Judith Butler – Das Unbehagen der Geschlechter (Lesekreis mit Christiane 5)

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Daniel
ist ein Mythos
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Christiane
ist unmarkiert weiblich

Konstituierung des weiblichen Subjekts im männlichen System, Naturalisierung des Subjekts, Naturzustand und Gesellschaftsvertrag als Mythos, Signifiant, Signifié, Intension, Extension, Geschlechtsidentität im Blick von Historie und Intersektionalität

Zusammen mit Christiane Attig lese ich „Das Unbehagen der Geschlechter von Judith Butler. Wir wollen uns zusammen den Text erarbeiten. Nach einer Reaktion auf Feedback setzen wir heute den ersten Abschnitt des ersten Kapitels fort. Butler fragt sich, wie Konstituierung des weiblichen Subjekts in einem männlich gepräkten System möglich ist. They legt dar, dass Frau als Subjekt des Feminismus naturalisiert wird, obwohl der Begriff das Ergebnis von Diskursen ist. Butler geht noch weiter und entlarvt „Naturzustand“ und „Gesellschaftsvertrag“ als Mythen. Zwischen Signifiant, Signifié, Intension und Extension geraten wir etwas ins Schwimmen. Bevor Butler klarmacht, dass Geschlechtsidentität immer im Blick von Historie und Intersektionalität geblidet wird und dass das im Widerspruch zum Universalitätsanspruch des des Feminismus steht. They kündigt bereits an, ein poststrukturalistisches, unmarkiertes Weibliches zu suchen oder den Begriff „Frau“ vollständig aufzugeben.

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Zur weiteren Recherche über Judith Butler

Judith Butler – Das Unbehagen der Geschlechter *
Lars Distelhorst – Judith Butler *
Riki Wilchins – Gender Theory. Eine Einführung *
Butler über BDS und Antisemitismus

 

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Bedeutung

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Daniel
gebraucht die Theorie der Bedeutung

Adventskalender Türchen 2

In diesem Advent präsentiere ich euch einen kleinen philosophischen Adventskalender. Jeden Tag stelle ich einen philosophischen Begriff vor und mache mir ein paar Gedanken dazu.

Heute geht es um Bedeutung.

Platon – Wissen ist Wahrnehmung

Ich möchte mich ab heute dem nächsten großen Block zuwenden und euch von Platons Erkenntnistheorie erzählen. Ihr könnt das als Video angucken oder darunter das Transkript lesen. Wenn ihr Quellenangaben wünscht, fragt mich in den Kommentaren!

Der Dialog Theaitetos

Die beiden wichtigsten Dialoge zu Platons Erkenntnistheorie sind der Menon und der Theaitetos. Ich werde mich zunächst hauptsächlich auf den Theaitetos beziehen, denn in ihm werden einige klassische Probleme der Epistemologie verhandelt, die noch heute relevant sind. Platons These, wie menschliche Erkenntnis möglich ist, findet sich dann allerdings im Menon. Wir kommen dazu …

Der Theaitetos ist ein spannender Dialog, da er einerseits aus Platons Spätwerk stammt, andererseits aber viele Aspekte eines frühen platonischen Dialogs aufweist, so wird hier ein einzelnes Problem untersucht: Die Frage, was Wissen ist. Außerdem endet der Dialog wie viele frühe Werke aporetisch, also mit einem offenen Ende, ohne konkretes Ergebnis.

Der Theaitetos beginnt auch sehr klassisch. Sokrates, der junge Mathematiker Theaitetos und sein Lehrer Theodoros beginnen ein Gespräch, indem Theaitetos gefragt wird, was Wissen ist und erst einmal eine extensionale Antwort gibt. Er zählt also auf, was alles unter den Begriff des Wissens fällt: Zum Beispiel Mathematik, verschiedene Handwerkskünste, Platons Apfelkuchenrezept oder was zur dunklen Seite der Macht führt.

Natürlich wird Theaitetos als nächstes nicht weniger klassisch von Sokrates belehrt, dass es ihm nicht um diese Aufzählung von Beispielen gehe, wenn er eine „Was ist …?“-Frage stellt. Stattdessen geht es ihm um die Intension des Begriffs, seine Bedeutung oder (verkürzt gesprochen) die Definition.

Die erste Definition von Wissen

Nach einigem Hin und Her gibt Theaitetos dann Sokrates und uns Lesern eine erste Definition für Wissen: Wissen ist Wahrnehmung. Und das ist eine wirklich spannende Antwort. Auf den ersten Blick wirkt sie sehr naiv, besonders wenn man bedenkt, dass Theaitetos Mathematiker sein soll. Dass ausgerechnet ein Mathematiker glaubt, Wissen sei Wahrnehmung, interpretiere ich übrigens als einen kleinen Witz von Platon. Ich kann mir richtig gut vorstellen, wie der alte Mann ihn leise kichernd in seine Wachstafel ritzte.

Aber neben einem Scherz ist diese Antwort zugleich die Begründung einer wissenschaftlich-philosophischen Tradition, die über die britischen Philosophen der Neuzeit und den Wiener Kreis bis heute fortgeschrieben wird: den Empirismus. Zwar ist dieser längst über Theaitetos‘ naive Version hinaus und setzt Wahrnehmung und Wissen nicht mehr gleich. Aber die Grundidee, die schon hier im Dialog auftaucht, ist die gleiche geblieben: Auf der Suche nach Erkenntnis müssen wir uns auf das verlassen, was wir wahrnehmen beziehungsweise messen können.

Die Gegenthese ist übrigens der Rationalismus, der wiederum vor allem auf das setzt, was wir denkend erkennen können. Platons oben erwähnter Witz hat die Pointe, dass das Paradebeispiel des Rationalismus‘ immer die Mathematik ist.

Der Mensch ist das Maß aller Dinge

Doch zurück zum Dialog: Sokrates erwidert, dass die These „Wissen ist Wahrnehmung“ seiner Meinung nach das gleiche sagt wie der berühmte Satz des Sophisten Protagoras: „Der Mensch ist das Maß aller Dinge.“ Dieser Satz von Protagoras, den ihr nicht mit Pythagoras verwechseln solltet, ist wiederum so etwas wie der Artikel 1 einer weiteren philosophischen Strömung: des Relativismus. Der Relativismus ist die schlechte philosophische Angewohnheit, immer alles relativieren zu müssen. Echt ey, nie können wir euch eure absoluten Wahrheiten lassen! Also fast nie. Relativ gesehen.

Der Relativismus sagt, es gibt nicht die eine Wahrheit, sondern jede von uns hat ihre eigene kleine Wahrheit je nach Kontext. Das ist eine sehr spannende These, die mir auch äußerst sympathisch ist, und die unglaublich viele Chancen und noch mehr Risiken mit sich bringt. Aber was hat das mit Theaitetos‘ „Wissen ist Wahrnehmung“ zu tun?

Nun, hier steckt der nächste riesige Brocken philosophischer Probleme drin, genauer gesagt die sogenannte Qualia-Debatte. Auch wenn die mitunter eine Qual ist, hat sie mehr mit Qualitäten zu tun. Ihr habt wahrscheinlich noch nie etwas von ihr gehört aber trotzdem kennt ihr sie alle. Denn es handelt sich um die Suche nach der Antwort auf eine der ersten philosophischen Fragen, die sich Menschen als Teenager stellen. Die gleiche Frage, die nachts um drei bekifft in der WG-Küche diskutiert wird: Ist das, was ich als Rot wahrnehme auch für dich rot? Wir nennen es zwar beide so, aber vielleicht sieht dein Rot blau aus. Sokrates bringt hier ein anderes Beispiel: Der Wind, der die eine frieren lässt, ist für die andere eine angenehme Erfrischung.

