Neue Narrative setzen und alte Narrative brechen

Ich wollte schon seit längerem ein Stück über Narrative schreiben, da ich den Begriff und seine derzeitige Verwendung sehr spannend finde. Ohne das irgendwie empirisch belegen zu können, habe ich das Gefühl, dass „Der Diskurs“ als zentrales akademisches Leitmotiv vom „Narrativ“ abgelöst wurde.

Ein Rabe hinter Gittern. Wenn ihr die Metapher verstanden habt, erklärt sie mir bitte...
Ein Rabe hinter Gittern. Wenn ihr die Metapher verstanden habt, erklärt sie mir bitte…

Während meines Studiums in den Nullerjahren schien sich noch alles um Dikurse zu drehen. Der öffentliche Diskurs wurde geführt, Diskurse lösten sich ab und uns wurden Diskurse aufgezwungen. Ich habe den Begriff im Rahmen von Habermas’ Diskursethik kennengelernt, weiß aber nicht ob er von Habermas auch im Original stammt, oder ob er schon zuvor in der Soziologie gebräuchlich war. Über Hinweise wäre ich sehr dankbar. Soziologisch ist der öffentliche Diskurs eine über Zeit und Raum sich erstreckende Diskussion zu einem Thema, das in der Gesellschaft strittig ist. Beispielsweise sind zwei seit Jahren aktuelle Diskurse der richtige Umgang mit der Eurokrise und der Atomausstieg. Politiker, Zeitungen und andere Massenmedien melden sich in so einem Diskurs genauso zu Wort wie Wissenschaftlerinnen und die kleine Bürgerin, wenn sie zum Demonstrieren auf die Straße geht oder eben blogt.

Diese Diskurse, so mein ganz persönlicher Eindruck, wurden mittlerweile von Narrativen als Buzzword abgelöst. Die Diskurse selbst bleiben ja bestehen, wie ich an den beiden Beispielen oben vorführen wollte, aber die Intellektuellen reden im Metadiskurs weniger über sie und ihre Existenzbedingungen. Stattdessen ist man in der Metabetrachtung vom Diskutieren zum Erzählen übergegangen. Kulturpessimisten könnten das als Symptom dafür ansehen, dass heutzutage weniger miteinander gesprochen oder sich weniger zugehört wird. Stattdessen erzählen alle ihre eigene Geschichte. Aber ganz sachlich betrachtet, liegt der Wechsel des Buzzwords wohl daran, dass Diskurse nur existieren können, wenn es ein Narrativ gibt. Juna im Netz liefert uns hierfür eine knackige Definition:

„Narrative: Meme, die den Diskurs eröffnen und in der Lage sind, auch die Menschen zu erreichen, die bisher nicht daran teilnehmen.“

Wir brauchen also erst einmal eine Erzählung, die geeignete Sprache, um einen Diskurs zu eröffnen. Ich finde eines der eindrücklichsten Beispiele für ein sehr wirkungsmächtiges Narrativ waren die Frankfurter Prozesse. Dort wurden in den 1960er Jahren die Verbrechen von Auschwitz verhandelt und vor allem: weitgehend zum ersten Mal erzählt. Der deutschen Öffentlichkeit wurde von dem Grauen erzählt, das die Nazis in Auschwitz errichtet hatten. Und erst mit dieser öffentlichen Erzählung wurde der öffentliche Diskurs angestoßen. Das Narrativ „Man hat es ja nicht gewusst“ wurde gebrochen. So wurde der gesellschaftliche Wandel eingeleitet, der in die 68er-Generation mündete.

Wenn Blogger Geschichten erzählen

Heute, so wird es sich im Internet erzählt, brauchen wir wieder ein solches Narrativ um einen Diskurs anzustoßen, von dem wir alle hoffen, dass er uns in eine bessere Gesellschaft geleitet.

Es soll dahinten in der Ecke ja noch jemanden geben, der oder die die letzte Woche unter einem Stein gelebt und noch nichts von der re:publica mitbekommen hat. Die re:publica ist diese „Bloggerkonferenz“, wie sie in großen Medien noch immer oft genannt wird. Und eines der ganz großen Themen dort war eben die Suche nach neuen Narrativen gegen die Totalüberwachung. Damit wir endlich erfolgreich einen Diskurs anstoßen können.

Am meisten Aufmerksamkeit erhielt Sascha Lobo mit seiner Rede „zur Lage der Nation“, in der er einige streitbare These präsentierte, über die seither — wie jedes Jahr über die Vorträge von Lobo — auch tatsächlich gestritten wird.

Ein Aspekt ist dabei nicht bloß von mir als der wichtigste erkannt worden: Lobo griff das Thema auf, dass wir eine neue Sprache für und über die „Totalüberwachung“ brauchen. Er schlug vor dass wir nicht mehr von „Spähskandal“ oder „Geheimdienstaffäre“ sprechen, weil Affären und Skandale vorübergehen, die Totalüberwachung aber bleibt. Statt dessen wollte Lobo, dass wir andere Begriffe verwenden, die die Situation besser beschreiben: „Spähangriff“, „Spitzelattacke“ oder eben „Totalüberwachung“. Lobo schlägt vor, dass wir Geheimdienste „Spähradikale“ nennen. Wir sollen sie als „antidemokratisch“, „grundrechtsfeindlich“ und „sicherheitsfeindlich“ brandmarken. Geheimdienste „leiden an Kontrollsucht“ und „Spähfanatismus“. Und die unbewiesene, wenn nicht gar widerlegte Wirkung von Überwachung sollen wir als „Sicherheitsesotherik“ entlarven.

Den wichtigsten Talk zu neuen Narrativen hielt allerdings Friedemann Karig, dessen Vortrag mir in der Nacharbeitung neben Lobos so oft wie kein anderer in die Filterblase gepustet wurde.

Karig kritisierte, dass wir die Totalüberwachung noch immer mit veralteten Symbolen wie „1984“, „Stasi“ oder „Gläserner Bürger“ anprangern. Weiterhin hebt Karig hervor, wie wichtig es ist, auch die anscheinend viel wirkvolleren Narrative unserer Gegner zu brechen: „Ich habe doch nichts zu verbergen“, „Supergrundrecht“, „wir sammeln doch nur Metadaten“, „Google, Facebook und Co. sind der Feind“ und „man kann eh nichts tun“.

Das ist ein spannender Punkt aber vielleicht noch wichtiger ist, dass Karig als einer der ganz wenigen mal mit empirischen Studien auf die Frage eingeht, warum Überwachung schlecht ist. Die meisten von uns sprechen immer davon, dass Überwachung schlecht ist. Für uns ist das klar, wir sind davon überzeugt und brauchen das gar nicht weiter zu begründen. Aber für die Bürger da draußen ist das nicht so klar, wie ich in der Vergangenheit schon einmal geschrieben habe. Daher sind die Antworten von Karig auf das
„Warum ist Überwachung schlecht?“ so wichtig:

  • Überwachung macht krank
  • Überwachung macht verletzlich (das Individuum und die Gesellschaft)
  • Überwachung macht unsere Demokratie kaputt
  • Überwachung macht dumm
  • Überwachung macht primitiv
  • Überwachung macht ohnmächtig aka. Überwachung macht impotent
  • Überwachung klaut
  • Überwachung ist unmenschlich

 

Für die ausführliche Begründung dieser Thesen lege ich euch ganz dringend ans Herz, den Vortrag Karigs anzuhören!

Der von mir sehr verehrte Felix Schwenzel läutete dann noch während der re:publica die Nachbearbeitung ein und griff in seinem sehr aktuellen Beitrag beide oben genannten Vorträge auf:

Hier gibt es den Vortrag auch zum Nachlesen.

Er machte noch einmal klar, dass eines der wichtigsten aktuellen Narrativen „Angst“ ist. Der Staat hat Angst vor Terror, die Sicherheitsbehörden haben Angst vor Versagen und wir haben Angst vorm Staat. Schwenzel sagt, dass niemand den Satz: „Überwachung gefährdet die Demokratie“ mehr hören will, da die Menschen nicht daran glauben. Wir sehen doch, dass die Demokratie läuft, obwohl es die Totalüberwachung gibt.

Als Gegenentwurf präsentiert Schwenzel die Macht der Bilder am Beispiel der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung und verwies auf vier parallelen zwischen der Bürgerrechtsbewegung und der Antiüberwachungsbewegung:

  • Wenig gesellschaftlicher Rückhalt
  • Wenig politische Unterstützung
  • Viel Kritik aus den eigenen Reihen
  • Und die These: Wer nicht schwarz ist, hat auch nichts zu befürchten

Weiter sieht Schwenzel ein Problem darin, dass wir die Überwachung zu sehr aufbauschen, also gewissermaßen zu starke Narrative beschwören, dass wir nicht klar genug definiert haben, wer unsere Gegner sind und dass uns drittens die geeigneten Symbole fehlen. Gegen die Wirkungsmächtigen Bilder vom „Kampf gegen den Terror“ kommen wir mit angestaubten Begriffen wie „Datenschutz“, „Privatsphäre“ und erneut „Gläserner Bürger“ nicht an. Schwenzel fährt fort, dass wir auch umdenken müssen und die Konzepte von Privatsphäre und Freiheit neu denken müssen. Wir sollten weniger schwarz malen, sondern mehr Pragmatismus an den Tag legen. Wir sollen das System bespielen.
Schwenzels Forderung sind der Dreiklang:

  • provozieren
  • (Täter) benennen
  • und verspotten

Go, tell it on the mountain…

Die Nachbearbeitung der re:publica griff sodann Anatol Stefanowitsch auf, indem er sich mit Sascha Lobos Suche nach neuen Begriffen auseinandersetzte. Stefanowitsch hält die Angriffsmetaphern, die Lobo vorschlug, für ungeeignet und betont, dass das Besondere der Gefahr ist, dass sie unsichtbar ist, dass wir sie nicht bemerken.

„Stattdessen bräuchten wir einen Frame, der zu einer unsichtbaren Gefahr passt, die jahrelang unbemerkt und folgenlos bleiben und dann plötzlich akut werden kann. Mir fallen spontan zwei solche Frames ein, die beide gut in deutschen Angstdiskursen verankert sind: Der VERUNREINIGUNGS-Frame und der KRANKHEITS-Frame.“

Anatol Stefanowitsch: Spähmetaphorik und ihre Grenzen [re:publica]

Stefanowitsch schlägt daher Begriffe wie „Spähgeschwür“ und „Spitzelparasiten“ vor. Die Verunreinigungsmetapher in Form von Radioaktivität bereitet ihm dann aber selbst in der Umsetzung einige Probleme:

„Allerdings ist Radioaktivität selbst nur schwer fassbar, und Wörter wie Spähradioaktivität oder Spitzelstrahlung klingen deshalb sehr konstruiert und unverständlich.“

Anatol Stefanowitsch: Spähmetaphorik und ihre Grenzen [re:publica]

Als Nachtrag unterbreitet Anatol Stefanowitsch dann auch noch Dierk Haasis’ Vorschlag Raubtiermetaphern zu verwenden.

Einen habe ich noch: Michael Seemann geht diverse Talks durch und warnt vor allem vor unangebrachten Metaphern. Leider begründet er das insgesamt zu wenig, , wenn er etwa sagt, dass es geschmacklos ist, die Totalüberwachung mit der AIDS-Epedemie zu vergleichen. Besonders kann ich folgendes nicht nachvollziehen:

„Ebenso unpassend ist der Vergleich mit der rassistischen Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung im Amerika der 60er Jahre, den Felix Schwenzel bemüht.“

mspro: re:publica 2014 – Deutschland sucht das Supernarrativ

Denn Felix Schwenzel hatte die amerikanische Bürgerrechtsbewegung nicht in ihrer moralischen Tragweite oder in der Form der Unterdrückung mit der Totalüberwachung vergleichen, sondern sie ja lediglich als Beispiel für eine erfolgreiche Agenda verwendet, in der eine unbeachtete Bevölkerungsgruppe sich und ihrem Problem erfolgreich Aufmerksamkeit verschafft hat.

Seemann schließt damit, dass er nicht glaubt, dass fehlende Narrative das Problem sind, sondern dass unser Überwachungsbegriff kaputt ist und verweist auf seinen eigenen Beitrag für Deutschlandradio Kultur.

Das Warum und die alten Narrative

So, und was mache ich jetzt mit dieser vorläufigen Chronik? Mir Gedanken! Ich glaube schon, dass die Sache mit den Narrativen Teil des Problems ist. Klar ist Sprache nie die alleinige Lösung, aber ohne Sprache können wir unser Problem einfach nicht artikulieren.

Ich finde in den Vorträgen und Artikeln oben, kommen noch zwei Aspekte zu kurz. Auch wenn sie hier und dort anklingen. Zum einen, und damit hat Karig begonnen, aber wir müssen es weiterführen, müssen wir erklären, warum Überwachung doof ist. Wir versteifen uns fast immer zu sagen, dass es so ist. Aber, ich wiederhole es noch einmal, glaube ich nicht, dass die Mehrheit der Menschen unsere Ansicht teilt. Daher müssen wird erklären, warum es scheiße ist, wenn die Geheimdienste unsere Mails lesen und durch unsere Webcams gucken, auch wenn wir deshalb nicht mit einem Dronestrike zu rechnen haben.

