Aristoteles – Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten und das logische Quadrat

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Daniel
schließt das Dritte aus

Aristoteles – Der Logiker – Folge 7

Heute geht es um Logik – I f*cking love logic! Ich lege den Satz vom ausgeschlossenen Dritten dar und was er bedeutet. Anschließend quadrieren wir die Logik indem ich mit euch im Detail Kontradiktionen, konträre Gegenteile und den ganzen Kladderadatsch durchgehe. Wie gewohnt habt ihr die Wahl zwischen Video, Podcast oder Text.

Wie kann ein Quadrat logisch sein?

So langsam nähern wir uns der Logik von Aristoteles. Und das machen wir über das sogenannte logische Quadrat. Logisches Quadrat? Das klingt für mich ein bisschen wie ein Spiel in Squid Game. Allerdings steht der Name „logisches Quadrat“ für mehrere logisch-semantische Beziehungen und der Name stammt gar nicht von Aristoteles. Wer genau erstmals auf die quadratische Darstellung kam, ist unklar. Die älteste uns bekannte Erwähnung stammt von Apuleius von Madauros aus dem 2. Jahrhundert nach Christus, also gut 400 Jahre nach Aris Tod.

Aber bevor ich länger kryptisch von irgendwelchen Quadraten und wer sie erfunden hat spreche, als wäre ich in einem Tarantino-Film, sollte ich erst einmal klarmachen, worum es wirklich geht. Aristoteles beschreibt  in der De Interpretatione zwei semantische Beziehungen, die wir dringend brauchen, bevor wir anfangen können, logische Schlüsse zu fällen: konträr und kontradiktorisch.

Nein, ich merke gerade, ich war zu voreilig – ganz wie die BBC, als sie bereits 2016 die 100 besten Filme des 21. Jahrhunderts kürte. Hmmm. Daher muss ich noch einen Schritt zurückgehen. Denn bevor wir uns mit Kontradiktionen und konträren Gegenteilen beschäftigen, müssen wir mit den beiden grundlegendsten Begriffen der Logik anfangen: Ich spreche von den kleinen Begriffen „wahr“ und „falsch“.

Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten

Ari formuliert in De Interpretatione einen der wichtigsten Sätze der Logik überhaupt. Wichtiger noch als „Aus großer Macht folgt große Verantwortung“ oder „Möge die Macht mit dir sein“: Den Satz vom ausgeschlossenen Dritten. Demnach kann etwas nur wahr oder falsch sein. Aber nichts dazwischen und nicht beides.

Wenn ihr euch für Politik interessiert, euch schon mal mit euren Eltern gestritten habt oder von irgendjemanden den Satz gehört habt: „Man muss Butter unter Nutella schmieren“, dann habt ihr eben bestimmt zischend die Luft zwischen den Zähnen eingesogen und ich werde gleich weiter auf Probleme und Einschränkungen des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten eingehen. Aber folgen wir zunächst einmal Aristoteles, bevor wir anfangen ihn zu kritisieren und schauen was er macht. Denn der Satz vom ausgeschlossenen Dritten ist keine ganz dumme Idee.

In der formalen Logik können wir das durch eine einfache Formalisierung verdeutlichen. Nehmen wir dafür den Satz: „Ein Film der sowohl lustige als auch traurige Anteile hat, ist eine Dramödie“. Diesen Satz formalisieren wir mit der Variable P. Es gibt jetzt nur P oder -P, aber nichts anderes. Es kann kein halbes Minus vor P geben. Gut, in diesem Fall gibt es sogar nur -P und alles andere ist falsch, liebe Kulturpessimist*innen.

Bevor jetzt der eine Logik-Nerd da hinten rechts aufschreit, dass meine Erklärung verkürzt war, hier einmal die richtige formallogische Notation für den Satz vom ausgeschlossenen Dritten:

¬(P∧¬P)

So, jetzt habt ihr das einmal gesehen/gehört und wir können mit dem wichtigen Kram weitermachen!

Einschränkungen des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten

Wichtig sind jetzt schon die Einschränkungen. Wenn du den Satzes vom ausgeschlossen Dritten verstehen willst, musst du wissen, dass Aristoteles von der Satzebene ausgeht. In meiner Formalisierung eben stand P genau für einen Satz. Nicht für mehr und nicht für weniger. Wir sahen bereits in der Folge über die Kategorien, dass es eine wichtige Erkenntnis von Ari war, festzustellen, dass wahr oder falsch nicht einzelne Worte sind, sondern Sätze.

Er schränkt das aber sogar noch weiter ein, denn nicht alle Sätze kommen in Frage, wenn wir sie auf Wahrheit hin prüfen. Genau wie nicht alle Twitter*innen lustig sind. Ja, Ulf, ich meine dich! Deine Tweets sind nicht lustig! Wahr oder falsch können nur faktische, konstatierende Sätzen sein. Zudem müssen wir noch Ceteris paribus beachten. Okay, okay, das hier wird jetzt eine Orgie von Technobabble – ganz als würden Data und Geordi miteinander Smalltalken. Ich mache euch wieder an Beispielen deutlich, was ich meine:

„Auf YouTube gibt es Videos zu Philosophie“. Dieser Satz ist wahr oder falsch, aber nichts drittes. Rosenkohl ist lecker – wahr oder falsch. Nichts drittes. Na gut, manche von euch schreien jetzt vielleicht als hätte Edvard Munch euch gemalt, dass Rosenkohl auch ein bisschen lecker sein kann. Denn hier beim letzten Satz hat sich schon wieder eine Wertung eingeschlichen, es ist kein faktischer Satz. Lasst mich daher mit einem ganz berühmten Beispiel von G. E. Moore, das ihr auch bei Wittgenstein wiederfindet, aufzeigen, welche Art von Sätzen wir auf Wahrheit prüfen können.

Wenn wir einen Satz betrachten, der eine Tatsache über die Welt aussagt, dann ist dieser wahr oder falsch und nichts dazwischen. „Hier ist eine Hand.“ kann wahr oder falsch sein. Aber es kann hier nicht nur ein bisschen eine Hand sein und ein bisschen nicht. „Hier ist eine Hand“ ist ein konstatierender Satz, denn er macht eine Aussage über die Welt. Er stellt etwas fest. Würde unser Satz lauten „Ist hier eine Hand?“, dann könnten wir ihn nicht auf Wahrheit prüfen. Klar, oder?

Erst als ich jetzt die Stelle in De Interpretatione las, in der sich Ari fragt, welche Art von Sätzen wahr oder falsch sein können, fiel es mir wie Gurkenscheiben von den Augen in den Gin, dass John L. Austin sich auf diese Stelle in seiner Theorie der Sprechakte bezieht.

Austin schreibt am Anfang der Theorie der Sprechakte, dass die Performativa (wie er sie nennt), also Sprechakte, mit denen man Handlungen vollzieht, wie Fragen, Bitten und so, zwar schon anderen aufgefallen sind, ihnen aber nicht die angemessene Beachtung geschenkt wurde. Ich zitiere:

„Die Erscheinung, um die es geht, ist sehr weit verbreitet und liegt offen zutage; hier und da müssen sie andere bemerkt haben. Aber ich habe noch niemanden gefunden, der sich richtig darum gekümmert hätte.“

John L. Austin: Zur Theorie der Sprechakte*

Das bezieht sich, wenn man Austins subtilen Humor kennt, klar auf Aristoteles, der in De Interpretatione schreibt, dass beispielsweise Bitten keinen Wahrheitswert haben, das jetzt aber nichts zur Sache tue, er sich nicht darum kümmern werde und sich stattdessen nur auf Aussagen konzentrieren werde. Halten wir also fest: Wahr oder falsch sein, können also nur Aussagesätze oder Konstativa, wie Austin sie nennt. Sätze, die eine Tatsache konstatieren.

Ferner können (mehr oder weniger) nur faktische Sätze wahr oder falsch sein. Ein faktischer Satz sagt aus, dass etwas ist. Würden wir nur die Möglichkeit formulieren: „Hier könnte eine Hand sein.“, würde es mit der Wahrheitsprüfung schon schwieriger werden. Nicht unmöglich, aber komplizierter.

Zu guter Letzt müssen wir auch noch dieses komische Ceteris paribus beachten. Ceteris paribus klingt wie ein Zauberspruch bei Harry Potter, ist aber überraschenderweise Latein und bedeutet „unter sonst gleichen Bedingungen“. Es darf also keine Faktoren geben, die unmöglich machen „Hier ist eine Hand“ auf Wahrheit zu prüfen. Wenn ich beispielsweise das Licht ausschalte und dann sage „Hier ist eine Hand“, lässt sich nicht prüfen, ob der Satz wahr oder falsch ist.

Funfact: diesen kleinen logischen Zauberspruch habe ich auch erst vor kurzem gelernt zu benennen, als meine Haus- und Hof-Psychologin ihrer Disziplin untreu wurde, als wäre die Psychologie Mr. Chow und mir Searles Versuch vortrug, aus einem Sein auf ein Sollen zu schließen. Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein anderes Mal erzählt werden.

Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten ist jedenfalls eine der wichtigsten und grundlegendsten Wahrheiten, die wir kennen. Habermas spricht ein paar Jahrtausende später vom zwanglosen Zwang des besseren Arguments, das Vernunft und kommunikatives Handeln überhaupt erst ermöglicht. Wenn wir nicht akzeptieren, dass Sätze entweder wahr oder falsch sind, dann verliert das bessere Argument seinen zwanglosen Zwang. Konzepte wie Fakenews, „Alternative Facts“ und Verschwörungsmythen versuchen den Satz vom ausgeschlossenen Dritten aufzuweichen, indem sie behaupten, es gäbe nicht bloß bei Wert- und Geschmacksurteilen mehr als eine wahre Meinung, sondern auch bei Fakten. Aber das ist, wie wir bei Aristoteles lernen, falsch.

Werturteile und Geschmacksurteile

Unsicher erscheint uns der Satz vom ausgeschlossenen Dritten nämlich nur dann, wenn wir  Wert- oder Geschmacksurteile äußern. „Bibi und Tina ist eine schlechte Fernsehsendung“ ist fraglos wahr, aber irgendwie nicht auf die gleiche Weise wie „Hier ist eine Hand“. Der Grund dafür ist, dass dieser Satz extrem voraussetzungsreich ist. Extrem viele andere Sätze muss ich als gegeben annehmen, um diesen einen Satz auf seine Wahrheit hin zu prüfen. Zum Beispiel: Es gibt objektiv ästhetisch Gutes. Oder: Die unkritische Darstellung von Klassenunterschieden als unhinterfragte Normalität ist schlecht. Es ist eben kompliziert.

Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass es höherwertige Logiken gibt, in denen der Satz vom ausgeschlossenen Dritten vertrackter wird als Aristoteles sich das dachte. Die Fuzzy Logic zum Beispiel beschäftigt sich mit Problemen wie diesem: An Straßen finden sich oft Schilder, die aussagen: Bei Nässe darf nur 80 km/h gefahren werden. Die Frage hier ist: Wie nass muss die  Straße sein, damit die Regel gilt? Gilt sie schon, wenn nur ein einziger Tropfen auf den Asphalt fällt? Wann ist eine Straße eigentlich nass? Die Fuzzy Logic löst diese Art von Problemen so, dass sie nicht nur die Wahrheitswerte 1 = wahr und 0 = falsch annimmt, sondern mit graduellen Abstufungen arbeitet. Dann kann eine Straße eben zu 0,7 nass sein. Aber das ist auch eine andere Geschichte und soll ein anderes Mal erzählt werden.

Die Existenzbedingung

Kehren wir zu Ari zurück, denn der macht eine weitere wichtige Regel auf: Um zu beurteilen, ob ein Satz wahr oder falsch ist, muss das Subjekt existieren. „Sören Eddie Johanna von und zu Bibiundtinaingen ist 1,80 Meter groß.“ lässt sich nur auf Wahrheit hin prüfen, wenn ein Ding namens Sören Eddie Johanna von und zu Bibiundtinaingen existiert. Erneut lässt sich das formalisieren (was Ari allerdings noch nicht macht):

Es existiert ein x

Für x gilt: Es ist Sören Eddie Johanna von und zu Bibiundtinaingen und es ist 1,80m groß

∃x

x (Sören Eddie Johanna von und zu Bibiundtinaingen) ∧ (1,80m groß)

Das stellt uns natürlich vor das Problem, ob wir sagen können, dass der Satz „Einhörner haben genau ein Horn“ wahr ist. Er scheint wahr zu sein, aber nach Ari lässt er sich nicht auf Wahrheit hin prüfen, da Einhörner nicht existieren. Ja, ich weiß, das ist ein Schock. Aber irgendjemand musste es mal sagen. Dass ich Einhörnern Eigenschaften zuschreiben kann, diese aber logisch nicht auf Wahrheit prüfen, sollte sehr viel später Willard Van Orman Quine viele Kopfschmerzen bereiten. Da soll noch einmal jemand sagen, Philosophie habe keinen praktischen Nutzen! Eine von Robert Brandom inspirierte Auflösung könnte übrigens sein, dass sich die Wahrheit von „Einhörner haben genau ein Horn“ aus unserem Sprachgebrauch ergibt, indem wir uns nicht auf ein Ding in der Welt beziehen, sondern auf das, was wir aus Literatur gelernt haben. Aber das ist jetzt wirklich eine andere Geschichte und soll ein anderes Mal erzählt werden.

Die Kontradiktion

Unser nächster Abschnitt führt uns nun endlich zum angekündigten logischen Quadrat: Ari stellt fest, dass alles, was sich bejahen lässt auch verneinen lässt. Es gibt also zu jeder Aussage genau eine Negation dieser Aussage. Das folgt aus dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten. Ich kann jeden Satz durch „nicht“ in seine Negation umwandeln:

„Es macht mehr Mühe eine Knoblauchpresse zu reinigen, als es Mühe macht, den Knoblauch gleich mit einem Messer zu hacken“. Lässt sich in „Es macht nicht mehr Mühe eine Knoblauchpresse zu reinigen, als es Mühe macht, den Knoblauch gleich mit einem Messer zu hacken“ umwandeln.

Die Aussage und ihre Negation schließen sich gegenseitig aus. Marlene Dietrich war entweder die Hauptdarstellerin in ‚Der Blaue Engel‘ oder sie war es nicht. Beides gleichzeitig ist nicht möglich. Wir sagen dazu: Die Negation einer Aussage ist ihre Kontradiktion. Nachdem wir nun „kontradiktorisch“ abgehakt haben, können wir uns „konträr“ widmen.

Das konträre Gegenteil

Denn die Kontradiktion scheint zu implizieren, dass es keine zwei verschiedenen Negationen zu einer Aussage geben kann. Klar, oder? Aber was ist mit: „Alle Menschen in Filmen sind Schauspieler*innen“. Diesen Satz kann ich doch auf zwei Arten verneinen: „Nicht alle Menschen in Filmen sind Schauspieler*innen“ und „Kein Mensch ins Filmen ist Schauspieler*in“. Da nenn mich einer 1 Pimmel! Haben wir etwa gerade den Satz vom ausgeschlossenen Dritten widerlegt?

Aristoteles sagt dazu, dass wir unterscheiden müssen zwischen Aussagen über Individuen, etwa Marlene Dietrich im Beispiel eben, und allgemeinen Aussagen. Etwa: Alle Schauspielerinnen. Später wurde diese Unterscheidung in der Logik noch weiter präzisiert. Demnach gibt es Existenzaussagen oder auch Partikularaussagen.

Es gibt ein X, dieses X ist Marlene Dietrich und dieses X ist die Schauspielerin in „Der blaue Engel. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Allaussagen: Für alle x gilt, wenn sie in Filmen mitspielen, dann sind sie Schauspieler*innen.

Und beim letzten Fall können wir einerseits die Allaussage negieren. Also sagen, dass das Prädikat zwar ganz knorke ist, aber eben nicht auf alle X zutrifft, so wie das Metaverse möglicherweise eine gute Idee ist, aber äh … Nein, sorry, mir fällt kein Fall ein, indem Marcs  – Oh, hi Marc – Metaverse eine Gute Idee ist …

Hingegen können wir durchaus zu dem Schluss kommen, dass nicht alle X in Filmen Schauspieler*innen sind. Andererseits können wir aber auch sagen, „wenn X in Filmen mitspielen, dann sind sie keine Schauspieler*innen.  In diesem Fall sprechen wir noch immer über alle X, sagen aber diesmal, dass das Prädikat diesen X niemals nicht zugesprochen werden kann. Aristoteles nennt diesen letzten Fall das konträre Gegenteil.

Eine kleine Nebenbemerkung noch an dieser Stelle, um noch einmal die Metaphysik anzuteasern … Denn hier steckt noch ein weiterer Unterschied drin, der uns dann in der Metaphysik noch viele Schwierigkeiten machen wird: „Marlene Dietrich“ gehört zur Kategorie der Substanzen und sie ist ein Individuum. „Schauspielerin“ gehört ebenfalls zur Kategorie der Substanzen, aber es ist ein Gattungsbegriff in Aris Terminologie. Der Begriff bezeichnet also eine Gruppe von Individuen. Behaltet diese Unterscheidung schon einmal im Hinterkopf, denn sie wird noch sehr wichtig werden.

Halten wir für die Logik fest: Allaussagen oder allgemeine Aussagen in der Terminologie Aristoteles‘ haben sowohl ein konträres Gegenteil. Das konträre Gegenteil von „Mark Forster macht immer gute Musik“ – was offensichtlich falsch ist – ist: „Mark Forster macht nie gute Musik“

Diese Sätze haben aber auch eine Kontradiktion: Mark Forster macht nicht immer aber manchmal gute Musik. Nein, dieses Beispiel ist selbst den Philosoph*innen zu unrealistisch. Nehmen wir lieber:

Alle Menschen in Filmen sind Schauspieler*innen.

Und

Nicht alle Menschen in Filmen sind Schauspieler*innen.

Ein wichtiger Unterschied zwischen einer kontradiktorischen Beziehung und einer konträren ist, dass bei der Kontradiktion immer genau ein Satz wahr und ein Satz falsch sein muss. Während bei konträren Aussagen zwar nicht beide Sätze wahr sein können, wohl aber beide falsch. Um euch mit einem Standard-Beispiel der Philosophie zu quälen: Sowohl „Alle Schwäne sind weiß“, als auch „Kein Schwan ist weiß“ sind falsch, denn wahr ist „Einige Schwäne sind weiß“. Es müssen aber auch nicht beide Sätze falsch sein, wie das Mark-Forster-Beispiel gezeigt hast.

Allaussagen und Partikularaussagen

Schauen wir, was es noch für logische Relationen in diesem Quadrat gibt: Die Kontradiktion einer Allaussage ist immer die Negation einer Partikularaussage. Denn wenn es nur einen Menschen in Filmen gibt, der nicht Schauspieler ist, dann kann die Allaussage nicht wahr sein. Entsprechend ist die Kontradiktion zu:

Kein Mensch in Filmen ist Schauspieler*in.

(Mindestens) Ein Mensch in Filmen ist Schauspieler*in.

Denn ein einziger Mensch reicht, damit die Aussage nicht wahr sein kann. Wie sieht es aus mit einer Partikularaussage und ihrer Negation? Da wir schon gelernt haben, dass es genau eine Kontradiktion gibt, können die beiden sich nicht ausschließen. Die Negation der Allaussage ist ja bereits die Kontradiktion der Partikularaussagen. Und genauso ist es auch! Beide sind wahr:

Einige Menschen sind  Schauspieler*in.

Einige Menschen sind nicht  Schauspieler*in.

Die beiden Sätze sind kein Widerspruch, sie können sich ja auf verschiedene Menschen beziehen. Man nennt dieses Verhältnis auch subkonträr.

Hier sehen wir übrigens wieder diesen Unterschied bei den Substanzen, den ich nicht aufhöre, anzuteasern. Denn „Mensch“ war ja eine Substanz genau wie „Marlene Dietrich“. Aber Wir können nicht sagen, dass auch diese beiden Sätze wahr sind:

Marlene Dietrich ist Schauspielerin.

Marlene Dietrich ist nicht Schauspielerin.

Es scheint also innerhalb von Substanzen einen großen Unterschied zu geben. So groß, dass wir uns fragen müssen, ob wirklich beide Kategorien der gleichen Art sin. Ich denke, wir sind hier etwas Großem auf der Spur … Grund genug also, um diese Spur fallen zu lassen und stattdessen zur Logik zurückzukehren. Und ich weiß, dass wird langsam so ermüdend wie ein Film von Terrence Malick. Aber Systematik war eben Aris ganz persönlicher Kink und Logik ohne Systematik ist Schmutz, also lasst es uns nach Hause bringen.

Das logische Quadrat

Das Ganze lässt sich jetzt in unser Quadrat packen, wie ich bereits in der Einleitung anteaserte, falls ihr euch noch daran erinnern könnt.  Meine Folgen haben bald so viele Teaser wie der Abspann eines Marvel-Films. Falls ihr euch nicht mehr an das logische Quadrat erinnern könnt, kann ich es euch nicht verübeln, denn mir raucht auch der Kopf. Aber bleibt noch kurz dran, dann haben wir es geschafft: Wir haben Allaussagen und Partikularaussagen. Diese können wir bejahen oder verneinen.