Wissen ist das Gegenteil von Irrtum

Sokrates fährt fort, indem er Wissen als das Gegenteil von Irrtum definiert. Das ist ziemlich einleuchten, oder? Wenn ich etwas weiß, dann habe ich mich nicht geirrt. Wenn ich mich irre, habe ich kein Wissen. Daraus folgt, dass, wenn Wahrnehmung Wissen ist, dass ich mich dann nicht in einer Wahrnehmung irren kann. Soweit klar?

Bevor Platon mit der Prüfung dieser These beginnt, schweift er dann erst noch einmal kräftig ab und lässt Sokrates viel Zeug über Werden und Gleichbleiben schwafeln, das ich in etwa so spannend finde wie die zweite Staffel von The Wire, sodass ich es hier einfach ganz dreist weglasse.

Als Platon Sokrates wieder auf Spur gebracht hat, lässt er ihn Argumente gegen die These liefern, dass man sich in seinen Wahrnehmungen nicht täuschen kann. Im Traum wisse man zum Beispiel nicht, dass man träume, glaubt aber wahrzunehmen. Meine Wahrnehmung ist also ein Irrtum. Auch Menschen mit Psychosen glauben, Wahrnehmungen zu haben, die aber objektiv betrachtet nicht da sind. Und im kleinere Maßstab hatten wir alle schon mal eine Halluzination und glaubten etwa, etwas zu riechen, wovon in Wirklichkeit kein Duft in der Luft lag. Entsprechend gibt es durchaus diverse Möglichkeiten, sich in seinen Wahrnehmungen zu irren. Soweit ist das klar, oder?

Zurück zum Relativismus

Aber waren wir nicht vorhin noch beim Relativismus und haben diesen dann ganz schamlos bei Seite liegen lassen? Keine Sorge: Für das nächste Argument gegen die These, dass Wahrnehmung Wissen ist, schlägt Sokrates den Bogen zurück zu Protagoras. Wenn Wissen Wahrnehmung ist, die wahrgenommene Welt jedem anders erscheint und obendrein das auch noch richtig und wichtig ist, wie die Bundesregierung sagen würde, dann folgt daraus, dass ich von niemandem sagen kann, dass sie mehr Wissen als eine andere habe.

Das ganze läuft dann nämlich ab wie eine Diskussion auf Facebook: Ich sage, es gibt keine Chemtrails, ich sehe bloß Kondensstreifen. Aber mein Widersacher, nennen wir ihn mal Aluhutträger1984, entgegnet einfach: Das ist falsch, ich sehe doch den Unterschied zwischen normalen Kondensstreifen und gefährlichen Chemtrails. Wenn also Wissen gleich Wahrnehmung wäre, dann ließe sich nicht entscheiden, wer von uns beiden Recht hat. Wir hätten beide Recht, schließlich nehmen wir das ja wahr.

Fremde Sprachen hören und verstehen

Sokrates gibt ein weiteres Beispiel gegen die „Wissen ist Wahrnehmung“-These: Wenn ich eine mir unverständliche Fremdsprache höre oder lese, dann nehme ich sie wahr, aber ich weiß nicht, was sie bedeutet. Theaitetos wendet ein, dass man da unterscheiden müsse: Ich weiß nämlich noch immer etwas – den Klang, bloß seine Bedeutung nicht.

Puh, die Frage ist, ob wir hier wirklich noch von Wissen sprechen können. Denn – vielleicht kennt ihr das Phänomen – wenn ich einen Film auf Englisch sehe und die Menschen sprechen da schnell und womöglich sogar Slang, und wenn ich dann  irgendwann den Faden verliere, dann ist es mir nicht einmal mehr möglich, Wortgrenzen herauszuhören. Erst wenn ich wieder ein mir bekanntes Wort gehört habe, beginnt die Sprache wieder Struktur für mich auszubilden, davor war sie nur Rauschen und ich würde nicht sagen, dass das Wissen ist. Wenn ich mich nachts auf meinen Balkon stelle und Frankfurt rauschen höre, sage ich ja auch nicht, dass ich dadurch Wissen von der Stadt habe.

Theaitetos macht hier den Fehler, zu glauben, dass Hören und Interpretieren zwei getrennte Dinge sind. Aber unser Gehirn strukturiert das, was wir Hören schon vor. Im Studium habe ich zum Beispiel mal gehört, dass es im Finnischen einen Laut zwischen *ü* und *i* gibt, den wir Deutsche nicht hören und entsprechend auch nicht sprechen können. Denn unser Gehirn presst das Geräusch immer in eine der beiden schon existierenden Schubladen, nur so ist Spracherkennung überhaupt möglich. Aber selbst wenn es anders wäre, wäre es äußerst fragwürdig, ob man Hören ohne Interpretation wirklich Wissen nennen könnte.

Der performative Widerspruch

Obwohl die Sache für mich schon längst geritzt ist, hört Sokrates nicht auf, auf der naiven These des armen Theaitetos herumzuhacken und das auch noch ziemlich kleinlich: Wenn ich etwas sehe, dann weiß ich, wie es aussieht. Wenn ich mich später daran erinnere, weiß ich das noch immer, ohne jedoch eine Wahrnehmung zu haben. Dieses Argument geht wirklich nur auf, wenn man die engste und naivste Auslegung von Theaitetos‘ These wählt.

Deswegen lassen wir das schnell hinter uns und wenden uns Platons Königsargument zu: Dem performativen Widerspruch. Der performative Widerspruch ist ein Widerspruch, der in dem Moment zutage tritt, wenn ich einen Satz äußere, also einen performativen Akt vollziehe.

Wieder geht es dabei um Protagoras‘ Satz: „Der Mensch ist das Maß aller Dinge.“ Wenn dieser Satz bedeutet, dass für jeden Menschen das wahr ist, was ihm wahr erscheint, dann muss dies auch für ebenjenen Satz von Protagoras gelten. Wenn ich also sage: „Yo Protagoras, dein Satz ist so falsch wie die Vorurteile der AfD gegenüber Ausländern. Es gibt wohl eine absolute Wahrheit, die für alle gilt.“ Dann kann Protagoras dem schlichtweg nichts entgegen, denn, dass ich das so sehen kann, folgt ja logisch aus seinem Satz. Aber das heißt einmal mehr nichts anderes als: Protagoras‘ Relativismus kann nicht wahr sein.

Natürlich könnte ich jetzt noch problematisieren, ob der Empirismus des Theaitetos‘ immer mit Relativismus einhergehen muss. Aber das spare ich mir, denn die zwingende Widerlegung der These ist ja auch ohne diese Schlussfolgerung längst erfolgt, als Sokrates aufwies, dass ich mich in Wahrnehmungen irren kann und Irrtum nicht Wissen sein kann.

Also wenden wir uns der nächsten Definition von Wissen zu. Im Dialog ist hier übrigens die Untersuchung der ersten Definition noch nicht zu Ende, es werden weitere Argumente vorgebracht und zudem wird das eine oder andere Mal abgewichen. Aber für unsere Zwecke soll das für heute reichen, denn es ist ein sehr rundes Ergebnis und zeigt, wie eine philosophische Untersuchung im besten Falle ablaufen kann. Das nächste Mal setzen wir uns dann mit der zweiten These des Theaitetos auseinander: Wissen ist wahre Meinung.

Warum brauchen wir Platons Ideenlehre?

Nachdem ich beim letzten Mal die Probleme der Ideenlehre thematisiert habe, möchte ich diesmal erklären, warum die Ideenlehre bei allen Problemen dennoch keine ganz dumme Idee war. Ihr könnt euch das hier als Video ansehen oder darunter das Transkript lesen:

Ist das wirklich alles notwendig?