Der zweite und noch wichtigere Punkt ist, dass wir nicht bloß neue Narrative setzen müssen, sondern auch eines brechen müssen. Wir müssen das Narrativ vom Kampf gegen den Terror zermürben. Denn mit dem Buzzword „Terror“ wird seit 2001 jede nationalstaatliche Sauerei gerechtfertigt.

Aus dem Buzzword „Terror“ ist noch nie etwas Gutes entstanden.

Daher müssen wir den Leuten klar machen, dass der Terror nicht unser Problem ist, dass fettiges Essen gefährlicher ist als Bomben und dass Geheimdienste Anschläge wie den in Boston eben trotz dem Backup all unser Passwörter nicht verhindern können. Als unglaublich wertvolles Lehrstück empfehle ich hier übrigens den Roman von Maj Sjöwall, Per Wahlöö: Die Terroristen*, in dem genau dieses Szenario aufgeführt wird: trotz massiver Polizeimaßnahmen kann dort ein Terroranschlag nicht verhindert werden. Warum, sag ich mal nicht, um nicht das Ende zu spoilern. Daher müssen wir den Kampf gegen den Terror beenden und mit dem Kampf für unsere Grundrechte beginnen, indem wir anfangen, die richtigen Geschichten zu erzählen…

 

Ich bin raus!

 

*hinterhältiger Affili-Link

Von bösen Russen, bekloppten Eltern, toten Dörfern und der richtigen Gesinnung

Sonst bin ich ja immer vernünftig und schreibe über Logik, Ethik, Toleranz und solchen Schmonsense. Aber heute will ich mal nicht, heute will ich auch mal unrefelktiert sein. Mir von der Seele ranten, was mich nervt, quasi mein Wochenrückblick zum Auskotzen.

Ärger!
Quelle: Reactiongifs

Da wäre zunächst einmal die Ukraine. Mich nervt ungemein, dass ich nicht verstehe, was da los ist und wer die Guten und wer die Bösen sind. Besonders wenn mir erzählt wird, dass wir die Guten sind und der böse Russe böse ist. Den bösen Russen kenne ich noch gut aus meiner Kalterkriegskindheit als Märchenhexe. Der Russe in Form von prorussischen ukrainischen Milizen hat nämlich OSZE-Beobachter entführt. Und die OSZE, die steht doch immer für Frieden. Dann stellen sich die Entführer hin und erklären, die OSZE-Beobachter waren deutsche Spione. Also, wie können diese Kriegstreiber es bloß wagen!
Aber dann, kurz darauf, höre ich, dass wir(tm) möglicherweise einfach gelogen haben und die OSZE-Beobachter möglicherweise gleichzeitig (sort of) Spione waren aka. „bilaterale Militärbeobachter“. Nicht zu wissen, woran ich meinen moralischen Kompass ausrichten soll, suckt.

Noch mehr Ärger!

Quelle: Reactiongifs

Nicht weniger suckt, dass es Menschen gibt, die Kindern Chlorbleiche in den Hinter blasen. Weil das angeblich von Autismus oder ADHS heilen soll. Meines Erachtens darf sich jeder jeden Scheiß reinpfeifen, der er oder sie nur möchte. Aber einem Menschen für dessen Wohl du verantwortlich bist, wegen irgendwelcher verschrobener Glaubensgrundsätze zu quälen, treibt mir die Zornesröte ins Gesicht!

Schiere Wut

Quelle: Reactiongifs

Eher in die Kategorie „lächerlich“ gehört, dass die Netzgemeinde mal wieder für tot erklärt wird. Die ist jetzt schon so oft in den Blogs ebenjener Gemeinde ermordet worden, dass Gerüchten zufolge Jesus den Staffelstab der Unsterblichkeit an ebendiese Netzgemeinde weiterreichen will. Vielleicht bedenkt ihr, bevor ihr euren nächsten Artikel schreibt, dass die Metapher NetzGEMEINDE auf ein Dorf verweist. Als jemand, der in einem Dorf aufwuchs, kann ich euch sagen, dass es für Dörfer ganz normal ist, dass in ihnen auch viele Arschlöcher wohnen, mit denen man nicht einer Meinung ist. Deshalb sind diese Dörfer nicht gleich tot.

Albern!

Quelle: Reactiongifs

Dann habe ich Fringe angefangen zu gucken und finde die Serie eigentlich ganz nett. Bis auf die Tatsache, dass im Piloten gleich der zivile Assistent der FBI-Agentin anfängt zu foltern, als sie bei der Befragung nicht weiterkommen. So schreibt uns Hollywood die „richtige“ Gesinnung in die Köpfe.

Wieder Wut!

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Und dass ich bei diesem letzten Satz eben wie ein Verschwörungstheoretiker klinge, kotzt mich noch am meisten an.

noch mehr Wut

Quelle: Reactiongifs

So, jetzt geht’s mir besser. Vielleicht sollte ich öfter mal ranten…

Erlösung

Quelle: Reactiongifs

Irrtümer

Neulich kursierte mal wieder die Geschichte durchs Internet, dass die Hummel nach den Gesetzen der Aerodynamik eigentlich nicht fliegen kann. Da sie dies aber nicht weiß, fliegt sie trotzdem. Das ist eine tolle Geschichte, denn unsere kleine, dicke Heldin zeigt es mal diesen fiesen Wissenschaftlern, die immer glauben, alles besser zu wissen. Zu dumm nur, dass die Geschichte falsch ist.

Das ließ mich grübeln, was wir noch alles so glauben, zu wissen, aber uns dabei eigentlich irren. Ich persönlich hatte zum Beispiel ziemlich lange ein Problem mit den Ziegen – also mit dem Ziegenproblem. Das Ziegenproblem kommt aus einer amerikanischen Spielshow. Dort bekommt eine Kandidatin drei verschlossene Türen gezeigt, hinter einer dieser Türen liegt ein Gewinn, hinter den anderen beiden stehen Ziegen. Die Kandidatin sucht sich eine der Türen aus, woraufhin der Showmaster eine der anderen beiden Türen öffnet, hinter der eine Ziege steht. Die Kandidatin bekommt nun die Gelegenheit, sich noch einmal umzuentscheiden oder ihrer Tür die Treue zu halten.

Ziegen
Ziegen. Von mir. Lizenz: CC-BY 3.0

Der Clou ist, dass wir jetzt errechnen können, dass die Gewinnwahrscheinlichkeit höher ist, wenn sich die Kandidatin noch einmal umentscheidet. Das wollte lange nicht in mein Hirn rein. Ich dachte immer: Wenn ich dann zwei Türen vor mir habe, sind die Chancen 50:50. Der Zufall hat doch kein Gedächtnis und kann sich nicht merken, ob ich zuvor die eine oder andere Tür hatte. Ein Mathematiker gab mir dann mal eine einfache Hilfestellung, um diesen Denkfehler zu überwinden, indem er mir sagte: Stell dir vor, es sind tausend Türen, du suchst dir eine aus, dann öffnet der Showmaster alle anderen bis auf eine andere und deine Tür. Würdest du dann noch immer sagen, die Wahrscheinlichkeit ist gleich hoch? Nope, natürlich nicht. Und mit drei Türen ist es im Grunde das gleiche, nur dass die Wahrscheinlichkeitsunterschiede nicht so groß sind…

Jedenfalls guckte ich mich ein bisschen um nach weiteren Irrtümern, denen ich anheim gefallen war und stieß auf ein paar schöne Wikipedia-Artikel, die über solche Irrtümer aufklären. Beispielsweise war ich richtig erzürnt, als ich erfuhr, dass mir im Geschichtsunterricht Blödsinn beigebracht wurde. Auf mich machte damals großen Eindruck, dass das römische Reich aufgrund seiner Dekadenz zu Grunde gegangen ist. Sinnbild für diese Dekadenz war, dass die Römer solange aßen, bis sie nicht mehr konnten, dann alles auskotzten und wieder weiteraßen. Stellt sich raus, mein Geschichtslehrer hat mir damals einen Mythos beigebracht. Denn die Römer haben dieses Erbrechen zwischen den Mahlzeiten nicht betrieben. Der Irrtum geht auf den Ausdruck „Vomitorium“ zurück. Aber das Vomitorium war kein Raum zum Kotzen sondern ein Teil eines Amphitheaters.

In Leitmotiv 006 lernte ich, dass Steinzeitmenschen weder Keulen schwangen noch Lendenschurze trugen. Außerdem hatten die Wikinger keine Hörner am Helm, das hat sich Wagner ausgedacht. Auch lernte ich in der Schule, wie gering die Lebenserwartung im Mittelalter war. Das stimmt zwar, birgt aber die Tücken der Statistik. Denn in dieser Lehre steckt die hohe Kindersterblichkeit, sodass ein Alter von über 60 Jahren nicht ungewöhnlich war. Und mit offenem Mund ließ mich zurück, dass Marie-Antoinette nie gesagt hat, das Volk solle Kuchen essen, wenn es kein Brot habe!

Nicht weniger drollig ist, dass all die Gründe für die amerikanische Revolution auf Propaganda zurückzuführen sind:

A propos Propaganda: Der Weihnachtsmann wurde nicht von Coca Cola erfunden, wenngleich die Firma das Bild vom dicken Mann im roten Plüschmantel weltweit exportierte. Und erst vor kurzem habe ich im Spätfilm erzählt, dass bei Orson Welles’ Krieg der Welten die Menschen tatsächlich an die Alien-Invasion glaubten. Stellt sich raus, es war nicht so… Genausowenig wie Einstein in der Schule schlecht in Mathe war, auch wenn sich viele Eltern seit Generationen damit trösten.

So gibt es noch unzählige Irrtümer und ich habe gerade erst einmal die einfachste Art von Irrtum hier angerissen, nämlich das falsche Wissen, noch viel vertrackter wird es, wenn wir uns erst einmal die kognitiven Verzerrungen angucken, aber das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden…

Ich bin raus.

Die definitiv richtigen und letztgültigen Anworten für alle Debatten im Internet

Ach Internet, du nervst mich gerade mal wieder ein kleines bisschen. Einfach weil du immer über das gleiche redest obwohl doch alles schon gesagt ist. Um dem Ganzen jetzt mal ein Ende zu setzten, präsentiere ich euch:

Die definitiv richtigen und letztgültigen Anworten für alle Debatten im Internet!

Copy und Paste dieses Blogposts sind explizit erlaubt. Versprich mir nur eines, Internet, sprich einfach in Zukunft über neue Themen und immer, wenn jemand mit einer dieser alten Diskussion ankommt, knallst du ihm die Antwort, die du hier findest, vor den Latz. Jetzt aber zu den Antworten:

Urheberrecht

Das Urheberrecht ist kaputt, wird aber nicht repariert werden. Du sharest keine Files oder streamst, wegen Meinungsfreiheit oder um Künstler zu unterstützen, selbst wenn du mir noch so viele Studien zeigst, die das eine oder andere beweisen oder widerlegen, sondern weil du Mukke, Spiele und Filme für umme haben willst. Wer wegen Filesharing abgemahnt wird, hat deswegen pech gehabt. Aber jeder, der abmahnt, ist ein Arschloch.

Privatsphäre

Gibt es im Internet nicht. Kannste scheiße finden oder geil, ist aber so und wird sich auch nicht ändern.

Überwachung

Ist scheiße, wird aber nicht weggehen. Überwachung wird die Demokratie kaputt machen und wir müssen sie dann anschließend wieder aufbauen.

Feminismus

Sexismus existiert und ist scheiße. Die Feministinnen haben recht und Maskulisten sind einfach nur lächerlich. Wir sollten uns alle bemühen, Sexismus zu überwinden und ihr, liebe Feministinnen, solltet uns immer wieder geduldig und freundlich erklären, wenn wir was falsch gemacht haben und open minded etwaige Gegenargumente anhören. Dennoch wird Sexismus nicht weggehen.

Homöopathie und andere Esotherik

Ja, ist albern. Aber wem es Spaß macht und wer es freiwillig macht, den sollte man es halt um Gottes Willen machen lassen.

Apple vs. Samsung

Apple baut die besseren Handys, aber 90% der Menschen können die sich halt nicht leisten. Und die Dinger von Samsung machen halt auch ihre Arbeit.

Print vs. Online

Print war geil und hatte ne geile Zeit. Aber Print wird sterben. Und ja, das wird die Qualität des Journalismus’ insgesamt etwas mindern, weil werbefinanzierte Plattformen eben hauptsächlich Massenkompatibles produzieren. Ist scheiße, aber lässt sich nicht ändern.

Piratenpartei

Ihr hattet gute Ideen. Ihr habt es verkackt. Danke fürs Mitspielen!

Religion vs. Atheismus

Man kann weder beweisen, dass Gott existiert, noch dass er das nicht tut. Auch nicht, ob er erlaubt, dass wir Alk trinken oder nicht. Daher soll jeder es mit der Religion so halten, wie es ihm Spaß macht, aber allen anderen nicht auf den Sack gehen.

Homosexualität

Homosexualität existiert, sie ist normal, niemand kann was dafür, niemand kann sie erlernen oder verlernen. Daher sollten Homosexuelle exakt die gleichen Rechte haben wie Heteros.

