntnis kommen wollen, dann dürfen wir uns nicht um das „Sein“ und das „Nichts“ scheren, denn die sind nur gordische Knoten in der Sprache. Philosophisch fruchtbar wird es erst, wenn wir uns um „sein“ und „nicht“ kümmern.

Machen wir das zunächst mit „sein“. Logisch betrachtet, scheint „sein“ ein Prädikat zu sein: „Daniel ist“. Wir haben ein Objekt „Daniel“ dem schreiben wir eine Eigenschaft zu, nämlich „zu sein“. Genauso, wie wir Daniel auch die Eigenschaft zuschreiben können, ein großer Philosoph zu sein. Aber, hoppelalala, da fällt uns auf, dass sich das „Sein“ schon wieder in diesen Satz hineingeschlichen hat. Das ist aber eine dieser sprachlichen Verwirrungen, denn unsere Sprache braucht ein Bindeglied zwischen „Daniel“ und „ein großer Philosoph“.

Idealsprachlich könnten wir das ganze auch auflösen in:

x = Daniel

x = großer Philosoph

Wir haben also ein x, dem wir die Eigenschaften zuschreiben, Daniel zu sein und ein großer Philosoph zu sein. Die philosophisch wirklich spannende Frage ist, können wir unserem X auch die Eigenschaft zuschreiben zu sein:

x = sein

Das wirkt nicht nur komisch, sondern ist es auch. Und das liegt daran, dass das „Sein“ kein Prädikat ist, keine Eigenschaft. Das Sein ist stattdessen die Voraussetzung dafür, das wir überhaupt Eigenschaften zuschreiben können, ein sogenannter Existenzquantor:

E x

Bevor wir von Daniel sagen können, dass er ein großer Philosoph ist, müssen wir erst einmal sagen, dass er existiert. Idealsprachlich muss es also heißen:

E x

x = Daniel

x = großer Philosoph

Es existiert ein X. Dieses X ist Daniel und dieses x ist ein großer Philosoph. Und deshalb können wir nicht über das „Sein“ an sich sprechen, ohne die Sprache zu verbiegen. Denn das Sein ist keine Eigenschaft, die wir einem Objekt zuschreiben können. Sondern nichts weiter als die Feststellung, dass ein ganz konkretes Objekt, dem wir Eigenschaften zuschreiben wollen, auch wirklich existiert.

Können wir hieraus jetzt auch Erkenntnisse für das „Nichts“ gewinnen? Klar!Ihr ahnt es sicher schon:

x = nicht

… ist genauso unsinnig, eine Verwirrung unserer Sprache, denn „nicht“ ist genauso wenig ein Prädikat wie „sein“. Es ist logisch betrachtet einfach eine Negation:

-

Und unsere idealsprachliche Formel ist jetzt endlich komplett:

E x

x = Daniel

x = - (großer Philosoph)

Unser x existiert zwar und es ist ein Daniel, aber Daniel ist kein großer Philosoph.

Zwei Schlussbemerkungen:

1. Das, was dem „Nichts“ noch am nähesten kommt, ist dies:

- E x
Wenn ich also die Existenz von etwas verneine. Das machen wir etwa, wenn wir sagen, dass es kein Leben nach dem Tod gibt:

- E x

x = Leben nach dem Tod

Deshalb: kann es „Nichts“ als Ding nicht geben, aber nach dem Tod trotzdem nichts kommen. Ob das der Fall ist, ist allerdings eine ganz andere Frage. Fest steht jedenfalls: Das Nichts ist kein Ding, sondern die Verneinung eines Dings.

2. Es gibt ein berühmtes philosophisches Problem von Bertrand Russell, auf das wir gerade die Antwort kennengelernt haben: Es gibt in der Logik nur zwei Wahrheitswerte: Entweder etwas ist wahr oder es ist falsch.

Dennoch scheint uns der Satz „Der gegenwärtige König von Frankreich ist kahlköpfig“ gewissermaßen falscher zu sein, als „Der gegenwärtige Präsident von Frankreich ist kahlköpfig“ und zwar ganz unabhängig vom aktuellen Beziehungsstatus zwischen Herrn Hollande und seinem Haupthaar.

Der Unterschied ist ganz einfach jener zwischen

- E x

und

x = - kahlköpfig

 

 

Ich bin … äh doch noch nicht … raus.

Denn im ersten Drittel des Textes habe ich vier Wittgenstein-Zitate versteckt. Findet ihr Sie?

Literatur:

Bertrand Russell: On denoting. (Hier im Volltext frei zugänglich. Sehr geil!)

Ludwig Wittgenstein: Tractatus logico-philosophicus.*

Ludwig Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen.*

Richard Rorty: Der Spiegel der Natur.*

*Hinterhältige Affili-Links: Wenn Ihr das Buch kauft, bekomme ich ein paar Cent davon.

Gottes Existenz wurde bewiesen

Zeigt sich Gott in der Welt?
Zeigt sich Gott in der Welt?

„Mathematiker bestätigen Gottesbeweis“

titelt SpOn auf seiner Wissenschaftsseite und fährt fort:

„Jetzt sind die letzten Zweifel ausgeräumt: Gott existiert tatsächlich.“

Gut, dass wir das endlich hinter uns haben. Nach 2.500 Jahren wurde es auch endlich Zeit. Und an alle Atheisten: Vielen Dank fürs Mitspielen, holt euch bitte eure Trostpreise an der Pforte zur Hölle ab! Aber, ihr ahnt es sicher schon, ganz so einfach werde ich es euch nicht machen…

Also, beginnen wir mit einem Faktencheck

Was ist passiert? Kurt Gödel, fraglos einer der größten Logiker der Geschichte, hatte sich dereinst daran gemacht, die Existenz Gottes zu beweisen. Mithilfe der Modallogik entwickelte Gödel einen formallogischen Beweis für die Existenz Gottes. Dieser lässt sich holzschnittartig auf zwei Schritte runterbrechen:

1. Es ist möglich, dass es ein göttliches Wesen gibt.
2. Wenn es möglich ist, dass es ein göttliches Wesen gibt, dann ist es auch notwendig.

Jetzt haben die Wissenschaftler Christoph Benzmüller und Bruno Woltzenlogel Paleo einen Computer mit der Formel gefüttert, der bestätigt, dass Gödels Ableitung korrekt ist. Interessant an dem SpOn-Artikel ist übrigens, dass dieser zweimal ostentativ darauf hinweist, dass es ein Mac war, der uns Gott bewiesen hat. Ein Schelm würde sagen, dass das ziemlich gut zeigt, wie sich unser Glaubenssystem mittlerweile verschoben hat…

Stutzig machen sollte uns aber, dass der Beweis, der bereits um 1970 veröffentlicht wurde, erst jetzt von einem Computer bestätigt worden sein soll. Denn selbst wenn die Formel, die Gödel niederschrieb in die Königsklasse dessen gehört, was ein Mensch nachvollziehen kann, sollte ein Computer dazu leichter in der Lage sein und dies auch schon lange vor dem Jahr 2013 geschafft haben können. Wenn man sich die Pressemeldung von Benzmüller und Woltzenlogel Paleo anschaut, so stellt man auch gleich fest, dass diese schreiben, dass der Beweis noch nie so detailreich, in solch einer Tiefe durchgeführt wurde. Denn – so wieder SpOn – Gödel machte nicht all seine Annahmen explizit.

Stimmt Gödels Gottesbeweis denn jetzt?

Soweit, so gut, aber ist die Existenz Gottes jetzt wirklich bewiesen? Ist jetzt alles gesagt und es steht fest, dass Gläubige recht und Ungläubige unrecht haben? Ich habe mich mit dem Thema ja schon einmal auseinandergesetzt und habe damals behauptet, dass diese Streitfrage prinzipiell nicht entscheidbar ist. Aber wer bin ich schon im Vergleich zu Gödel… Okay ich sollte mich jetzt nicht selbst mit einem Sophismus (Namedropping) ausknocken sondern lieber mich selbst zitieren und damit in Erinnerung rufen, was die Logik ist und kann und was sie nicht kann:

Die Logik ist die Lehre vom formal richtigen Schließen. Dass heißt, sie untersucht Schlussfolgerungen nur anhand ihrer sprachlichen Form, um zu prüfen, ob in dieser Fehler stecken. Der Inhalt der Äußerung interessiert die Logik dabei überhaupt nicht, sie überlässt es der Empirie, der Wissenschaft, zu prüfen, ob dieser Inhalt wahr ist.

Quelle: Ein selbstverliebter, sich selbst zitierender Daniel Brockmeier über das Widerlegen von Verschwörungstheorien

Daraus folgt aber – natürlich vorausgesetzt, ich habe die Logik richtig verstanden – dass Gödel „nur“ bewiesen hat, dass es möglich ist, auf die notwendige Extistenz eines göttlichen Wesens zu schließen, wenn man eine bestimmte Menge von Prämissen – Mathematiker würden Axiome sagen – als gegeben voraussetzt. Welche sind das?

Die Wikipedia hilft uns hier weiter, indem sie uns den Beweis normalsprachlich aufschlüsselt:

  • Annahme 1: Entweder eine Eigenschaft oder ihre Negation ist positiv.
  • Annahme 2: Eine Eigenschaft, die notwendigerweise durch eine positive Eigenschaft impliziert wird, ist positiv
  • Theorem 1: Positive Eigenschaften sind möglicherweise beispielhaft
  • Definition 1: Eine gottesähnliche Existenz enthält alle positive Eigenschaften
  • Annahme 3: Die Eigenschaft, gottähnlich zu sein, ist positiv
  • Schlussfolgerung: Möglicherweise existiert Gott
  • Annahme 4: Positive Eigenschaften sind notwendigerweise positiv
  • Definition 2: Die Essenz eines Individuums ist die Eigenschaft, die von diesem umgesetzt wird und impliziert notwendigerweise irgendeine seiner Eigenschaften
  • Theorem 2: Götterähnlich zu sein ist eine Essenz von jeder götterähnlichen Existenz
  • Definition 3: Notwendige Existenz eines Individuums ist die notwendige Beispielhaftigkeit von all seinen Essenzen
  • Annahme 5: Die notwendige Existenz ist eine positive Eigenschaft
  • Notwendigerweise, Gott existiert

Die spannenden Aspekte sind dabei die Definitionen 1, 2 und 3. Denn, was ist eine Definition? Auch das habe ich bereits zuvor erläutert: Eine Definition ist ein Dogma. Ich kann mein Beweisspiel nicht bis in alle Ewigkeit weiterspielen, das wäre ein infiniter Regress, daher breche ich sie irgendwann ab und definiere meine Grundbegriffe. Diese Definitionen sind aber eben nicht bewiesen, sie stehen unter einem Falsifikationsvorbehalt. Sie haben im Sprachspiel die Funktion, das Spielfeld abzustecken innerhalb dessen ich meinen logischen Ball hin- und herschlage. Aber wie beim Tennis, wo sich die Größe des Feldes ändern kann, wenn Doppel statt Einzel gespielt wird, ist auch eine Definition nichts, das ewig feststeht. Sie ist nichts, was bewiesen wurde, sondern unterliegt allein schon durch den Sprachwandel Änderungen.