Wir haben die Ideenlehre kennengelernt. Und ich hoffe, ihr habt zumindest ein wenig die Probleme nachvollziehen können, die ich aufgezeigt habe und habt euch daher zumindest einmal gefragt: WHAT THE FUCK?!?! Ist das wirklich alles notwendig? Gibt es das nicht einfacher? Lebensnäher? Oder wenigstens mit Bluetooth? Daher möchte ich euch heute erzählen, warum die Ideenlehre – obwohl sie ein metaphysischer Mindfuck ist – keine ganz dumme Idee war.

Wir haben ja bei der Suche nach sicherem Wissen gesehen, wie Platon überhaupt auf die Idee kam, dass es Ideen gibt. Er wollte wissen, was das Wesen eines Begriffs ist. Was die wahre Bedeutung von etwas ist. Die Antwort auf Sokrates‘ berühmte „Was ist …?“-Frage. Aber ist es da wirklich nötig, so ein verschachteltes Luftschloss zu errichten? Kann man die „Was ist …?“-Frage nicht einfacher beantworten?

Wie wäre es zum Beispiel damit: Wir hatten zwischen der Extension eines Begriffes, also dem Begriffsumfang und der Intension, also der Begriffsbedeutung unterschieden. Aber müssen wir das überhaupt? Können wir nicht einfach sagen: Die Bedeutung eines Begriffs ist einfach alles, was der Begriff umfasst? Also die Extension ist gleich der Intension eines Begriffs. Klar, können wir das! Natürlich wurde dieser Gedanke in 2.500 Jahren Philosophiegeschichte auch schon gedacht. Ich habe das sogar schon selbst schon gemacht: Beim letzten Mal, als ich sagte, dass die DVD Inglourious Basterds die Bedeutung des Wortes „Inglourious Basterds“ ist. Das ist eine Sichtweise, die wir vertreten können. Aber wenn wir das machen, dann entstehen uns neue Probleme…

Morgenstern und Abendstern

Ich will euch ein Beispiel geben: Wir haben in unserer Sprache viele Begriffe, die den gleichen Begriffsumfang haben, aber verschiedene Bedeutungen. Ein klassisches Beispiel in der Philosophie, das jede Bachelor-Studentin lernt, sind der Morgenstern und der Abendstern. Beide haben die gleiche Extension: den Planeten Venus. Aber die Bedeutung unterscheidet sich: Der Morgenstern ist der letzte Stern, den ich morgens am Himmel sehe. Und der Abendstern ist eben der erste Stern, den ich Abends am Himmel sehe. Gut, da könntet ihr jetzt rufen: Das ist doch Kokolores! Das sind doch komplett konventionelle Bezeichnungen, die nur darauf zurückgehen, dass die Menschen ursprünglich nicht rafften, dass das der gleiche Himmelskörper ist.

In diesem Fall hättet ihr recht, aber es gibt andere Beispiele, die weniger trivial sind: „Alle Tiere mit Leber“ und „Alle Tiere mit Niere“ ist das nächste klassische Beispiel in der Philosophie. Diese beiden Begriffe haben die gleiche Extension – Es gibt keine Tiere, die zwar eine Leber aber keine Niere haben. Trotzdem macht es für eine Ärztin oder einen Biologen mitunter einen großen Unterschied, ob sie sich mit Lebern oder Nieren auseinandersetzen.

Scheinkorrelation

Die Wissenschaftstheorie kennt ein Problem, dass aus der Deckungsgleichheit von Extensionen entsteht: Die Scheinkorrelation. Durch Begriffe, die in ihrem Begriffsumfang deckungsgleich sind, entstehen vermeintliche Zusammenhänge, die aber keine sind. Und erst wenn wir uns um die Intension, die Bedeutung eines Begriffs kümmern, erkennen wir diese Scheinkorrelationen.

Folgendes Beispiel lernen diesmal alle Soziologie-Studenten im ersten Semester: Die Begriffe: „Landstriche mit vielen Störchen“ und „Landstriche mit hoher Geburtenrate“ haben (mehr oder weniger) den gleichen Umfang. Können wir daraus den Schluss ziehen, dass der Storch die Kinder bringt? Wohl kaum …

Das Universalienproblem

Ich stelle das alles hier grob verkürzt dar und je nachdem, mit was ihr euch sonst so beschäftigt, sind euch diese Probleme sicher auch schon einmal in einem anderen Gewand begegnet. Aber eines liegt für uns Philosophen am Grunde all dieser Fragestellungen. Quasi die unterste Schicht bildet immer: Das Universalienproblem. Und für dieses Universalienproblem stellt die Ideenlehre eben eine verdammt clevere Lösung dar – wenn auch keine unproblematische Lösung, wie wir sahen. Doch was genau das Universalienproblem ist, das erzähle ich beim nächsten Mal.

Literatur

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Die Suche nach sicherem Wissen

Endlich geht es hier mit Platon weiter! Nachdem wir beim letzten Mal geklärt haben, was Metaphysik ist, gehen wir heute auf die Suche nach gesichertem Wissen. Wie immer könnt ihr euch hier das Video anschauen oder daurunter das Transkript lesen:

Platon – Der Philosophenkönig – Teil 8

Auf die Suche nach sicherem Wissen begeben wir uns, um die Frage zu beantworten, warum Platon überhaupt versucht hat, seine Ideenlehre aufzustellen. Und die Antwort und damit der Beginn unserer Suche nach dem sicheren Wissen lautet: Platon tat dies aus logischen Gründen.

Denkt noch einmal zurück an Sokrates. Sokrates, der Platons Lehrer war, war sehr skeptisch, ob menschliche Erkenntnis überhaupt möglich ist. Dies kam zum Beispiel in der Apologie zum Ausdruck, als das Orakel von Delphi ihn den weisesten Menschen auf Erden nannte und Sokrates erkannte, dass seine Weisheit darin bestand, sich nicht einzubilden, irgendetwas zu wissen.

Die frühen platonischen Dialoge, die noch stark von Sokrates beeinflusst sind, enden zumeist aporetisch, das heißt, sie werden ohne Ergebnis abgebrochen, weil die Probleme unlösbar erscheinen. Platons Ideenlehre war ein Versuch, diese unlösbaren Probleme zu lösen. Dafür versuchte Platon das menschliche Wissen auf eine solide Grundlage zu stellen und das war ein so brillanter Versuch, dass er noch heute ernsthaft diskutiert wird.

Das Letzbegründungsproblem

In der Philosophie im Besonderen und der Wissenschaft im Allgemeinen gibt es das sogenannte Letztbegründungsproblem. Wir schmieden Ketten aus Argumenten. Aber diese Ketten können noch so stabil sein, wenn sie nicht irgendwo festgeschmiedet sind, ziehen wir sie einfach hinter uns her, sobald wir einmal losgehen. Die Wissenschaft löst dieses Letztbegründungsproblem mit Definitionen. Beispielsweise kann ich beweisen, dass die Lichtgeschwindigkeit 299.792.458 m/s beträgt. Aber ich kann nicht beweisen, dass ein Meter auch wirklich einen Meter lang ist. Die Wikipedia sagt dazu:

„Ein Meter ist definiert als die Länge der Strecke, die das Licht im Vakuum während der Dauer von 1/299 792 458 Sekunde zurücklegt.“

Das ist kein Beweis, da es ein sogenannter Zirkelschluss ist: Ich messe die Geschwindigkeit des Lichts mit der Einheit Meter pro Sekunde und  definiere einen Meter wiederum anhand der Lichtgeschwindigkeit. Mein kleines philosophisches Wörterbuch sagt, dass so ein Zirkelschluss ein fehlerhafter Beweis ist, weil das schon voraussetzt, was er eigentlich beweisen will.