Star Wars

Die alte Trilogie ist besser als die neue und Star Wars VII wird definitiv die Erwartungen nicht erfüllen.

Facebook

Facebook ist noch schlechter als die neuen Star Wars Filme, aber es ist halt so wie damals die Dorfdisko: Alle sind da, deshalb gehst du auch hin.

Essensfotos und Selfies

99,9% sind scheiße oder langweilig, aber sie tun halt auch nicht weh, weshalb wir jetzt alle weiterscrollen können.

Für alles andere gilt:

 

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Danke für die Aufmerksamkeit.

Ich bin raus.

Kontingenz und Willkür

Ich hatte heute Morgen eine Diskussion auf Twitter mit Christoph Kappes. Hier möchte ich meine Gedanken, die ich heute morgen auf jeweils 140 Zeichen beschränken musste, etwas weiter ausführen.

Alles fing an, mit diesem Text von Anatol Stefanowitsch. In dem „AS, wortstark wie stets“ 😉 gegen das Argument des „inneren Unbehagens“ in der aktuellen Debatte um die Rechte homosexueller Menschen anschrieb. Anatol (ich bleibe hier mal beim Twitter-Du) tat dies aufbrausend und durchaus polemisch, zwei Eigenschaften, die ich an seinen Texten sehr mag, da sie die Lektrüre sehr erfrischend machen. Unter anderem schrieb er dort:

„Ich will Merkel, Matussek, Lewitscharoff und ihren Brüdern und Schwestern im Geiste ihr Unbehagen nicht verbieten. Sie sollen es sogar äußern dürfen – aber bitte dort, wo es hingehört: Gegenüber ihren Gesprächstherapeuten, die ihnen dann helfen können, dieses Unbehagen zu verstehen und hoffentlich eines Tages zu überwinden.“

Das wiederum missfiel Christoph Kappes, der auf Mario Sixtus‘ Tweet:

 

 

Antwortete:  

 

 

Daraufhin antwortete ich Christoph, dass ich Anatols Argument, dass Emotionen nicht als Letztbegründungen dienen können, durchaus plausibel finde und Christoph entgegnete folgendes:

 

 

Woraufhin sich eine Diskussion zwischen Christoph, mir und später auch Julia Schramm entspann. Wer mehr wissen möchte kann das gerne in unserer Timeline nachlesen.

Mir geht es hier darum, etwas ausschweifender zu erläutern, warum Emotionen nicht als Letztbegründung herhalten können. Denn, ich stimme Christoph zwar zu, dass man Matussek und Co. nicht pathologisieren sollte, schon allein weil man ihnen damit auch die Verantwortung für ihre teilweise wirklich menschenverachtenden Äußerungen absprechen würde. Aber, wenn ich hier mal etwas AS-Exegese betreiben darf, dann ist der Kern von Anatols Argument ein anderer. Wenn ich etwas weniger wortgewaltig an das Thema herangehen möchte, würde ich statt „Therapeut“, „Freund“ oder „Ehefrau“ sagen. Denn all diesen Gesprächssituationen ist etwas gemein: Sie sind privat.

Es ist in einem privaten Gespräch vollkommen angebracht, zu sagen, wie man sich fühlt:

 

 

Aber Matussek, Merkel und Lewitscharoff haben etwas anderes getan, als bloß ihre Gefühle artikuliert. Sie haben nicht über Gefühle gesprochen, wie man es tut, wenn man etwa smalltalkt: „Der Sieg der Bayern hat mich begeistert!“, oder wenn man eben mit seinem Therapeuten redet.

Ihre Gefühlsartikulation spielte eine gewisse Rolle im Sprachspiel. Ein schlauer Mann namens John Langshaw Austin hat die sogenannte Sprechakttheorie aus der Wiege gehoben. Nach dieser hat jede Äußerung, die ich von mir gebe, gewissermaßen drei Dimensionen: Lokution, Illokution und Perlokution. Oder etwas weniger „akademisch“ ;-): Der Inhalt der Äußerung, ihre Rolle und ihre angestrebte Wirkung.

Klassisches Beispiel ist die Situation, in der ich abends durch die Wohnung rufe: „Das Essen ist fertig!“. Der Inhalt meiner Äußerung ist, dass ich über einem Ding in der Welt „Essen“ eine Eigenschaft zuschreibe: „fertig sein“. Aber die Rolle meiner Aussage ist eine ganz andere: Ich wollte doch wohl kaum eine Aussage über die Welt tätigen, ich wollte meine Familie zu Tisch rufen. Die Rolle ist also eine Aufforderung, eine Bitte oder – in Familien, wo es etwas ruppiger zugeht – ein Befehl. Die angestrebte Wirkung ist nun natürlich, dass meine Familie sich auch um den Esstisch einfindet.

Wenn also Matussek, Merkel und Co. ihr „Unbehagen“ zum Ausdruck bringen, dann ist das zwar auf der Inhaltsebene (Lokution) eine Gefühls-Artikulation, nicht jedoch auch den anderen beiden Ebenen. Denn sie bezwecken ja etwas mit dieser Gefühls-Artikulation. Die Rolle (Illokution), die sie spielt, ist die eines Arguments. „Homosexualität ist schlecht, weil ich mich dabei schlecht fühle“.

Und die Wirkung, die sie erzielen wollen (Perlokution), ist meines Erachtens zweierlei: An die Stammtische geht ein „Das seht ihr doch auch so!“. Hingegen soll an die Intellektuellen die Botschaft gehen, dass dieses Unwohlsein eine Letztbegründung ist. Ein Lutherisches „Hier stehe ich und kann nicht anders“. Das ist zwar ein beliebtes Argument in der Ethik, aber es ist dennoch vollkommen ungeeignet.

Denn mit Gefühlen kann ich alles Begründen. Ich kann sowohl sagen: „Homosexualität ist falsch, weil sie mir Unbehagen bereitet“, als auch: „Homophobie ist falsch, weil sie mir Unbehagen bereitet!“, oder gar: „Brokkoli ist wider die Natur, weil er meiner Tochter (6) Unbehagen bereitet“.

Aber, wenn ich mit einem Argument alles begründen kann, hat es keinen Wahrheitswert. Es ist dann bloße Willkür, kann somit unmöglich wahr sein. Etwas muss prinzipiell widerlegbar sein, um überhaupt die Möglichkeit zu beinhalten, wahr zu sein. Das ist der berühmte Poppersche Falsifikationsvorbehalt. Und das ist ein Unterschied zu bloßer Kontingenz… Kontin-was?

 

 

In der Logik ist etwas kontingent, das weder notwendig wahr ist, noch unmöglich wahr ist. Das Problem einer jeden Ethik ist nun, dass sie nie notwendig wahr ist, daran ist der Sein-Sollen-Fehlschluss schuld. Letztlich werden wir immer auf die Frage zurückgeworfen: „Wie wollen wir leben?“. Genauso verhält es sich mit der Menschenwürde.

 

 

Deswegen kann ich diese drei Argumente nicht liefern. Aber! Ein dickes, fettes „Aber“ mit Streuseln obendrauf:

Bloß, weil Menschenwürde kontingent ist, ist sie noch lange nicht willkürlich. Menschenwürde ist das Ergebnis eines tausende Jahre alten Diskurses. Menschenwürde ist deshalb in unserem Grundgesetz, weil Sklaverei, Rassismus, Kriege, Revolutionen, Sexismus und Holocaust zuvor passiert sind, alles bloß „zufällige“ Ereignisse, die nicht notwendig hätten stattfinden müssen. Aber nichtsdestotrotz haben sie stattgefunden. Und es war unter dem frischen Eindruck des Holocausts, dass unser Grundgesetz geschrieben wurde und weshalb die Menschenwürde als oberstes Axiom eingesetzt wurde. Deshalb ist Menschenwürde zwar kontingent, aber nicht willkürlich. Zu sagen, dass man die Menschenwürde bestimmten Menschengruppen abspricht, weil man ein schlechtes Gefühl hat, ist hingegen Willkür.

Ich bin raus!

digital und analog

Ich habe eine neue Podcastempfehlung für Sie, werte Leser: n00bcore. Dort geht Fiona, als eine, die keine Ahnung hat, der Frage nach, was eigentlich ein Computer ist und wie er funktioniert. Als einer, der keine Ahnung hat, macht mir das sehr viel Spaß anzuhören. In der letzten Folge interviewte sie beispielsweise Tim Pritlove zur Frage, was „analog“ und „digital“ bedeutet.

Nun trifft es sich zufällig, dass ich selbst dann doch ein bisschen Ahnung habe, was analog und was digital ist. Und so muss ich hier mal ein wenig klugscheißen, wie die beiden schon ganz richtig prognostiziert haben. Aber Sie, werte Leserinnen, kennen meinen Stil und wissen, dass ich diese Einleitung – im Stile der Simpsons – nutzen werde, um auf etwas anderes abzuschweifen. Ich will jetzt nicht bei jedem Satz des erwähnten Podcasts den Finger in die Wunde legen und schreien: „Ätsch, stimmt nicht!“, sondern die Philosophie von Nelson Goodman hier vorstellen.

Denn, wann immer in diesem Internet die Rede vom Digitalen ist, wundert es mich ein wenig, dass niemand Goodman ins Spiel bringt. Aber eigentlich wundert es mich nicht sonderlich, denn ich kenne die mutmaßliche Antwort. Dass Goodman nicht den Ruhm im Digitalen erhält, der ihm gebührt, liegt sicherlich an dreierlei:

Erstens ist Goodman hierzulande nicht sonderlich bekannt. Sage ich „Russell“ oder „Quine“, dürfte ein wissendes Nicken durch die Reihen meiner Leserinnen gehen, sage ich hingegen „Goodman“, ist die Reaktion wohl eher: Dafuq?

Zweitens ist Goodman nicht leicht zu lesen, sondern gehört in die Königsklasse der Philosophie. Zwar sind seine Texte sprachlich ein Genuss, aber inhaltlich eben eine harte Nuss. Ich hatte das Glück, seine Texte im Sprachwissenschaftsstudium seziert zu bekommen umd werde wohl dennoch die eine oder andere Definition für diesen Post nachschlagen müssen. (Musste ich dann doch nicht. Yeah!)

Drittens macht Goodmans Hauptwerk nicht den Eindruck, als hätte es viel mit Computern und Digitalität zu tun, denn es heißt: Sprachen der Kunst.*

Nichtsdestotrotz ist Goodmans Philosophie fantastisch geeignet, zu erklären, was analog und digital bedeutet, denn er liefert eine Definition, die mir absolut wasserdicht zu sein scheint.

Weisen der Welterschließung

Die Frage, die sich zuerst stellt, lautet: was kann denn eigentlich analog respektive digital sein? Die Antwort: Ein Symbolschema oder ein Symbolsystem. Die Welt selbst ist weder digital noch analog. Die Welt ist einfach. Wir Menschen erschießen sie uns aber auf bestimmte Arten und Weisen. Wittgensteins Diktum „Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt“ würde Goodman umformulieren in „Die Grenzen meiner Symbolsysteme sind die Grenzen meiner Welt“, denn die Sprache ist nur eines (wenngleich ein sehr wichtiges) von vielen Symbolsystemen, die wir benutzen um uns die Welt zu erklären. Was ist ein Symbolsystem? Ganz einfach: Ein Symbolschema mit Semantik. Ein Symbolschema wiederum ist ein ein Symbol, das eine interne Struktur hat: eine Syntax. Zum Beispiel ist dieser Blogpost zunächst einmal ein Symbolschema: Er hat eine interne Struktur. Buchstaben sind zu Worten geformt, die (mehr oder weniger) nach den Regeln der deutschen Grammatik zu Sätzen geformt sind.

Aber auch ein Gemälde, zum Beispiel, ist ein Symbolschema. Wenngleich bei diesem die Sache mit der internen Struktur etwas tückischer ist (Kleiner Spoiler: das hat etwas mit dem Thema dieses Textes zu tun), aber Sie werden mir sicher zustimmen, dass man etwa beim „Mädchen mit dem Perlenohrring“ den Perlenohrring mehr oder weniger als ein Element des Gesamtgemäldes ausmachen kann.
Mädchen mit dem Perlenohrring

Johannes Vermeer: Mädchen mit Perlenohrring. Quelle: Wikimedia Commons. Lizenz: gemeinfrei.

Um ein Symbolsystem zu werden braucht so ein Symbolschema jetzt noch Bedeutung. Die erhält es, indem wir es auf etwas beziehen. Etwa beziehen wir uns in sehr vielen Fällen mit Sprache auf die Welt. Aber das ist nicht die einzige Form der Bezugnahme. Eine Note bezieht sich beispielsweise auf einen bestimmten Ton, dieser Ton gibt ihr die Bedeutung und die HTML-Auszeichnung „img“ bezieht sich auf ein Bild. Das Bild verleiht dem Schema seine Bedeutung.

Vertrackte Definitionen von digital und analog

So, jetzt haben wir geklärt, was ein Symbolschema und das dazu gehörende System sind. Und diese beiden können nun also analog oder digital sein. Wobei analog und digital keine Dichotomie bilden, sondern die Endpunkte eines Spektrums sind. Denn nun kommen wir zu diesen vertrackten Definitionen.