Das heißt, liebe Atheisten, ihr könnt weiter an Gottes Existenz zweifeln, ihr müsst dafür nur Gödels Definitionen angreifen…

Eines noch und dafür werden mich alten Relativisten sämtliche Ontologen ans Kreuz nageln: Angenommen, wir gestehen Gödel zu, dass er richtig definiert hat, hat er dann wirklich die Existenz eines (meta-)physischen Dinges bewiesen? Mitnichten! Er hat dann bewiesen, dass unsere Sprache diesen Ausdruck notwendigerweise beinhaltet. Dass er im Regelwerk unserer Sprache steckt. Selbst in der natürlichen Sprache ist das wenig überraschend, denn diese Sprache wurde seit nunmehr fast 100.000 Jahren von Menschen gesprochen, die an ein göttliches Wesen glauben. Da ist es nicht verwunderlich, dass sich dies tief in ihr Flussbett eingegraben hat. Aber im Falle Gödels ist es sogar noch vertrackter: Denn Gödel benutzte eine Kunstsprache, eine Idealsprache für seinen Beweis. Eine böse Zunge könnte also sagen: Gödel hat bewiesen, dass die Sprache, die er „erfunden“ hat, für den Beweis Gottes geeignet ist.

 

Ich bin raus!

Online-Pranger

Im Internet prangert man gerne an. Aber noch lieber wird der Pranger als Totschlagsargument benutzt. Im digitalen Raum, wo wir alle anonym sind, ist es ein Sakrileg uns jenseits unserer selbstgewählten Pseudonyme zu benennen. Uns hinter unseren Avataren hervorzuziehen und ins grelle unbarmherzige Licht der Online-Öffentlichkeit zu stellen, das ist eine Sünde, das ist unzivilisiert.

Allein die Frage ist: ist auch alles Pranger, was Pranger genannt wird?

Die Wikipedia nennt in ihrer Definition des Prangers vier, mir wichtig erscheinende Kriterien:

  1. Der Pranger ist ein Strafwerkzeug
  2. Der Pranger dient der öffentlichen Vorführung
  3. der Angeprangerte ist an den Pranger angekettet
  4. Der Pranger ist eine „Ehrenstrafe“, die angeprangerte Person wird also als ehrlos dargestellt, sie soll sich schämen

Soweit die Wikipedia. Ich möchte dem mit Blick auf die zeitgenössische Verwendung hinzufügen:

5. Es ist für das Anprangern wesentlich, dass eine Person oder ein Sachverhalt in den öffentlichen Raum gezerrt wird, der zuvor nicht dort war.

Mit dem Internet haben wir einen riesigen ‚Athener Marktplatz‘ geschaffen, auf dem jeder reden kann. Menschen, die dort sprechen, können für diese Rede, die sie freiwillig in den öffentlichen Raum stellen, nicht angeprangert werden.
Sie können freilich in anderen Aspekten ihrer Persönlichkeit oder mit nicht-öffentlichen Aussagen und/oder Handlungen angeprangert werden. Außerdem können andere Formen der Bezugnahme auf ihre Aussagen stattfinden: Empörung, Verurteilung etc. Aber eben nicht das Anprangern, den dem ist wesentlich, dass etwas aus dem Privaten oder Geheimen herausgeholt wird.

Einen Paradefall eines solchen Online-Prangers berichtet Udo Vetter in „Blackbox Urheberrecht“ (Ja, ich höre nicht auf mit der schamlosen Eigenwerbung.) Indem er darüber schreibt, dass eine Abmahnkanzlei die Klarnamen und Adressen von Filesharern, die Pornos geteilt hatten, veröffentlichen wollte. Erst ein Gericht stoppte das Vorhaben der Kanzlei, um die Persönlichkeitsrechte der Sharer zu schützen.

Auf diesen Fall treffen alle fünf oben genannten Aspekte zu:

1. Die Kanzlei wollte die Sharer mit dem Online-Pranger bestrafen.
2. Die Sharer sollten öffentlich dargestellt werden.
3. Metaphorisch wären sie angekettet gewesen, da der Pranger auf einer Webseite stattgefunden hätte, die sie selbst nicht hätten editieren können.
4. Gerade weil es sich gezielt um Pornoliebhaber handelte, war dies ganz klar eine Ehrstrafe
5. Und es sollten Daten über die Filesharer veröffentlicht werden, die die Kanzlei erst von den Providern der Angeprangerten in Erfahrung bringen musste. Fraglos also Daten, die zuvor nicht im öffentlichen Raum standen.

Lasst uns mal wieder etwas abschweifen…

Ihr fragt euch vielleicht, worauf ich hinaus will. Aber sicher ahnen es viele von euch schon: das sogenannte #om13gate. Die Piratenpartei hat eine jährlich Konferenz: die Open Mind. Auf dieser hielt dieses Jahr Jasna Lisha Strick alias @Faserpiratin einen Vortrag über Hatespeech gegenüber FeministInnen.

Um diesen Vortrag brach sodann eine Kontroverse aus, in der Strick von Seiten ihrer Gegner immer wieder vorgeworfen bekam, sie hätte die pöbelnden AntifeministInnen an den Online-Pranger gestellt. Das ganz kulminierte darin, dass eine vermeintliche 19jährige namens @ochdomino (Account mitlerweile gelöscht; 28.11.13) sich von den AnhängerInnen der FeministInnen so sehr angegriffen fühlte, dass die vermeintliche „Sie“ ihren Blog löschte und ihren  angeblichen Vater ein Statement schreiben ließ, worin er sich empörte, dass @ochdomino von den gemeinen FeministInnen fertiggemacht worden sei.
Mittlerweile hat der Blogger, Autor und Kolumnist Malte Welding die Behauptung in den Raum gestellt, besagte @ochdomino und alles drumherum seien der Fake einer PR-Agentur. Welding hat dafür keine Beweise vorgelegt, aber er tauchte auf meinem Radar in der Vergangenheit stets als glaubwürdig auf, zumal er sich gelegentlich selbst moderat feminismuskritisch gezeigt hat.
Interessant wie hervorsehbar ist, dass die Geschichte vom Augenblick der Enthüllung des Fakes dahingehend umgedeutet wurde, dass es von nun an gar nicht mehr wichtig sei, ob @ochdomino echt gewesen ist, denn schließlich habe es ja die Angriffe und vor allem den Pranger der Feministinnen gegeben. Anlass genug für mich den langen Bogen zurückzuschlagen…

Treffen die fünf Kriterien für einen Online-Pranger auf den Vortrag von Jasna Lisha Strick zu?

1. Es handelte sich um einen Vortrag auf einer recht kleinen Konferenz. Die Vorträge sind auf YouTube zu finden und haben allesamt Abrufzahlen im zweistelligen oder dreistelligen Bereich. Und sogar der Vortrag von Strick kommt zum jetzigen Zeitpunkt nicht über 2500 Klicks hinaus. Das Thema des Vortrags war, empirische Beweise für derartige Hatespeech zu zeigen. Man kann dem Vortrag vorwerfen, dass er inhaltlich recht schwach ist, da er über eine reine Phänomenbestimmung anhand von etlichen Stichproben nicht hinauskommt. Ich hätte mir weniger Fallbesispiele und mehr Analyse gewünscht, aber das alles ist doch von einer Bestrafung wirklich sehr weit entfernt.

2. Der Vortrag wurde auf einer öffentlichen Konferenz gehalten und ist auf YouTube abrufbar. Die Anfeindungen von Stricks Gegnern werden, wie in 1. bereits erwähnt ausführlich präsentiert. Entsprechend ist das Kriterium der Öffentlichkeit gegeben.

3. Die vermeintlich angeprangerten hatten keine Möglichkeit, nicht in dem Vortrag zu erscheinen, außerdem fehlt ihnen die Möglichkeit, sich aus diesem wieder herauszunehmen. Metaphorisch gesprochen sind sie an diesen gekettet.

4. Von einer „Ehrenstrafe“ könnte hingegen nur dann die Rede sein, wenn den präsentierten AntifeministInnen ihre Aussagen peinlich wären, wenn sie sich ihrer schämen würden. Aus den Statements, die ich so gelesen habe, konnte ich das nicht entnehmen.

5. Aber, und das ist der wichtigste Punkt: Alle Beispiele stammten aus dem öffentlichen Raum: von Twitter, aus Blogs und Kommentarspalten. Von einem Pranger kann aber schlichtweg nicht die Rede sein, wenn nur etwas wiederöffentlicht  wird, das der Angeprangerte selbst in die Öffentlichkeit gestellt hat.

Formen der Referenz

Ein Pranger ist eine Form der Referenz: er nimmt auf eine Sache Bezug, die der Öffentlichkeit bislang unbekannt war und referenziert diese gegen des Willen des Urhebers.

Wir haben im Falle des #om13gate aber mit einer ganz anderen Form der Referenz zu tun als mit einem Pranger: mit einem Zitat. Strick referenziert auf öffentliche Aussagen unter Angabe der Quelle. Das ist nichts Ehrenrühriges, das ist im Gegenteil einzig korrekte Weg zu zitieren.