A sind unsere Allaussagen

I sind Partikularaussagen

E sind die Negation der Allaussagen

Und O die Negation der Partikularaussagen
Das logische Quadrat

Konträr sind Allaussagen A und ihre Negation E:

Alle Tiktoker*innen sind laut und aufgekratzt.

Kein*e Tiktoker*in ist laut und aufgekratzt.

Kontradiktorisch verhalten sich Allaussagen A und die Negation von Partikularaussagen O:

 Alle Tiktoker*innen sind laut und aufgekratzt.

Einige Tiktoker*innen sind nicht laut und aufgekratzt.

Sowie die Negation der Allaussagen E und die Partikularaussagen I:

Kein*e Tiktoker*in ist laut und aufgekratzt.

Einige Tiktoker*innen sind laut und aufgekratzt.

Subkonträr sind Partikularaussagen I und ihre Negation O:

Einige Tiktoker*innen sind laut und aufgekratzt.

Einige Tiktoker*innen sind nicht laut und aufgekratzt.

Schließlich gibt es noch das Verhältnis Subaltern (das ich bislang noch unerwähnt ließ). Das bedeutet, dass ein Satz einen anderen impliziert. Das also ein Satz schon in einem anderen steckt:

Alle Tiktoker*innen sind laut und aufgekratzt.

Einige Tiktoker*innen sind laut und aufgekratzt.

Wenn die Allaussage wahr ist, dann ist notwendig auch die Partikularaussage wahr. Genauso verhält es sich mit der Negation:

Kein*e Tiktoker*in ist laut und aufgekratzt.

Einige Tiktoker*innen sind nicht laut und aufgekratzt.

Beide sind wahr. Alter! Was für ein Hazzle. Ich wünschte ich könnte sagen, das war es jetzt mit dem Stress. Allein: This is just the beginning. Wir stehen erst ganz am Anfang der Logik! Doch damit machen wir beim nächsten Mal weiter. Jetzt haben wir uns erstmal ein Bier verdient! Das ist mal wieder so eine Folge bei der ich mich wundere, ob Leute bis zum Ende aufgepasst haben. Philosophie ist eben nicht immer fluffig und leicht, sondern kann auch anstrengend sein. Wenn ihr es also bis hier hin geschafft habt, dann postet doch mal ohne weitere Erklärung „Marlene Dietrich ist Tiktokerin“ in die Kommentare, damit wir die Crowd da draußen verwirren können …

Ich in den sozialen Medien

Philosophie-Videos

Zur weiteren Recherche über Aristoteles

Aristoteles – Die Kategorien *
Aristoteles – De Interpretatione *
Bertrand Russell – Die Philosophie des Abendlandes *
Christof Rapp – Aristoteles *
Otfried Höffe – Aristoteles: Die Hauptwerke *
Eduard Zeller – Die Philosophie der Griechen: Zweiter Teil: Sokrates, Plato, Aristoteles *
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Roland Barthes – Der Tod des Autors

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Daniel
bringt den Autor um

Ich lese Roland Barthes‘ berühmten Essay und überlege, was er bedeutet

Kann man das Werk vom Autor trennen? Wie kommt man überhaupt auf so eine Idee? Alles geht zurück auf Roland Barthes‘ Essay: Der Tod des Autors. In einer (zugegeben recht lang gewordenen) Textanalyse schaue ich, was dran ist, an der Idee.

*Das ist ein Affiliate-Link: Wenn ihr das Buch kauft, bekomme ich eine winzige Provision und freue mich.

Roland Barthes – Der Tod des Autors

Ich habe ja auch noch einen Podcast: den Spätfilm. Wie der Name unschwer erraten lässt, sprechen wir dort über Filme. Und eine wiederkehrende Frage, der wir uns dort stellen müssen, lautet: Kann man das Werk vom Autor trennen? Konkret: Darf ich Filme von Hitchcock oder Kubrick gut finden, auch wenn ich weiß, dass diese Regisseure ihre Schauspieler*innen mitunter extrem schlecht behandelten? Darf ich Filme von und mit mutmaßlichen oder nachgewiesenen Sexualstraftätern wie Bryan Singer, Roman Polanski, Harvey Weinstein oder Kevin Spacey schauen? Und wie ist es mit Filmen, von Tom Cruise, die dazu beitragen Scientology zu finanzieren?

Es gibt gute moralische Gründe, derlei Filme nicht zu gucken. Das Argument dafür ist hingegen zumeist: Man muss Autor und Werk trennen. Wie soll das gehen? Nehme ich eine Schere und schneide einfach Woody Allen aus dem Vorspann all seiner Filme? Wie kommt man auf diese Idee?

Nun, ich kann mich irren, aber ich denke, alles geht zurück auf den berühmten Aufsatz von Roland Barthes: Der Tod des Autors. Doch was genau schrieb Barthes damals, im Jahr 1968 eigentlich? Lasst uns in den Text blicken!

Balzac und die Frauen: Wer spricht hier?

Barthes beginnt den nur acht Seiten und sieben Abschnitte langen, aber unglaublich dichten Aufsatz mit einem Zitat aus Balzacs Novelle ‚Sarrasine.‘ Honoré de Balzac war, auch wenn er aussah wie Sigmar Gabriel, ein französischer Autor der 19. Jahrhundert. In ‚Sarrasine‘ heißt es, so Barthes, von einem als Frau verkleideten Kastraten:

„Es war das Weib mit seinem plötzlichen Ängsten, seinen grundlosen Launen, seinen instinktiven Verunsicherungen, seinen unwillkürlichen Kühnheiten, seinen Prahlereien und seinem köstlichen Zartgefühl.“

Roland fragt daraufhin: Wer zum Henker spricht so? Und er gibt uns mehrere Optionen zur Auswahl, als säßen wir bei Wer wird Millionär vor der alles entscheidenden Frage:

  • Spricht hier A) Der Held der Novelle?
  • Ist es B) das Individuum Balzac mit seiner persönlichen Philosophie der Frau?
  • Oder C) der Autor Balzac, der die literarische Idee der Weiblichkeit vorträgt?
  • Ist es D) eine universale Weisheit?
  • Oder, äh, irgendwie passt das nicht mehr ins WWM-Schema, egal: E) ist es die romantische Psychologie?

Roland Bartes meint nun – und das ist der Kern des gesamten Aufsatzes, also legt das Handy mal ganz kurz weg und passt auf –, es lässt sich nicht sagen, wer spricht. Denn

„Das Schreiben ist Zerstörung jeder Stimme, jedes Ursprungs. Das Schreiben ist Neutrum, zusammengesetzt, Schrägheit, der Identität verlorengeht.“

Das ist ein medientheoretisches Argument. Und zwar ein verdammt gutes! Die Frage, wer hier spricht, kann sich überhaupt erst im Medium der Schrift stellen. Denn sie trennt die Botschaft von der Stimme des Urhebers. Die Schrift macht aus einem Vollzug, der die gesprochene Sprache ist, etwas Stillstehendes. Auch die Idee, dass Sprache etwas zusammengesetztes ist, kommt erst so richtig mit dem Schriftbild auf, das Sätze, Wörter und Buchstaben segmentiert.

Dadurch, dass die Urheberin der Worte und die Worte selbst über Raum und Zeit getrennt sind, haftet der Schrift oft etwas Neutraleres an, als es bei der gesprochenen Sprache der Fall ist, die immer auch Emotionen transportiert, als wäre sie eine andauernde Diskussion, ob es die Nutella oder das Nutella ist. Nebenbei: Es ist DIE Nutella und jeden, der was anderes sagt den blocke ich!!! Anyway … Mit dieser Trennung geht eben auch die Identität von Autor und Werk zumindest ein Stück weit verloren.

So, jetzt könnt ihr euer Handy wieder zur Hand nehmen und weiter Candy Crush spielen. Spielt das heute überhaupt noch jemand?

Woher kommt der Autor eigentlich?

Schauen wir uns mal an, wie Roland Barthes im zweiten Abschnitt fortfährt. Er widmet sich ganz im Stile Indiana Jones‘ als nächstes der Geschichte, stellt sich die Frage, wie es überhaupt zu einem solchen Konzept wie dem Autor kommen konnte.

Denn zunächst einmal ist es ja eigentümlich für eine Erzählung, dass sie gerade keine andere Absicht verfolgt, als das Erzählen. Wodurch ja gerade der Autor dieser Geschichte in den Hintergrund tritt, unwichtig wird, oder wie Barthes es ausdrückt: stirbt. Nehmen wir demgegenüber zum Beispiel ein Versprechen, dann ist es bei diesem Spechakt von wesentlicher Bedeutung, wer die Autorin, die Versprecherin ist. Wenn ich euch verspreche, morgen hier einen Text über Heidegger zu veröffentlichen, dann könnt ihr mich und nur mich daran messen, ob ich das auch wirklich mache. Gut, eher würde ich mir ohne Narkose einen Zahn ziehen lassen, als euch so ein Versprechen zu geben, aber eine solche Rückbindung an den Autor gibt es bei einer Erzählung erst einmal nicht.

Barthes fragt sich also, wieso wir dem Autor dann paradoxerweise doch so eine wichtige Rolle zuschreiben. Seine Überlegungen zu diesem Punkt beginnen nicht ganz bei Adam und Eva aber kurz danach: In oralen Gesellschaften. Wie werden hier Geschichten weitergegeben? Sie werden erzählt. Das Interessante ist, dass der Autor dabei überhaupt keine Rolle spielt. Denn die Erzählung erfolgt durch einen Mittelsmann. Du kannst bei ihm vielleicht die Performanz des Vortragens bewundern. Nicht aber sein Genie. Denn die Geschichte hat er sich selbst ja gar nicht ausgedacht, ähnlich wie Karl-Theodor zu Guttenberg seine Doktorarbeit. Und oft wissen wir gar nicht mehr, wer sie sich ausgedacht hat. Ähnlich wie Karl-Theodor zu Guttenberg bei seiner Doktorarbeit.

Der Autor ist eine moderne Erfindung, folgert Barthes daraus. Philosophisch würden wir von einer neuzeitlichen Erfindung sprechen. Denn Barthes glaubt dass er im ausklingenden Mittelalter entstanden ist,  als (Zitat)

„mit dem Englischen Empirismus und dem Französischen Rationalismus und dem persönlichen Glauben der Reformation das Individuum entdeckt wurde.“

An dieser Stelle muss ich eine kleine Warnmeldung einbauen, denn die meisten Zitate von Barthes in dieser Folge habe ich radikal vereinfacht. Ich liebe die Art zu Schreiben des ollen Franzosen, aber sie ist komplizierter als die Position der Labour-Partei zum Brexit.