Goodman sagt, dass ein Symbolsystem dann digital ist, wenn es syntaktisch und semantisch durchgängig disjunkt und effektiv differenziert ist. Analog hingegen ist ein Symbolsystem wenn es semantisch und syntaktisch durchgängig dicht ist.

Puh, jetzt ist es raus, aber was bedeutet das?

Disjunkt

Die Wikipedia bringt das ganz gut auf den Punkt:

„In der Mengenlehre heißen zwei Mengen A und B disjunkt (lateinisch disiunctum ‚getrennt‘), elementfremd oder durchschnittsfremd, wenn sie kein gemeinsames Element besitzen.

Das Beispiel hierfür ist idealerweise der Computer. Der kennt nur 1 und 0. Es gibt für den Computer keine Zwischenzustände. Entweder ist etwas 1 oder es ist 0. Das Gegenbeispiel verhandeln wir gerade mit dem Tod. Der Tod ist nicht disjunkt, denn es gibt eine Zwischenphase im Übergang zwischen Leben und Tod, die wir begrifflich nicht richtig fassen können und die uns deshalb so viele ethische Probleme auferlegt.

Effektiv differenziert

Mit der effektiven Differenziertheit hat Goodman ein pragmatisches Kriterium in seine Theorie mit aufgenommen. Denn bloße Disjunktheit reicht nicht aus, um Digitalität zu gewährleisten. Es muss auch immer praktisch möglich sein, diese festzustellen. So könnten wir uns beispielsweise ein disjunktes Balkendiagramm vorstellen, das aber nicht effektiv differenziert ist. Das Diagramm hätte dann keine zwei Balken, die exakt gleich lang sind, aber die Längenunterschiede wären teilweise so minimal, dass man nicht mehr in der Lage ist, zu sagen, welcher Balken länger ist. Bei aller Disjunktheit wäre diese Diagramm dann trotzdem nicht digital, da es sich praktisch nicht anwenden lässt.

Durchgängig

Das Kriterium der Durchgängigkeit ist nun das nächste, dem wir uns widmen müssen. Denn ein Symbolsystem kann an einer Stelle disjunkt und differenziert sein, an einer anderen Stelle aber nicht. Das Beispiel hierfür sind Noten und das Klavier. Auf dem Klavier wird bei Fis und Ges die gleiche Taste gedrückt (im Gegensatz zu Streichinstrumenten). An dieser Stelle ist das Notensystem für Klavier nicht disjunkt, somit nicht digital.

Syntax und Semantik

Das ganze muss jetzt sowohl syntaktisch, als auch semantisch zutreffen. Das Paradebeispiel ist der Code. Ein Code ist eine eineindeutige Zuordnungsvorschrift. Beispielsweise ist die Syntax von „01000001“ eindeutig digital. Jedes Element ist entweder 1 oder 0 und ich kann das gut unterscheiden. Aber auch die Semantik von „01000001 = A“ ist digital, denn im Binärcode (ich vereinfache bewusst) wird 01000001 immer A ergeben und A immer 01000001 ergeben. Demgegenüber ist die Sprache (genauer gesagt die Schriftsprache) zwar syntaktisch digital aber nicht semantisch. Buchstaben sind alle disjunkt und Sie können in diesem Text alle Buchstaben gut unterscheiden. Aber in der Semantik ist das schon nicht mehr der Fall. Wir alle kennen „Teekesselchen“. Aber auch, wenn diese sich meist aus dem Kontext ergeben, macht die einfache Zuordnungsprobe, die wir eben auf den Code angewendet haben, klar, dass Sprache semantisch nicht digital ist: Das Wort „Ast“ bezeichnet das Ding /Ast/. Wenn es jetzt aber ein dünner Ast ist, kann jemand auf die Frage, was das ist, auch mit „Zweig“ antworten und schon ist unser Symbolsystem semantisch nicht mehr disjunkt.

Dichte

Das Gegenteil von disjunkt ist jetzt dicht. Ein Symbolsystem ist dann dicht, wenn ich nicht unterscheiden kann, welche Elemente bedeutungstragend sind und welche nicht. Beispielsweise ist es für Schrift so egal wie für die NSA die Unschuldsvermutung, ob sie Serifen hat oder nicht. Serifen sind nicht bedeutungstragend. Und die Gegenprobe stellt nun – wie vorhin angedeutet – das Gemälde dar. Wenn wir uns noch einmal das Mädchen mit seinem Ohrring anschauen, dann können wir einerseits von keinem Element in dem Bild sagen, dass es nicht bedeutungstragend ist. Aber die Dichte geht sogar noch weiter. Wenn wir uns den Ohrring angucken, können wir nicht einmal genau sagen, wo dieser endet. Wir können zwar sagen wo er eindeutig ist und wo er eindeutig nicht ist, aber es gibt einen Bereich, von dem wir nicht sagen können, ob dies nun Ohrring ist oder nicht.

Ein Spektrum mit ausgefranster Mitte

Wenn wir uns jetzt die Beispiele angucken, die ich hier aufgeführt habe, so können wir sie in ein Spektrum packen, in dem sich alle unsere Symbolsysteme wiederfinden:

An einem Ende ist unser Spektrum digital, dort finden wir alle Arten von Codes. Fast durchgängig digital sind Noten. Sprache bildet die goldene Mitte mit digitaler Syntax und analoger Semantik. Unsere Balkendiagramme, die so schwer zu unterscheiden waren, stehen der Analogizität noch näher. Und das Gemälde befindet sich ganz am anderen Ende: Es ist komplett analog.

So können wir am Ende auch das Phänomen der Analoguhr fassen, mit dem sich Fiona und Tim herumplagten. Denn diese ist zwar nicht digital, aber wenigstens ein Element, die Unruhe, ist effektiv differenziert. Dennoch ist eine Analoguhr ohne Stunden- oder gar Minutenstriche schon ziemlich nah am analogen Ende des Spektrums einzuordnen, hingegen trägt die Digitaluhr ihren Namen zurecht, denn zu jedem Zeitpunkt kann ich exakt sagen, welche Uhrzeit angezeigt wird.

Sprache

Es spricht übrigens einiges dafür, dass die Stellung der Sprache in diesem Spektrum, sie so besonders macht. Digitale Syntax und analoge Semantik scheinen ziemlich effektiv zu sein und haben wohl guten Dienst in der Evolution der Menschheit geleistet, weil sie zum Beispiel Logik ermöglichen. Aber dazu mehr ein anderes Mal.

Ich bin raus.

Literatur

Nelson Goodman: Sprachen der Kunst*

Nelson Goodman: Weisen der Welterzeugung*

Nelson Goodman und Catherine Z. Elgin: Revisionen*

Ludwig Wittgenstein: Tractatus-logico-hilosophicus*

*Hinterhältiger Affili-Link

Ich habe ein Problem mit Gentechnik …

… und ich möchte deswegen nicht behandelt werden, als wäre ich in einer Fraktion mit Impfgegnern und Globolischluckern.

Ich glaube nicht, dass mir Brokkoliohren wachsen, wenn ich genveränderten Brokkoli esse. Ich glaube nicht, dass ich zu Spiderman werde, wenn mich eine genmanipulierte Spinne beißt. Ich weiß das eine oder andere über wissenschaftliche Studien und weiß, dass genmanipulierte Lebensmittel eine ganze Reihe von Testphasen durchlaufen müssen, bevor sie auf unseren Tellern landen, sodass die Gefahr, dass sie für uns schädlich sein könnten, äußerst gering ist. Wenngleich diese Gefahr nicht ausgeschlossen ist, was Gentechnikbefürworter gerne verschweigen.

Contergan hat ebenfalls den ganzen Durchlauf von wissenschaftlichen Studien mitgemacht. Am Ende hatten die Pharmakologen nur ein kleines Detail in ihren Tests übersehen. Ein Detail, das sogar besonders schwer herauszufinden ist, da man schwangere Frauen aus ethischen Gründen nicht in medizinischen Studien einsetzen darf. Es war nicht so, dass Grünenthal, die Firma, die Contergan entwickelt hat, faul oder dumm gewesen wäre, als sie es auf den Markt brachte. Statt dessen hatten sie nur einen Fehler gemacht, so wie Menschen Fehler machen. Und dieser Fehler hatte dramatische Folgen. Solche Fehler werden auch im Zusammenhang mit der Gentechnik unterlaufen und Befürworter sollten dies nicht verschweigen, sonst sind sie nicht aufrichtiger, als jene Menschen, die Panik gegen diese Technologie schüren.

Und dennoch ist das nicht mein Problem mit der Gentechnik. Mein Problem ist, dass wir ein Urheber- und Patentrecht haben, das Patente auf gentechnisch veränderte Lebewesen(!) zulässt, sodass ein Bauer, auf dessen Felder gentechnisch veränderte Samen geweht werden, sich wegen Patentverletzungen vor Gericht wiederfindet. Mein Problem mit Gentechnik ist, dass Baumwolle die Eigenschaft der Fortpflanzung weggezüchtet wurde, sodass Baumwollbauern jedes Jahr für viel Geld die Samen neu kaufen müssen und bei einer Missernte in den Ruin und oft genug in den Suizid getrieben werden. [Update: Laut Spektrum gab es keine signifikatne Zunahme an Suiziden unter indischen Baumwollbauern. Im Gegenteil: laut der Uni Göttignen scheint es nach Anfangsschwierigkeiten sich positiv auszuwirken. Vielen Dank an @lingenhoehl für diese Information].Mein Problem mit Gentechnik ist, dass Soja immun gegen Agent Orange gemacht wurde, sodass dieses Pflanzengift über weite Flächen in Argentinien versprüht wird und dort alles tötet, was nicht Soja ist.

Diese Probleme existieren. Sie sind real. Und wir müssen Lösungen dafür finden, weswegen ich eine weitere Liberalisierung der Gentechnologie kritisch sehe, solange diese Probleme nicht gelöst sind.

Deswegen habe ich ein Problem mit Gentechnik und das ist ein sehr rationales Problem! Und ich möchte nicht als durchgeknallter Esoteriker behandelt werden, weil ich einer Biotechnik kritisch gegenüberstehe.

Entspannter Twittern

Twitter ist unser aller Lieblingsort im Netz. Das liegt an einer Reihe ganz spezieller Faktoren, die Twitter besonders machen. Zunächst ist Twitter interessengetrieben. Wenn du zum ersten Mal Twitter besuchst, wirst du das alles nicht verstehen, doch nach kurzer Zeit stellst du dann fest, dass du dort Menschen und Institutionen folgen kannst, die Inhalte twittern, die dich interessieren und dass du dir so einen ganz persönlichen Nachrichtenfeed zusammenstellen kannst. Das unterscheidet Twitter wesentlich von Facebook, wo deine „Freunde“ zum überwiegenden Teil tatsächliche Bekannte aus dem Leben afk sind. Was die auf Facebook posten, ist dann eben oft uninteressant. Zwar bietet Facebook auch Möglichkeiten des Feintunings deiner Timeline an, aber die sind eher so „mittelgut“, um es mal höflich auszudrücken. Die Ausrichtung bleibt: Facebook ist beziehungszentriert, Twitter hingegen interessenzentriert. Auf Google+ rollt das Tumbleweed und auf Xing richtet man sich die Krawatte.

 

Permanentes Stand-up-Comedyprogramm

Natürlich kannst du deinen Nachrichtenstream auch per RSS einrichten, aber dann fehlt dir die soziale Komponente komplett. Denn Twitter macht als zweiten Faktor besonders, dass es ein Hybrid ist: Twitter ist sowohl Microblogging-Plattform als auch soziales Netzwerk. Einerseits zeigt sich sein Blog-Geist, indem viele Twitterer ihre 140 Zeichen nutzen, um ein permanentes Stand-up-Comedyprogramm durchzuziehen, andere Accounts sind themenspezifisch: So gibt es zum Beispiel eine Reihe historischer Accounts, die berichten, was an diesem Jahrestag im zweiten Weltkrieg vorgefallen ist oder ähnliches. Andererseits ist Twitter auch ein soziales Netz: Du folgst nicht nur einseitig anderen, andere können auch dir folgen. Du kannst Inhalte retweeten, also mit deinen Followern teilen, du kannst Inhalte favorisieren und du kannst auf Inhalte antworten.

Selbstbeweihräucherung ist ein ganz normales Phänomen

Und der dritte Faktor, der Twitter so speziell macht, ist seine Größe: Twitter hat so viele Nutzer, dass für jeden etwas dabei ist. Jeder findet seinen Kreis, jeder kann sich seine Timeline aus dem großen Buffet zusammenstellen. So hat App.net zum Beispiel versucht, ein besseres Twitter zu machen, aber (zumindest bislang) das Problem, dass es zu klein ist. Das führt dazu, dass die Nutzerschaft sehr homogen, nämlich technikinteressiert ist, dass dort Postings nicht wie auf Twitter durchrauschen, sondern eher tröpfeln und dass man das Gefühl hat, das jeder zweite Post davon handelt, wie viel toller ADN doch als Twitter ist. Diese Selbstbeweihräucherung ist zwar ein ganz normales Phänomen von sozialen Kreisen, es ist auf Twitter nicht weniger anzutreffen, allerdings fällt es aufgrund der erwähnten Masse an Tweets nicht so ins Gewicht.