Und hier muss ich noch einmal ganz schamlos Werbung machen und Jürgen Schönstein zitieren:

Wenn ich als Wissenschaftler die Ideen anderer in meinen Arbeiten verwende, dann bediene ich mich an deren geistigem Eigentum. Wenn ich die Zeilen aus einem Heinrich-Heine-Gedicht rezitiere, dann leihe ich mir dessen geistiges Eigentum. Wenn ich ein Creative-Commons-Foto, das ich auf Flickr gefunden habe, in mein Blog stelle, dann nehme ich mir ein Stück fremden geistigen Eigentums. Und bezahle dafür mit dem Hinweis, wessen Forschungsbericht, wessen Gedicht, wessen fotografisches Werk ich hier verwende. Und umgekehrt verpflichte ich mich, dieses Eigentum dahingehend zu respektieren, dass ich es schonend und korrekt behandle: dass ich die Fakten und Erkenntnisse des Wissenschaftlers nicht verfälsche (und beispielsweise behaupte, Darwin habe die Existenz eines intelligenten Designers postuliert) oder ein Heine-Gedicht nicht für antisemitische Propaganda verwende und das Foto nicht in einem verfälschenden und verzerrenden Zusammenhang verwende.

Jürgen Schönstein: Geistiges, Eigentümliches … und Walderdbeeren. In: Daniel Brockmeier (Hrsg.):Blackbox Urheberrecht. Frankfurt 2013.

Die wirklich spannende Frage ist also, hat Jasna Lisha Strick korrekt zitiert? Und dagegen habe ich erstaunlicherweise keine Einwände gehört oder gelesen. Allenortes war nur die Empörung groß, dass sie Pseudonyme und Avatare nicht geschwärzt habe, aber nirgendwo habe ich gelesen, dass sie die Hater falsch zitiert habe. Das aber heißt, dass die Zitierten wohl durchaus zu ihren menschenverachtenden Aussagen stehen.

Das war es von mir zum Online-Pranger. Schalten Sie auch beim nächsten Mal wieder ein, wenn ich jenseits der Aufregung mal logisch an die Sachen rangehe… 😉

Ich bin raus!

Wenn Mondgötter argumentieren

Zu meinem letzten Post verfasste „Apokalypse 2012 Mondgott“, dem anscheinend entgangen ist, dass wir mittlerweile völlig apokalypsenlos 2013 schon zur Hälfte hinter uns gebracht haben, einen Kommentar der so krude war, dass er sich perfekt für mein zentrales Thema eignet, indem ich daran zeige, wie man nicht logisch argumentiert.

Der Mondgott beginnt folgendermaßen:

Reinhart Koselleck wies schon 1971 („Wozu noch Geschichte?“) nach, dass “die Geschichte” ein totalitäres Konstrukt (“Weltgeschichte”) im Zuge der Aufklärung war, an die bis heute alle abendländische verschulte bibliophile Menschen glauben.

Sehr schön setzt unser Mondgott hier als erstes rhetorisches Mittel das Namedropping ein, einen Sophismus: wenn schon Herr Koselleck das „nachgewiesen“ hat, dann muss es ja stimmen!
Meine vollkommen oberflächliche Netzrecherche ergab übrigens, dass Herr Koselleck durchaus ein rechts-konservativer, kritischer Historiker war, dass er aber wohl kaum die folgenden Thesen des Mondgottes teilen würde:

Stattdessen gab es vor dem 18. Jh. nur orale “Geschichten” (so wie heute noch bei den Jäger-und-Sammlern, den einzigen intelligenten Menschen auf diesem agrarischen Planeten).

Das ist schlichtweg falsch! Ich empfehle hier den großartigen Aufsatz von Goody und Watt: Konsequenzen der Literalisierung jedem, der genauer wissen möchte, wie die Menschen schreiben lernten und was das mit ihnen machte.
Aber auch jene, die es nicht genauer wissen wollen, sollten schon einmal so viel von ägyptischen Hieroglyphen, der Babylonischen Keilschrift oder dem griechischen Alphabet gehört haben, um zu wissen, dass es auch schon tausende Jahre vor dem 18. Jahrhundert viel mehr als orale Geschichten gab. Dazu lasse ich einfach mal ganz doof das Stichwort „Herodot“ fallen… Mal schauen, was dem Göttlein als nächstes einfällt…

Heute ist “Geschichte” (auch als Unterrichtsfach) praktisch nur noch ein Terrorinstrument, um all jene Leute fertig zu machen, die (angeblich!) keine — oder aber die “falschen” — Geschichten haben…

Das ist spannend, denn hier verquickt der Apokalyptiker zwei Sophismen. Einerseits „die Interessensvertretung“. Geschichte in Form von Aufzeichnungen historischer Ereignisse und in Form von Geschichtsunterricht sind nicht chonistischer Selbstzweck, sondern fremdbestimmt durch eine wie auch immer geartete Macht.

Er verstärkt die Interessensvertretung durch einen zweiten Sophismus, den ich in meiner Sammlung noch gar nicht aufgeführt habe, ich werde das in den Kommentaren nachholen: das Buzzword „Terrorismus“. Ein Buzzword ist ein Schlagwort, das nur einen Zweck hat: deinem Gegner die Luft aus den Segeln zu nehmen. Und der „Terrorismus“ ist der Prototyp unseres Zeitalters für diesen Sophismus: Warum belauscht uns die NSA? Terrorismus! Warum brauchen wir Vorratsdatenspeicherung? Terrorismus! Warum brauchen wir Drohnen? Terrorismus! Warum brauchen wir Innenminister Friedrich? Terrorismus! Was ist Geschichte? Terrorismus!

Dies ist „unsere“ Geschichte in 10 Sekunden: Sesshaftigkeit => Kain ermordet Abel (Jäger-und-Sammler) => Juden (Mörder wie Moses, David, etc.) => Christen => Muslime (inkl. Talibans) => Protestanten => Kapitalisten & Banker => Kommunisten-Marxisten => Nationalsozialisten => Hollywood => Atombomben (Teller, Oppenheimer, Kim Jong Un) => Neonazis etc.
Wann hört endlich dieser wahnsinnige beschnitten-traumatisierte Blödsinn überall auf???

Dafür ist dieser Abschnitt wieder ganz dürre Kost. Erstens entkräftet Mondgott sein Argument indem er Geschichte und Mythos vequickt und zweitens ist dies eine komplett willkürliche Zusammenstellung, die keinen anderen Zweck hat, als uns seinen Rassismus noch einmal reinzuwürgen. Das geiche Spiel kann ich mit anderen Substantiven spielen und komme zu einem ganz anderen Ergebnis:

Die Venus von Willendorf -> Die Erfindung des Rads -> Begründung der abendländischen Kultur durch das Judentum (Helden wie David, Salomon etc.) -> Erfindung des Alphabets -> Muslime retten die antike Philosophie durchs Mittelalter -> Renaissance -> Aufklärung -> Sozialstaat -> Kino -> moderne Kunst (Picasso, Dalí, Magritte) -> die Wikipedia. Hoffentlich geht dieser fantastische holistisch-misanthrope Fortschritt immer weiter!!!

Das Komplexeste, was die Natur je hervorgebracht hat, sind jagende Schamanen…

Und diese sind schon längst unterwegs (auch in der Türkei als altanatolischer Mondgott…)

Das ist auch ganz doof gelaufen für den Mondgott aber schön für uns, denn mit seinem Schlusskommentar tappt er noch einmal richtig schön in den performativen Widerspruch.

Der performative Widerspruch ist ein Widerspruch, der sich aus der Performanz, dem Vollzug meines Sprechaktes ergibt. Sage ich: „Es gibt keine Wahrheit.“, erhebe ich zugleich für diesen Satz den Anspruch, wahr zu sein. Somit verfange ich mich in einem Widerspruch.

Der Mondgott sagt nun, das Komplexeste, was „die Natur“ hervorgebracht habe, seien jagende Schamanen. Aus seinen Ausführungen folgend möchte ich hinzufügen: eine orale Gesellschaft ohne Geschichte. Das Problem ist nun aber, dass der Mondgott dieses Argument in zwei Medien verschachtelt, die jene jagenden Schamanen nicht erfunden haben: die Schrift und das Internet. Er zeigt also, indem er schriftlich in meinem Blog behauptet, jagende Schamanen seinen die komplexeste Gesellschaftsform, dass dem nicht so ist. Und an dieser Stelle bleibt mir nichts weiter zu sagen, als: danke fürs Mitspielen, aber leider sind Sie schachmatt, lieber Apokalypse 2012 Mondgott.

BTW: der ganze Kommentar steht für mich in keinerlei Zusammenhang zu #PRISM. Seht ihr den?

Ich bin raus.

Verschwörungstheorien widerlegen

Jemand gelangte mit der Suchanfrage „Logische Fehlschlüsse Verschwörungstheorien“ auf mein Blog. Das ist ein spannendes Thema, dem ich mich hier widmen möchte. Doch vorweg muss ich die Suchende enttäuschen, denn die Logik kann uns hier nur bedingt weiterhelfen.

Der Mond
Der Vollmond, fotografiert in Hamois (Belgien). Urheber: Luc Viatour. Lizenz: CC BY-SA 3.0.

Das liegt in ihrer Natur: Die Logik ist die Lehre vom formal richtigen Schließen. Dass heißt, sie untersucht Schlussfolgerungen nur anhand ihrer sprachlichen Form, um zu prüfen, ob in dieser Fehler stecken. Der Inhalt der Äußerung interessiert die Logik dabei überhaupt nicht, sie überlässt es der Empirie, der Wissenschaft, zu prüfen, ob dieser Inhalt wahr ist.

Daraus folgt natürlich, dass ich fantastische Welten ohne einen einzigen logischen Fehler erschaffen kann, die dennoch nicht wahr sind. Ein Beispiel: Mit dem klassischen Syllogismus kann ich beweisen, dass es keine Klimakatastrophe gibt…

P1 Ein Klimawandel ist ein ganz natürlicher, ungefährlicher Vorgang.
P2 Wir erleben gerade einen Klimawandel.

C Wir erleben gerade einen ganz natürlichen ungefährlichen Vorgang.

Mit anderen Worten: Diese Wissenschaftler regen sich ohne Grund auf. Es gibt nichts zu befürchten, tanken Sie bitte voll!

Ich kann Verschwörungstheorien aufbauen, die in sich komplett schlüssig sind, daher ist hier die Logik als Waffe oftmals stumpf. Natürlich bleibt der Satz vom Widerspruch wie immer unser wichtigstes Werkzeug. Denn auch in einer Verschwörungstheorie kann etwas nicht zugleich der Fall sein und nicht der Fall sein. Beispielsweise liegt der Widerspruch offen wie der Quellcode von Linux, wenn Nazis einerseits Arier als Über- und Juden als Untermenschen stilisieren, andererseits aber von einer jüdischen Weltverschwörung sprechen, denn wie soll diese denn gegen die vermeintlichen Übermenschen möglich sein?