In der Physik spielt das erst einmal keine große Rolle, denn die Scientific Community hat sich darauf geeinigt, wie lang ein Meter ist. Eine Definition ist nichts anderes als eine Übereinstimmung, etwas so und nicht anders zu nennen. In der Philosophie nennen wir soetwas ein Dogma: Ein Satz, den wir benutzen, um andere Sätze zu beweisen, den wir selbst aber als gegeben annehmen.

Aber ein Dogma ist gerade deshalb auch eine sehr schwache Letztbegründung. Denn was, wenn jemand kommt und sagt: „Ich glaube aber, dass ein Meter definiert ist durch die Länge meines Unterarms“? Wir hätten nur schwache Argumente dagegen: „Wir haben uns aber darauf geeinigt“ ist jetzt nicht unbedingt der heilige Kral der Begründungen.

Natürlich ist dieses Beispiel Blödsinn, niemand würde das tun. Das wäre ja, als würde ein Mann amerikanischer Präsident werden, der behauptet, dass es keinen Klimawandel gibt, obwohl Kalifornien buchstäblich austrocknet. Als würde er behaupten, die USA würden von Immigranten überrannt, obwohl die Zahl der Einwanderer auf einem historischen Tiefstand ist. Als würde er sagen, Sein Vorgänger hat nichts gegen illegale Einwanderer getan, obwohl Obama mehr Menschen abgeschoben hat als jeder seiner Vorgänger. Oder als würde dieser Mensch behaupten, Mexiko werde für eine Mauer zahlen, die die USA an der Grenze bauen wollen, obwohl die mexikanische Bevölkerung nur kollektiv den Kopf schüttelt. Wenn jemand sich soweit von der Wahrheit entfernt hätte, würde ihn doch niemand mehr zum Präsidenten wählen. Oder?

Die Frage nach dem Wesen der Dinge

Platons Ideenlehre ist der Versuch unsere Wahrheit auf ein stabiles Fundament zu stellen. Sie ist eine konsequente Weiterentwicklung von Sokrates’ „Was ist …?“-Frage, der Frage nach dem Wesen der Dinge. Erinnert euch: Wir hatten auch schon bei Sokrates gesehen, dass dieser und mit ihm natürlich auch sein Schüler Platon zwischen dem Begriffsumfang und der Begriffsbedeutung unterscheidet. In der Philosophie nennen wir diese Unterscheidung auch die von Sinn und Bedeutung oder die Unterscheidung von Intension und Extension.

Die „Was ist …?“-Frage wird in den platonischen Dialogen oft zunächst extensional beantwortet. Also: Was fällt denn alles unter den Begriff? Auf welche Dinge in der Welt trifft der Begriff zu?

Zum Beispiel: Was ist gerecht? Gerecht ist, wenn alle ein gleich großes Stück Kuchen bekommen. Gerecht ist, wenn jemand, der ein Flüchtlingswohnheim anzündet, dafür verurteilt wird, genauso wie jemand, der eine junge Frau in Freiburg umgebracht hat. Gerecht ist, wenn meine Tochter (9) genauso oft Pfannkuchen wie Brokkoli zum Abendessen bekommt. Das sind alles Einzelfälle, die unter den Begriff der Gerechtigkeit fallen. Es ist die Extension oder Begriffsumfang von „Gerechtigkeit“.

Wenn aber Sokrates und Platon fragen „Was ist Gerechtigkeit?“, dann geht es ihnen nicht um diese Einzelfälle, stattdessen wollen sie wissen, was all diesen Fällen gemeinsam ist. Was ist der Sinn von Gerechtigkeit? Was ist die Intension des Ausdrucks?

Die Idee als Antwort

Und diese Frage ist verdammt schwer zu beantworten, daher werden die frühen platonischen Dialoge immer ohne Ergebnis abgebrochen. Gegen Ende seiner frühen Phase und dann besonders in seinen mittleren Dialogen findet Platon schließlich die Antwort: Die Bedeutung von Gerechtigkeit ist die Idee der Gerechtigkeit. Die eine perfekte, wahre, unkorrumpierte Gerechtigkeit. Und alle unsere alltäglichen Vorstellungen von Gerechtigkeit sind bloß unperfekte, immer fehlerhafte Abbilder der Idee der Gerechtigkeit.

Zwei Kuchenstücke können immer nur mehr oder weniger gleich groß sein. Ein Gericht, das einen rechtsradikalen Brandstifter verurteilt, müsste eigentlich auch die geistigen Brandstifter mitverurteilen. Wenn die Tagesschau über den Mord durch einen Geflüchteten in Freiburg berichten soll, dann müsste sie auch über alle 300 Mordfälle berichten, die jedes Jahr von Deutschen verübt werden. Und meine Tochter und ich werden uns niemals darüber einig werden, wann wer wie oft Pfannkuchen oder Brokkoli essen soll. Doch auch wenn wir vielleicht nie wahre Gerechtigkeit erleben, glauben wir daran, dass es so etwas wie echte, objektive Gerechtigkeit gibt, denn sonst könnten wir nicht darüber sprechen, Gerechtigkeit nicht zum Maßstab unseres Handelns machen. Platon war der Meinung, dass diese echte, objektive Gerechtigkeit nichts anderes ist als die Idee der Gerechtigkeit. Und genauso, wie dieser ethische Begriff, so haben alle unsere Konzepte und alle Dinge in der Welt eine Idee, die ihnen zugrunde liegt.

Ausblick

Damit haben wir jetzt geklärt, was der Status oder die Aufgabe einer Idee ist, aber wir haben noch nicht daran gerührt, was denn nun die Eigenschaften der Ideen sind. Was ist eine Idee?  Um diese Frage werde ich mich beim nächsten Mal kümmern. Ich danke euch, dass ihr mir eure Zeit geschenkt habt.

Literatur

 

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Intention und Intension – Der Gang der Gauchos

Deutschland diskutiert die sogenannte Gaucho-Affäre. Stein des Anstoßes war dieses Auftreten von Teilen der deutschen Nationalmannschaft.

Nun gibt es eine Fraktion, die sich gewaltig aufregt, wie rassistisch dieser Tanz war.

Quelle: Reactiongifs. Lizenz: fragwürdig.

Während die andere Fraktion sich gewaltig aufregt, dass die erste Fraktion keine Ahnung hat, weil der Tanz doch gar nicht rassistisch gemeint war.

Quelle: Reactiongifs. Lizenz: fragwürdig.

Ich finde hieran kann man sehr schon den Unterschied zwischen zwei Begriffen der Semantik erkennen: Intention und Intension. Der erste Begriff „Intention“ ist landläufig bekannt und meint in etwa:

  • Was ist mit einem Symbol gemeint
  • Was ist die Absicht eines Symbols

Und vielleicht auch noch:

  • Was denkt man sich bei einem Symbol

Wobei das schon in Richtung der Intension geht. Oder gar:

  • Was bezweckt man mit einem Symbol

Das wiederum spielt in Illokution und Perlokution hinein, aber das ist Sache der Pragmatik und wurde bereits ein andermal besprochen

Die Fraktion, die also meint, man soll sich mal locker machen, wäre doch alles halb so schlimm. Die begründet das mit der Intention. Das Symbol ist in diesem Fall der Gaucho-Tanz: Die DFB-11 hat diesen nicht rassistisch gemeint, es war nicht die Absicht der DFB-11, rassistisch zu wirken, sie hatten keine rassistischen Gedanken und der Tanz hatte auch nicht bezweckt, einen neuen Nationalismus zu promoten. Das alles gestehe ich den weltmeisterlichen Tänzern auch zu. Das von Einwanderern und Einwanderernachkommen geprägte Team hatte bestimmt nicht die Absicht Rassismus zu propagieren, dafür werden sie von den Fußballerverbänden zu oft und zu intensiv auf Toleranz eingeschworen.