Abschiede mit großer Geste und alberne Comebacks

Soviel zur Theorie. In der Praxis zeigen sich allerdings einige Abweichungen von der reinen Lehre. So scheint Twitter vielen Menschen eine ganze Menge Stress zu bereiten. Ständig gibt es Streit auf Twitter darüber wem man folgen soll oder darf und wem nicht. Ob und wie man auf einen Tweet antworten darf. Und welche Tweets man wie mit wem teilen sollte oder nicht. Regelmäßig verabschieden sich große Twitterer mit großer Geste vom Medium, als hätten sie gerade ihre Karriere beendet und viele kehren nach einiger Zeit mit einem albernen Comeback zurück.

Türsteher vor meiner Filterblase

Der jüngste Streit dreht sich um einen winzigen Account mit Namen @blockempfehlung. Ein „Block“ ist die Einstellung in Twitter, dass man selbst nichts mehr über die und von der geblockten Person hört. @blockempfehlung spricht nun, wie der Name sagt, Empfehlungen aus, wenn man blocken soll. Da ich mir gerne selbst meine Meinung bilde und ein eher gespaltenes Verhältnis zu Türstehern habe, werde ich dem Account nicht folgen, denn ich möchte keinen Türsteher vor meiner Filterblase. Damit ist die Sache für mich gegessen. Für andere hingegen nicht: Sie schimpfen über Zensur, Denunziation und sogar Faschismus. So viel Aufregung ist nicht nötig. Man kann Twitter auch ganz unverkrampft nutzen. Man muss sich nur mal ein paar Sachen bewusst machen. Daher folgt hier ein Leitfaden, wie ihr alle Twitter entspannter nutzen könnt:

140 Zeichen

Ein Tweet ist beschränkt auf 140 Zeichen. Dies ist für viele Sätze der deutschen Sprache schon zu kurz. Das macht einerseits den Reiz aus, ich muss kurz und prägnant formulieren. Andererseits erfordert es aber auch – zwangsläufig – Verkürzung. Ich kann nicht abwägen, sondern muss knallhart ohne ‚Wenn‘ und ‚Aber‘ formulieren. Deshalb sollte jeder Empfänger, bevor er sich echauffiert, sich vielleicht mal kurz besinnen, ob der Tweet nicht auch anders gemeint sein kann. Und ob ein einziger Tweet, der vielleicht nicht in Ordnung war, es gleich wert ist, zu den Waffen zu greifen. Oder ob man nicht lieber einfach darüber hinwegscrollen sollte und beobachten, ob auch in Zukunft unangebrachte Inhalte kommen. Denn – das sollte sich jeder immer klar machen – es kann auch ganz anders gemeint gewesen sein. Andererseits sollte sich jeder Sender auch fragen, ob wirklich jeder Tweet geschrieben werden muss. Ob er oder sie es nicht vielleicht auch einfach mal lassen soll, denn das führt uns zum zweiten Punkt.

Der Fav

Wenn mir ein Tweet gut gefällt, verteile ich einen Stern, ich favorisiere ihn. Die Seite Favstar hat daraus die inoffiziellen Twittercharts gemacht. Das führt dazu, dass viele auf der Jagd nach Sternen keinen Witz für zu billig halten. Wovon sich wiederum andere gestört fühlen. Und obendrein gibt es auch noch Neid: Hans hat mehr Follower als Peter obwohl Franks Tweet viel schlechter ist als Walters. Mein Rat: hört auf, euch mit anderen zu vergleichen, sondern freut euch, wenn jemand euch versteht und daher besternt. Außerdem komponiert lieber wenige gute Tweets, als mit einem Dauerfeuer von Geschmacklosigkeiten eure Quote zu erreichen.

Der Tweetklau

Auf der Jagd nach Sternen gehen manche den Weg des geringsten Widerstands und kopieren, was andere bereits geschrieben haben. Machen sie dies mit der von Twitter vorgesehenen Funktion, handelt es sich um einen Retweet mitsamt Quellenangabe und alle sind glücklich.  Doch gelegentlich schmückt sich jemand mit fremden Federn. Das wird auf Twitter nicht gerne gesehen und Täter werden mit Bissen beziehungsweise Shitstorms aus dem Rudel vertrieben. Natürlich ist es unglaublich verwerflich jemandes „geistiges Eigentum“ zu „stehlen“. Oder wie Peter Breuer es ausgedrückt hat:


Und vielleicht, aber auch nur ganz vielleicht, ist dein Tweet auch nicht so kreativ gewesen, dass er nicht noch jemandem anderen einfallen konnte. Zumindest einen Tweet aus den Favstar-Best-Of lernte ich schon Jahre zuvor auf belauscht.de kennen. So etwas nehme ich zur Kenntnis, schüttele vielleicht den Kopf über den Geltungswahn des Twitterers aber deswegen veranstalte ich doch keinen Exorzismus…

Replies und Mentions

Wenn man auf Twitter jemanden in einem Tweet erwähnt, wird dieser umgehend darüber informiert. Immer wenn jemand @Privatsprache schreibt, vibriert mein Handy. Das ist eine Mention. Setze ich den Namen an den Beginn des Tweets, kann dieser Tweet nur noch von mir, dem/der Erwähnten und unseren gemeinsamen Followern gelesen werden. Das ist dann eine Reply. Zumindest war das früher so, mittlerweile hat Twitter so merkwürdige Linien eingeführt um Konversationen zu kennzeichnen, die das Prinzip modifizieren…

Hier schlägt jetzt wieder der janusköpfige Aufbau Twitters zurück. Menschen, die Twitter als Microblog nutzen, um eine möglichst große Reichweite zu generieren, mögen keine Replys und Mentions und viele äußern ihr Verachten oft lautstark. Natürlich verstehe ich, dass es anstrengend wird, wenn bei 20.000 Followern auch nur jeder 20. auf einen meiner Tweets antwortet, weil das Rauschen dann zu groß wird. Aber jedes Mal genervt zu reagieren ist auch albern, denn die Menschen, über die du dich da aufregst, sind deine Fans. Ohne sie wärst du auf Twitter nichts, also behandele sie mit Respekt. Und wenn jemand wirklich nervt, kann man ihn auch Blocken. Was natürlich doof ist, wenn man nur nach Quote geht…

Der Block

Ein anderes Problem ergibt sich, wenn man kontroverse Tweets absetzt. Ein Shitstorm kann schon sehr belastend sein. Da hilft ein Block um sich selbst zu schützen. Aber man sollte auch vorsichtig sein, dass man nicht voreilig andere blockt, die ja vielleicht doch wieder nur ungeschickt in 140 Zeichen gefangen sind. Außerdem hat mal (ich glaube) @Linuzifer bei WMR etwas über Blogposts gesagt, das erst recht für Twitter gilt: Man liest sie mit der eigenen inneren Hassstimme. Vielleicht war:

Im Sturm nicht als das gemeint:


Sondern eher als das:

Und für die andere Seite gilt: Ja, ein Block ist eine narzisstische Kränkung. Ja, ich habe diese auch schon erfahren. Und ja: Ich konnte das damals auch nicht verstehen, aber deswegen bin ich nicht gleich verbal Amok gelaufen. @mspros Thesen vom Kontrollverlust und von der Filtersouveränität erklären sehr gut, warum man mit gutem Recht jemanden blocken darf. Und das ist keine Zensur! Deine Meinungsfreiheit wird nicht eingeschränkt, dadurch, dass eine Person sagt: ich will mir das nicht anhören. So wie ich für mich entschieden habe, nicht die Bildzeitung zu lesen. Damit zensiere ich aber die Bild nicht.

Entfolgen

Was fürs Blocken gilt, gilt auch fürs Entfolgen. Ihr erinnert euch an meine Eingangsthese: Twitter ist interessengetrieben. Also kann dieses Interesse auch enden und hat nichts damit zu tun, dass die Person, die euch nun nicht mehr folgt, euch beleidigen will oder was ihr da sonst noch alles hineininterpretiert. Seht das alles einfach etwas entspannter, dann bleibt Twitter für euch und uns alle der schönste Ort im Netz, abgesehen natürlich von diesem Blog.


Und wisst ihr was? Immer wenn Twitter euch nervt, gibt es eine einfache Lösung: Einfach mal das Handy beiseite legen und den Browsertab schließen. Ihr müsst ja nicht gleich so etwas Verrücktes machen wie offline gehen! Ihr könnt einfach etwas entspannter Twittern.

 

 

 

 

 

Ich bin raus.

Das Kabinett der GroKo in Worten, Bildern und Videos

Ganz frisch wurde die zum Wort des Jahres gekürte große Koalition auch vereidigt. Ein feierlicher Staatsakt, der fast vergessen macht, mit wem wir es hier zu tun haben. Na kennt ihr sie, unsere neue Truppe?

Ähm ja?
Quelle: Reactiongifs

Doch unsere Kanzlerin und ihre Minister sind nicht bloß Experten und verantwortungsbewusste Führer (ja, die Konnotation ist mir bewusst) unseres Landes, sie haben auch eine Vergangenheit. Kennt ihr die noch? Oder hat euch der Glanz dieser Zeremonie so geblendet dass ihr die Gurkentruppe, Zensursula und Guantanamo Bay schon vergessen habt. Ah ja, genau, da war noch was…

Lasst uns doch mal einen Blick werfen in die Vergangenheit unseres Kabinetts.

Angela – die ruhige Hand – Merkel

 

Beginnen soll alles mit der Bundeskanzlerin. Erinnert sich noch jemand an ihren Vorgänger? Das war ein Typ namens Gerhard Schröder, der auch gerne mal „Genosse der Bosse“ genannt wurde, weil er trotz SPD nicht so viel mit Sozialpolitik am Hut hatte. Uns Gerhard hatte auch ein paar gute Jahre. In denen wollte er nicht so viel kaputtmachen mit schlechten Ideen wie Regieren oder so. Also erhob er das Nichtstun zur Staatsraison und nannte es: „Die Politik der ruhigen Hand“. Angela Merkel, damals Oppositionschefin sah das freilich ganz anders:

„Der Bundeskanzler drückt sich, statt zu handeln.“

Quelle: Tagesspiegel

Ein paar Jahre später war sie dann selbst an der Macht und musste sich der Frage stellen: soll ich wichtige Reformen angehen und damit dann an alten Besitzständen kratzen? Nun ja, ihr kennt die Antwort… Dass sie damit grandiose Beliebtheitswerte unter den Wählern einstreicht, hängt sicher auch damit zusammen, dass ihre Untergebenen handelnd nicht gerade Glanzlichter sind. Wie zum Beispiel:

Sigmar – Ich mache mir die Welt wide-wie sie mir gefällt – Gabriel

Unser neuer Wirtschafts- und Finanzminister hat sich erst kürzlich in die Herzen der Nation gelogen. Als er auf die Frage, warum er die Voratsdatenspeicherung wieder einführen will, die das Bundesverfassungsgericht als Grundgesetzwidrig erklärt hatte, sich die Welt einfach mal mit folgendem Satz zurechtbog:

„… durch die dortige Vorratsdatenspeicherung, wusste man sehr schnell, wer in Oslo der Mörder war (…). Das hat sehr geholfen.“

Quelle: Zeit

Damit bezieht er sich auf das Attentat in Norwegen von Anders Breivik. Was unser Siggi dabei aber mal ganz aus Versehen unter den Tisch fallen lässt, ist nicht bloß, dass Breivik nicht durch Vorratsdatenspeicherung überführt wurde, sondern weil er auf frischer Tat, blutverschmiert, beim Kinderabmetzeln erwischt wurde. Nein, obendrein vergisst Gabriel auch noch, dass Norwegen damals noch gar keine Vorratsdatenspeicherung hatte.

Dass man es aber mit den Grundrechten in der SPD-Spitze anscheinend eh nicht so eng sieht, sieht man an:

Frank Walter – „Klar, behaltet den Kurnaz ruhig in Guantanamo“ – Steinmeier

Unser neuer Außenminister, der nach einer kleinen Pause den Job wieder antreten darf, legt seinerseits nämlich die Unschuldsvermutung mal gerne etwas großzügig aus. Wir erinnern uns: nach den Anschlägen vom 11. September 2001 hatten die USA das menschen- und völkerrechtswidrige Gefängnis in der Guantanamo Bay auf Kuba gegründet. Sie taten das, um dort Menschen ohne Gerichtsverfahren wegzusperren, die sie als „feindliche Kämpfer“einstuften, weil sie als Kriegsgefangene zu viele Rechte gehabt hätten.