Aber, auch wenn solche Dummheiten viele Anhänger finden können, sind die spannenden Verschwörungstheorien eben jene, die logisch schlüssig sind. Und bei diesen begehen Kritiker oft den Fehler, sie logisch widerlegen zu wollen, doch für jeden abgeschlagenen Kopf der Hydra wachsen ihr zwei nach. Nein, wollen wir sie zu Fall bringen, dann müssen wir ihr die Beine wegschlagen. Statt zu prüfen, ob in einer Verschwörungstheorie die richtigen Schlüsse gezogen werden, ist viel erfolgsversprechender, zu prüfen, ob von den richtigen Prämissen ausgegangen wird. Das wiederum ist nicht mehr Sache der Logik, sondern jene von Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie.

Über Gewissheit

Die Wissenschaftstheorie gibt uns eine ganze Reihe von Werkzeugen an dir Hand mit denen wir dem Verschwörungstheoretiker begegnen können. Und um mit meinem Muster zu brechen und meine Texte nicht zu vorhersehbar zu machen, fange ich mal mit Wittgenstein an, statt mit ihm zu enden. Die für uns fruchtbaren Gedanken Wittgensteins finden sich in „Über Gewissheit„. Dort setzt sich Wittgenstein mit erkenntnistheoretischem Skeptizismus auseinander. Das ist kein Skeptizismus im Sinne der GWUP, sondern in gewissem Sinne die Verschwörungstheorie der Philosophie, nämlich die philosophische Lehre, dass Erkenntnis prinzipiell unmöglich ist. Dass wir uns also nie sicher sein können, ob die Welt wirklich existiert oder alles nur in deinem Kopf existiert, Thomas D.

Wittgensteins Antwort darauf lautet, salopp gesprochen: wenn du an allem zweifelst, dann musst du auch dein Maul halten. Denn warum zweifelst du am Rest, wenn du nicht an der Bedeutung deiner Worte zweifelst? Sätze stehen nie so isoliert da wie Will Smith in I am Legend, statt dessen ist der Kontext wichtig. Sie erhalten erst in einem komplexen Geflecht mit anderen Sätzen ihre Bedeutung.

Zurück zu unserem Problem: Wenn der Verschwörungstheoretiker einen Aspekt der Tagesschau-Wikipedia-Realität leugnet, dann liegt auch die Beweislast bei ihm. Er muss zeigen, wie seine Theorie sich in diese Realität einfügt. Und dabei ist es wichtig, dass es seine Theorie ist, die sich einfügen muss. Er kann sich nicht lutherisch hinstellen und nicht anders können. Schon Paul [Carl; korrigiert am 11.10.14] Sagan wusste zu sagen: „Außergewöhnliche Behauptungen bedürfen außergewöhnlicher Beweise„. Oder in den Worten Spidermans: „Aus großer Kraft entspringt große Verantwortung“. Es reicht nicht, zu sagen: „Du kannst eine außergewöhnliche Sichtung am Loch Ness nicht erklären, also gibt es Nessi!“ Die Fakten sprechen zunächst einmal gegen die Existenz eines Monsters im Loch Ness, wenn du also beweisen willst, dass es doch existiert, reicht nicht ein einziges außergewöhnliches Phänomen. Nein, du musst alle meine Argumente entkräften, denn dein Satz ist es, der nicht ins Sprachspiel passt, nicht meiner.

Zahlen und Fakten statt Anekdoten

Oft verläuft das Plädoyer für eine Verschwörungstheorie wie im Falle der Homöopathie und als Argument dafür wird angeführt: „Also mir hat’s geholfen.“ Das aber ist eine Abduktion. Aus dem Einzelfall einer wie auch immer zustande gekommenen Heilung wird auf die Allaussage, dass Homöopathische Mittel wirken, geschlossen. Das ist kein Fehlschluss, sondern eine Schlussform, die wir im Alltag ständig anwenden und die uns auch meistens gute Dienste leistet. Aber es ist dennoch eine sehr unsichere Schlussform. In einem Experiment hat man mal Wölfen den Geschmack an Schafsfleisch verdorben, indem man diesem ein starkes Abführmittel beifügte. Aus dem einmaligen Magenproblemen schlossen die Tiere falsch, dass Schafsfleisch immer unverträglich ist (Leider finde ich den Lin nicht mehr, weswegen ich das hier mal als Anekdote stehen lasse…). o.O

Ein Einzelfall ist letztlich nichts anderes als eine Anekdote, was uns in einer Diskussion mit einem Verschwörungstheoretiker aber weiterbringt, sind Zahlen und Fakten. Im Falle des Klimawandels wären das zum Beispiel die Menge an Kohlendioxid, die die Menschheit jährlich produziert, der genaue chemische Prozess, wie Kohlendioxid das Klima beeinflusst und das Ausmaß des aktuellen Klimawandels verglichen mit solchen aus der Vergangenheit.

Das besten Mittel, um einen Fakt von einer Anekdote zu unterscheiden, kennt jede, die schon einmal eine Grundlagenvorlesung in empirischer Sozialforschung besucht hat: Reliabilität, Validität und Objektivität. Und weil dieses YouTube-Video das viel besser erklärt, als ich es je könnte, gebe ich das Wort an Stephan Georg:

Ockhams Rasiermesser

Ockhams Rasiermesser wird oft auch englisch Ockham’s Razor oder Occam’s Razor genannt, da es auf den englischen Philosophen William of Ockham zurückgeht, der, da er bereits 1288 zur Welt kam vielleicht auch of Occam hieß. Wer weiß das heute schon so genau. Das Prinzip ist ganz einfach und besagt, dass wir, wenn wir zwei oder mehr Erklärungen für ein Phänomen haben, diejenige bevorzugen sollten, die mit weniger Hypothesen auskommt.

Angenommen

P1 Omas gutes Porzellan ist zerbrochen und den Scherben finden sich Kakaoreste.

Und du hast jetzt die Wahl zwischen

P2 Dein Kind wollte sich einen Kakao machen

C Dein Kind hat die Tasse zerbrochen.

oder

P2 Möglicherweise ist dein Nachbar ein Mafiaboss
P3 Daher wurden Ninjas ausgesandt um ihn zu ermorden
P4 Die Ninjas haben sich in der Wohnung geirrt
P5 Die Ninjas sind in deine Wohnung eingedrungen, ohne Spuren zu hinterlassen
P6 Das Kakaopulver ist eigentlich ein seltenes Gift
P7 Die Ninjas wurden irgendwie gestört
P8 Die Ninjas haben überstürzt den Rückzug angetreten

C  Ninjas haben die Tasse zerbrochen

Welche Erklärung ist dann plausibler? Wichtig ist: Erklärung Nummer Zwei ist nicht ausgeschlossen. Es gibt durchaus eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass Ninjas das gute Porzellan deiner Oma zerbrochen haben, aber sie ist eben seeeeeeeeeehr klein. Doch warum ist das so? Was macht die einfachere Theorie zur besseren? Nun darüber haben die Philosophen lange und oft diskutiert. Die Antwort, die ich hier geben möchte, führt uns zur letzten und stärksten Waffe gegen Verschwörungstheorien. Quasi zum Herrscherring der Wissenschaftstheorie. Für jede unserer Prämissen muss nämlich gelten: dass sie zumindest prinzipiell auch widerlegbar ist. [Edit: Und mit der Zahl der Prämissen steigt die Wahrscheinlichkeit, dass eine davon dem Falsifikationsvorbehalt nicht genügt]

Der Falsifikationsvorbehalt

David Hume hat uns in seinem „A Treatise of Human Nature“ das Induktionsproblem hinterlassen: Aus der Tatsache, dass die Sonne bis jetzt jeden Morgen aufgegangen ist, kann ich nicht schließen, dass sie bis in alle Ewigkeit jeden Morgen aufgeht. Denn, wenn sie morgen nicht aufgehen sollte, kann ich meinen Schluss in die Tonne kloppen. Andererseits ist aber die Induktion (das ist der Schluss von einer Reihe von Einzelfällen auf eine allgemeine Regel) unser einziges Mittel in der empirischen Wissenschaft, um wirklich neues Wissen zu gewinnen. Wie kann ich denn dann sicher sein, dass ich mich nicht geirrt habe? Die Antwort lautet einfach: gar nicht, aber genau das kann ich zum Prinzip erheben. Um die Induktion sicherer zu machen, muss ich zunächst alle oben angeführten Prinzipien befolgen:

1. Meine Induktion muss sich ins Geflecht bestehenden Wissens einfügen
2. Meine Induktion muss objektiv sein
3. Meine Induktion muss valide sein
4. Meine Induktion muss reliabel sein
5. Ich muss die Komplexität möglichst weit reduzieren

Wenn ich diese Schritte durchgeführt habe, dann habe ich die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass mein Schluss richtig ist. Aber er könnte ebenso falsch sein… Daher gilt für ihn der Falsifikationsvorbehalt. Karl Popper hat uns diesen vererbt, indem er das Prinzip einführte, dass eine Theorie nur so lange als wahr gilt, bis ihr Gegenteil bewiesen wurde. Das Beispiel mit den schwarzen Schwänen kennt wahrscheinlich jeder: Lange Zeit war die Aussage wahr: Alle Schwäne sind weiß. Dann schipperte James Cook nach Australien und entdeckt dort den Trauerschwan und – Booooom! – Unsere Wahrheit zerfiel zu Staub wie ein Vampir im Sonnenlicht (nein, die glitzern nicht!). Ein Schwarzer Schwan reicht, um den Satz „Alle Schwäne sind weiß“ zu falsifizieren.