Zurück zum Text: Was Barthes hier anspricht, ist das zweite Paradigma der Philosophie. Schaut dazu gerne noch einmal in meinen Text zu den drei Paradigmen. Mit Beginn der philosophischen Neuzeit wurde die erkenntnistheoretische Frage ‚Was ist Die Welt?‘ abgelöst durch die Frage ‚Was kann ich erkennen?‘. Wittgenstein sagt an einer Stelle schön: Philosophische Problem werden eigentlich nie gelöst, sondern zum Verschwinden gebracht. Mit dem zweiten Paradigma der Philosophie kam das Individuum ins Blickfeld. In der Frage „was kann ich erkennen?“ steckt ja schon das Ich. So ist es nicht verwunderlich, dass der erste neuzeitliche Philosoph Descartes auch das Ich findet, als er sich fragte, wessen er sich gewiss sein kann: Ich denke, also bin ich.

Was mir an Barthes Satz beim ersten Lesen nicht klar war:  Inwiefern ist die Reformation individualistisch? Daher machte ich, was ich immer in einer solchen Situation mache, ich fragte Twitter und die Antworten zeigen, was ich an Twitter mag:

 

Die Konsequenz daraus ist, so Barthes,

„dass der Positivismus, diese Kurzfassung und Vollendung der kapitalistischen Ideologie, im Bereich der Literatur der „Person“ des Autors die größte Bedeutung beigemessen hat.“

Was zum Millennium Falcon soll das denn schon wieder bedeuten? Damit spielt Barthes wohl auf Auguste Comte an, einen der Begründer der modernen Soziologie. Comte wollte alles metaphysische, alles geisteswissenschaftliche in der Sozialforschung loswerden und eine soziale Physik rein auf Beobachtbarem aufbauen. Wie Barthes es orakelt, als säße er in Delphi über einer Erdspalte, korrespondiert das stark mit dem Materialismus des Kapitalismus, in dem andere Werte als materielle keine Rolle mehr spielen. Okay, vielen Dank für diesen zusammenhangslosen Einwurf, alter Mann.

Wichtiger ist da schon: Dieser positivistische Ansatz wirkte sich Anfang des 20. Jahrhunderts auch auf die zeitgenössische Literaturwissenschaft aus. Hier versuchte der Positivismus ebenfalls kausale Gesetzmäßigkeiten auszumachen und konzentrierte sich daher auf die Beziehung zwischen Autoren und Publikum, um so aus der Entstehung von literarischen Werken ihre Wirkung zu folgern. Ob dies wirklich erst zur Erfindung des Autors führte oder zumindest zu seiner Erhöhung als entscheidend für die Interpretation, kann ich nicht beurteilen. Denn ich bin kein Literaturwissenschaftler. Ich habe von Literaturwissenschaft in etwa so viel Ahnung wie Trump von Staatsführung. Barthes aber glaubt, dass seine zeitgenössische Literatur, Kultur und Gesellschaft der 60er Jahre als Ergebnis der geschilderten Entwicklung auf den Autor fixiert ist.Er sagt:

„Die Kritik besteht meistens noch darin, zu sagen, das Werk Baudelaires sei das Scheitern des Menschen Baudelaire, das Van Goghs sein Wahnsinn, Tschaikowskys sein Laster: Die Erklärung des Werks wird immer auf Seiten desjenigen gesucht, der es hervorgebracht hat.“

Der Niedergang des Autors

Nachdem Roland Barthes uns nun gezeigt hat, was zum Aufbau des Autors geführt hat, beginnt er im dritten Abschnitt mit seinem Niedergang, als wäre der Autor ein Elb, der Mittelerde verlassen muss. In Frankreich habe Stéphane Mallarmé als erster versucht, weg vom Autor zu gehen und den Text selbst ins Zentrum zu stellen. Dieser Mallarmé war Symbolist, so verrät mir die Wikipedia. Ja, höher als die Wikipedia ist mein Niveau nicht. Schließlich bin ich ein Typ, der „die Nutella“ sagt.  Der Symbolismus war wiederum eine literarische Strömung, die sich gegen Realismus, Naturalismus und den schon erwähnten Positivismus stellte. In dieser steht wenig überraschend das Symbol im Zentrum. Statt – wie zum Beispiel der Realismus – sich mit gesellschaftlichen Problemen rumzuschlagen oder sich mit dem Innenleben zu beschäftigen, wie es Romantik und Impressionismus taten, war der Symbolismus … äh … Ja was? Irgendwie anders halt. Fragt da besser mal eine Literaturwissenschaftlerin als einen Philosophie-Dilletanten.

Kehren wir zu Roland Barthes zurück: Der sagt, die Sprache spreche, nicht der Autor. Schreiben ist unpersönlich, nicht ich sondern die Sprache allein agiert, performiert. Das ist wieder ein medientheoretisches Argument, da fühle ich mich wieder zuhause. Erst dadurch, dass die Schrift und die Schreiberin im Gegensatz zur oralen Sprache getrennt voneinander auftreten können, kann die Schrift alleine, aus sich heraus etwas bedeuten. Und, so Barthes, Wenn man den Autor ausblendet, erhält der Leser seinen Platz. Die Lesende muss anfangen, sich selbst Gedanken über die Bedeutung zu machen.

Der nächste Schritt zum Tod des Autors war dann Paul Valéry. Valéry verspottete den Autor und zweifelte ihn an, schreibt Barthes. Valéry trat für die verbale Voraussetzung der Literatur ein, ein Rückgriff auf die Innerlichkeit des Schriftstellers erschien ihm als reiner Aberglaube. Ich habe natürlich auch recherchiert, wer Paul Valéry war. Google und ich sind nach acht Seiten Roland Barthes so unzertrennlich, dass wir bald zusammen bei Ikea einkaufen gehen. Valéry war ebenfalls ein Französisch Schriftsteller, was euch wahrscheinlich wenig überrascht. Er stand wohl anfangs den Symbolisten nahe. Doch seine späteren Werke werden als „reine Poesie“ bezeichnet, sie verzichten auf die Darstellung von Gefühlen und äußerer Realität. Stattdessen streben sie formale Vollendung an. Es ist leicht zu sehen, dass hier nicht viel Raum für die Frage „Was will uns der Autor damit sagen?“ bleibt.

Als französischer Philosoph und Literaturwissenschaftler kommt Roland Barthes natürlich nicht an Marcel Proust vorbei. Und das stellt ihn vor ein argumentatives Problem, denn „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ gilt wohl als Paradebeispiel für einen autobiografisch geprägten Roman. Plötzlich steht also der Autor wieder im Fokus. Doch Barthes leugnet das mit einem Twist, der unerwarteter kommt als der in Parasite: In Prousts Epos verwische die Beziehung zwischen dem Schriftsteller und seinen Figuren. Der Erzähler sei nicht der, der empfunden hat, nicht einmal der der schreibt, sondern der, der schreiben wird. Joa, ich lass das einfach mal so stehen, da ich die Bücher nicht gelesen habe und mir diesmal sogar der Wikipedia-Artikel zu lang ist. Doch dann wird es wieder spannend, denn Barthes schreibt:

Nicht Charlus imitiert Montesquiou sondern Montesquiou ist in seiner anekdotischen, historischen Wirklichkeit ein sekundäres, aus Charlus abgeleitetes Fragment.

Wissta bscheid! Robert de Montesquiou war ein Schriftsteller, der nicht zuletzt dadurch bekannt wurde, dass er als Vorbild für die Figur des Charlus aus „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ fungierte. Was Barthes hier wohl sagen will, ist, dass wir uns die historische Person des Montesquiou nur über die Romanfigur erschließen können. Dass, was wir glauben, über Montesquiou zu wissen, wir letztlich nur aus Charlus ableiten können. Die literarische Figur hat das Primat.

In seinem historischen Abriss wendet sich Barthes als nächstes dem Surrealismus zu und urteilt: In diesem habe die Sprache keinen souveränen Stellenwert. Okay, das kam jetzt unerwartet wie der Tod von Snoke in Episode 8. WER WAR DENN NUN DIESER SNOKE?!?! Tschuldigung. Barthes sagt, die Sprache ist ein System und die romantische Bewegung des Surrealismus versuchte, dieses zu untergraben. Doch Barthes meint, dass das illusorisch sei, denn Code kann nicht zerstört, nur „gespielt“ werden. Ah, hier scheint die strukturalistische Schule des Franzosen durch. Der Strukturalismus ist eine ursprünglich sprachwissenschaftliche Strömung, die sich auf viele weitere Kulturwissenschaften ausdehnte. Ihr Begründer war Ferdinand de Saussure und die Grundidee ist, dass sich Bedeutung erst in einem System aus der Differenz zu anderen Bedeutungseinheiten auftut. Beispielsweise können wir nur sagen, was Rot ist, wenn wir wissen, was die Alternativen sind. Sind sie Grün und Blau, wird unsere Antwort anders ausfallen, als wenn wir ein System haben, in dem wir uns zwischen Rot, Weinrot, Zinnober, Purpur und Orange entscheiden müssen. Worauf Barthes hier abzielt, ist, dass du dem System nicht entkommen kannst. Selbst wenn du versuchst ganz neue, revolutionäre Verwendungsweisen von Sprache zu etablieren,  werden diese zwangsläufig nur in Differenz zu dem, was sie nicht sind, Bedeutung erhalten und so letztlich wieder Teil des Systems. Doch auch, wenn dieser Versuch des Surrealismus  gescheitert ist, so trug aber dazu bei, das Bild eines Autors zu profanisieren, diagnostiziert Barthes. Der Surrealismus empfahl, erwartete Bedeutung zu unterlaufen. Mit der Technik des automatischen Schreibens ignorierte die Hand den Kopf. Und das Schreiben zu zweit oder zu dritt trug dazu bei. So, so, interessant …

Da er schon beim Strukturalismus ist, kann Barthes gleich mit der Linguistik fortfahren: Diese trug ebenfalls dazu bei, den Autor zu zerstören, indem sie klarmachte, dass das Ich keine Person, sondern ein grammatisches Subjekt ist. Frei nach Wittgenstein könnte man hier ergänzen, dass Descartes Satz „Ich denke, also bin ich“ Nicht die Existenz des Ichs beweist, sondern dass die Notwendigkeit eines grammatischen Subjekts für das Prädikat „denken“ bewiesen wird. Ich habe in meinem philosophischen Adventskalender darüber geredet. Ihr findet das in der Folge zu „Cogito ergo sum“.