Dumm nur, wenn du zur falschen Zeit am falschen Ort bist. So wie etwa Murat Kurnaz, der nach Auffassung von BND und Verfassungsschutz „nie terroristisch tätig“ war. Gut, ist jetzt dumm gelaufen, dachten sich die Amis und meinten, Schwamm drüber, schicken wir den halt zurück nach Deutschland und das bisschen Folter hat doch (fast) keinem weh getan. Doch da hatten sie die Rechnung ohne den damaligen Kanzleramtsminister Frankyboy gemacht. Denn der wollte Kurnaz nicht wieder nach Deutschland lassen. Scheiß auf „Jeder Mensch gilt als Unschuldig bis zum Beweis seiner Schuld“, scheiß auf den Rechtsstaat und seine ordentlichen Gerichtsverfahren und scheiß auf das Folterverbot. Denn, so Steinmeier:

„Ich würde mich heute nicht anders entscheiden“ Er begründete seine Entscheidung mit der Einstufung von Kurnaz als Sicherheitsproblem durch die deutschen Behörden.“Man muss sich ja nur vorstellen, was geschehen würde, wenn es zu einem Anschlag gekommen wäre“, so der heutige Außenminister, „und nachher stellte sich heraus: Wir hätten ihn verhindern können.“

Quelle: SpOn

Der Steinmeier...
Quelle: Fernsehen. 😉

Gegen solche unverfrorene Verfassungsfeindlichkeit ist der Rest des Kabinetts eigentlich kaum noch der Rede wert.

 

Thomas – Flugsicherheit wird überbewertet und überhaupt waren das nur meine Mitarbeiter – de Maizière

Krieg

Es ist schon bezeichnend, dass der neue und alte (also der vorletzte oder so) Innenminister fast schon einer der Kompetentesten unseres neuen Kabinetts ist. Aber auch der Kumpane hat so seine Leichen im Keller. So war ihm bis vor kurzen nicht klar, dass eine unbemannte Drohne, die so schön vor sich hinfliegen soll, sich an deutsche Gesetze, an so einen Blödsinn wie Flugsicherheit, zu halten hat. Das Ding soll ja bei anderen dafür sorgen, dass sie sich unsicher fühlen, warum soll es dann sicher fliegen können? Als seine Wissenslücke dann aufflog, dachte sich der Thommi: Kein Problem, opfere ich halt ein paar Bauern:

Verteidigungsminister Thomas de Maizière hat in einer Bewertung der internen Vorgänge zur Drohnen-Affäre in seinem Ressort seine beiden engsten Mitarbeiter heftig kritisiert: „Ich wurde unzureichend eingebunden“

Quelle: SpOn

Ja, das ist natürlich doof, wenn man als Chef unzureichend eingebunden wird in seine eigenen Projekte. Da kann man dann ja auch nichts mehr machen… Also schnell weiter zu:

Heiko – Paintball ist böse – Maas

Das Justizministerium, das aus irgendeinem obskuren Grund nun auch für Verbraucherschutz verantwortlich ist, übernimmt dieser Herr mit dem einfachen Weltbild. Ja gut, was soll man da sagen. Über den Effekt von Ego-Shootern streiten sich die Gelehrten. Aber in manch schlichtem Gemüt sind nicht bloß die, sondern auch Paintball gewaltverherrlichend. Ich frage mich, ob Herr Maas in der Schule Brennball gespielt hat oder Räuber und Gendarm. Das gehört alles verboten!

 

Wolfgang – Ich hätte da noch einen Koffer Bargeld für unser Konto in Liechtenstein – Schäuble

Wenn sich einer mit Finanzen auskennt, dann der Wolfgang, dachte sich die Angie vor vier Jahren. Immerhin hat der schon in den 90ern kräftig Schwarzgeld verschoben und den einen oder anderen Koffer mit Bargeld durch Europa getragen. Doch alles nur für die Partei, denn die hat ja bekanntlich immer recht. und da der Wolle seinen Job so gut macht, darf er auch in den nächsten vier Jahren das Geld des Staates hin- und herschieben.

Andrea – singalong – Nahles

Tja, an der ist eigentlich nicht viel auszusetzen. Außer dass sie nicht gerade viel Charisma hat, weswegen sie von den Medien oft Schelte bekommt. Gut, sie hatte noch nicht genug Macht, um richtig Scheiße zu bauen. Aber immerhin kann sie gut singen:

Hans-Peter – Supergrundrecht – Friedrich

 

Supergrundrecht

Quelle: Memegen.de

Das Landwirtschaftsministerium, das ohne den Verbraucherschutz nun wieder zum Selbstbedienungsministerium der Bauern wird, wird von einem Minister geführt, über den böse Zungen dasselbe sagen. Der Hape hat sich besonders bei der Spionageaffäre dieses Jahr (2013) hervorgetan. Erst wollte er sie nicht glauben, denn keiner konnte ihm sagen, woher denn dieser Snowden bitte seine Infos haben sollte. Da half auch nichts, dass NSA und GCHQ ihrerseits Snowdens Veröffentlichungen gar nicht bestritten, Herr Friedrich wollte das nicht glauben. Später dann fuhr er nach Amerika, um nachzufragen und erfuhr, dass der Snowden recht hatte, aber:

„Es geht nicht um ein flächendeckendes Abscannen von, äh, Kommunikation, sondern um eine gezielte, äh, Durchsuchung von einer quantitätsmäßig [sic] begrenzten Anzahl, äh, von, äh, Kommunikations, äh, -strömen. Darum geht es.“

Quelle: Netzpolitik.org

Wie begrenzt diese Überwachung von „äh, Kommunikations, äh, -strömen“ ist, kann man schön auf der Wikipedia nachlesen. Aber das ist ja eh nicht so schlimm, denn schließlich macht man das alles ja nur wegen des „Supergrundrechts“ Sicherheit…

Ursula – Zensursula – von der Leyen

In den Reigen der MinisterInnen, die das mit dem Grundgesetz nicht so eng sehen gehört auch unsere neue Verteidigungsministerin. Allerdings hatte die (damals als Familienministerin) nicht die Keule TERRORISMUS gezückt um Grundrechte einzuschränken, sondern die andere, die als Buzzword auch immer gut ankommt: KINDERPORNOGRAPHIE! Die gute Uschi wollte damals nämlich Internetseiten sperren lassen, wegen Kinderpornographie. Und weil das ja Kinderpronographie war, sollte – so die Träume von Frau von der Leyen – das kein Richter entscheiden, welche Seiten gesperrt werden sollen. Grundrechte und ordentliches Verfahren? So etwas zählt nicht, wenn es um Kinderpornographie geht! Stattdessen sollte den Job des Sperrens das BKA übernehmen und zwar anhand einer geheimen Liste, wegen Kinderpornographie!

Manuela – Zensursula ist knorke – Scheswig

Dafür dass das Thema Internetsperren im Familienministerium bald wieder auf der Tagesordnung stehen könnten, könnte Manuela Scheswig sorgen, denn die fand die Pläne der Kollegin von der Leyen eigentlich spitze, bis auf den ganzen Unsinn mit der Bürokratie und so, dass mit der Zensur muss noch viel schneller gehen!

 

Hermann – Petzi – Gröhe

 

Hermann Gröhe 2010

Quelle: CDU Deutschlands/Laurence Chaperon [CC-BY-SA-3.0-de], via Wikimedia Commons

Ja, nö, gegen den Herrn Gröhe kann ich nichts sagen. Genau wie Frau Nahles hat der noch keinen kapitalen Bock geschossen. Außerdem sieht er aus wie Petzi Bär!

 

Alexander – Gurkentruppe – Dobrindt

Dafür, dass Ausländer in Zukunft Geld für die Benutzung deutscher Autobahnen und Glasfaserleitungen zahlen müssen, soll der Alex als Verkehrs- und Digitalminister sorgen. Gut, jedem ist klar, dass der europäische Gerichtshof das Gesetz gleich wieder einkassieren wird, aber so ein bisschen Ausländerfeindlichkeit kommt im Wahlkampf immer gut an, denn jeder weiß, dass „der Holländer“ nicht Auto fahren kann und deshalb unsere Autobahnen kaputt macht.

Wenn Herr Dobrindt mal nicht am rechten Rand fischt, dann beschimpft er seinen Koalitionspartner (damals FDP) als „Gurkentruppe“.

Barbara – Margerineindustrie – Hendricks

2:1 in Sachen Unbescholtenheit für die SPD. Über Umwelt- und Bauministerin Frau Hendricks lässt sich nichts spannenderes sagen, als dass sie über „Die Entwicklung der Margerineindustrie am unteren Niederrhein“ promoviert hat.

Johanna – Rechtschreibreform – Wanka

Meine Generation ist diejenige, die zweimal schreiben lernen musste. Erst nach den alten Regeln und dann noch einmal nach den neuen. Unsere alte und neue Bildungs- und Forschungsministerin Wanka hat die damals (mit) durchgedrückt, weshalb sie von vielen Linguisten zu Recht verachtet wird.

Sie selbst wusste auch, was für einen Murks sie da machte, und kommentierte das dann:

„Die Kultusminister wissen längst, dass die Rechtschreibreform falsch war. Aus Gründen der Staatsräson ist sie nicht zurückgenommen worden.“

Quelle: Wikipedia

Ja, nee, is klar…

Gerd – war das nicht ein Fußballer? – Müller

Gerd Müller 7-7-74

Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-N0716-0314 / Mittelstädt, Rainer /  [CC-BY-SA-3.0-de], via Wikimedia Commons

Der Entwicklungsminister beweist, dass sogar die CSU mal ein blindes Korn findet und jemanden aufstellen kann, der sich noch nicht zum absoluten Vollhorst (Assoziationen zu lebenden CSU-Politikern sind durchaus beabsichtigt) gemacht hat. Außerdem hat so indirekt der FC Bayern auch einen Minister…

Peter – Elitetwitterer – Altmaier

Und mit unserem neuen Kanzleramtsminister zieht die CDU in Sachen „man kann mehr falsch machen“ wieder mit der SPD gleich. Zudem ist Altmaier dann in Zukunft nicht nur Kontaktmann der Geheimdienste, sondern auch Elitetwitterer. Als solcher kann er dann immer gleich die neuesten Überwachungsmaßnahmen über die sozialen Medien verbreiten. Läuft!

 

Soviel von mir. Ich hoffe, ich konnte euch einen Überblick über unsere neuen Mädels und Jungens geben…

Ich bin raus!

Demut

eine Begriffsbestimmung

[Dieser Blogpost ist so lang, dass du schon wahnsinnig sein musst, wenn du ihn komplett liest. Daher kannst du einfach ans Fazit springen und den ganzen Schmonzes dazwischen auslassen. Dann wirst du feststellen, dass das Fazit so interessant ist, dass du auch das davor lesen willst und insgesamt noch viel mehr Zeit verplempern: Das Zeitreisenparadoxon.]

Zum Fazit springen

Besinnlich wird es zum Advent auch im deutschsprachigen Internet. Da kann es dann auch mal vorkommen, dass sich ein paar Blogger an den Begriff der Demut heranwagen. Ausgelöst wurde die Begriffsbestimmung vom Haltungsturnen, es folgten wirres.net und – logischerweise – Anmut und Demut.

Demut

Demut. Bild von mir. Lizenz: CC BY 3.0.

Ich finde es erstaunlich, dass auf der Klaviatur der ethischen Begriffe ausgerechnet auf diese Taste gedrückt wurde. Und das gleich drei Mal! Ich hätte vermutet, dass der Begriff schon längst vom Strom des Sprachwandels hinfortgespült worden ist. Zumindest in meinem abschließenden Vokabular spielt das Wörtchen keine Rolle mehr. Und fast noch erstaunlicher finde ich, dass alle drei Interpreten den Begriff der Demut positiv deuten, während ich es bei ihm eher mit Nietzsche halte. Doch eines nach dem anderen, schauen wir doch erst einmal, was die drei demütig zu verkünden haben. Denn das ist mein eigentliches Anliegen: hier kann man mal richtig schön Sprachanalyse betreiben und ganz im Sinne Wittgensteins „dem Volk“ aufs Maul schauen. Also: Was ist Demut?

Haltungsturnen + Pferde + Kinder = Demut

Ich musste schon ein wenig Schmunzeln, als ich über der Überschrift „Demut“ den Slogan von Wolfgang Luenenbuerger-Reidenbachs Seite las: „Niveau sieht nur von unten aus wie Arroganz“. Hmmm… Nicht gerade demütig, oder? Im Gegenteil: Ist nicht gerade das „Unten“ der Ort der Demut? Aber das nur am Rande…

Wolfgang Luenenbuerger-Reidenbach geht seine Definition in platonischer Tradition extensional an, indem er sich fragt, was unter den Begriff fällt beziehungsweise was ihn demütig macht:

„Kinder und Pferde machen demütig. Mich jedenfalls. Anderen wird es vielleicht mit anderem so gehen. Aber Kinder und Pferde erinnern mich immer wieder daran, wie zufällig so vieles ist, wie wenig binär, eindeutig, plan- und beherrschbar.“

Wolfgang Luenenbuerger-Reidenbach: Demut.

In diesem Absatz stecken schon drei spannende Aspekte des Begriffs:

  1. Demut ist ein innerer Zustand. Anders als zum Beispiel Freiheit hat die Gesellschaft darauf keinen Einfluss. Egal welchen äußeren Einflüssen ich unterliege, ich kann immer demütig sein.
  2. Demut bezieht sich auf etwas. Es ist kein alleinstehender Wert. Wieder verglichen mit der Freiheit zeigt sich der Unterschied. Freiheit ist absolut. Ein unveräußerliches Recht. Es gibt sowohl die Freiheit von etwas, als auch die Freiheit zu etwas. Demut hingegen steht immer in einer Relation zu einem anderen Wert.
  3. Demut hat etwas mit Bewusstmachen zu tun. Luenenbuerger-Reidenbach erinnert sich an etwas, das macht ihn demütig.