Doch wie können wir Poppers geheime Superkraft gegen unsere Verschwörungstheoretiker zu Felde führen? Ganz einfach: Wie ich schon sagte, wir erheben sie zum Prinzip. Denn wahr kann nur sein, was auch falsch sein kann. Eine Theorie muss widerlegbar sein, sonst ist sie nur noch eine Geschichte ohne jeglichen Wahrheitsanspruch. Brian kann nicht der Messias sein…

Klassisches Beispiel für den Nicht-Theorie-Status ist die Freudsche Psychoanalyse. Eine psychoanalytische Hypothese kann ich prinzipiell nicht widerlegen, denn wann immer ich ein Argument gegen sie anführe, wird mir der Analytiker entgegenhalten, dass ich das jetzt nur sage, weil mein Unterbewusstsein mir einflüstert, dass ich das jetzt sagen soll. Aber das heißt nichts anderes als:

Vielen Dank fürs Mitspielen aber Sie haben sich eben im großen Wahrheitsquiz disqualifiziert, denn wenn Ihre Theorie nicht falsifizierbar ist, dann kann sie auch nicht wahr sein.

In der Verschwörungstheorie kommt das Argument oft in der Gestalt daher, dass ich jedesmal, wenn ich ein Argument gegen die Verschwörung vorbringe, ebenjenes angeblich nur sage, weil ich Teil der Verschwörung bin. Aber das ist eben kein gültiges Argument, es besitzt keinen Wahrheitswert sondern ist rein sophistisch. Doch das ist eine andere Geschichte, der ich mich schon einmal hier gewidmet habe…

Wenn ihr meine Ausführungen mal in der Praxis erleben wollt, empfehle ich euch Hoaxilla. Alexander und Alexa (die Namen zeigen eindeutig, dass sie Teil der Verschwörung sind!!!11einself) haben schon so manche Verschwörungstheorie unter die Lupe genommen.

Literatur:

Ludwig Wittgenstein: Über Gewissheit (bei Amazon)
David Hume: A Treatise of Human Nature (umsonst und legal bei Gutenberg.org)
Karl Popper: Logik der Forschung (bei Amazon)

Update:

Das Buch gibt’s hier.

 

Ich bin raus!

Der Exklusionsfehlschluss

Zwischen den Jahren kochte rund um den 29C3 mal wieder die netzfeministische Debatte hoch. Und wie bereits in der Vergangenheit, eignet sich diese Debatte – jedenfalls macht es auf mich den Eindruck – hervorragend dazu, um falsche Argumentationsstrukturen aufzuzeigen.

Ich habe diesem Fehlschluss den Namen „Exklusionsfehlschluss“ verliehen, es kann aber durchaus sein, dass das Phänomen unter einem anderen Namen bereits bekannt ist. Getreu nach John Austin:

„Die Erscheinung, um die es geht, ist sehr weit verbreitet und liegt offen zutage; hier und da müssen andere sie bemerkt haben. Aber ich habe noch niemanden gefunden, der sich richtig darum gekümmert hätte.“

Der Exklusionsfehlschluss besagt Folgendes: Wenn du nicht Teil einer Sache/Institution/Gemeinschaft bist, dann darfst du auch nicht für oder gegen diese Sache Partei ergreifen.

In der feministischen Debatte erscheint dieser Fehlschluss – wie so oft – nur implizit, indem sich gerne lustig gemacht wird, über Männer, die für den Feminismus Partei ergreifen. Die Argumente dagegen sind zumeist folgender Art: „Die (männlichen Feministen) hoffen doch nur, dass sie, wenn sie für die Frauen eintreten, auch mal eine ins Bett kriegen“. Abgedroschen wie dieses Klischee ist, so ist es doch nicht totzukriegen. Zuletzt begegnete es mir hier, in der sonst ziemlich guten Folge von „Wer Redet Ist Nicht Tot“ mit Malte Welding.

Wenn ich dieses Argument seziere, finde ich zwischen seiner Leber und Niere eben den oben angeführten Schluss:

Wenn du keine Frau bist, dann darfst du nicht für den Feminismus Partei ergreifen.

Ich wette, zumindest ein Teil derjenigen, die gerne Witze über männliche Feministen machen, würden schon jetzt, wenn sie den nackten Kern ihres Spottes sehen, dem nicht mehr zustimmen. Und doch steckt genau dieser Schluss hinter jeder Kritik an männlichen Feministen, der nicht über die Tatsache hinausgeht, dass jemand Feminist und Mann ist.

Schauen wir uns diesen Satz als nächstes mal genauer an. Zwei Dinge erscheinen mir an ihm bemerkenswert.

1. Zunächst ist es ein Konditional: Wenn du keine Frau bist, dann darfst du nicht für den Feminismus Partei ergreifen.

2. Ferner haben wir hier mal wieder diese vertrackte Situation, dass wir einen faktischen Vordersatz haben und normativen Folgesatz: Wenn du keine Frau bist, dann darfst du nicht für den Feminismus Partei ergreifen.

 

2. habe ich mich bereits früher gewidmet. Zusammengefasst: Aus einem Zustand, der ist kann niemals automatisch ein Zustand folgen, der sein sollte. Wir müssen uns immer die Frage stellen: „Wollen wir so leben?“

1. hat eine knackige Pointe. Formal betrachtet ist nämlich ein Konditional immer dann wahr, wenn der Folgesatz wahr ist und dann falsch, wenn ebenjener Folgesatz falsch ist. Dabei ist der Vordersatz so egal wie der katholischen Kirche wissenschaftliche Kriterien bei der Aufklärung von Missbrauchsskandalen.

Was heißt das für uns? Kurz gesprochen, dass wir nur prüfen müssen, ob der Satz „Du darfst nicht für den Feminismus Partei ergreifen“ wahr ist. Womit wir natürlich wieder zurückgeworfen werden auf unseren Sein-Sollen-Fehlschluss, denn ein normativer, ein ethischer Satz kann ja nicht wahr sein, sondern nur beantwortet werden mit „Wollen wir so leben?“

Die Antwort auf diese Frage ist nun schon so banal, dass sie fast langweilig ist: natürlich gehört die Redefreiheit zu einem der höchsten Güter unserer Gesellschaft, weswegen wir niemandem einfach so das Wort verbieten würden, oder? Zumindest kommen die Redefreiheitsapologeten immer dann aus ihren Löchern gekrochen, wenn sie die freie Rede mal wieder durch den Islam bedroht sehen.

Auf mich scheint es so, als liege der Kritik an männlichen Feministen gerade das Eingeständnis zugrunde, dass es eine unterschiedliche Verteilung von Privilegien zwischen Frauen und Männern gibt, ferner, dass dies für Männer wünschenswert ist und ein Mann folglich schön blöd, wenn er sich selbst seiner Rechte beschneiden will.

Ich persönlich finde diese Haltung schlichtweg kleingeistig und dies lässt sich am besten zeigen, indem wir den Exklusionsfehlschluss auf andere Bezugnahmegebiete anwenden.

 

Dem Argument:

Wenn du keine Frau bist, dann darfst du nicht für den Feminismus Partei ergreifen.

Liegt die gleiche Struktur zugrunde wie den folgenden Argumenten:

Wenn du nicht schwarz bist, dann darfst du nicht gegen Rassismus sein.

Wenn du kein Moslem bist, dann darfst du keine Kritik am Islam äußern.

Wenn du kein Hartzer bist, dann darfst du das Arbeitslosengeld II nicht schlecht finden.

Wenn du kein Bayernfan bist, dann darfst du die Bayern nicht doof finden.

Wenn du nicht in der NPD bist, dann darfst du nicht über ihr Verbot nachdenken.

Wenn du keine Kinder hast, dann darfst du keine Kritik an Kindesmissbrauch äußern.

Und wenn ihr diesen Schlüssen allesamt zustimmt, solltet ihr euch Gedanken machen, ob ihr wirklich in der richtigen Gesellschaft lebt.

 

Ich bin raus

 

Literatur: John L. Austin: Zur Theorie der Sprechakte (How to do things with Words). 2. Bibliograpisch ergänzte Ausgabe. Reclam. Stuttgart 2002.

Sophistik für den Hausgebrauch

Wir schreiben das Jahr 432 vor Christus. Wir befinden uns auf dem Marktplatz von Athen. Ein kleiner, unglaublich hässlicher Mann diskutiert dort mit dem berühmten Philosophen und Rhetoriker Protagoras. Dabei steht ein breitschultriger, junger Mann und hängt gebannt an den Lippen des kleinen Hässlichen. Der kleine Mann ist Sokrates und der Breitschultrige Platon.

Jener Platon hat später viele Bücher geschrieben, in Dialogform und seinen Gesprächsführer in diesen Dialogen nannte er stets Sokrates. So baute Platon Sokrates ein Denkmal, verbreitete seine eigene Philosophie in der Welt und mit ihr, geschickt in jenen fiktiven Dialogen transportiert, seine Ansichten, was gute, und was schlechte Philosophie ist.

Athens from the Foot of Mount Anchesmus. Von Edward Dodwell: Views in Greece, London 1821, p. 63. Lizenz: PD-US.
Athens from the Foot of Mount Anchesmus. Von Edward Dodwell: Views in Greece, London 1821, p. 63. Lizenz: PD-US.

Skeptische Bewegung

Die Sophistik war eine heterogene skeptische Bewegung, die in der Ethik überwiegend relativistische Positionen und in der Epistemologie wiederum überwiegend einen Erkenntnisskeptizismus vertrat. Sophist war ursprünglich nicht negativ konnotiert sondern entsprach etwa dem Ausdruck „Gelehrter“ oder „Professor“. Der Ausdruck wurde allerdings noch von den Zeitgenossen negativ umgedeutet. Philosophie war als Antwort auf die Religion entstanden und wurde mit ähnlichem Pathos betrieben. Philosophen lebten oft in ordensähnlichen Akademien zusammen. Auf eine solch dogmatische Institution wirkte eine philosophische Bewegung, die behauptete, dass es keine Wahrheit gebe und dass der Mensch das Maß aller Dinge sei – „Der Mensch ist das Maß aller Dinge, der Seienden, dass sie sind und der Nichtseienden, dass sie nicht sind.“ ist das berühmteste Zitat von Protagoras und nebenbei ein performativer Widerspruch -, geradezu obszön. Die Sophisten verdienten ihren Lebensunterhalt, indem sie gegen Geld Rhetorik und Logik lehrten. Insbesondere vor Gericht waren rhetorische Fähigkeiten unerlässlich, um vor den Laiengerichten des alten Athens den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Es ist ein Hohn wie viele C4-Professoren in die Kritik des reichen Aristokratensohnes Platon einstimmten, dass sich Sophisten für ihre Dienste bezahlen ließen.