Was ist gutes Bier?

Also ist alles super, oder? Na ja, ich hatte da ja noch diesen zweiten Begriff: die Intension. Der stammt aus der Semantik und ist weitaus weniger bekannt als die Intention. Was hat es mit ihm auf sich? Die Intension ist der Sinn eines Symbols, seine Bedeutung (aber nicht im Fregeschen Sinn (haha…)). Sie stammt aus dem Begriffspaar Extension und Intension. Jeder Begriff hat eine Extension, einen Begriffsumfang. Wenn ich von „Bier“ spreche, bezieht sich dieser Begriff auf alle Dinge in der Welt, die Bier sind. Diese Dinge sind die Extension des Begriffs. Wenn ich hingegen von „Pils“ spreche, wird die Erfüllungsklasse des Begriffs kleiner und es fallen nur noch Biersorten darunter, die auf eine bestimmte Art und Weise gebraut wurden – die Extension ist also kleiner. Und richtig kompliziert wird es, wenn ich den Begriff „gutes Bier“ verwende. Die Extension dieses Ausdrucks ist äußerst verworren und führt etwa zwischen Köln und Düsseldorf immer wieder zu heftigen Diskussionen. Woran liegt das? Meine steile These: An der weiten Hälfte des Begrifffspaars Extension und Intension: der Intension. Die Intension, also der Sinn von „gut“ ist äußerst verworren und vor allem im höchsten Maße subjektiv.

Das Standardbeispiel mit dem Philosophie- und Linguistikstudierende Intension und Extension erlernen müssen ist Freges berühmtes Beispiel von „Abendstern“ und „Morgenstern“. Beide Begriffe haben die gleiche Extension: den Planeten Venus. Aber höchst unterschiedliche Intensionen: Ich kann zwar vom Morgenstern sagen, dass er der letzte Stern ist, den ich morgens am Himmel sehe. Aber das kann ich nicht vom Abendstern sagen…

Kehren wir jetzt zum Gaucho-Tanz zurück. War der jetzt rassistisch? Wie, zur Hölle, soll ich das entscheiden?! Ihr habt gesehen, wie kompliziert die Intension von so simplen Symbolen wie „Morgenstern“, „Abendstern“ oder gar „gutes Bier“ ist, aber das ist nichts gegen die Bedeutung eines so komplexen Symbols wie eines Tanzes. Schon alleine weil ich dafür erst einmal ganz tief in die Metapherntheorie einsteigen müsste und so Sachen wie „Ausdruck“ erläutern müsste!

Aber eines ist wichtig: Nach Wittgenstein ist die Bedeutung (im Sinne von Intension) eines Begriffs, sein Gebrauch in der Sprache. Und wir können hier ohne Probleme „Begriff“ durch „Symbol“ und „Sprache“ durch „Symbolsystem“ ersetzen. Was Wittgenstein mit diesem lyrischen Satz meint, ist, dass die Regeln der Verwendung eines Symbols bestimmen, was das Symbol aussagt. Der Gaucho-Tanz nun hat auf jeden Fall rassistische Bedeutungskomponenten, denn es wird einer Bevölkerungsgruppe (Argentiniern) eine Eigenschaft zugesprochen (geknickt zu gehen). Die Frage ist jetzt, ob „Gaucho“ metaphorisch nur für die argentinische Nationalmannschaft verwendet wurde und ob die Gangart dieser Mannschaft oder gar der Bevölkerungsgruppe wirklich als Wesenszug oder nur als ephemeres Attribut in der Niederlage zugeschrieben wurde. Die Verwendungsweise des Symbols ist eben unklar. Dabei ich habe noch nicht einmal mit Konnotationen angefangen…

Und wissta was? Genau das handeln wir gerade in der laufenden Debatte aus. Denn die Bedeutung von Symbolen steht nicht fest, sondern wandelt sich ständig. Rosa symbolisierte noch im 19. Jahrhundert Männlichkeit, doch der Gebrauch des Symbols hat sich massiv gewandelt!

Imperial Art Appreciation: Pink

Imperial Art Appreciation: Pink von JD Hancock Lizenz: CC BY 2.0.

Daher ist die aktuelle Diskussion nicht nervig sondern wichtig und richtig, damit wir die Bedeutung solcher Symbole in unserer Gesellschaft aushandeln können.

P.S.: Für mich ist übrigens ganz unstrittig, dass der Tanz zumindest hämisch war und das macht ihn und die Tänzer mir unsympathisch. Nicht so unsympathisch, dass ich nie wieder Fußball ansehen werde, aber er trübt mein Bild von der Mannschaft ein bisschen. Und da hilft der Hinweis darauf, dass es sich um einen etablierten Fangesang handelt nur wenig, denn nicht alles was in Fußballstadien passiert gefällt mir. So war ich zum Beispiel ungläubig verwundert als beim letzten Derby zwischen meiner Eintracht und Mainz, eine Mutter zwei Reihen vor mir „Alle Mainzer sind Hurensöhne“ skandierte, obwohl ihre vielleicht 10-Jährige Tochter daneben stand. Vielleicht sollte für Fußballstadien gelten, was für Vegas gilt:

panorama (Bearbeitung von mir) von  Martin Abegglen . Lizenz: CC BY-SA 2.0
panorama (Bearbeitung von mir) von Martin Abegglen. Lizenz: CC BY-SA 2.0

 

Literatur

Austin, John L. 1966. “Three Ways of Spilling Ink.” The Philosophical Review 75, 427-440. Printed in 1961, James O. Urmson and Geoffrey J. Warnock (eds.), Philosophical Papers (pp. 272-287). Oxford: Clarendon Press.

– Habe ich leider nirgends im Netz gefunden, über Hinweise freue ich mich…

Gottlob Frege: Sinn und Bedeutung. Hier legal und umsonst.

Nelson Goodman: Sprachen der Kunst*

Ludwig Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen*

 

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Metaphysische Spuren an performanten Medien

Oder kurz: Medientheorie

Wenn du ins Internet über Sprache schreibst, kommt früher oder später immer jemand, der oder die behauptet, dass es doch total egal ist, ob wir etwa „Zigeunersauce“ oder „Negerkuss“ sagen. Wichtig wäre doch allein, was wir meinen oder denken und es sei doch ganz klar, dass sie keine Rassisten seien, bloß weil sie Worte verwenden, die so klingen. Eine beliebte Variante dieses Arguments ist auch gerne die Marxsche Wende, dass es doch egal ist, was wir sagen. Statt dessen zählten allein unsere Handlungen.

Ein Fernseher ist ein Medium. Zeigt er Loriot, ist er sogar ein gutes Medium.
Ein Fernseher ist ein Medium. Zeigt er Loriot, ist er sogar ein gutes Medium.

Einmal ganz davon abgesehen, dass diese Einstellung übersieht, dass eine sprachliche Äußerung immer auch eine Handlung ist (womit ich mich zu anderer Zeit noch einmal auseinandersetzen werde), ist sie auch deswegen falsch, weil die Sprache das Medium meiner Gedanken ist. Somit ist wesentlich für meine Weltsicht, meine Lebensform, meine Wünsche, Träume und Überzeugungen, welche Worte ich verwende.

Ich möchte und werde diesen Gedanken in Zukunft weiter ausführen, doch um ihn zu verstehen, muss ich zunächst einmal erklären, was ein Medium ist. Denn der Begriff des Mediums ist selbst so kompliziert weil so unscharf in unserer alltäglichen Verwendung, dass ich für seine Bestimmung einen ganzen Blogpost brauchen werde.