So weit, so gut.

Aus dieser ersten Annäherung an den Begriff zieht Wolfgang Luenenbuerger-Reidenbach aber sogleich einen falschen Schluss, indem er technikpositivistischen Menschen und Technokraten Demut abspricht. Aber warum sollte das so sein? Alle drei oben erwähnten Bedeutungsaspekte von Demut kann ich auch auf Technikpositivismus oder Technokratie anwenden. Es gibt keine intrinsischen Bedeutungsaspekte von Technikpositivismus oder Technokratie, die mit Demut im Widerspruch stehen. Ich kann sehr demütig daruf hoffen, dass der Replikator erfunden wird und mit ihm der Hunger der Welt endet. Genauso kann ich als Technokrat vor jeder Regierungsentscheidung Wissenschaftler befragen, um dann ganz demütig zu einer Entscheidung zu kommen. Luenenbuerger-Reidenbach zieht diesen Schluss, um damit implizit einen weiteren, zentralen Bedeutungsaspekt von Demut einzuführen:

„Ob es wirklich und ernsthaft Menschen geben kann, die sich nicht nur einzureden versuchen (ob aus Schwäche und Unsicherheit oder aus Kalkül), sie könnten die Zukunft vertraglich regeln oder die Funktionsweise von irgendwas mit Menschen oder der Natur mithilfe von Gesetzmäßigkeiten erklären und vorhersagen.“

Wolfgang Luenenbuerger-Reidenbach: Demut.

Demut ist das Gegenteil von Hybris, Arroganz und Hochmut. Sie ist verwandt mit Bescheidenheit. Allerdings muss ich noch einmal betonen, dass Luenenbuerger-Reidenbach keinerlei Argument liefert, warum Technikpositivismus oder Technokratie nicht auch demütig sein können. Seine vemeintliche Schlussfolgerung ist ein purer Sophismus. Karl Poppers Stückwerk-Sozialtechnik ist ein äußerst technokratischer Ansatz. Aber gerade im Wissen um seine eigene Fehlbarkeit erscheint er mir demütig, in dem Sinne in dem Luenenbuerger-Reidenbach den Begriff verwendet. Letzterer benutzt die Demut hier als nichts anderes, denn als Buzzword um seine Abneigung gegenüber Technokratie und Technikpostivismus zur Schau zu stellen. Technikpositivismus und Technokratie sind böse weil Demut! Eine Begründung lässt er aus.

Aus dieser Einstellung heraus folgt im Haltungsturnen ein Rant über den Begriff des Naturgesetzes, den wir hier vernachlässigen können, weil er m. E. auf einer falschen Definition des Begriffs aufbaut. Interessant ist noch dieses Zitat bevor wir uns den Wirren von wirres.net zuwenden:

„Nur Wesen, die wir gebrochen haben, ergeben sich in die Beherrschbarkeit“

Wolfgang Luenenbuerger-Reidenbach: Demut.

Denn meinem Verständnis nach gibt es noch etwas anderes, das Beherrschbarkeit über Jahrhunderte hinweg ermöglicht hat: Demut. Ich werde das später noch weiter ausführen.

Wahrheit und Fehlbarkeit

„Madame Kovarian: Good men have too many rules.
The Doctor: Good men don’t need rules. Today is not the day to find out why I have so many.“

Doctor Who: A Good Man Goes to War.

Da dieser Text schon jetzt langsam tl;dr wird, möchte ich zu Felix Schwenzel und seinem Demut-Text voranschreiten. Denn dieser bringt mein Problem mit der Demut sogleich auf den Punkt, auch wenn sein Autor es negiert:

„für mich spielt der bedeutungsaspekt [sic! Stellvertretend für jedes kleingeschriebene Substantiv, das noch kommt; db] der unterwürfigkeit weniger eine rolle, als die bescheidenheit. und zwar nicht bescheidenheit im sinne von understatement, sondern im sinne eines eingeständnisses der eigenen fehlbarkeit.“

Felix Schwenzel: Demut.

Hier haben wir also drei weitere Bedeutungsaspekte von Demut:

1. Unterwürfigkeit
2. Bescheidenheit
3. Eingeständnis der eigenen Fehlbarkeit

Schwenzel fährt fort, indem er auch wieder die innere Haltung ins Spiel bringt, kombiniert mit Toleranz und Respekt:

„eine haltung, die den austausch und die kommunikation mit anderen menschen erleichtert, aber auch den umgang mit und das verständnis der welt.“

Felix Schwenzel: Demut.

Dann macht er etwas spannendes, nämlich die epistemologische Wende des Begriffs der Demut:

„…sogenannten wahrheiten immer differenziert, skeptisch und mit demut zu begegnen. denn ich bin überzeugt davon, dass menschen, die glauben im besitz der wahrheit zu sein, die welt zur hölle machen.“

Felix Schwenzel: Demut.

Er setzt hier Demut in Relation zu Skepsis und differenzierter Betrachtung in Bezug auf die Wahrheit. Das begründet er dann moralisch. Menschen, die sich im Besitz der Wahrheit wähnen, werden zu Tyrannen. Das ist ein spannender Punkt, den ich partiell teile, wenngleich ich ihn wesentlich vorsichtiger formulieren würde. Denn ich glaube nicht, dass die Gewissheit, dass ich jetzt eine Hand hochhalte, mich in die Gefahr bringt, tyrannisch zu werden. Da ich Felix Schwenzel auch nicht unterstellen möchte, dass er so weit gehen würde, ist mit der Gewissheit, also dem Besitz der Wahrheit, auf den er sich bezieht, wohl etwas anderes gemeint. Eine besondere Form der Gewissheit: das Wissen darum, was moralisch richtig ist. Menschen, die sich dessen gewiss sind, die ihre Handlungen nicht hinterfragen, sind gefährlich. Sie sind nicht demütig.

„das eingeständnis von fehlbarkeit bedeutet keinesfalls, dass man nicht felsenfest von etwas überzeugt sein kann. solange man diese überzeugung, wie ein guter wissenschaftler, als hypothese betrachtet, die durch neue fakten, andere blickwinkel oder perspektiven neu evaluiert oder formuliert werden muss.“

Felix Schwenzel: Demut.

So fährt Schwenzel fort. Auch das ist wieder ein sehr schöner Gedanke, denn er versteht Demut hier als moralische Falsifikation. Aber auch hier geht er wieder zu weit, indem er dann folgert:

„genaugesehen sind alle unsere urteile vorurteile. wir können versuchen unsere urteile auf eine möglichst breite basis zu stellen, aber niemals ausschliessen, dass wir etwas übersehen oder vergessen haben.“

Felix Schwenzel: Demut.

Es gibt vier Arten von Urteilen:

  1. die Abduktion (Schluss von einem Einzelfall auf etwas Allgemeines)
  2. die Induktion (Schluss von einer Reihe von Einzelfällen auf etwas Allgemeines)
  3. die Deduktion (Schluss vom Allgemeinen auf einen Einzelfall)
    und
  4. die Analogie (Schluss von einem Einzelfall auf einen anderen Einzelfall aufgrund einer Ähnlichkeit)

Und nur 1. und mit Einschränkungen noch 2. sind Vorurteile. Nicht hingegen, dass Sokrates sterblich ist, wenn er ein Mensch ist und alle Menschem sterben (3.). Oder dass die 1. Person singular im Futur I von „möpen“ „ich werde möpen“ lautet, weil die 1. Person singular im Futur I von „sagen“ genau so gebildet wird (4.).

Doch das nur am Rande, denn Felix Schwenzel liefert uns noch weitere Bedeutungsaspekte von Demut:

„demut muss man lernen. sie ist ein erkenntnisprozess und nichts schwermütiges oder trübsinniges.“

Felix Schwenzel: Demut.

Während er den Lernaspekt mit der Abduktion seiner eigenen Kindheit begründet, lässt Schwenzel den zweiten Teil der Hypothese etwas wirr unbegründet stehen. Das ist schade, denn das sind genau die Konnotationen von Demut, die mir den Begriff unangenehm machen. Genau diese Argumentation wäre also für mich die eigentlich spannende gewesen.

Platz halten: Demut!


Kommen wir zum letzten Teil unseres Triptychons: anmut und demut. Benjamin Birkenhake beginnt seinen Beitrag zur Demut etwas konfus:

„Im Titel dieses Blogs verwende ich „demut“ in zwei Bedeutungen: Zum einen als Platzhalter für alles Gute und Wahre – im Zusammenspiel mit „anmut“ als Platzhalter für alle Schöne und Faszinierende. Obschon mir die Demut eigentlich eine relative Tugend scheint, weil man jemandem, oder anderen gegenüber demütig ist, im Zweifel im Verhältnis zu seinem vorherigen Ich, scheint sie mir eine Primärtugend zu sein. Man kann nicht demütig sein und zugleich ein KZ führen. Sie ist eine der Tugenden, die uns vor der Barbarei rettet.“

Benjamin Birkenhake: Demut.

Zum einen fehlt mir das „zum anderen“ hier und zum anderen macht Birkenhake mehr als zwei Bedeutungen auf:

  1. Demut ist Platzhalter für alles Gute und Wahre. Hat also irgendetwas mit Erkenntnis und Moral zu tun.
  2. Demut ist eine relative Tugend – den Aspekt hatten wir oben schon bei Luenenbuerger-Reidenbach. Doch anders als beim Haltungsturnen wird hier die Demut nicht in Relation zu einem anderen Wert sondern zu einer anderen Person gesetzt. Sofern ich diesen wirklich konfusen Satz richtig auslege, kann die andere Person auch man selbst in der Vergangenheit sein. Was auch immer das bedeuten mag.
    Da Benjamin Birkenhake uns sicher nicht das Zeitreisenparadoxon erklären will, scheint er wohl zu sagen, dass man sich demütig gegenüber Positionen zeigen soll, die man selbst früher mal vertreten hat. Oder bin ich total auf dem Holzweg? Mir erschließt sich das überhaupt nicht: Wenn ich zu einer neuen Erkenntnis gelangt bin, etwa dass die Erde eine Kugel und keine Scheibe ist, warum soll ich dann Demut vor meinem Ich haben, das noch dem Irrglauben verhaftet ist, dass unsere Erde Pizzagestalt hat? Vielleicht meint er wohl doch das Zeitreisenparadoxon…
  3. Demut ist eine Primärtugend
  4. Demut schützt vor Barbarei

Spannend ist wohl vor allem 3. und die Frage, was Birkenhake unter „Primärtugend“ versteht. Leider lässt er den Begriff hier ganz isoliert ohne Erläuterung stehen. Möglicherweise meint er Kardinaltugend, aber das ist ein weiteres Mal bloße Spekulation. Und ein Blick in die Wikipedia genügt, um festzustellen, dass die Demut gerade nicht dafür bekannt ist, eine Kardinaltugend zu sein. Allerdings schreibt Birkenhake ja, dass sie für ihn eine Primärtugend ist. Jedoch ergibt sich daraus ein anderes Problem, dem ich mich gleich noch widmen werde.

„Zum anderen ist sie mir – wie ich oben schon erwähnt habe – vor allem eine Mahnung.“

Benjamin Birkenhake: Demut.

Ahhh, da ist „das andere“. Da schlägt jemand lange Bögen – das mag ich. Aber was lernen wir von ihm hier über die Demut? Demut ist eine Mahnung oder Lektion. Die Demut wird von ihm erneut in Relation zum Erinnern gesetzt. Aber Birkenhake erinnert nicht – wie oben Luenenbuerger-Reidenbach – ein Drittes an Demut. Stattdessen muss er sich selbst an sie, die Demut, erinnern: ermahnen. Demut ist ferner ein Prozess, eine Persönlichkeitsentwicklung. Allerdings er schließt an, dass diese Entwicklung nie abgeschlossen ist. Da stellt sich mir die Frage, ob man dann wirklich von einer „Entwicklung“ sprechen kann. Gehört es nicht zum Begriff der Entwicklung, dass sie irgendwann abgeschlossen ist? Zumindest wenn sie nicht gestört wird. Was Benjamin Birkenhake hier anspricht scheint eher ein innerer Kampf zu sein. Es gibt einen demütigen und einen hochmütigen Aspekt meines Charakters, die sich bekämpfen und ich muss mich zeitlebens bemühen, dass der Hochmut nicht gewinnt.

Mit Anmut und Demut fährt Benjamin Birkenhake fort, dass die Demut für ihn eine „säkulare“ Tugend ist. Diese Idee führt ihn stilistisch zur anfänglichen Konfusion zurück, denn Demut sei eine Überzeugung, nicht rational sondern ein Glaube. Er meint sogar, aus rationalen Gründen demütig zu sein, sei quatsch. Aber – und hier schreit die Kontradiktion schriller als Oskar Matzerath – die Demut sei ein „säkularer Glaube“.

„Es bedarf keiner Metaphysik, keinen religiösen Elementen, um Demut als Position zu wählen. Und das Praktizieren von Demut erfordert weder Glauben, noch Ritaule. Demut ist neben der Selbstbeurteilung zuerst ein Verhaltensmuster anderen gegenüber.“

Benjamin Birkenhake: Demut.