Fußnoten zu Platon

Gute Philosophie ist logische Philosophie. Philosophie, die der Wahrheit hinterher jagt und „Was ist…?“-Fragen stellt. Zwar hat wiederum Aristoteles der berühmteste Schüler Platons später den Ruhm geerntet, dass er die Logik gewissermaßen erfunden hat, aber eigentlich hat er sie nur freigelegt. Sie steckt nämlich einerseits und implizit in uns allen, und andererseits auch schon explizit, in ausgearbeiteten Regeln in den platonischen Dialogen. Aristoteles‘ Leistung besteht zum größten Teil daraus, dass er die Kernaussagen seines Lehrers genommen und in Traktatform gepackt hat, wodurch er die Form der philosophischen Abhandlung bis heute maßgeblich bestimmte. Doch die Art und Weise, wie wir heute Philosophie und mit ihr Logik betreiben, wurde durch Platon geprägt. Passender wie kein anderer hat das Alfred N. Whitehead auf den Punkt gebracht: „Die sicherste allgemeine Charakterisierung der philosophischen Tradition Europas lautet, daß sie aus einer Reihe von Fußnoten zu Platon besteht.“

Platon prägte unsere Sicht auf gute Argumentation und auf schlechte Argumentation. Und die schlechte versah er in seinen Dialogen immer wieder mit dem Namen seiner Widersacher: sophistisch. Der Sophist ist doof, weil er kein Interesse hat an der Wahrheitsfindung, stattdessen wird der Sophist rhetorisch, er spielt mit Worten, versucht so ständig dir das Wort im Munde umzudrehen. Er will nicht überzeugen, er will überreden. Ihm geht es nicht um den zwanglosen Zwang des besseren Arguments sondern ums Gewinnen.

Das sehen wir sehr gut am folgenden platonischen Dialog (zitiert nach Bertrand Russell):

– Sage mir nämlich, hast du einen Hund?

– Ja, und einen gar bösen, antwortete Ktesippos.

– Hat dieser Hund auch Junge?

– Jawohl, und zwar solche, die auch nicht gutartig sind.

– Es ist also dieser Hund ihr Vater?

– Ich sah ihn selbst, antwortete Ktesippos,die Hündin bespringen.

– Wie nun, ist der Hund nicht dein?

– Ja freilich.

– Ist er folglich nicht als Vater dein, und wird nicht mithin der Hund dein Vater und du der jungen Hunde Bruder?

Russell: Philosophie des Abendlandes, S. 98.

Protagoras soll sogar einem seiner Schüler gesagt haben, dieser müsse erst bezahlen, wenn er seinen ersten Prozess gewonnen hat. Anschließend hat Protagoras den Schüler auf Auszahlung des Honorars verklagt.

Kleine Zutatensammlung des Sophisten

Und damit sind wir wieder bei dir, liebes Internet. Denn in all deinen Debatten neigst du allzu oft dazu sophistisch zu werden. Damit bist du gewiss nicht allein, sondern im Gegenteil in bester Gesellschaft. Politiker etwa lieben Sophismen. Aber wenn du schon etwas machst, dann mach es wenigstens richtig und benutze alle Haken und Ösen.

Wir alle benutzen Sophismen und argumentieren nie ganz objektiv und vernunftgeleitet. Wir wollen Recht behalten. Widerlegt zu werden ist nie schön und kratzt an unserem Narzissmus. Viele dieser Sophismen sind dabei so banal, dass es unter meiner Würde ist, sie in dieser kleinen Anleitung zum Sophismus extra zu erwähnen. Ich meine so Sachen wie Übertreiben, Untertreiben, Lügen oder Erpressen. Den hier aufgeführten Sophismen ist eigen, dass sie allesamt wesentlich subtiler funktionieren.

Wenn wir die antike Sophistik, wie Wilhelm Capelle, als eine Art Aufklärung ansehen. So stelle ich mich mit dieser – im übrigen unvollständigen und diskussionswürdigen – Liste in diese Tradition. Sie dient nur dem Zwecke, euch besser zu machen, wenn ihr die sachliche Auseinandersetzung verlasst und euch auf den Pfad des Sophisten begebt. Um Ergänzungen bitte ich im Übrigen ausdrücklich. Also, los geht’s: alle Mann und Frau gut aufgepasst!

TV Shows We Used To Watch - 1955 Television advertising. Urheber: Paul Townsend. Lizenz: CC BY-SA 2.0.
TV Shows We Used To Watch – 1955 Television advertising. Urheber: Paul Townsend. Lizenz: CC BY-SA 2.0.

Das Namedropping

Wenn man inhaltlich nicht mehr weiterkommt, ist Namedropping ein gutes Mittel um argumentative Überlegenheit herzustellen. Du lässt dann einfach die Namen bekannter Autoritäten fallen, die argumentativ auf deiner Seite stehen. Wenn Sokrates, Platon und Aristoteles erst einmal die Reihen hinter dir geschlossen haben, kann dein Gegner nur noch verlieren.

Das Fachjargonstakkato

Alternativ zum Namedropping bietet es sich dir auch immer an, einen Fachausdruck an den anderen zu reihen um so dein Gegenüber möglichst gründlich mit deiner Wortgewalt zu überfahren. Immer wieder vor und zurück, bloß keine Lücke entstehen lassen, nur wenn er dich nicht versteht, kann er ganz sicher nichts Vernünftiges antworten.

Das Definitionsspiel

„Wie meinst du das?“, „Was verstehst du da drunter?“. Klar ist es wichtig, sich über die Bedeutung von Grundbegriffen klar zu werden, aber da man Definitionen nur mit Hilfe von Worten geben kann, die ihrerseits ja auch wieder definitionswürdig sind, kann man das Definitionsspiel ad infinitum spielen. In dem Fall ist man natürlich nicht mehr an einer argumentativen Lösung interessiert, sondern hat den Weg des Sophisten eingeschlagen. Nur zu!

Das Überlegenheitsargument

Keine Lust, alles, was du sagst auch zu erklären? Dagegen hilft hervorragend das Überlegenheitsargument: „Das kannst du nicht verstehen, denn du hast Kant nicht gelesen.“, „Dafür muss man Philosophie studiert haben, daher kannst du leider nicht mitreden.“

Die Ehrverletzung

Argumentativ in eine Sackgasse geraten? Kein Problem: Nimm das letzte Argument deines Opponenten einfach persönlich: „Das tut mir jetzt echt weh, dass du das sagst.“ Und schon musst du dich nicht mehr inhaltlich damit auseinandersetzen.

Der Psychologismus

Das Gegenstück zur Ehrverletzung ist der Psychologismus. Du kannst deinem Opponenten bei argumentativer Schwäche immer noch klarmachen: „Das sagst du nur, weil dein Unterbewusstsein es dir einflüstert.“

Die Interessenvertretung

Eine Spielart des Psychologismus‘ ist Interessenvertretung. Ist dein Gegenspieler nicht durch seine inneren Dämonen gesteuert, so muss er zwangsläufig fremdgesteuert sein. Sehr beliebt ist dieser Sophismus bei Verschwörungstheoretikern: „Das sagst du nur, weil die Mafia hinter dir steckt.“

Die Umdeutung

Dein Diskutant sagt etwas, das dir nicht passt? Dann hat er sicher das Gegenteil gemeint. Die Umdeutung ist sehr beliebt bei Chauvinisten: „Wenn du ’nein‘ sagst, meinst du eigentlich ‚ja‘.“

Die falsche Voraussetzung

Wenn du es geschafft hast, die falsche Voraussetzung zu etablieren, kannst du auf ihr wunderbar Luftschlösser aufbauen: „Da wir alle wissen, dass die Erde eine Scheibe ist, können wir auch über ihren Rand fallen.“

Das Faktenschaffen

Ich habe vor einer Weile den Sein-Sollen-Fehlschluss hier behandelt. Den kann man natürlich wunderbar einsetzen, um Fakten zu schaffen, die eigentlich Normen sind. Aber das Faktenschaffen beschränkt sich nicht auf ein Umwandlung von Wertvorstellungen in Tatsachenbehauptungen. Er lässt sich ganz allgemein wunderbar einsetzen, um aus einer Meinung eine Tatsache zu machen: „Das ist bekannt!“

Wie gesagt: haut Ergänzungen in die Kommentare, damit wir alle ein bisschen manipulativer werden!

Literatur:

Alfred North Whitehead: Prozeß und Realität.

Gebe ich hier brav an, weil ich oben daraus zitiere (Ja, so macht man das, Herr Guttenberg), habe ich aber nicht gelesen, daher kann ich auch nichts weiter dazu sagen.

Bertrand Russell: Philosophie des Abendlandes.

Eine wundervolle Reise des Literaturnobelpreisträgers durch die Geschichte der Philosophie immer verortet im geschichtlichen und sozialen Kontext. Allerdings nicht neutral oder objektiv geschrieben, sondern aus seiner analytisch-liberalen Position heraus.

Wilhelm Capelle: Die Vorsokratiker.

Objektiver als Russell aber auch wesentlich trockener legt Capelle die Fragmente der Vorsokratiker dar und mit ihnen auch die Sophisten. Immer schön in erklärende Kontexte gerückt. Wobei es manchmal erstaunlich ist, wie viel man aus einem noch so kleinen Textschnipsel herauslesen kann.

Platon: Sophistes. (Auf Englisch gemeinfrei) Oder auf Deutsch bei Amazon.

Einer der großen, der Meisterdialoge aus dem Spätwerk Platons. Platon lässt Protagoras höchstpersönlich als Gegenspieler Sokrates auftreten und schlecht wegkommen. Der performative Widerspruch ist nur eines der Probleme die er uns hier hinterlassen hat.

Hat dir dieser Artikel gefallen? Dann lies doch auch diesen und jenen.

 

 

Ich bin raus.

Hey Internet, so geht Logik! Oder: warum man nicht von einem Sein auf ein Sollen schließen kann

In den letzten Wochen kochte ja wegen Nestlé und Lego die Gender-Debatte in meinen Kreisen des Netzes hoch und mit ihr kamen gegenargumentative Reflexe, die jeder, der ein Proseminar in logischer Propädeutik (möchte ich unbedingt jedem empfehlen) absolviert hat, nicht so stehen lassen kann.