Wie immer gilt: was ich hier schreibe ist nicht auf meinen Mist gewachsen. Es geht auf viele schlaue Köpfe zurück, die ich im Laufe des Textes und als Literaturtips am Ende auch nennen werde. Allerdings werde ich nicht Zitate im einzelnen belegen, dies ist ein Blogpost, den ich an einem grauen Novembernachmittag runterschreibe und keine wissenschaftliche Arbeit.

Von der Metaphysik zurück zum Alltag

Wie fange ich an? Gemäß Wittgenstein am besten damit, dass ich den Begriff von seiner metaphysischen wieder in seine alltägliche Sphäre zurückführe und mal schaue, wie wir ihn verwenden. Wir alle benutzen das Wort „Medium“ ständig. Es ist von alten und neuen Medien die Rede, von Massenmedien, vom Medium Zeitung, Internet, Fernsehen oder Radio. Wir alle haben extensional eine ziemlich exakte Vorstellung davon, was der Begriff umfasst, ohne dass wir ihn im einzelnen intensional definieren können. Versuchen wir es, kommen wir schnell auf Begriffe wie Sender und Empfänger, Symbole, Botschaften, Bilder oder Sprache.

Diese stümperhafte, stichprobenartige Analyse unseres alltäglichen Medienbegriffs stößt uns gleich auf eine erste Unterscheidung. Es gibt einen weiten und einen engen Medienbegriff. In der weiten Verwendung meint der Begriff des Mediums immer etwas das als Träger oder Mittel für etwas anderes dient. Wir sprechen dann vom Licht als Medium des Sehens, vom Wasser als Medium des Schwimmens, vom Auto als Medium der Fortbewegung und vielleicht sogar vom Kran als Medium des Hochhausbaus.
Demgegenüber steht die enge Verwendung des Medienbegriffs. In dieser hat ein Medium immer etwas mit einer Botschaft (im Sinne von Message nicht im Sinne von Spionage), mit einem Symbolsystem zu tun. Die Zeitung bringt uns die Nachrichten, das Internet bringt uns Meme, im Fernsehen läuft die Daily Soap und im Radio laufen die aktuellen Charts.

Ich bevorzuge diesen engen Medienbegriff aus zweierlei Gründen. Zum einen kommt er meines Erachtens dem alltäglichen Gebrauch des Wortes „Medium“ näher und das sollte immer unsere Basis sein. Die weite Verwendung erscheint mir eher wie eine Metapher. Erst wenn ich anhand von Büchern, Filmen, Comics, CDs etc. verstanden habe, was ein Medium ist, kommt es mir überhaupt in den Sinn soetwas wie Licht oder ein Auto Medium zu nennen.

Zum anderen ist ein Begriff ein Terminus und in diesem steckt der lateinische Ausdruck für Grenze oder Grenzpunkt. Ein Begriff begrenzt immer eine Bedeutung, indem er sie von anderen Begriffen mit anderen Bedeutungen unterscheidet. Daher sind Begriffe, die letztlich alles bedeuten können, sinnlos. Ich habe so den Eindruck, als würde genau das auf unseren weiten Medienbegriff zutreffen.

The medium is the message

Einer der berühmtesten Medientheoretiker war Marshall McLuhan, der für genau zwei Sachen berühmt ist: 1. Den Satz „The medium is the message“ und 2. seinen Gastauftritt in Woody Allens Annie Hall:

Ich habe McLuhan zwar in meinem Studium gelesen, aber das ist so lange her, dass ich mich kaum daran erinnern kann. Daher kann ich nicht genau sagen, was er mit seinem Zitat meinte, aber ich kann zumindest sagen, was in der Rezeption, besonders in der popkulturellen allzu oft daraus gemacht wurde: Nämlich die Behauptung, dass die Botschaft gar keine (gesonderte) Rolle mehr spiele, dass sie im Medium aufgehe und nicht von dem Medium losgelöst werden könne. Das ist in etwa das diametrale Gegenteil der Position der oben erwähnten Anhänger einer strikten Unterscheidung von Sagen, Denken und Handeln. Und ich denke, es ist zumindest in diesem Extremismus genauso falsch.

Spielen wir dafür mal folgendes Sprachspiel durch:

Ein Land, nennen wir es „Gondor“ wird von einem verfeindeten Land, nennen wir es „Mordor“ angegriffen. Gondor möchte nun seinen Verbündeten mit dem hypothetischen Namen „Rohan“ zu Hilfe rufen. Gondor möchte also die Botschaft „Hilfe“ mit einem Medium nach Rohan transportieren. Wären Medium und Botschaft eine nicht zu trennende Einheit, könnte Gondor das nur mit dem hypothetischen Medium „Zettel in der Hand eines Boten machen“. Es ist nun leicht einzusehen, dass Gondor statt dessen noch ganz andere Möglichkeiten hat: Raben mit Zettel versehen, Telefon, Whatsapp oder so etwas weit hergeholtes wie Leuchtfeuer.

Worauf ich hinaus will ist also, dass ein Medium weder unlösbar mit einer Botschaft verbunden ist, noch sich komplett neutral gegenüber der Botschaft verhält.

Die symbolisierende Performanz

Mein ehemaliger Prof. Christian Stetter vertritt die Auffassung vom Medium als symbolisierender Performanz. Dieser Medienbegriff hat eine ganze Reihe Vorteile, aber auch ein paar Nachteile. Was meint „symbolisierende Performanz“?

Zum einen steckt da wieder der Enge Medienbegriff drin: Medien haben immer etwas mit Symbolen zu tun. Sie erzeugen oder transportieren Symbole. Zum anderen steckt die Performanz drin, die uns vor allem aus der Kunst oder dem Tanz in irgendwelchen Castingshows bekannt ist. Eine Performanz ist ein Vollzug, eine Handlung, etwas, das zu einem bestimmten Zeitpunkt stattfindet und dann wieder vorbei ist. Wie hängt das nun mit unserem Medium zusammen? Ganz einfach: Ein Medium transportiert Symbole, aber es ist kein Ding, sondern ein Vollzug.

Das erscheint zunächst einmal kontraintuitiv, besonders wenn wir uns wieder an der alltäglichen Verwendung abarbeiten. Aber es ist gar nicht so kontraintuitiv, wenn man darüber nachdenkt: Eine Zeitung ist nur dann ein Medium für Nachrichten, wenn ich sie lese. Wenn ich hingegen mein Geschirr bei einem Umzug damit polstere, ist es bloß noch ein Ding, das ich als austauschbares Mittel zu irgendeinem Zweck einsetze. Mit Büchern kann ich hervorragend Blumen oder Herbstlaub pressen, aber das macht sie nicht zum Medium für einen Roman. Erst das Lesen macht sie dazu. Das iPad könnte ich als Brettchen zum Hacken von Kräutern benutzen, aber erst wenn ich etwa damit im Internet surfe, wird es zu einem Medium fürs Internet. Und ich hatte mal ein Handy, mit dem ich hervorragend Bierflaschen öffnen konnte. Aber erst wenn ich damit telefonierte, wurde es zum Medium für meine Gespräche.