Schreiben ist eine flüchtige Performanz

Im 4. Abschnitt stellt Barthes die These auf, dass die Entfernung des Autors gleichbedeutend ist mit Verfremdung im Sinne Brechts. Bertold Brecht war nicht nur ein lustiger kleiner Mann mit Mütze. Er machte strange Theaterstücke. Brecht verfremdete dabei das Schauspiel absichtlich, um es als Schauspiel für das Publikum erkennbar zu machen. Er richtete also die Aufmerksamkeit auf die Bedingungen des Mediums, um so sein Publikum in die Lage zu versetzen, über das Medium zu reflektieren. Man kann leicht sehen, dass Ähnliches mit dem Text passiert, sobald ich aufhöre, ihn einfach als die Stimme des Autors zu verstehen. Denn dann muss ich anfangen, mir Gedanken zu machen, wie anders der Text denn Bedeutung erlangt.

Während klassisch der Autor als zeitlich vor dem Text betrachtet wurde, wie ein Vater zu seinem Kind. Entsteht der moderne Schreiber zeitgleich mit seinem Text, fährt Barthes fort.

 Er besitzt kein Sein, das vor oder über seinem Buch wäre. Er ist nicht das Subjekt, dessen Prädikat das Buch ist. Es gibt keine andere Zeit als die der Äußerung, und jeder Text ist ewig hier und jetzt geschrieben.

Das klingt ein bisschen, wie ein Song aus Frozen 2. Es ist aber ein Gedanke, den ich gut nachvollziehen kann. Ich habe ihnim Zusammenhang mit Platon schon geäußert: Ich kann Platon philosophiegeschichtlich betrachten als ein Produkt seiner Zeit. Dann kann ich mir Gedanken machen, wie er auf die Ideen kommen konnte, die er hatte. Aber das ist keine philosophische Betrachtung im eigentlichen Sinne. Wenn ich mich für Platons Philosophie interessiere, dann frage ich mich, was seine Texte zu den philosophischen Problemen unserer Zeit beitragen können. Wie ich sie verstehe und nicht wie Platon sie gemeint hat.

Als Nächstes nimmt Barthes Bezug auf die Sprechakttheorie insbesondere auf die von John L. Austin.

Schreiben ist ein Performativ. Eine seltene, verbale Form der Äußerung, die keinen anderen Inhalt besitzt als den Sprechakt selbst,

sagt Barthes. Austin unterscheidet in seiner Theorie der Sprechakte zunächst zwischen Konstativa und Performativa. Die Philosophie hat sich traditionell nur für erstere interessiert, die klassischen Aussagen über die Welt. Austin hingegen kümmert sich um die Performativa: Sprechakte, die eine Handlung darstellen. Etwa ein Versprechen geben, oder das Urteil eines Richters. Ws ist spannend, dass Barthes den Akt des Schreibens dazuzählt. Denn das Ergebnis, der Text ist im Normalfall wahrscheinlich das Paradebeispiel für ein Konstativum. Doch durch die Hervorhebung, dass das Schreiben eine Performanz ist, macht Barthes klar, dass der Akt etwas flüchtiges ist, das nur im Moment des Schreibens existiert. So wie ein Tanz nur in dem Moment existiert, in dem er ausgeführt wird. Folglich fährt Barthes fort:

Der moderne Schreiber kann nicht glauben, dass seine Hand zu langsam für sein Denken oder Fühlen sei. Sodass er nachträglich sein Werk kommentieren müsse.

Man merkt, dass der Text aus einer Zeit stammt, in der es Social Media noch nicht gab. Ich schaue dich an, J. K. Rowling. Und dich George R. R. Martin! Allerdings ist das Argument gut: Das Schreiben ist eine Handlung. Das Ergebnis dieser Handlung ist der Text. Die Idee, dass der Text selbst nicht ausreiche, sondern zu interpretieren sei, indem man sich um die Gedanken des Autors kümmert, ist unter diesem Aspekt fragwürdig. Man stelle sich vor, jedesmal wenn ein Richter jemanden zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, müssten wir uns zunächst überlegen: Wie hat er das gemeint? Oder stellt euch vor, ich verspreche euch, nie wieder über Heidegger zu lästern – was ich nicht tue – und wenn ich dieses Versprechen breche, sage ich dann: Aber meine Intention war eine ganz andere! Austin selbst bringt das Beispiel, am Grab sein Beileid auszudrücken. Bei dieser Handlung ist es vollkommen egal, ob ich mich wirklich schlecht fühle oder dies nur sage, um den Hinterbliebenen irgendwas zu sagen. Die Handlung selbst bringt zum Ausdruck, was sie bedeutet.

Auch das Nächste, was Barthes schreibt, ist wieder spannend, denn er lenkt unsere Aufmerksamkeit wieder auf die medialen Bedingungen, die sich bei Rede und Text unterscheiden:

Die Hand zieht mit der Geste der Einschreibung ein Feld, das von der Stimme gelöst ist, das keinem Ursprung hat, zumindest keinen anderen als die Sprache selbst.

Während ich einem Sprecher Fragen stellen kann, muss der Text für sich alleine stehen. Dass ich überhaupt die Möglichkeit habe, den Autor zu fragen, wie er etwas gemeint hat, stellt beim Lesen die absolute Ausnahme dar und nicht die Regel. Der Autor kann im Normalfall nicht erläutern, was seine Intention war. Ich als Leser muss mir die Bedeutung selbst erschließen.

Everything is a Remix

Den 5. Absatz beginn Barthes mit:

Der Text ist nicht bloß eine Wortzeile, die nur dem Zweck dient, die Botschaft des Autors freizusetzen. Der Text ist stattdessen ein mehrdimensionaler Raum, in dem vielfältige Schreibweisen miteinander harmonieren und ringen. Keine davon ist vorrangig. Der Text ist ein Geflecht von Zitaten, die aus den Tausend Brennpunkten der Kultur stammen.

Im Studium habe ich die schöne Formulierung gelernt, dass der Autor nur ein Interpret seines Werkes ist, aber nicht der vorrangige. Wenn Beispielsweise Shakespeare über Liebe schreibt, dann basiert das auf einem Konzept der Liebe aus dem 16. Jh. Wenn ich das im 21. Jh. lese, bringe ich zwangsläufig ein ganz anderes Konzept der Liebe in den Text ein. Warum sollte die Idee, die Shakespeare von Liebe hatte vorrangig sein? Und wenn sie es ist, warum sollte ich den Text dann heute überhaupt noch lesen? Sind es nicht gerade die Texte, die zeitlos sind, welche wir als besonders wertvoll betrachten? Also gerade nicht diejenigen, die auf die konkreten Gedanken und Gefühle nur eines einzigen Menschen, der Autorin Bezug nehmen?

Barthes sagt, der Autor gleiche Bouvard und Pécuchet. Das sind die zwei Protagonisten des gleichnamigen unvollendeten Schelmenroman von Gustave Flaubert. Worauf Barthes anspielt, ist, dass die beiden Kopisten sind. Bevor es Kopierer gab, mussten Texte von Hand kopiert werden, das war der Job von Kopisten. Und der Autor, so Barthes, ist letztlich auch nur ein Kopist.

Der Schriftsteller kann nur eine frühere, aber niemals eine ursprüngliche Geste nachahmen. Seine einzige Macht besteht darin, frühere Schreibweisen zu mischen.

Das ist die „Everything is a Remix“-These, demnach gibt es keine genuine Originalität. Sondern alles, was wir kulturell erschaffen, ist letztlich durch Vorhergehendes beeinflusst. Als wären wir alle mitteltalentierte Rapper, können wir zwar kreativ neu zusammensetzen, aber nicht neu aus dem Nichts erschaffen. Wenn ihr wüsstet, bei wem ich überall für dieses Video geklaut habe, ihr wärt sehr enttäuscht von mir. Barthes fährt fort:

Sein Inneres kann der Autor nur insofern ausdrücken, wenn er sich bewusst ist, dass sein Inneres selbst ein zusammengesetztes Wörterbuch ist, dessen Wörter sich nur durch andere Wörter erklären lassen, und dies ad infinitum.

Das ist wieder Wittgenstein in Reinform. In seinem berühmten Privatsprachenargument legt er unter anderem dar, dass innere Zustände immer erst in sozialem Kontext gelernt werden müssen. Meinen inneren Schmerz kann ich erst benennen, wenn ich gelernt habe, was äußerer Schmerz ist. Das habe ich als Kleinkind gelernt, indem meine Eltern auf meine Verhaltensweisen mit dem Wort „Schmerz“ reagiert haben. Erst Jahre später kann ich ein deprimierter Teenager werden. Der Autor steht selbstverständlich ebenso in einem solchen sozialen Kontext.

Dann kommen zwei Verweise auf Baudelaires „die künstlichen Paradiese“ und auf Thomas De Quincey, die sich mir nicht erschließen. Wenn ihr die erklären könnt, macht das gerne in den Kommentaren. Ich kann an dieser Stelle nur lächeln und winken. Barthes schließt den Abschnitt mit:

Der Schreiber, der Nachfolger des Autors hat keine Leidenschaften, Stimmungen, Gefühle oder Eindrücke mehr in sich, sondern jenes gewaltige Wörterbuch, aus dem er ein Schreiben schöpft, das keinen Stillstand kennen kann.

Das fasst noch einmal die vorhergehenden Thesen zusammen. Nicht die inneren Zustände der Schreibenden sind entscheidend. Sondern die Worte. Denn wie sollten wir auf diese inneren Zustände zugreifen? Letztlich geht das nur sprachlich. Aber die Sprache liegt uns in Form des Textes ja bereits vor. Und weiter noch: Sowohl die Interpretationsmöglichkeiten des Textes als auch die Autorin haben sich seit dem Schreiben weiterentwickelt, sie kennen keinen Stillstand.

Das Leben imitiert immer nur das Buch,

so Barthes.

Das Buch ist selbst nur ein Geflecht aus Zeichen, verlorene, endlos aufgeschobene Imitationen.

Er beschwört also noch einmal, dass es dem Medium immanent ist, dass der Text für sich selbst stehen muss und dass jedes neue Werk immer schon Inspirationsquellen hatte. Mal größere Inspirationsquellen und mal kleinere, möchte ich süffisant zur Spiegelbestsellerliste rüberschielend hinzufügen.

Was bleibt, wenn der Autor tot ist?

In Abschnitt 6 ist der Autor nun bereits zu Grabe getragen und Barthes stellt sich der Frage, was danach kommt:

Ist der Autor entfernt, wird der Anspruch, einen Text zu entziffern, völlig überflüssig.