So etwas meine ich:

 

Das ist eine Variation des beliebten Arguments „In der Natur ist das so“. Von Natur aus kümmern sich die Weibchen um die Jungen, während die Männchen jagen. Männer sind stärker, sie sollten also herrschen. Oder auch immer sehr beliebt – wenngleich aus einer anderen Debatte: Homosexualität ist nicht natürlich.
Wer so argumentiert, der begeht einen ganz basalen logischen Fehler:

Den Sein-Sollen-Fehlschluss.

Eine Grundregel logischen Argumentierens, die Krux jedweder Ethik und weswegen der Menschenfreund mit Gram umwölkt ist lautet:

Man kann aus einem Sein nicht auf ein Sollen schließen.

Ihr habt sicher schon einmal etwas vom klassischen oder einfachen Syllogismus gehört. Der einfache Syllogismus ist die einfachste Form des logischen Schließens (Quasi der Lego-Viererstein) und funktioniert so, dass aus zwei Prämissen auf eine Konklusion geschlossen wird. Das berühmteste Gewand des einfachen Syllogismus ist folgendes:

P1 Sokrates ist ein Mensch.
P2 Alle Menschen sind sterblich.
C Sokrates ist sterblich
.

Was will uns nun der Sein-Sollen-Fehlschluss sagen? Ganz einfach: aus der Tatsache, dass etwas so und so ist, kann niemals folgen, dass es auch so sein sollte. Nur aus Fakten kann ich niemals auf Normen schließen.
Betrachten wir das anhand des Satzes „Homosexualität ist nicht natürlich“. Wichtig ist, dass es für die Logik erst einmal so egal wie das Urheberrecht für den Filesharer ist, ob der Satz wahr ist. Diese Frage haben andere zu entscheiden, es ist eine Frage der Empirie, der Erfahrungswelt. Fragt Biologen, Anthropologen, Soziologen, Whoever… Dem analytischen Philosophen geht es nicht um den Inhalt des Arguments sondern um dessen Struktur. Also widmen wir uns dieser, bringen wir in Wittgensteins Worten das Problem zum Verschwinden:

Zunächst fällt auf, dass unser Satz gar nicht als Schluss daher kommt, stattdessen stellt er sich unschuldig als Tatsachenbehauptung hin. Ich müsste jetzt weit ausholen um euch die heimlichen Verehrer dieses Satzes – Implikation und Implikatur– zu erläutern, aber das schöne ist ja, dass die Logik nicht erfunden wird, sondern in uns steckt und in Sokrates‘ Worten nur von einer Hebamme gehoben werden muss. Daher werdet ihr mir sicher auch ohne theoretischen Exkurs zustimmen, dass, wer in einer Diskussion, etwa ob Homosexuelle heiraten dürfen sollten (fieser grammatischer Möp), den Satz „Homosexualität ist nicht natürlich“ fallen lässt, diesen nicht einsam stehen lassen will wie einen gewissen Berg im tolkienschen Werk, sondern damit auf etwas hinaus will. Er impliziert etwas – nämlich einen Schluss.

Dieser Schluss soll wohl etwas wie das folgende aussagen:

P1 Homosexualität ist nicht natürlich.

C Deshalb sollten Homosexuelle nicht heiraten dürfen.

Was fällt uns da auf?

Rischtisch: Für unseren einfachen Syllogismus fehlt die zweite Prämisse.

BTW: Unser einfache Syllogismus ist eine Deduktion. Zwar gibt es andere Formen des Schließens (Induktion, Analogie und wenn wir es gar zu weit treiben wollten auch noch die Abduktion) die nicht unbedingt und ausgerechnet zwei Prämissen verlangen, aber diese sind im Gegensatz zur Deduktion nicht zwingend, wie der Logiker so schön sagt.

Wenn wir also den oben stehenden Syllogismus zwingen wollen zwingend zu werden, müssen wir ihm die zweite Prämisse hinzufügen um am Ende „Heureka!“ schreien zu dürfen. Und hier kommen wir an des Pudels Dickdarm aka. Kern:

Wir können jetzt noch so viele faktische Sätze als P2 einfügen, wie wir wollen, daraus wird nie zwingend die C folgen. Ob wir jetzt behaupten

P2 Alle Tiere sind heterosexuell. 

Oder P2 Nur Heterosexuelle dürfen heiraten. 

Oder gar P2 die höchste Steilküste der Welt finden wir auf Hawaii.

Daraus wird nie unsere C folgen, weil noch etwas ganz wesentliches fehlt, was unser aller geschätzter Wowi damals so ausdrückte: und das ist auch gut so. Oder um den Satz seines faktischen Gewandes zu entledigen: und es sollte auch so sein.

Aus unserer P1 Homosexualität ist nicht natürlich 

können wir nur mit der

P2 Nur natürliche Sexualpartnerschaften sollen heiraten dürfen

auf unsere C schließen: Homosexuelle sollen nicht heiraten dürfen.

Und diese P2 ist natürlich wieder äußerst kontrovers und setzt zunächst einmal eine Antwort auf die Frage voraus: Wollen wir so leben? Um jetzt wieder einmal wie der Formel-1-Fahrer den äußerst langen Bogen zurückzuschlagen:

Wenn jetzt also @rachelzwitscher konstatiert

P1 Männer und Frauen sind verschieden

Fehlt ihr eben noch immer die P2  Um auf eine

C Und deshalb sollten sie mit verschiedenen Ü-Eiern spielen

Oder C Software ist für Mädchen

Oder C Nippelzwicker-Tweets sind cool (Siehe auch hier und hier (Der Käse hat seinen Account deaktiviert, macht er aber öfter mal, also gut möglich, dass der bald wieder da sind. In dem Tweet hat er das alte Klischee geäußert, dass Männer, die Feministen sind, keinen Sex haben; 28.11.13))

zu schließen.

Und ihr könnt das jetzt in Grabenkämpfen, im Superflausch, argumentativ oder however austragen, wer hier recht hat. Alles worauf ich hinweisen wollte, war, dass auch ihr euch nicht der Logik entziehen könnt.

 q.e.d.

Ein paar Anmerkungen zum Schluss:

Wenn man den Sein-Sollen-Fehlschluss einmal verstanden hat, folgt daraus wieder mal – wie so oft in dieser verderbten (Hausaufgabe erfüllt) analytischen Philosophie – die prinzipielle Unmöglichkeit der Letztbegründung einer jedweden Ethik. Und das ist ziemlich harter Tobak. Es folgt nämlich leider daraus, dass wir nie werden beweisen können, dass die Nazis Unrecht hatten. Wir können nur sagen: Wir wollen nicht so leben.

Das war der Grund, warum ich ziemlich frustriert die Ethik als durchgespielt nach meinem Grundstudium aufgegeben habe.

Und jetzt dürft ihr weitermachen… Mit dem Köpfeeinschlagen oder womit auch immer.

Ich – als Mensch in meinem Widerspruch – werde meiner Tochter ein sexistisches rosa Kleidchen anziehen und dann ganz unsexistisch mit ihr das alte Lego spielen.

 

Ich bin raus!

Wen das alles interessiert, dem empfehle ich die Lektüre von:

Ernst Tugendhat, Ursula Wolf, Logisch-semantische Propädeutik. Reklam Stuttgart 1986.

@spitzwegerich hat mich noch auf diese beiden schönen Links aufmerksam gemacht:

Getting to QED

yourlogicalfallacyis.com

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Wer hat denn nun eigentlich Recht: Die Wissenschaft oder die Religion?

Mein Vater kramte eben einen Abschnitt meines Philosophiestudiums hervor, indem er mich bat, dass ich ihm Folgendes bei Zeiten noch einmal erklären muss:

 

Die Unmöglichkeit Religion mithilfe der Wissenschaft zu widerlegen. Was wiederum mit der Unmöglichkeit von Letztbegründungen zusammenhängt.

 

Damit habe ich mich im Studium leidlich abgeplagt, und um diese Gedanken mal wieder zu ordnen, schreibe ich sie hier nieder. Das Ganze ist nur essayistisch, die Gedanken stammen nicht von mir, sie gehen im Wesentlichen auf Ludwig Wittgenstein, Nelson Goodman, Richard Rorty, Karl Popper, ein wenig Immanuel Kant, G. E. Moore und John L. Austin zurück, ohne dass ich dies jetzt einzeln mit Quellen belegen kann. Der zentrale Gedanke ist folgender:

 

Es ist dem Menschen prinzipiell unmöglich, zu erkennen, wie die Welt wirklich ist und zwar im Wesentlichen aus zwei Gründen:

  1. Unsere Vernunft ist begrenzt [sehr frei nach Kant]. Moderner ausgedrückt: unsere Gehirne können die Welt schlichtweg nicht abschließend begreifen. So wie unsere Sinne aufgrund ihrer organischen Beschränkungen nicht imstande sind, das ganze Spektrum von möglichen Sinneseindrücken einzufangen (wir können etwa Ultraviolett nicht sehen und Ultraschall nicht hören), so ist es unserem Gehirn aufgrund seiner organischen Beschränkung nicht möglich, die wahre Natur der Welt letztendlich zu begreifen.
  2. Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt [Wittgenstein]. Jeder Zugang zur Realität ist sprachvermittelt. Wenn ich etwas begreifen will, muss ich darüber nachdenken und das geht nur in Sprache (Und bevor jetzt jemand aufschreit: ja, wir können auch in Bildern denken. Aber schon mal versucht, eine Kette von Argumenten mit Bildern darzustellen? Viel Erfolg! Besonders, wenn ihr das Ergebnis dann auch noch – sprachlos – kommunizieren wollt).
    Sprache selbst ist aber nicht voraussetzungslos, sondern funktioniert wie ein Werkzeugkasten: Da haben wir verschiedene Werkzeuge, mit denen wir verschiedene Probleme angehen können. Wenn uns aber für ein Problem ein Werkzeug fehlt, dann können wir es auch nicht beheben. Da in unserem Fall das Problem die Erkenntnis ist, können wir etwas also nicht erkennen, wenn es in unserem Sprachrepertoire kein geeignetes Werkzeug dafür gibt. Zum Beispiel ist das Basiswerkzeug unserer Logik der Satz vom Widerspruch: Ich kann nicht zugleich behaupten, dass etwas ist und das es nicht ist. Wenn ich spreche, fälle ich Entscheidungen, ziehe Grenzen und wenn ich diese dann einfach umschmeiße, begehe ich eben einen Widerspruch, was ich sage ist also falsch. Das Problem ist jetzt aber Folgendes: Ich habe kein Werkzeug, um den Satz vom Widerspruch auf Wahrheit zu prüfen. Ich kann die Frage „Ist der Satz vom Widerspruch wahr?“ nicht beantworten, denn welches Werkzeug sollte ich dafür benutzen? Richtig: Mir bliebe nur der Satz vom Widerspruch! Aber wenn ich das mache, dann schreit das nächste Erkenntniswerkzeug, dass ich gerade etwas kaputtmache, nämlich der Zirkelschluss. Der Zirkelschluss besagt, dass eine Erklärung unlogisch ist, wenn ich A mit B begründe und anschließend B wieder mit A. Zum Beispiel:

 

„Dieser Mann ist ein Nazi!“

„Woher willst du das wissen?“

„Er trägt eine Glatze!“

„Warum macht ihn das zum Nazi?“

„Weil Glatzenträger Nazis sind!“

 

Wenn ich also die Grundannahmen 1. und 2. einmal akzeptiert habe, kann ich mir den Begriff der Wahrheit in die Haare schmieren.