Christian Stetter verdeutlicht diesen Punkt, indem er den Begriff des Mediums von dem des Mittels abgrenzt. Ein Mittel ist eine Handlung zu einem bestimmten Zweck, die diesem Zweck vorausgeht und die austauschbar ist. Mein Zweck ist es, unversehrtes Geschirr in meiner neuen Wohnung zu haben, das Mittel ist die Polsterung dieses Geschirrs. Aber ich kann außer mit Zeitungen auch mit Luftpolsterfolie polstern. Will ich hingegen einen Roman lesen, so muss ich zum Buch greifen und das Lesen der Geschichte funktioniert auch nur solange ich das Buch zur Hand habe. Lege ich das Medium weg, so steht mir meine Botschaft nicht mehr zur Verfügung. Ein Mittel ist hinreichende Bedingung zur Erreichung eines Zwecks. Das Medium hingegen ist notwendige Bedingung.

Diese pragmatische Wendung des Medienbegriffs weg vom Ding hin zur Handlung ist meines Erachtens eine clevere Näherung an den Begriff, allerdings hat sie auch ein Problem: Denn sie kann nicht den Unterschied zwischen ephemer und persistent erklären, den Stetter in der Sprachwissenschaft selbst aus Tapet brachte: Ein wesentlicher medialer Unterschied zwischen gesprochener und geschriebener Sprache ist, dass gesprochene Sprache ephemer ist, vergänglich, ja flüchtig. Ausgesprochen ist das Wort auch schon wieder verschwunden. Die geschriebene Sprache ist hingegen persistent. Das geschriebene Wort steht wie eine Skulptur auf dem Papier, dem Stein oder dem Bildschirm und kann jederzeit wieder betrachtet werden. Diesen Unterschied kann ich aber nicht erklären, wenn ich das Medium selbst als Performanz verstehe. Denn Performanzen sind Handlungen, Ereignisse, also per se immer ephemer. Es muss zur Performanz also noch etwas anderes hinzukommen: ein physisches Substrat. Aber das nur am Rande, denn mein Studium liegt jetzt auch schon ein paar Jährchen zurück und ich kenne die neuesten Entwicklungen in der Medientheorie nicht.

Die Spur des Mediums

Kommen wir lieber zurück zur These, dass das Medium die Botschaft ist. Sybille Krämer hat eine sehr elegante Lösung gefunden zwischen dem Widerstreit in der Position, dass das Medium und die Botschaft unlösbar voneinander sind und jener, dass das Medium gar keinen Einfluss auf die Botschaft hat. Sie löst dieses Problem aristotelisch, indem sie feststellt, dass Medium und Botschaft zwar durchaus zwei getrennte Phänomene sind (ob Dinge oder Handlungen, lass ich jetzt mal dahingestellt), dass aber der Botschaft „die Spur des Mediums“ anhaftet.

Eine wunderbar Metapher, wie ich finde. Sie wird auch jedem sogleich verständlich, der schon einmal die Verfilmung eines Buches gesehen hat, das er zuvor gelesen hat. Im Grunde erzählen beide die gleiche Geschichte: Etwa dass Frodo einen Ring in einen Vulkan schmeißen soll. Aber dem Buch steht dabei alle Zeit der Welt zur Verfügung. Romane, für die ich hunderte Stunden Lesezeit brauche, sind kein Problem im Medium des Buches. Hingegen ist das Medium Spielfilm diesbezüglich beschränkt. Es kann nicht jeden bekloppt vor sich hin singenden und tanzenden Nebencharakter eine Stunde Screentime gewähren. Auch funktionieren manche Dinge im Film überhaupt nicht, die im Buch hervorragend klappen. Lady in the Lake hat uns gezeigt, dass ein Film mit Ich-Erzähler nicht funktioniert. Hintergrundgeschichten und innere Monologe sind andere Probleme des Films. Aber der Film kann anderes schaffen: Bilder. Er zeigt uns, wie ein Balrog aussieht, nimmt uns mit zum Mond oder lässt in der Matrix die Schwerkraft nur als eine Option erscheinen.

Ich schaue gerade die Serie Six Feed Under und an dieser sieht man hervorragend, wie das Medium Internet das Medium Serie verändert hat. Die Serie ist von 2001, also aus einer Zeit, in der Streaming noch keinerlei Rolle spielte und auch die DVD gerade erst dabei war, das Video abzulösen. Damals wurden Serien noch fast ausschließlich im Fernsehen gesehen. Pro Woche eine Episode. Das zeigt sich in Six Feed Under am Intro, das geschlagene 1:39 Minuten dauert.

Das ist kein Problem, wenn ich es bloß einmal in der Woche sehe, denn es ist ein sehr gut gemachtes Intro. Aber wenn ich Serien streame und mir eine Folge nach der anderen angucke, nervt das ungemein. Dem gegenüber stammt die Serie Breaking Bad von 2008. DVDs waren da schon ein alter Hut. Streaming allgegenwärtig und den Machern war vollkommen bewusst, dass die Zuschauer eine Folge nach der anderen hintereinander weggucken werden. Was dazu führt, dass das Intro sechs Akkorde und ein Grillenzirpen lang ist, 17 Sekunden.

An dem Medium Serie haftet die Spur des Internets… Nebenbei zeigt es auch, dass Medien in Medien in Medien verschachtelt sind…

Soweit soll das genügen. Jetzt habe ich meinen Medienbegrif vorgestellt und kann nun demnächst mal abbiegen in Richtung „Die Sprache ist das Medium meiner Gedanken“. Aber ich kann auch genauso betrachten, inwiefern das Medium Internet Botschaften verändert, die ehedem uns anders übermittelt wurden.

Ich bin raus. vorerst…

 

Literatur:

 

*hinterhältiger Affili-Link, danke fürs Klicken!

Online-Pranger

Im Internet prangert man gerne an. Aber noch lieber wird der Pranger als Totschlagsargument benutzt. Im digitalen Raum, wo wir alle anonym sind, ist es ein Sakrileg uns jenseits unserer selbstgewählten Pseudonyme zu benennen. Uns hinter unseren Avataren hervorzuziehen und ins grelle unbarmherzige Licht der Online-Öffentlichkeit zu stellen, das ist eine Sünde, das ist unzivilisiert.

Allein die Frage ist: ist auch alles Pranger, was Pranger genannt wird?

Die Wikipedia nennt in ihrer Definition des Prangers vier, mir wichtig erscheinende Kriterien:

  1. Der Pranger ist ein Strafwerkzeug
  2. Der Pranger dient der öffentlichen Vorführung
  3. der Angeprangerte ist an den Pranger angekettet
  4. Der Pranger ist eine „Ehrenstrafe“, die angeprangerte Person wird also als ehrlos dargestellt, sie soll sich schämen

Soweit die Wikipedia. Ich möchte dem mit Blick auf die zeitgenössische Verwendung hinzufügen:

5. Es ist für das Anprangern wesentlich, dass eine Person oder ein Sachverhalt in den öffentlichen Raum gezerrt wird, der zuvor nicht dort war.

Mit dem Internet haben wir einen riesigen ‚Athener Marktplatz‘ geschaffen, auf dem jeder reden kann. Menschen, die dort sprechen, können für diese Rede, die sie freiwillig in den öffentlichen Raum stellen, nicht angeprangert werden.
Sie können freilich in anderen Aspekten ihrer Persönlichkeit oder mit nicht-öffentlichen Aussagen und/oder Handlungen angeprangert werden. Außerdem können andere Formen der Bezugnahme auf ihre Aussagen stattfinden: Empörung, Verurteilung etc. Aber eben nicht das Anprangern, den dem ist wesentlich, dass etwas aus dem Privaten oder Geheimen herausgeholt wird.

Einen Paradefall eines solchen Online-Prangers berichtet Udo Vetter in „Blackbox Urheberrecht“ (Ja, ich höre nicht auf mit der schamlosen Eigenwerbung.) Indem er darüber schreibt, dass eine Abmahnkanzlei die Klarnamen und Adressen von Filesharern, die Pornos geteilt hatten, veröffentlichen wollte. Erst ein Gericht stoppte das Vorhaben der Kanzlei, um die Persönlichkeitsrechte der Sharer zu schützen.