Echt jetzt? Das schreibst ausgerechnet du? Hast du mal deine eigenen Texte gelesen? Ich meine, ich liebe sie, aber wenn man etwas entziffern muss, dann diesen Text! Anyway … Barthes fährt fort: Wenn man sagt, ein Text habe einen Autor, dann riegelt man ihn ab, versieht ihn mit einem letzten Signifikat. Damit verweist er wieder auf seine strukturalistische Tradition, insbesondere auf Saussure, den Gründer des Strukturalismus. Signifikat ist die Inhaltsseite, die Bedeutung eines Zeichens. Signifikant hingegen ist die Ausdrucksseite, die Zeichengestalt. Die Frage, was die Bedeutung ist, ist natürlich immer die entscheidende, bei einer Analyse. Und sie zu beantworten ist schwerer als einen Film von David Lynch zu verstehen. Wenn man jetzt sagt, die Bedeutung eines Textes ist die Intention des Autors, dann macht man es sich bei dieser schwierigen Frage sehr einfach.Das diagnostiziert auch Barthes, wenn er schreibt:

Der Buchkritik passt das sehr gut, die es sich zur Aufgabe macht, hinter dem Werk den Autor zu entdecken oder seine Hypostasen: die Gesellschaft, die Geschichte, die Psyche, die Freiheit.

Da frage ich mal ganz eloquent: Hä? Hypo-was? Hypostasen sind verschiedene Gesichtspunkte der gleichen Sache. Danke Wikipedia, was würde ich nur ohne dich machen! Unter diesem Gesichtspunkt ist der Satz ein ziemlich hemdsärmeliges draufschlagen von Barthes auf alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Ich kann verstehen, wenn er den Autor zu Grabe tragen möchte, seine Argumente bis hierhin erschlossen sich mir, die Psyche schenke ich ihm auch noch. Aber Gesellschaft und Geschichte? Das ist doch ein Widerspruch zu seiner „Everything is a Remix“-These weiter oben im Text. Denn wovon sollen denn Texte Remix sein, wenn nicht von anderen Texten, die wiederum Teil von Gesellschaft und Geschichte sind. Was es wiederum heißen soll, dass die Buchkritik hinter dem Werk die Freiheit entdecken will, erschließt sich mir überhaupt nicht. Ein weiteres Mal stehe ich hier, ich armer Tor und bin so schlau als wie zuvor.

Schauen wir mal weiter. Barthes greift nun die Autorität der Literaturkritik an:

Ist der Autor gefunden, dann ist der Text erklärt und der Kritiker hat gesiegt. Daher ist historisch mit der Herrschaft des Autors auch die  des Kritikers verbunden. Und mit  dem Autor gerät auch der Kritiker ins Wanken.

Wenn es keine letztendlich gültige Interpretation mehr gibt, weil die Autorität des Autors sie nicht mehr abnicken kann, dann gerät damit auch die Stellung des Kritikers ins Wanken. Was mir zunächst kontraintuitiv erscheint, macht aber vielleicht doch Sinn, wenn ich mir die Entwicklung der Filmkritik ansehe, denn sie geht immer weiter weg von einem kleinen Kreis von Kritikern, die in Feuilletons über einen Film urteilen, hin zu einem vielstimmigen Chor aus Bloggern, Podcasterinnen, Youtuberinnen und Fans, die Filme kritisieren und interpretieren und dabei ganz eigene Beurteilungsschemata anlegen. Die Frage ist, für was davon ist der tote Autor verantwortlich und wie viel geht auf das Konto des Internets? Barthes sah die Entwicklung aber voraus, als er schrieb:

Indem die Literatur oder das Schreiben sich weigert dem Text (und der Welt als Text) ein Geheimnis, einen letzten Sinn, zuzuweisen, setzt sie eine Tätigkeit frei, die man als kontratheologisch oder revolutionär bezeichnen kann.

Und:

Die Weigerung den Sinn festzulegen, ist gleichbedeutend mit der Ablehnung Gottes und seiner Hypostasen Vernunft, Wissenschaft, Gesetz.

Ah, da sind sie wieder, die Hypostasen. Das sind große Worte und der Strukturalist wirkt hier schon sehr poststrukturalistisch. Aber inhaltlich hat er einen Punkt: In unserer atheistischen, Post-vernünftigen und mit Verschwörungstheorien und Esoterik flirtenden Zeit sind uns so manche ehemals gewisse Autoritäten abhanden gekommen. Man möchte fast den Autor wieder exhumieren.

Die Geburt des Lesers

Kommen wir zum letzten Absatz und kehren in ihm mit Barthes zu Balsacs Satz am Anfang zurück. Wer sagte ihn denn jetzt? Barthes schließt:

Niemand, keine Person sagt ihn. Sein Ursprung liegt im Lesen nicht im Schreiben.

Die lesende Person selbst muss sich also erschließen, was dieser Satz zu bedeuten hat. Barthes schreibt, dass der Altphilologe Jean-Pierre Vernant gesagt habe:

Die griechische Tragödie ist konstitutiv doppelsinnig. Ihr Text ist aus doppeldeutigen Worten gesponnen, die jede Figur einseitig versteht. Dieses ständige Missverstehen ist das Tragische. Es gibt aber jemanden, der die Doppeldeutigkeit versteht und das Missverstehen der Figuren: der Leser.

Mit anderen Worten, schon in der Antike lag die Autorität gar nicht beim Autor sondern bei der Leserin eines Textes. Barthes fast zusammen:

 Der Text besteht aus vielfachen, mehreren Kulturen entstammenden Schreibweisen, die untereinander in einen Dialog, eine Parodie, ein Gefecht eintreten. Der Ort, der diese Vielfalt sammelt, ist nicht der Autor sondern der Leser. Die Einheitlichkeit des Textes liegt nicht an seinem Ursprung sondern an seinem Bestimmungsort. Aber dieser Bestimmungsort kann nicht mehr personal sein.

Okay Boomer, aber warum jetzt noch gleich?

Der Leser ist ein Mensch ohne Geschichte, Biographie, Psychologie. Ein jemand, der alle Spuren zusammenhält, aus denen das Geschriebene besteht.

Ähm, erschließt sich mir jetzt nicht 100%-ig ich bin Leser und habe all das. Ich vermute eher, dass Barthes darauf hinaus will, dass es viele verschiedene Leserinnen gibt, die alle verschiedene Geschichten, Biographien, Psychologien haben. Somit gibt es am Ende auch viele verschiedene Signifikate des Textes und nicht mehr die eine kanonische Interpretation, die auf den Autor zurückzuführen ist. Auch bin ich notwendig beim Lesen immer an einem ganz bestimmten Zeitpunkt in meiner Geschichte, Biografie und Psychologie. Wenn ich heute noch einmal die weirde Kindersex-Stelle in Steven Kings ‚Es‘ lesen würde, würde sie für mich mit Sicherheit eine ganz andere Bedeutung haben als für mein 12-Jähriges Ich. So kann ich mir da zumindest einen Reim draus machen und dann auch mit Barthes zusammen schließen:

Die Geburt des Lesers muss mit dem Tod des Autors bezahlt werden.

Das war er! Der berühmte Essay über den Tod des Autors, vielleicht seid ihr jetzt in eurer Urteilsfindung ein Stück weiter, ob sich das Werk vom Autor trennen lässt. Ich möchte euch abschließend noch mit auf den Weg geben, dass ich hier gerade über weite Strecken versucht habe, die Frage zu beantworten, was uns der Autor Roland Barthes mit seinem Text eigentlich sagen will. Vielleicht habe ich aber auch beim Schreiben die Bedeutung des Textes überhaupt erst erzeugt. Und ihr erzeugt gerade beim Lesen eine ganz andere. Denkt mal darüber nach …

Platons Sprachphilosophie

Meine Platon-Reihe nähert sich nun wirklich ihrem Ende. Bevor ich noch einmal abschließend zurück- und dann nach vorne blicke, wenden wir uns noch Platons Ansichten zu Sprache und Schrift zu. Beginnen werde ich heute mit Platons Sprachphilosophie. Entweder im Video oder darunter in Schriftform

Mir ist klar, dass der Spruch nach nunmehr 30 Folgen einfach nur noch nervt, dennoch: Auch in der Sprachphilosophie war Platon bahnbrechend. Allerdings hat er definitiv die falschen Antworten gegeben, seine Sprachphilosophie war in etwa so sinnvoll wie die Strategie der Bundesregierung zum Breitbandausbau. Aber Platon hat doch – was nicht zu unterschätzen ist – die richtigen Fragen gestellt und so die Sprachphilosophie erfunden, aus der später dann die Sprachwissenschaft hervorging.

Der entscheidende Dialog für Platons Sprachphilosophie ist der ‚Kratylos‘ und er beschäftigt sich dort mit der Ur-Frage, die diese Disziplin umtreiben sollte, bis Ferdinand de Saussure sie wohl abschließend beantwortete: Ist die Bedeutung von Wörtern rein konventionell, also von Menschen gemacht, oder gibt es natürliche Bedeutungen?

Da die Theorien, die Platon uns unterbreitet, in etwa so unzutreffend sind, wie die These, dass das Dschungelcamp eine gute Fernsehshow ist, werde ich nicht darauf eingehen. Aber ich werde euch erzählen, welche Themen allesamt angerissen werden. Blicken wir in den Text!

Arbiträre Bedeutung und Wahrheit von Sätzen

Die erste, wichtige Erkenntnis im Kratylos ist, dass die Bedeutung von Wörtern nicht in gleicher weise konventionell sein kann wie andere Konventionen, zum Beispiel die von Markennamen. Ich kann meine Marke nennen, wie es mir passt und ich kann den Namen sogar ändern, wenn ich Spaß daran habe und aus Raider Twix machen. Aber gleiches kann ich, wenn ich verstanden werden will, nicht mit einem Wort wie „Haus“ machen. Wir können heute mit Sicherheit sagen, dass die Bedeutung von Wörtern konventionell oder besser arbiträr ist, wie die Sprachwissenschaft sagt. Aber sie ist nicht willkürlich.

Der nächste Punkt führt uns zurück zum Verhältnis vom Ganzen zu seinen Teilen. Eine Frage, die Platon wiederholt beschäftigte: Wir rissen sie schon einmal in der Folge zum Sinn des Lebens an und im Zusammenhang mit der Frage, was Wissen ist, hatten wir gesagt, dass das Ganze nur wahr sein kann, wenn auch seine Teile wahr sind.

Platon will diese These von der Wahrheit vom Ganzen und seinen Teilen hier auch für Sätze und Wörter geltend machen. Das ist allerdings kompletter Bullshit. Ungefähr so hanebüchen wie zu behaupten, dass der Klimawandel nicht menschengemachten ist, obwohl all unsere Messdaten das Gegenteil sagen. Der Satz „Der aktuelle Klimawandel ist nicht von Menschen gemacht“ ist falsch. Aber die darin vorkommenden Wörter wie zum Beispiel „Klimawandel“ oder „Menschen“ sind deshalb nicht falsch. Die Rede von falschen Wörtern ist komplett unangebracht. Aber auch diese falsche These hatte etwas Gutes an sich: Sie war der Ausgangspunkt für Aristoteles, Platons Schüler, ein für alle Mal zu klären, was denn überhaupt die kleinste Einheit ist, die wahr oder falsch sein kann. Und die Antwort lautet: Der Satz.