 

Wenn ihr jetzt nicht schreit: Moment, das geht doch nicht! Dann seid ihr entweder Philosophen oder realitätsfern. Denn das Hauptargument gegen meine Behauptung ist natürlich, dass wir jetzt seit gut 3.000 Jahren Wissenschaft betreiben, und die Wissenschaft ja nichts anderes tut, als Wahrheit zu suchen und zu entdecken. Und dass dieses Entdecken der Wahrheit doch genau das ist, was wir Fortschritt nennen.

 

Das ist korrekt, aber nur so lange wahr, wie wir uns im Sprachspiel der Wissenschaft bewegen.

 

Ich kann also ohne Probleme sagen: „Das Einstein’sche Weltbild ist dem Newton’schen überlegen“. Oder: „Das Periodensystem der Elemente ist der Vier-Elemente-Lehre überlegen“. So weit, so gut. Doch, was ich eben nicht kann, ist, die Wissenschaft als solches, das gesamte wissenschaftliche Weltbild mit einem ganz anderen Weltbild zu vergleichen, etwa der Religion und zu sagen: „Die Wissenschaft ist wahrer als die Religion“.

 

Warum kann ich das nicht? Nun, weil ich dann wieder meine Werkzeuge auf sich selbst anwenden müsste. Das Ganze würde im so genannten Münchhausen-Trilemma enden (Der Name geht auf die Anekdote des Baron Münchhausens zurück, wonach er sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf gezogen hat).

 

Das Münchhausen-Trilemma besagt Folgendes:

Wenn ich herausfinden will, ob ein Satz wahr ist, muss ich ihn begründen. Ich kann aber einen Satz nur mithilfe weiterer Sätze begründen, für die ich dann ja auch wieder zeigen muss, dass sie wahr sind, indem ich sie mithilfe weiterer Sätze begründe, für die ich auch wieder …

Aus diesem Begründungsgang führen nun lediglich drei Türen hinaus:

  1. Der infinite Regress: Ich führe das Spiel bis in alle Ewigkeit weiter. Das ist praktisch nicht möglich, scheidet somit aus.
  2. Unser wohlbekannter Zirkelschluss, Mit dem kommen wir nicht vom Fleck, somit scheidet er auch aus.
  3. Schließlich noch das Dogma. Das heißt, ich breche irgendwann ab. Stelle mich lutherisch hin und kann nicht anders, meine Erklärungen kommen, mit Wittgenstein gesprochen, an ein Ende.

 

Innerhalb der Wissenschaft geht man durch die dritte Tür und nennt es dann eine Definition. Das ist auch vollkommen okay, denn diese werden nur aufgrund ausreichender Evidenz gefällt, nach Regeln, die die ganze Scientific Community permanent am austarieren ist und die ständig einem so genannten Falsifikationsvorbehalt (der Annahme, dass sie nur so lange wahr sind, bis das Gegenteil bewiesen wurde) unterliegen.

 

Eben das hat das CERN gerade getan, als es verkündete, das Higgs-Boson oder ein anderes neues Boson gefunden zu haben. Das CERN hat nicht gesagt: Da ist es, wir haben es gesehen. Sondern: Unsere Messdaten haben einen kritischen Wert überschritten, wonach wir jetzt sagen können, es ist da. Dieser kritische Wert ist ein Dogma, reine Definitionssache, aber wie schon gesagt, vollkommen okay, da er den wissenschaftlichen Spielregeln unterliegt und jederzeit fallen kann. (Ein ganz anderes Problem ist, dass derzeit nur am CERN die geeigneten Mittel (der LHC) existieren, um diese Art von Untersuchung durchzuführen, somit wissenschaftliche Spielregeln an ihre Grenzen gebracht werden, aber das würde jetzt zu weit führen …).

 

Ganz anders sieht es jetzt aus, wenn ich aus dem wissenschaftlichen Sprachspiel heraustrete und mich der – ich schlage den zugegebenen langen Bogen zurück – Frage zuwende, wer denn nun eigentlich Recht hat: Die Wissenschaft oder die Religion? Die Gretchenfrage lässt sich nun schlichtweg nicht beantworten.

 

(zudem zerfällt sie in hunderte Teilfragen wie: Wer hat die Welt erschaffen/wie ist sie entstanden? Gibt es ein Leben nach dem Tod? Existiert Gott? Etc. Aber der Einfachheit halber will ich so tun, als handele es sich nur um die simple Frage: Wer hat Recht – die Religion oder die Wissenschaft?)

 

Der Wissenschaftler geht nun hin und benutzt seine Werkzeuge um die Grundannahmen der Religion zu widerlegen. Aber wohin führt ihn das? Genau: ins Münchhausen-Trilemma. Nun kann er aber nicht, wie innerhalb der Wissenschaft, durch Tür Nummer 3 gehen. Warum? Na, weil diese Tür innerhalb der Wissenschaft eben ständiger Überwachung ausgesetzt ist, ständig neu vermessen wird und somit letztlich einen Konsens innerhalb der Scientific Community bildet. Aber welchen Grund hätte denn der Religionsanhänger, diesem Konsens zuzustimmen? Warum sollte er nicht sein Dogma an einer ganz anderen Stelle errichten? Und ihr ahnt es sicherlich: genau das macht der Religionsanhänger. Statt: Satz vom Widerspruch, kritischer Messwert, Normalverteilung, Falsifikation etc. lauten seine Dogmen eben Gottes Wille, steht in der Bibel, das ist eine Frage des Glaubens etc.

 

Jetzt wäre natürlich der logische Schritt des Wissenschaftlers wieder, zu beweisen, dass seine Dogmen denen des Religionsanhängers überlegen sind. Aber wie macht er das? Mit geeigneten Begründungen – und wohin führen diese ihn? Ins Münchhausen-Trilemma.

 

Das ganze Sprachspiel der Weltbeschreibung ist eben eine Relation, aus der man nicht hinaustreten kann. Um zu entscheiden, wer die Welt richtig sieht, müsste man außerhalb der Relation Mensch – Welt stehen, aber das geht nun einmal nicht, und somit ist die Frage eben nicht abschließend entscheidbar.

 

Zwei kurze Anmerkungen noch zum Schluss:

  1. Was für den Wissenschaftler gilt, gilt natürlich im gleichen Maße für den Religionsanhänger, weshalb der Kreationismus vollkommener Humbug ist. Denn dort tritt die Religion ins Sprachspiel der Wissenschaft ein, doch dann muss sie sich auch den Regeln der Wissenschaft unterwerfen und hat in diesem Moment schon verloren. Das bedeutet: Wer lehren will, dass die Welt von Gott erschaffen wurde, kann dies gerne im Religionsunterricht tun, doch sobald er den Biologiesaal betritt, muss er eben auch den Werkzeugkasten der Biologie öffnen, und dann ist seine ganze Theorie im höchsten Maße unplausibel.
  2. Wenn ihr gut aufgepasst habt, müsst ihr jetzt natürlich noch einmal schreien: Und was ist mit dem Fortschritt?! Da haben wir doch einen Beweis, dass die Wissenschaft Recht hat! Im Mittelalter sind die Menschen bei der kleinsten Erkältung gestorben und heute fliegen sie zum Mond! Aber die Antwort lautet: Damit begeben wir uns in eine ganz andere – mir durchaus sympathische – Sphäre, nämlich in den Pragmatismus. Wer so argumentiert, der stellt in Wirklichkeit nicht mehr die Frage: Was ist wahr? Sondern: Was bringt uns voran? Was bringt uns mehr Nutzen? Und in dem Punkt liegt die Wissenschaft ganz klar vorne. Klar können wir an den Kreationismus glauben (alles außer Acht gelassen, was ich unter 1. schrieb), aber bringt uns das voran? Wird das unsere Probleme mit dem Klimawandel oder dem Hunger der Welt lösen? Ich glaube nicht. Auf der anderen Seite wird uns aber die Wissenschaft keinen Trost spenden, wenn wir Angst vor dem Tod haben, da ist dann Religion der pragmatischere Weg.

 

Enden will ich mit einem (äußerst frei wiedergegebenen) Zitat von Karl Popper:

„Ich kann zwar nicht entscheiden, ob der Rationalismus Recht hat, aber ich mache eben einen Sprung in den Rationalismus und von da an muss ich alles Weitere dem Rationalismus unterwerfen.“

 

Zur weiteren Recherche (Aber nur unter äußerster Vorsicht, denn es handelt sich hier um die Königsdisziplin der Philosophie):

 

John L. Austin: Gesammelte philosophische Aufsätze.

Nelson Goodman: Weisen der Welterzeugung.

Immanuel Kant: Die Kritik der reinen Vernunft.

Ders.: Kritik der praktischen Vernunft.

Ders.: Kritik der Urteilskraft.

G. E. Moore: Eine Verteidigung des Common Sense.

Ders.: Beweis der Außenwelt.

Karl Popper: Objektive Erkenntnis. (Hab ich nicht gerlesen, aber die Bücher, die ich von Popper gelesen habe, behandeln die hier zentralen Themen nur am Rande, daher verlasse ich micht hier aufs Hören-Sagen).

Richard Rorty: Der Spiegel der Natur.

Ludwig Wittgenstein: Tractatus Logico Philosophicus.

Ludwig Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen (beide Bücher gibt es praktischerweise in einer Ausgabe).