Auf diesen Fall treffen alle fünf oben genannten Aspekte zu:

1. Die Kanzlei wollte die Sharer mit dem Online-Pranger bestrafen.
2. Die Sharer sollten öffentlich dargestellt werden.
3. Metaphorisch wären sie angekettet gewesen, da der Pranger auf einer Webseite stattgefunden hätte, die sie selbst nicht hätten editieren können.
4. Gerade weil es sich gezielt um Pornoliebhaber handelte, war dies ganz klar eine Ehrstrafe
5. Und es sollten Daten über die Filesharer veröffentlicht werden, die die Kanzlei erst von den Providern der Angeprangerten in Erfahrung bringen musste. Fraglos also Daten, die zuvor nicht im öffentlichen Raum standen.

Lasst uns mal wieder etwas abschweifen…

Ihr fragt euch vielleicht, worauf ich hinaus will. Aber sicher ahnen es viele von euch schon: das sogenannte #om13gate. Die Piratenpartei hat eine jährlich Konferenz: die Open Mind. Auf dieser hielt dieses Jahr Jasna Lisha Strick alias @Faserpiratin einen Vortrag über Hatespeech gegenüber FeministInnen.

Um diesen Vortrag brach sodann eine Kontroverse aus, in der Strick von Seiten ihrer Gegner immer wieder vorgeworfen bekam, sie hätte die pöbelnden AntifeministInnen an den Online-Pranger gestellt. Das ganz kulminierte darin, dass eine vermeintliche 19jährige namens @ochdomino (Account mitlerweile gelöscht; 28.11.13) sich von den AnhängerInnen der FeministInnen so sehr angegriffen fühlte, dass die vermeintliche „Sie“ ihren Blog löschte und ihren  angeblichen Vater ein Statement schreiben ließ, worin er sich empörte, dass @ochdomino von den gemeinen FeministInnen fertiggemacht worden sei.
Mittlerweile hat der Blogger, Autor und Kolumnist Malte Welding die Behauptung in den Raum gestellt, besagte @ochdomino und alles drumherum seien der Fake einer PR-Agentur. Welding hat dafür keine Beweise vorgelegt, aber er tauchte auf meinem Radar in der Vergangenheit stets als glaubwürdig auf, zumal er sich gelegentlich selbst moderat feminismuskritisch gezeigt hat.
Interessant wie hervorsehbar ist, dass die Geschichte vom Augenblick der Enthüllung des Fakes dahingehend umgedeutet wurde, dass es von nun an gar nicht mehr wichtig sei, ob @ochdomino echt gewesen ist, denn schließlich habe es ja die Angriffe und vor allem den Pranger der Feministinnen gegeben. Anlass genug für mich den langen Bogen zurückzuschlagen…

Treffen die fünf Kriterien für einen Online-Pranger auf den Vortrag von Jasna Lisha Strick zu?

1. Es handelte sich um einen Vortrag auf einer recht kleinen Konferenz. Die Vorträge sind auf YouTube zu finden und haben allesamt Abrufzahlen im zweistelligen oder dreistelligen Bereich. Und sogar der Vortrag von Strick kommt zum jetzigen Zeitpunkt nicht über 2500 Klicks hinaus. Das Thema des Vortrags war, empirische Beweise für derartige Hatespeech zu zeigen. Man kann dem Vortrag vorwerfen, dass er inhaltlich recht schwach ist, da er über eine reine Phänomenbestimmung anhand von etlichen Stichproben nicht hinauskommt. Ich hätte mir weniger Fallbesispiele und mehr Analyse gewünscht, aber das alles ist doch von einer Bestrafung wirklich sehr weit entfernt.

2. Der Vortrag wurde auf einer öffentlichen Konferenz gehalten und ist auf YouTube abrufbar. Die Anfeindungen von Stricks Gegnern werden, wie in 1. bereits erwähnt ausführlich präsentiert. Entsprechend ist das Kriterium der Öffentlichkeit gegeben.

3. Die vermeintlich angeprangerten hatten keine Möglichkeit, nicht in dem Vortrag zu erscheinen, außerdem fehlt ihnen die Möglichkeit, sich aus diesem wieder herauszunehmen. Metaphorisch gesprochen sind sie an diesen gekettet.

4. Von einer „Ehrenstrafe“ könnte hingegen nur dann die Rede sein, wenn den präsentierten AntifeministInnen ihre Aussagen peinlich wären, wenn sie sich ihrer schämen würden. Aus den Statements, die ich so gelesen habe, konnte ich das nicht entnehmen.

5. Aber, und das ist der wichtigste Punkt: Alle Beispiele stammten aus dem öffentlichen Raum: von Twitter, aus Blogs und Kommentarspalten. Von einem Pranger kann aber schlichtweg nicht die Rede sein, wenn nur etwas wiederöffentlicht  wird, das der Angeprangerte selbst in die Öffentlichkeit gestellt hat.

Formen der Referenz

Ein Pranger ist eine Form der Referenz: er nimmt auf eine Sache Bezug, die der Öffentlichkeit bislang unbekannt war und referenziert diese gegen des Willen des Urhebers.

Wir haben im Falle des #om13gate aber mit einer ganz anderen Form der Referenz zu tun als mit einem Pranger: mit einem Zitat. Strick referenziert auf öffentliche Aussagen unter Angabe der Quelle. Das ist nichts Ehrenrühriges, das ist im Gegenteil einzig korrekte Weg zu zitieren.

Und hier muss ich noch einmal ganz schamlos Werbung machen und Jürgen Schönstein zitieren:

Wenn ich als Wissenschaftler die Ideen anderer in meinen Arbeiten verwende, dann bediene ich mich an deren geistigem Eigentum. Wenn ich die Zeilen aus einem Heinrich-Heine-Gedicht rezitiere, dann leihe ich mir dessen geistiges Eigentum. Wenn ich ein Creative-Commons-Foto, das ich auf Flickr gefunden habe, in mein Blog stelle, dann nehme ich mir ein Stück fremden geistigen Eigentums. Und bezahle dafür mit dem Hinweis, wessen Forschungsbericht, wessen Gedicht, wessen fotografisches Werk ich hier verwende. Und umgekehrt verpflichte ich mich, dieses Eigentum dahingehend zu respektieren, dass ich es schonend und korrekt behandle: dass ich die Fakten und Erkenntnisse des Wissenschaftlers nicht verfälsche (und beispielsweise behaupte, Darwin habe die Existenz eines intelligenten Designers postuliert) oder ein Heine-Gedicht nicht für antisemitische Propaganda verwende und das Foto nicht in einem verfälschenden und verzerrenden Zusammenhang verwende.

Jürgen Schönstein: Geistiges, Eigentümliches … und Walderdbeeren. In: Daniel Brockmeier (Hrsg.):Blackbox Urheberrecht. Frankfurt 2013.

Die wirklich spannende Frage ist also, hat Jasna Lisha Strick korrekt zitiert? Und dagegen habe ich erstaunlicherweise keine Einwände gehört oder gelesen. Allenortes war nur die Empörung groß, dass sie Pseudonyme und Avatare nicht geschwärzt habe, aber nirgendwo habe ich gelesen, dass sie die Hater falsch zitiert habe. Das aber heißt, dass die Zitierten wohl durchaus zu ihren menschenverachtenden Aussagen stehen.

Das war es von mir zum Online-Pranger. Schalten Sie auch beim nächsten Mal wieder ein, wenn ich jenseits der Aufregung mal logisch an die Sachen rangehe… 😉

Ich bin raus!