Verschiedene Sprachen und treffende Wörter

Weiter stellt sich Platon die Frage, wie es denn sein kann, dass es verschiedene Sprachen gibt. Wörter dienen doch dazu „das Wesen von Dingen zu bezeichnen“, wie er es nennt. Wie können denn zwei verschiedene Wörter das gleiche Ding bezeichnen? Platon gibt auf diese Frage eine schön links-grün-versiffte Multi-Kulti-Antwort. Um die Existenz verschiedener Sprachen zu erklären, benutzt er die Werkzeug-Metapher für die Sprache, die zum Beispiel auch Ludwig Wittgenstein später oft verwenden sollte: Demnach sind Wörter wie Werkzeuge. Und dass es verschiedene Sprachen gibt, braucht uns nicht zu wundern, man kann ja auch Werkzeuge aus verschiedenen Materialien und auf verschiedene Art und Weise herstellen. Dennoch erfüllen sie den gleichen Zweck.

Der nächste Punkt, der angerissen wird, ist die Frage, ob es treffendere Wörter gibt und solche, die weniger geeignet sind, um die Dinge zu bezeichnen. Auch hier stecken zwei Aspekte drin, die so wegweisend sind wie Google bei der Suche im Internet. Zum einen wird hier die Fixierung auf die Benennungsfunktion der Sprache sichtbar, die sich auch bis ins 20. Jahrhundert fortsetzen sollte. Die Sprachphilosophie kümmerte sich lange nur darum, wie genau das Verhältnis von Sprache und den Dingen ist, die sie benennt. Erst so Philosophen wie Wittgenstein, Austin und Searle setzten dieser verengte Perspektiveiv ein Ende und fingen an, sich mit anderen Funktionen von Sprache auseinanderzusetzen. Aber der zweite spannende Aspekt ist, ob die Wörter im Besonderen und die Sprache im Allgemeinen sich verbessern lässt, um die Welt besser darzustellen.

Taxonomie und Idealsprache

Dies ist ein Gedanke, der sich auf die Taxonomien der Wissenschaften ausgewirkt hat. Zum Beispiel lauten die Fachbezeichnungen für Tiger und Löwen: Panthera tigris und Panthera leo. Das sind fraglos geeignetere Namen als unsere umganssprachlichen, da durch sie schon die Verwandtschaft der Großkatzen klar wird.

Neben den Taxonomien war das Projekt der Idealsprache in der analytischen Philosophie des ausgehenden 19. Jahrhunderts und des frühen 20. Jahrhunderts ein Versuch, eine geeignetere Sprache zu erzeugen und so die Welt besser abzubilden. Und aus diesem Projekt ging die Formale Logik hervor, die wiederum zur Grundlage aller Programmiersprachen und somit des Computerzeitalters wurde. Ohne Platon gäbe es also kein iPhone!

Etymologie und Onomatopoetika

Im Kratylos beginnt Platon weiterhin mit der Etymologie, also der Untersuchung der ursprünglichen Bedeutung von Wörtern, dies wurde in Form der Philologien zur nerdigsten aller Teildisziplinen der Sprachwissenschaft. Genauso streift Platon das Phänomen der Onomatopoetika – einem spannenden Grenzfall sprachlicher Laute. Wie gesagt, gehen wir heute davon aus, dass Sprache arbiträr ist, es also keine natürliche Bedeutung gibt, sondern diese menschengemacht ist. Aber Onomatopoetika scheinen ihre Bedeutung aufgrund von Ähnlichkeiten zu bekommen: Der Schrei des Hahns wird mir „Kikeriki“ bezeichnet, „weil es sich eben so anhört“. Zugleich hört er sich in verschiedenen Sprachen anscheinend unterschiedlich an. Englische Hähne schreien demnach „cock-a-doodle-doo“ und portugiesische „cocorocó“!

Linguistic Turn

Und zu guter letzt stellt Platon die Frage, die später, im 20. Jahrhundert zum sogenannten Linguistic Turn der Philosophie führen sollte: Stellt die Sprache die Welt richtig dar? Der Linguistic Turn, der oft falsch mit „Linguistische Wende der Philosophie“ übersetzt wird und der eigentlich die Sprachkritische Wende der Philosophie ist, ist eine große Strömung in der Philosophie, die besagt: Dass unsere Sprache die Welt nicht nur abbildet sondern unsere Wahrnehmung von der Welt entscheidend prägt. Es ist die heute größte und wichtigste Strömung der Philosophie und auch sie findet letztlich ihren Ausgangspunkt bei Platon. Wir sind eben alles nur Fußnoten.

Wenn Philosophen wie Nerds wären…

Neulich in einem Epistemologie-Support-Forum …

WillardvOQ: „Hallo Leute, ich habe da ein Problem mit der Sprache, ich wollte mal fragen, ob wir überhaupt sicher sein können, Bedeutungen richtig zu erfassen, wenn von einer Sprache in die andere übersetzen.“

Post-Structure-Jacques: „Alter, Forensuche benutzen!“

Pythgoras hates beans: „Google ist dein Freund!“

Whitehead: „Read the fucking Platon!!!!“

Höhlenmensch: „Hat jemand meinen Namen gesagt? @WillardvOQ Interessante Frage. Vorher sollten wir aber klären, ob Sprache natürlich oder konventionell ist.“

Cunt: „Welche Version benutzt ihr denn? und welches OS? Wenn ihr das nicht sagt, dann kann man euch schon mal gleich gar nicht helfen!“

Betrand, König von Frankreich:@Cunt: Yo Alter, was ist das denn für eine bekloppte Frage? Es gibt nur eine Version: Formale Logik. Und nur ein OS: Idealsprache. Alles andere kannst du in die Tonne kloppen!“

Ludwig schweigt: „Quatsch Betrand. Normalsprache, von allem anderen holst du dir Beulen!“

GEM: „Ludwig hat Recht!“

Austin (not Texas): „Jep…“

Hidagger: „Die Sprache ist das Haus des Seins.“

TheodorFrankfurt1903: „@Hidagger: Du bist wie Hitler!“

Ari [Moderator]: „Leute, bitte mäßigt euch etwas, sonst muss ich hier ein paar Forumssperren verteilen. Vielleicht könnt ihr euch in der Mitte treffen?“

WillardvOQ: „Ja, vielleicht könnten wir zu meiner Frage zurückkehren? @Cunt: Ich benutze Formale Logik, spiele aber auch oft mal mit normaler Sprache rum.“

Übermensch: „Not my Department! Wahrheit ist eh nur ein bewegliches Heer aus Metaphern!“

Noam: „Alter, du hast eine Universalgrammatik im Kopf, du kannst alles übersetzen!“

Höhlenmensch: „Sehe ich ähnlich.“

Michel Fuckold: „Ficken!“

Ari [Moderator]: „DAS REICHT @Michel Fuckold, DU TROLL!!! Das war schon das dritte Mal in dieser Woche, dein Account ist bist zum nächsten Ersten gesperrt!“

JürgenHabermas123:@ARI: Ich finde, du solltest mit @Michel Fuckold in eine Metadiskurs über eure Kommunikationsbedingungen eintreten.“

R0R7Y:@WillardvOQ: Du kannst dir eh nicht sicher sein, ob deine Worte noch die gleiche Bedeutung wie etwa die von Ari haben.“

Hidagger: „Ich schon, von Etymologie verstehe ich was.“

Post-Structure-Jacques: „ROFL!“

Ari [Moderator]: „So Leute, ich mach hier mal dicht. Doppelter Thread! Wie @Whitehead schon sagte, drüben im Sub-Forum vom Höhlenmensch finden sich schon alle Antworten auf die Fragen hier… CLOSED!“

Kontingenz und Willkür

Ich hatte heute Morgen eine Diskussion auf Twitter mit Christoph Kappes. Hier möchte ich meine Gedanken, die ich heute morgen auf jeweils 140 Zeichen beschränken musste, etwas weiter ausführen.

Alles fing an, mit diesem Text von Anatol Stefanowitsch. In dem „AS, wortstark wie stets“ 😉 gegen das Argument des „inneren Unbehagens“ in der aktuellen Debatte um die Rechte homosexueller Menschen anschrieb. Anatol (ich bleibe hier mal beim Twitter-Du) tat dies aufbrausend und durchaus polemisch, zwei Eigenschaften, die ich an seinen Texten sehr mag, da sie die Lektrüre sehr erfrischend machen. Unter anderem schrieb er dort:

„Ich will Merkel, Matussek, Lewitscharoff und ihren Brüdern und Schwestern im Geiste ihr Unbehagen nicht verbieten. Sie sollen es sogar äußern dürfen – aber bitte dort, wo es hingehört: Gegenüber ihren Gesprächstherapeuten, die ihnen dann helfen können, dieses Unbehagen zu verstehen und hoffentlich eines Tages zu überwinden.“

Das wiederum missfiel Christoph Kappes, der auf Mario Sixtus‘ Tweet:

 

 

Antwortete:  

 

 

Daraufhin antwortete ich Christoph, dass ich Anatols Argument, dass Emotionen nicht als Letztbegründungen dienen können, durchaus plausibel finde und Christoph entgegnete folgendes:

 

 

Woraufhin sich eine Diskussion zwischen Christoph, mir und später auch Julia Schramm entspann. Wer mehr wissen möchte kann das gerne in unserer Timeline nachlesen.

Mir geht es hier darum, etwas ausschweifender zu erläutern, warum Emotionen nicht als Letztbegründung herhalten können. Denn, ich stimme Christoph zwar zu, dass man Matussek und Co. nicht pathologisieren sollte, schon allein weil man ihnen damit auch die Verantwortung für ihre teilweise wirklich menschenverachtenden Äußerungen absprechen würde. Aber, wenn ich hier mal etwas AS-Exegese betreiben darf, dann ist der Kern von Anatols Argument ein anderer. Wenn ich etwas weniger wortgewaltig an das Thema herangehen möchte, würde ich statt „Therapeut“, „Freund“ oder „Ehefrau“ sagen. Denn all diesen Gesprächssituationen ist etwas gemein: Sie sind privat.

Es ist in einem privaten Gespräch vollkommen angebracht, zu sagen, wie man sich fühlt:

 

 

Aber Matussek, Merkel und Lewitscharoff haben etwas anderes getan, als bloß ihre Gefühle artikuliert. Sie haben nicht über Gefühle gesprochen, wie man es tut, wenn man etwa smalltalkt: „Der Sieg der Bayern hat mich begeistert!“, oder wenn man eben mit seinem Therapeuten redet.