Sorry Herr Birkenhake, aber bitte kriegen Sie mal Ihre Terminologie auf die Reihe!

Zum ersten: Welchen Metaphysikbegriff hat er? Es liest sich so, als würde er „Metaphysik“ mit „Religion“ gleichsetzen, das aber ist eine steile These. Ich bediene mich hier mal der Wikipedia, die die Fragestellungen der Metaphysik folgendermaßen wiedergibt:

„Gibt es einen letzten Sinn, warum die Welt überhaupt existiert? Und dafür, dass sie gerade so eingerichtet ist, wie sie es ist? Gibt es einen Gott/Götter und wenn ja, was können wir über ihn/sie wissen? Was macht das Wesen des Menschen aus? Gibt es so etwas wie „Geistiges“, insbesondere einen grundlegenden Unterschied zwischen Geist und Materie (Leib-Seele-Problem)? Besitzt der Mensch eine unsterbliche Seele, verfügt er über einen Freien Willen? Verändert sich alles oder gibt es auch Dinge und Zusammenhänge, die bei allem Wechsel der Erscheinungen immer gleich bleiben?“

Wikipedia: Metaphysik.

Wie wir sehen, umfasst Metaphysik weit mehr als bloß Fragestellungen der Religion. Ferner widerspricht sich Birkenhake indem er plötzlich behauptet, Demut erfodere keinen Glauben. Also Demut ist ein Glaube erfordert aber keinen Glauben? Ich glaube wir sind hier wieder beim Zeitreisenparadoxon angelangt…

Statt dessen wird Demut in anmut und demut nun als Selbstbeurteilung und Verhaltensmuster anderen gegenüber erklärt. Dafür gibt es einen Terminus in der Philosophie: Ein Wert oder – wie es oben schon stand – eine Tugend. Nix mit Glaube oder so. Das sind zwei Paar Schuhe. Ich glaube… aber das ist einmal mehr bloße Spekulation … dass Benjamin Birkenhake hier auf die Letztbegründungsproblematik hinaus will. Ich kann eine Ethik nicht letztbegründen. Warum das so ist, habe ich bereits hier und hier ausgeführt. Den Weg, den die theistischen Religionen gehen, um ihre Ethik zu begründen ist das Dogma. Sie begründen jeden Wert und jede Norm mit: „Weil Gott es so will“. Möglicherweise versucht uns Birkenhake zu sagen, dass er auf diese Letztbegründung verzichten will, stattdessen will er die Demut selbst als letzten Grund ansetzen. Das wäre natürlich logisch keinen Deut besser als Gott, denn damit erhebt er sich selbst zum Maß aller Dinge. Und der belesene Platonkenner weiß, dass daraus der performative Widerspruch folgt. Aber das möchte ich hier nicht weiter ausführen, denn wie gesagt, ist das bloße Spekulation und ich habe nicht einen blassen Schimmer ob es das ist, was Birkenhake uns sagen will, oder ob er auf etwas ganz anderes hinaus will. Schauen wir mal, was er sonst noch zu sagen hat.

„Ich denke hinter der Demut steht vor allem die Überzeugung und Erfahrung, dass eine ganze Reihe von Glücksversprechen mit denen wir aufwachsen nichts als Irrlichter sind. Karriere, Wohlstand, Ansehen, Macht …“

Benjamin Birkenhake: Demut.

Hier kommen wieder die Bescheidenheit und die Skepsis zum Vorschein. Demut sei ein Wegweiser, der auf die kleinen Freuden im Leben verweise. Weniger ist mehr, mit anderen Worten: Genügsamkeit wird hier als ein Bedeutungsaspekt von Demut hervorgehoben. Birkenhake fährt fort, dass demütig Interagieren mit anderen bedeutet, „Rücksicht und Gnade“ walten zu lassen. Und schließlich charakterisiert er die Demut als diejenige Tugend, die hinter Rawls „Schleier des Nichtwissens“ steckt.
Puuuh… That’s a tough one. Denn Rawls Schleier basiert ja auf der Idee, dass alle Akteure in einer Gesellschaft zunächst einmal nicht demütig sondern egoistisch agieren. Erst wenn sie nicht wissen, wo sie in der Gesellschaft stehen, sind sie bereit anderen Güter zukommen zu lassen, aus Angst selbst benachteiligt zu werden. Aber das heißt ja nicht, dass Birkenhake unrecht hat. Gewissermaßen könnte man den Schleier als Metapher für die Demut verstehen. Das würde Demut eine altruistische Bedeutungskomponente geben…

Benjamin Birkenhake schließt, indem er zu Luenenbuerger-Reidenbachs Kindern und Pferden zurückgekehrt. Er übersetzt diese, indem er demütig noch einmal darauf hinweist, dass er (und ich möchte ergänzen: „und ich und du“) nur einer (drei) Menschen von sieben Milliarden sind.

Die Quintessenz: Was ist Demut?

So, nun haben wir die drei Blogposts erfolgreich analysiert. Schauen wir also mal, was hinten raustropft, wenn wir den Begriff der Demut auswringen. Welche Bedeutungsaspekte hat „Demut“?

  1. Demut ist ein innerer Zustand
  2. Demut ist eine Relation, kein alleinstehender Wert
  3. Zur Demut gehört, sich etwas bewusst machen
  4. Demut ist das Gegenteil von Hybris, Arroganz und Hochmut
  5. Zur Demut gehört Bescheidenheit
  6. Unterwürfigkeit
  7. Eingeständnis der eigenen Fehlbarkeit
  8. Skepsis
  9. Differenzierte Betrachtung in Bezug auf die Wahrheit
  10. Zweifel, was moralisch richtig ist
  11. moralische Falsifikation
  12. Demut muss man lernen
  13. Demut ist Platzhalter für alles Gute und Wahre. Hat also irgendetwas mit Erkenntnis und Moral zu tun.
  14. Demut kann eine Relation zu einem anderen Wert oder zu einer anderen Person sein
  15. Demut ist eine Primärtugend
  16. Demut schützt vor Barbarei
  17. Demut ist eine Mahnung oder Lektion
  18. Demut ist ein Prozess, eine Persönlichkeitsentwicklung oder ein innerer Kampf
  19. Eine Überzeugung
  20. Ein Glaube
  21. Selbstbeurteilung und Verhaltensmuster anderen gegenüber
  22. Ein Wegweiser
  23. Genügsamkeit
  24. demütig Interagieren mit anderen bedeutet, „Rücksicht und Gnade“ walten zu lass
  25. Rawls „Schleier des Nichtwissens“
  26. Altruismus

Diese allzu unordentlich Liste kann man in drei Bedeutungsfelder einteilen:

Zunächst einmal haben alle drei Autoren Bedeutungsaspekte hervorgearbeitet, die allgemein für Werte gelten und die die Demut im Wertespektrum verordnen. Das gilt allem voran für „Demut schützt vor Barbarei“. Uns vor Barbarei zu schützen, ist die grundsätzliche Aufgabe einer jeden Ethik. Die Decke der Zivilisation ist äußerst dünn und allen voran der Nationalsozialismus aber auch – in jüngerer Zeit – der Bosnien-Krieg oder der Völkermord in Ruanda haben gezeigt, wie leicht sie abgestreift ist. Ethische Regeln haben genau diese Aufgabe: Die zivilisatorische Decke schön festzurrren, um somit Barbarei möglichst zu verhindern. Dass Demut ein Wegweiser und eine Überzeugung ist, eine Mahnung oder Lektion, dass man sie lernen muss, dass sie eine Selbstbeurteilung und Verhaltensmuster anderen gegenüber ist und in ihrer Unbegründbarkeit sogar einem Glauben ähnelt, teilt die Demut mit allen anderen normativen Sätzen. Eben das machen sie zu einem Wert, einer Norm, einer Tugend. Demut als einen Prozess, eine Persönlichkeitsentwicklung oder ein innerer Kampf zu charakterisieren bedeutet genau ihren Kern als Tugend (und wie wir mit Tugenden umgehen) zu definieren.
Kommen wir zur Einordnung der Tugend im Wertespektrum: Als Tugend bezieht sich die Demut dann auf einen inneren Zustand. Sie verhält sich da genau wie etwa der Verzicht auf Neid, Missgunst oder Hass. Sie gibt weniger konkrete Handlungsanweisungen im Miteinander mit anderen Menschen wie die Gerechtigkeit oder die Freiheit (im Sinne vom Zugestehen von Freiheiten) sondern bezieht sich auf unsere Gefühle unsere Einstellungen der Welt und unseren Mitmenschen gegenüber. Das kombiniert die Demut mit ihrem relationalem Charakter. Man ist in Bezug auf etwas oder jemanden demütig. Was dieses andere ist, demgegenüber man demütig ist, ist nun sehr schwer zu fassen, denn es scheint weitgehend eine subjektive Entscheidung zu sein.

Diese subjektive Entscheidung spiegelt sich im zweiten Bedeutungsfeld, das unsere Autoren aufgemacht haben, in dem sie sich mit den Zweifeln und der Bewusstmachung herumgeschlagen haben. Auf der Suche nach etwas, demgegenüber ich demütig sein sollte oder sein kann, muss ich zunächst meine eigene Fehlbarkeit eingestehen. Das ist eine Krux, denn das impliziert natürlich auch, dass der Wert der Demut ein Irrtum sein kann. Ich muss gegenüber meinen eigenen Überzeugungen und gegenüber den (moralischen) Gewissheiten anderer immer Skepsis an den Tag legen. Ich muss stets bereit sein, vermeintliche Wahrheiten differenziert zu betrachten, Zweifel haben, was moralisch richtig ist und in eben diesem Zweifel meine moralischen Werte auch falsifizieren.

Und diese Einstellung, der Zweifel und die Vorsicht führen uns dann zum dritten Bedeutungsfeld der Demut. Denn aus ihnen folgt die Bescheidenheit, die Genügsamkeit und der Altruismus. Ich muss mich vor der eigenen Hybris, Arroganz und dem eigenen Hochmut in Acht nehmen. Meinen Mitmenschen gegenüber „Rücksicht und Gnade“ walten lassen, auch wenn es sich arg mittelalterlich-christlich anhört. Doch genau das führt uns zu der letzten Bedeutungskomponente der Demut, die zweifellos da ist, auch wenn sie wie das ungeliebte Kind in den Keller gesperrt wird. Vielleicht wird sie sogar nur von der Demut konnotiert, doch sie lässt sich nicht verleugnen, selbst wenn unsere Autoren betonen, dass sie ihnen nicht so wichtig ist. Zur Demut gehört eben auch die Unterwürfigkeit. Und sie ist die „dunkle Seite der Macht“. Sie ist genau jener Aspekt an der Demut der mich stört und der sie aus meinem abschließenden Vokabular verbannt hat.

Doch bevor ich zu diesem letzten Kapitel dieses langen, allzu langen, Textes voranschreite, möchte ich noch eines zur Bedeutung der Demut sagen: Aus alldem – besonders aus der Relationseigenschaft und dem inneren Wert, schließe ich, dass die Demut gerade keine Primär- oder Kardinaltugend ist, sondern immer nur gut und wichtig, wenn sie richtig eingesetzt wird.

Demut und Unterwürfigkeit

Die Dame und meine Tochter (6) lesen gerade „Der Kleine Ritter Trenk und fast das ganze Leben im Mittelalter“* von Kirsten Boje. Meine Tochter erzählte mir daraufhin, dass die meisten Menschen im Mittelalter so arm waren, dass sie sich nicht einmal Feuerholz leisten konnten und im Winter frieren mussten.

Darauf ich so: Warum sind sie dann nicht einfach in den Wald gegangen und haben Holz gesammelt.
Sie so: Weil der Wald dem Fürsten gehört.
Ich so: Wenn sie keine Bäume fällen, sondern einfach sammeln, was am Boden liegt, merkt der Fürst das doch gar nicht.
Sie so: Aber der Fürst ist doch von Gottes Gnaden. Das darf man deshalb nicht.

Das ist Demut. Das ist die Unterwürfigkeit, die mit der Demut einhergeht. Das ist der Grund, warum Nietzsche das Christentum „Sklavenmoral“ nannte. Demut bedeutet nämlich auch immer, sich mit den herrschenden Verhältnissen zu arrangieren. Bloß nicht aufbegehren, sondern bescheiden sein. Wenn das Volk kein Brot hat, soll es doch demütig auf ein besseres Leben im Jenseits hoffen. Natürlich ist das kein Problem wenn alle kategorisch-imperativ demütig wären.

Aber wissta was? Die Welt ist nicht so.

Wir können uns nicht hinstellen, guten Willens demütig sein und uns dann wundern, dass die Welt dafür noch nicht bereit ist. Wir müssen verantwortungsethisch auch damit rechnen, dass es in der Welt auch Arschlöcher gibt, die versuchen die Ethik der Anständigen auszunutzen. Und dann heißt es aufstehen und dagegen rebellieren. Doch diese Rebellion ist eben nicht mit Demut vereinbar. Daher möchte ich auf die Demut verzichten. Skepsis, Zweifel, Altruismus, Genügsamkeit, Bescheidenheit sind Teil meines abschließenden Vokabulars, aber eben nicht die Demut. Weil Demut Unterwürfigkeit zumindest konnotiert.

Ich bin raus.

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