Ihre Gefühlsartikulation spielte eine gewisse Rolle im Sprachspiel. Ein schlauer Mann namens John Langshaw Austin hat die sogenannte Sprechakttheorie aus der Wiege gehoben. Nach dieser hat jede Äußerung, die ich von mir gebe, gewissermaßen drei Dimensionen: Lokution, Illokution und Perlokution. Oder etwas weniger „akademisch“ ;-): Der Inhalt der Äußerung, ihre Rolle und ihre angestrebte Wirkung.

Klassisches Beispiel ist die Situation, in der ich abends durch die Wohnung rufe: „Das Essen ist fertig!“. Der Inhalt meiner Äußerung ist, dass ich über einem Ding in der Welt „Essen“ eine Eigenschaft zuschreibe: „fertig sein“. Aber die Rolle meiner Aussage ist eine ganz andere: Ich wollte doch wohl kaum eine Aussage über die Welt tätigen, ich wollte meine Familie zu Tisch rufen. Die Rolle ist also eine Aufforderung, eine Bitte oder – in Familien, wo es etwas ruppiger zugeht – ein Befehl. Die angestrebte Wirkung ist nun natürlich, dass meine Familie sich auch um den Esstisch einfindet.

Wenn also Matussek, Merkel und Co. ihr „Unbehagen“ zum Ausdruck bringen, dann ist das zwar auf der Inhaltsebene (Lokution) eine Gefühls-Artikulation, nicht jedoch auch den anderen beiden Ebenen. Denn sie bezwecken ja etwas mit dieser Gefühls-Artikulation. Die Rolle (Illokution), die sie spielt, ist die eines Arguments. „Homosexualität ist schlecht, weil ich mich dabei schlecht fühle“.

Und die Wirkung, die sie erzielen wollen (Perlokution), ist meines Erachtens zweierlei: An die Stammtische geht ein „Das seht ihr doch auch so!“. Hingegen soll an die Intellektuellen die Botschaft gehen, dass dieses Unwohlsein eine Letztbegründung ist. Ein Lutherisches „Hier stehe ich und kann nicht anders“. Das ist zwar ein beliebtes Argument in der Ethik, aber es ist dennoch vollkommen ungeeignet.

Denn mit Gefühlen kann ich alles Begründen. Ich kann sowohl sagen: „Homosexualität ist falsch, weil sie mir Unbehagen bereitet“, als auch: „Homophobie ist falsch, weil sie mir Unbehagen bereitet!“, oder gar: „Brokkoli ist wider die Natur, weil er meiner Tochter (6) Unbehagen bereitet“.

Aber, wenn ich mit einem Argument alles begründen kann, hat es keinen Wahrheitswert. Es ist dann bloße Willkür, kann somit unmöglich wahr sein. Etwas muss prinzipiell widerlegbar sein, um überhaupt die Möglichkeit zu beinhalten, wahr zu sein. Das ist der berühmte Poppersche Falsifikationsvorbehalt. Und das ist ein Unterschied zu bloßer Kontingenz… Kontin-was?

 

 

In der Logik ist etwas kontingent, das weder notwendig wahr ist, noch unmöglich wahr ist. Das Problem einer jeden Ethik ist nun, dass sie nie notwendig wahr ist, daran ist der Sein-Sollen-Fehlschluss schuld. Letztlich werden wir immer auf die Frage zurückgeworfen: „Wie wollen wir leben?“. Genauso verhält es sich mit der Menschenwürde.

 

 

Deswegen kann ich diese drei Argumente nicht liefern. Aber! Ein dickes, fettes „Aber“ mit Streuseln obendrauf:

Bloß, weil Menschenwürde kontingent ist, ist sie noch lange nicht willkürlich. Menschenwürde ist das Ergebnis eines tausende Jahre alten Diskurses. Menschenwürde ist deshalb in unserem Grundgesetz, weil Sklaverei, Rassismus, Kriege, Revolutionen, Sexismus und Holocaust zuvor passiert sind, alles bloß „zufällige“ Ereignisse, die nicht notwendig hätten stattfinden müssen. Aber nichtsdestotrotz haben sie stattgefunden. Und es war unter dem frischen Eindruck des Holocausts, dass unser Grundgesetz geschrieben wurde und weshalb die Menschenwürde als oberstes Axiom eingesetzt wurde. Deshalb ist Menschenwürde zwar kontingent, aber nicht willkürlich. Zu sagen, dass man die Menschenwürde bestimmten Menschengruppen abspricht, weil man ein schlechtes Gefühl hat, ist hingegen Willkür.

Ich bin raus!

Die Geschichte der Philosophie auf den Punkt gebracht

Neulich stieß ich dank @fxneumann auf diese wunderbare Übersicht über die Geschichte der Philosophie, komprimiert aufs Wesentliche. So toll das ist, so muss ich doch sagen, dass ich für mich einige andere Erkenntnisse aus meinem Philosophiestudium gezogen habe. Daher meine Zusammenfassung der Philosophiegeschichte:

Thales von Milet (624-546 v.Chr.): Die ganze Welt besteht nur aus Wasser!
Anaximenes (585-524 v. Chr.): Luft!
Pythagoras (570-510 v. Chr.): Zahlen!
Heraklit (520-460 v. Chr.): Stimmt nicht: Feuer!
Parmenides (520-455 v. Chr.): Überhaupt habt ihr euch alle nur einen Trip gefahren, denn es gibt keine Veränderung.
Protagoras (490-411 v. Chr.): Nur ich habe recht.
Gorgias: (480–380 v. Chr.): Nichts existiert!
Sokrates (469-399 v. Chr.): Ich weiß von nichts.
Platon (427-347 v. Chr.): Das ist doch logisch. Und im Übrigen suckt die Demokratie gewaltig!
Aristoteles (384-322 v. Chr.): Egal was, nimm immer die Mitte. Und wie hieß noch gleich das Buch im Regal hinter der Physik?
Epikur (341-270 v. Chr.): Ficken! Aber in Maßen…
Augustinus (354-430): Aristoteles hat Recht, also reden wir über Gott. Ach ja, übrigens kann ich mich daran erinnern, wie ich das Sprechen gelernt habe.
Thomas von Aquin (1225-1274): Reden wir noch immer über Gott?
William of Ockham (1288-1347): Wo ist mein Rasiermesser?
Niccolo Macchiavelli (1469-1527): Herr Fürst, Moral ist scheiße!
René Descartes (1596-1650): Der Dämon, von dem ich besessen bin, hat mir gesagt, dass ich existiere.
Thomas Hobbes (1588-1679): Eigentlich sind wir alle Wölfe.
John Locke (1632-1704): Menschen sind von Natur aus brutale Arschlöcher, daher müssen wir ihre Gewalt teilen.
Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716): Unsere Welt ist viel cooler als all die anderen.
George Berkeley (1685-1753): Ich habe hier einen Topf mit heißem Wasser und einen mit kaltem und da stecken wir jetzt unsere Hände rein!
David Hume (1711-1776): Woher soll ich denn wissen, ob morgen die Sonne aufgeht?
Jean-Jacques Rousseau (1712-1778): Lasst uns die Gewalt weiter teilen!
Adam Smith (1723-1790): Die unsichtbare Hand kümmert sich schon darum…
Immanuel Kant (1724-1804): An sich gibt es Dinge, aber ich kann euch nichts darüber sagen. Außerdem darfst du jeden Blödsinn machen, solange du es gut gemeint hast.
Johann Gottfried Herder (1744-1803): Wie sind alle solche Loser. Aber immerhin können wir sprechen.
Jeremy Bentham (1748-1832): Wenn ihr zu dritt in einem Boot sitzt, ist es total okay, wenn zwei den dritten aufessen…
Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831): Ich habe den Weltgeist jetzt wirklich lange genug herumgeschleppt, nimm du ihn mal.
Arthur Schopenhauer (1788-1860): Ey Hegel, dein Geist ist eigentlich ein Wille!
Charles Sanders Peirce (1839-1914): Wenn wir nur lange genug laufen, kommen wir zur letzten Meinung.
Friedrich Nietzsche (1844-1900): Der Stärkste hat Recht!
Gottlob Frege (1848-1925): Der Morgenstern und der Abendstern haben die gleiche Bedeutung aber nicht den gleichen Sinn.
Max Weber (1864-1920): Politik ist vom Teufel besessen.
Bertrand Russell (1872-1970): Es ist mit Sicherheit kein Elefant im Zimmer!
George Edward Moore (1873-1958): Hier ist eine Hand und hier ist eine andere.
Ludwig Wittgenstein (1889-1951): Vom Philosophieren ist mein Käfer schon ganz verbeult.
Martin Heidegger (1889-1976): Das Nichts nichtet!
Erich Fromm (1900-1980): Früher war alles besser.
Hans-Georg Gadamer (1900-2002): Lasst uns im Kreis drehen, bis wir schlauer sind.
Karl Popper (1902-1994): Solange mir keiner das Gegenteil beweist, kann ich aus der Geschichte nichts lernen.
Theodor W. Adorno (1903-1969): Die Aufklärung ist schuld!
Jean-Paul Sartre (1905-1980): Es gibt weder Gott noch Außerirdische.
Hannah Arendt (1906-1975): Die amerikanische Revolution war viel cooler als die französische.
Nelson Goodman (1906-1998): Bilder sind zwar manchmal traurig aber nie ähnlich.
Willard Van Orman Quine (1908-2000): Man kann sich nie sicher sein, was diese Ureinwohner jetzt schon wieder meinen…
John Langshaw Austin (1911-1960): Ich rede am Grab schlecht über den Verstorbenen und ich taufe Pinguine.
John Rawls (1921-2002): Mit kollektiver Amnesie wären wir alle viel nettere Menschen.
Paul Watzlawick (1921-2007): Ich wünschte, ihr würdet wenigstens einmal die Fresse halten!
Karl Otto Apel (1922): Und wenn wir dann alles wissen, werden wir wie Engel.
Michel Foucault (1926-1984): Ficken ist Macht.
Noam Chomsky (1928): Wir haben alle ein Wörterbuch und eine Grammatik im Kopf. Außerdem weigere ich mich Steuern zu zahlen.
Jürgen Habermas (1929): Herrschaften, wir können doch über alles reden!
Jacques Derrida (1930-2004): Versucht bloß nicht, mich zu verstehen…
Richard Rorty (1931-2007): Die Philosophie ist tot.

Das ist die ultimative Erkenntnis, die man aus einem Philosophiestudium ziehen kann. Natürlich könnt ihr zu anderer Erkenntnis gelangt sein, aber dann irrt ihr euch eben…